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Was ist los? Einige Gedanken zur Lage der SPD

In der Flüchtlingsdebatte ist es der SPD bis jetzt nicht gelungen, mit einer eigenen Position aufzutreten, die beim Bürger/in auch haften bleibt. Stattdessen scheint die deutsche Sozialdemokratie im Streit innerhalb der CDU und der CSU unterzugehen. Medial ist es inzwischen fast ein geflügeltes Wort: die SPD „irrlichtert“, ist also weder erkennbar noch präsent. Das ist für eine Partei, die vor drei Landtagswahlen steht und sich anschickt, einen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2017 zu nominieren, eine ziemlich bedenkliche Ausgangslage. Das eigentlich Gefährliche: Dieser Befund ist nicht Ergebnis einer Kampagne gegen die SPD; das würde ja voraussetzen, dass die SPD eine diskutable, umstrittene Position einnimmt. Nein: er ist hausgemacht. Denn es fällt auch einem SPD-Mitglied schwer herauszufinden, was denn die Position der Bundes SPD derzeit ist, wofür der Bundesvorstand, der Vorsitzende der SPD eintreten.

Wenn aber die SPD als gestalterische politische Kraft wahrgenommen werden will, dann muss sie jenseits aller tagespolitischen Erfordernisse in Grundfragen wie der Flüchtlingsbewegung, der Fluchtursachenbekämpfung und der Integration der Migranten eine klar umrissene Position entwickeln. Diese sollte zwei Erfordernissen genügen: sie muss programmatisch sein, d.h. Gültigkeit behalten unabhängig davon, ob es morgen zu einem Terroranschlag oder einem Ereignis wie dem in Köln kommt, und sie muss in drei bis vier Leitsätzen öffentlich kommunizierbar sein, so dass von ihnen auch das alltägliche politische Geschäft abgeleitet werden kann. Hinzu kommt, dass sich die Grundsätze in das sozialpolitische Profil der SPD einfügen lassen.

Wer auf die Homepage der SPD geht, findet dort unter dem Motto „Für unser Land – menschlich und weltoffen“ solche Grundsätze: https://www.spd.de/standpunkte/fuer-unser-land-menschlich-und-weltoffen/. Diese sind durchaus überzeugend: Da geht es um die Gleichstellung von Mann und Frau, um Asyl und Einwanderung, Integration und gelebte Demokratie, um Friedenspolitik als Voraussetzung für Fluchtursachenbekämpfung. Bleibt die Frage: Warum dringt das nicht in die Öffentlichkeit, noch nicht einmal in die Gliederungen der Partei durch? Warum also werden diese Grundsätze nicht permanent öffentlich kommuniziert? Warum werden tagespolitische Kommentare und Entscheidungen von sozialdemokratischen Mandatsträger/innen nicht wie selbstverständlich eingebettet in diese grundlegenden Überlegungen? Wieso tritt die SPD auf der Grundlage dieser Standpunkte in der Großen Koalition nicht eigenständig auf? Könnte es damit etwas zu tun haben, dass es der SPD-Führung an einer Strategie mangelt und man sich viel zu opportunistisch den jeweiligen, medial gepushten Stimmungslagen ausliefert? Es mag ja sein, dass Angela Merkel mit ihrer aus SPD-Sicht richtigen Entscheidung im August 2015 zunächst der SPD das Wasser hat abgraben können. Aber nun muss doch die SPD die Regierungsarbeit vorantreiben, um Integration zu finanzieren, dem rechten Gedankengut entschlossen entgegenzutreten und die Friedenspolitik als notwendiges Gestaltungselement in der Fluchtursachenbekämpfung zu entwickeln. Wie will man sonst der AfD und rechten Scharfmachern entgegentreten? Die ständigen Versuche, ihre populistischen, zumeist fremdenfeindlichen Forderungen irgendwie aufzugreifen und ihnen auch in falsch verstandener Rücksicht auf manche Parteimitglieder nachzugeben, ist ein gefährlicher Irrweg: Er führt nur zur Stärkung der AfD und rechter Gruppierungen. Die meisten deutschen Großstädte haben eine/n Bürgermeister/in, die/der SPD angehört. Es müsste doch möglich sein, dass diese sich auf einen Grundtenor in der Kommunikation verständigen. Natürlich muss der vom Vorsitzenden der SPD vorgegeben und selbst kommuniziert werden (daran mangelt es derzeit sehr!). Und der kann nur lauten: Wir Sozialdemokraten schaffen die Voraussetzungen für eine menschliche Flüchtlingspolitik, die eigebettet ist in das Programm für soziale Gerechtigkeit. Die Kunst besteht darin, für diese schwierige Arbeit auch Begeisterung zu erzeugen, einen Mehrwert für das soziale Miteinander erkennbar zu machen, ein Entwicklungsprogramm für die nächsten Generationen zu erstellen. Nur auf diesem Wege wird man der derzeitigen Nachrichtenlage entgegentreten können, bei der man den Eindruck hat: Journalisten überschlagen sich – wie ein lange vor sich hindämmernder Schüler in der Klasse, der einen Rüffel erhalten hat – im sich melden: Hallo, hallo, hier ist wieder ein Asylbewerber straffällig geworden. Na, was für eine Überraschung, dass es unter einer Million Flüchtlingen auch Tausende gibt, die eine Straftat begehen! Von solchen (und anderen) Spielchen aber sollten sich Sozialdemokraten nicht beeindrucken lassen. Vielmehr gilt es klar zu machen: Durch jeden Missbrauch, jede Gewalt- und Straftat werden die sozialdemokratischen Grundsätze in ihrer Notwendigkeit nur bestätigt. Darum muss das Schwergewicht der politischen Alltagsarbeit vor Ort in der Organisation, dem Angebot und der Finanzierung von Bildung, Arbeit, Wohnen und im Ausbau von Verwaltung und Polizei liegen.

Aus der Geschichte sozialdemokratischer Friedens- und Ostpolitik sollten wir gelernt haben: Irgendwann verbrauchen sich auch bewusst geschürte Ängste. Irgendwann müssen wir auf die zugehen, deren ideologische oder religiöse Ausrichtung uns jetzt noch abstößt. Irgendwann werden die Menschen in der arabischen Welt in ihrer Mehrheit spüren, dass ein eigenständiges Leben nur möglich ist unter den Bedingungen von Gleichberechtigung, gerechter Beteiligung an Bildung, Arbeit und Einkommen und kultureller und religiöser Vielfalt und innerem Frieden. Dieses „Irgendwann“ haben wir aus der zeitlichen Unbestimmtheit herauszuholen, indem wir die Menschen das bei uns und wie wir im Ausland agieren, jetzt schon erfahren lassen. Denn Menschen suchen bei uns Zuflucht, weil sie diese Grundwerte solidarischen Miteinanders hier vermuten. Das setzt aber voraus, dass wir endlich die innergesellschaftlichen Verfeindungsszenarien aufgeben und die Chancen und Aufgaben, die wir tatsächlich haben, in den Mittelpunkt stellen. An ihnen beteiligen sich Gott sei Dank jetzt schon Hunderttausende Deutsche wie Migranten. Dieses Potential gilt es kontinuierlich zu stärken.

8 Antworten

  1. „Niemals tut man so vollständig und so gut das Böse, als wenn man es mit gutem Gewissen tut“ – man könnte ergänzen: „wenn man es mit guter Absicht, aber ohne Realitätssinn tut“. Dieses Zitat des französischen Philosophen Blaise Pascal beschreibt das Wort „Gutmensch“ besser als Ihre Definition. Und Immanuel Kant schrieb: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen …, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Diese Bequemlichkeit definiert den Gutmenschen und beschreibt das selbsternannte Sprachgremium mit politischen Ambitionen, das über „Unworte des Jahres“ glaubt entscheiden zu müssen und doch in Wirklichkeit politische Richtlinien ausgeben will, denen sich andere unmündig unterwerfen sollen. Sie irren sich leider, wenn Sie glauben, der „Gutmensch“ halte die Grundwerte unserer Gesellschaft zusammen – er zerstört sie, indem er Verantwortung billig und allzu feige auf andere schiebt und selbst nur moralisiert.
    Schauen Sie auf Käßmann (zum Beispiel).
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  2. Was haben Sie doch wieder für einen schönen Besinnungsaufsatz geschrieben, lieber Herr Wolff! In der Politik und damit auch im von Ihnen doch so sehr herbeigesehnten demokratischen Diskurs wären allerdings Fakten wohl geeigneter und sinnvoller.
    „Wie will man sonst der AfD und rechten Scharfmachern entgegentreten?“ – das ist Ihre Frage.
    „Die ständigen Versuche, ihre populistischen, zumeist fremdenfeindlichen Forderungen irgendwie aufzugreifen und ihnen auch in falsch verstandener Rücksicht auf manche Parteimitglieder nachzugeben, ist ein gefährlicher Irrweg: Er führt nur zur Stärkung der AfD und rechter Gruppierungen“ – das ist Ihre Antwort … und sie ist falsch! Denn die überwiegende Masse der Andersdenkenden (als Sie) ist eben weder populistisch noch fremdenfeindlich, sondern sieht die Realitäten:
    – Deutschland kann nicht über mehrere Jahre mehr als eine Million sogenannter Flüchtlinge aufnehmen (und dies ist ja auch noch die Netto-Zahl ohne Familiennachzug); – die Ressourcen an Mitteln und an Integrationsbereitschaft und -möglichkeiten sind begrenzt;
    – Deutschland muß, wenn die zu bevorzugende „Merkel-Lösung“ – also ein gemeinschaftliches europäisches Handeln – scheitert oder zu lange dauert, eigene nationale Lösungen ins Auge fassen;
    – es ist weder rechtsradikal noch fremdenfeindlich, wenn man hinweist auf die mit einer solchen Migration verbundenen Gefahren eines Imports von Terrorismus oder Kriminalität (und ein solcher Hinweis sagt auch nichts aus zu der Frage, daß dies alles auch von Deutschen ausgehen kann);
    – und deshalb ist es auch so, daß „die meisten deutschen … Bürgermeister“(innen), die, wie Sie feststellen, der SPD angehören, in ihrer praktischen Politik und ihren Forderungen an die Landesregierungen und an Berlin die CDU-Positionen unterstützen (Sie haben leider vergessen, das zu erwähnen).
    Zu den Migranten selbst gibt es auch eine Reihe von Realitäten, deren Anerkenntnis ebenfalls nichts populistisches oder radikales an sich haben:
    – Man verschliesst die Augen vor jeder Realität, wenn man nicht erkennt, daß ein signifikanter Anteil der Migranten die Not tatsächlicher Flüchtlinge ausnutzt, um sich als Trittbrettfahrer der Welle anzuschliessen: Wirtschaftsflüchtlinge, Ausweisfälscher, Ausweislose, Besitzer von Mehrfachidentitäten, etc – diese Gruppe ist inzwischen höchstwahrscheinlich die Mehrheit unter den Einreisenden und sie fällt komplett nicht unter unser Asylrecht;
    – „Irgendwann werden die Menschen in der arabischen Welt in ihrer Mehrheit spüren, dass ein eigenständiges Leben nur möglich ist unter den Bedingungen von Gleichberechtigung, gerechter Beteiligung an Bildung, Arbeit und Einkommen und kultureller und religiöser Vielfalt und innerem Frieden“ – es würde zu weit führen, diese starke Verallgemeinerung ins Reale umzuformulieren, beispielsweise das an „Gruppen“ (Familie, Clan, Stamm, religiöse oder andere Gruppe) orientierte Gesellschaftsbild asiatischer oder arabischer Lebensvorstellung mit „Eigenständigkeit“ westlicher Liberalität in Einklang zu bringen. Diese Aussage ist insofern für absehbare Zukunft eine Chimäre, weil sie gleiche Wort- und Inhaltsinterpretationen unterstellt, die nicht vorhanden sind; aber selbst wenn es so wäre: die Menschen in der arabischen Welt sollten dies dann doch durchaus bei sich zuhause tun, denn da muß ja die Freiheit hin – hier ist sie schon!
    – „Menschen suchen bei uns Zuflucht, weil sie diese Grundwerte solidarischen Miteinanders hier vermuten“ – schön wär’s ja: die Realität aber weist deutlich und ungleich stärker auf rein wirtschaftliche Motive.
    Ich schlage Ihnen vor (ganz unverbindlich bitteschön), lieber Herr Wolff, daß Sie Ihre politischen Urteile etwas weniger auf Polit-Shows à la Anne Will abstützen, deren Interesse Einschaltquoten und also populistisches Geschwätz ist (was sie ja auch reichlich kriegt), und vielleicht mehr realpolitische Analyse zu betreiben – und dann auch realpolitische Lösungsansätze anzubieten. Das Dilemma der SPD (und Ihres, wie mir scheint) ist – und es ist leider fast unauflösbar –, daß sie in ihrer Spitze ein ideologisches Gutmenschentum zu bedienen sucht, an der Basis aber realpolitische Probleme lösen und die Menschen überzeugen muss. Und das schafft sie nicht! Und die evangelische Kirche auch nicht, wenn man das hilflose Gestammel von Herrn Bedford-Strom – eben gerade bei Anne Will – hört, der gerne von Anderen „Antworten hören“ will – und so geschickt vermeidet, selbst Antworten zu geben.
    Mit herzlichem Gruß:
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Im Gegensatz zu manchem, der sich zum Thema Flüchtlinge äußert, kann ich mir ein Urteil aufgrund eigener Anschauung erlauben. Trotz der Propaganda derer, die lustvoll die Unlösbarkeit der Flüchtlingsfrage beschwören, ist die tatsächliche Aufnahmebereitschaft und Integrationsarbeit ungebrochen. Allerdings muss diese jeden Tag neu unterstützt werden durch die logistische und finanzielle Verbesserung der Arbeit. Das ist die Hauptaufgabe derer, die in Parlamenten und Regierungen sitzen. Gott sei Dank funktioniert dies bis zum heutigen Tage von Ausnahmen abgesehen gut. Darum aber ist das Zerreden dieser günstigen Lage in unserem Land durch CSU und AfD so verwerflich. Sie warten mit Forderungen auf, die nur durchsetzbar sind, wenn wir unsere Grundwerte verlassen. Darin sehe ich die eigentlich Gefahr: Durch das derzeitige Agieren der CSU und das gemein-gefährliche Auftreten der AfD werden diejenigen unterstützt, die jeden Tag Asylunterkünfte mit Gewalt angreifen, in Brand oder unter Wasser setzen. Im Übrigen habe ich mir vorgenommen, auf Meinungsäußerungen, die mit dem Unwort des Jahres „Gutmenschen“ versehen sind, nicht mehr einzugehen. Denn diese haben ja nichts anderes im Sinn, den Menschen die Grundwerte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, auszutreiben.

  3. Zwei „Aspekte“ halte ich für erinnernswert. Zum einen, das die EU einzig und allein als Wirtschaftsunion, ohne Sozial- und Fiskal-Union, ins Werk gesetzt wurde und die schon fast überstürzte Aufnahme der östlichen Nachbarstaaten sind mit ursächlich für die heutigen Probleme. Genauso wie die konstante Weigerung, vorrangig der CDU, eine Einwanderungs-Gesetz zu schaffen. Und der Drang in die „Mitte“, zu Lasten der SPD-Stammwähler (z.B.Arbeitnehmer) hat dem „WIR“ einen Bärendienst erwiesen.

  4. Lieber Herr Brinkel, wir sollten doch bitte bei der Unterscheidung bleiben zwischen Kriegsflüchtlingen und Menschen, die im Ausland ein neues Leben aufbauen wollen, weil sie glauben, zuhause keine ausreichende Perspektive zu finden. Beides unter dem Begriff „Flüchtlinge“ zu subsummieren, ist einer der Hintergründe dafür, warum die Debatte manchmal so emotional geführt wird und so schwierig ist – denn natürlich will fast jeder Flüchtlingen spontan helfen; vor allen Dingen wenn man sich die grausamen Bilder anschaut, die über die Presse und die sozialen Medien z.B. über die Verhältnisse in Syrien gezeigt werden.
    Mich würde interessieren, was die Bundesregierung (und Sigmar Gabriel) aus Ihrer Sicht denn tun soll, für den konkreten Fall, dass sich Staaten wie Marokko weigern, ihre Staatsbürger wieder aufzunehmen, die zuvor (erfolglos) in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt haben, der in einem rechtsstaatlichen Verfahren abgelehnt wurde und die dann – auf Kosten der deutschen Steuerzahlers wohlgemerkt – in ihr Herkunftsland zurückgebracht werden (sollen)??

  5. Das Problem heißt Sigmar Gabriel. Man nehme nur die Themen TTIP und CETA; hier versucht Gabriel, an den SPD-Gremien und an sozialdemokratischen Grundsätzen vorbei Freihandelsverträge durchzusetzen, durch die im Ergebnis die Demokratie ausgehebelt wird. Die öffentlichen Äußerungen von Gabriel nach den Vorgängen in Köln und an anderen Orten lässt aufhorchen. Sollten Marokko und andere Staaten Flüchtlinge nicht zurücknehmen, dann kürzen wir euch die Entwicklungshilfe. Wenn so ein Satz von Dobrindt gekommen wäre, hätte es mich nicht gewundert.
    Quo vadis SPD?

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