1968 – es war das Jahr der Proteste und Aufbrüche in Kirche und Gesellschaft, aber auch der brutalen Niederschlagung von Bewegungen. Dafür stehen die Studentenbewegung an den Universitäten, das Aufbegehren gegen den Vietnamkrieg, der Prager Frühling und der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige CSSR, das Attentat auf Rudi Dutschke und die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig, die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten und die Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy. Gerade letztere Namen zeigen eine besondere Tragik auf: Menschen, deren Wirken äußerst segensreich war und die versuchten, in der Verfolgung ihrer Ziele glaubwürdig zu bleiben, sterben einen gewaltsamen Tod.
Martin Luther King wurde am 4. April 1968, also vor genau 50 Jahren, in Memphis/Tennessee erschossen. Als baptistischer Pfarrer in Montgomery/Alabama setzte er sich seit Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts für das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe in den Vereinigten Staaten von Amerika ein. Er organisierte eine große Protestbewegung gegen Rassendiskriminierung und Armut und knüpfte dabei bewusst an Strategie des gewaltlosen Widerstandes eines Mahatma Gandhi an. Damit forderte Luther King zunächst den Hass derer heraus, die ihren auch religiös motivierten Rassismus dazu missbrauchten, Privilegien zu verteidigen: „Wenn die Entrechteten die Freiheit verlangen, so antworten die Bevorrechteten zunächst mit Verbitterung und Widerstand.“ – so seine klare Analyse.
Martin Luther King kam es auf drei Dinge an, die auch heute von größter Bedeutung sind:
- Von seinem Vater hatte er gelernt: „Du bist nur dann ein Sklave, wenn du dich als Sklave fühlst“ – wenn du also die Rolle übernimmst, in die dich andere hineindrängen, um Macht über dich ausüben zu können. Luther King ging es um ein neues Selbstbewusstsein der Rechtlosen. Dieses gründet auf der Überzeugung, dass jeder Mensch unabhängig von Hautfarbe, sozialer Stellung, religiöser Überzeugung ein Geschöpf des einen Gottes ist. Und es wächst im Prozess der Befreiung, die Gott dem Menschen eröffnet: Befreiung zur Liebe, Befreiung zur Gewaltlosigkeit, Befreiung zum Leiden.
- Martin Luther King begriff sehr schnell den Zusammenhang zwischen dem Freiheitsgedanken des christlichen Glaubens und der Notwendigkeit demokratischen Zusammenlebens. Sein Ziel war nicht, die ungerechte Herrschaft der Weißen über die Schwarzen umzukehren. Er wollte das Zusammenleben der Menschen auf der Grundlage der Gerechtigkeit neu gestalten. Trotz der bitteren Erfahrung, dass im ach so christlichen, freiheitlichen Westen Rassismus an der Tagesordnung war, setzte Luther King viel Vertrauen in demokratische Veränderungsprozesse: „Einer der Glanzpunkte der Demokratie ist das Recht, für das Recht kämpfen zu dürfen.“
- Entscheidend für das Wirken von Martin Luther King war die Lehre von der Gewaltlosigkeit: „Geist und Antrieb gab uns Christus, die Methode übernahmen wir von Gandhi“, pflegte Martin Luther King sein Verständnis der Gewaltfreiheit zu erklären. Er begriff Gewaltlosigkeit als die entscheidende „Waffe“: „Unsere Waffe ist, keine zu haben.“ Aus der Botschaft Jesu folgte seine Bereitschaft, den Gegner zu lieben, dafür Leiden auf sich zu nehmen und den Tod nicht zu scheuen.Dem eigenen, gewaltsamen Tod nahe war Luther King fast jeden Tag – so viel Hass zog er auf sich. Am 30. Januar 1956 wurde von einem Rassisten eine Bombe auf sein Wohnhaus geworfen. Wie durch ein Wunder erlitten weder seine Frau noch die Kinder Verletzungen. Luther King selbst hielt sich in einer Kirche auf. Schnell versammelten sich Hunderte Schwarze vor dem zerstörten Haus, teilweise bewaffnet. Die Stimmung war explosiv. Luther King eilte zu den Menschen und appellierte eindringlich an sie: „Wir müssen der Gewalt durch Gewaltlosigkeit begegnen … Wir müssen unsere weißen Brüder lieben, gleichgültig, was sie uns antun …. Jesus ruft uns auch heute zu: Liebt eure Feinde … Wir müssen Hass mit Liebe vergelten.“ Die Menschen gingen friedlich, weil gestärkt und selbstbewusst auseinander. Luther King konnte sich zwar vorstellen, für die Sache der Gerechtigkeit zu sterben, aber niemals war er bereit, für sie andere Menschen zu töten.
Wenn wir uns heute an Martin Luther King erinnern, dann können wir in diesem außergewöhnlichen Menschen eine wesentliche Grundlage des christlichen Glaubens erkennen: die Gewaltlosigkeit, die dem Frieden dient und die – dem steten Tropfen gleich – die ganze Welt verändert. Martin Luther King bezeichnete sie als „eine gute und richtige Macht“. Ohne diese Macht bleibt der christliche Glaube Stückwerk. Ohne sie geht unsere Welt in Terror und Krieg unter. Ohne sie werden wir nie der Befreiung durch Jesus Christus teilhaftig. Denn in der Gewaltlosigkeit liegt die Verheißung des doppelten Sieges: „Eines Tages werden wir die Freiheit gewinnen. Aber sie wird nicht nur für uns selbst errungen. Wir werden so lange an euer Herz und eure Seele appellieren, bis wir auch euch gewonnen haben.“ – so Luther King im Blick auf die „kranken, weißen Brüder“.
Auch heute werden wir dem Menschen dienende Veränderungen nur erreichen, indem wir durch die Strategie der Gewaltlosigkeit unsere globalen sozialen, gesellschaftlichen, politischen Probleme zu lösen versuchen. Denn sie entstehen nicht zuletzt dadurch, dass zu viele Menschen und Mächte Unrecht, Terror, Gewalt geschehen und zulassen und rechtfertigen. Noch immer gibt es zu viele Menschen, die sich widerstandslos so erniedrigen lassen, dass sie nur noch hassen können und zur Gewalt greifen. Ob es die Massaker an amerikanischen Schulen sind mit der Ursache unkontrollierten Waffenbesitzes oder die ungeheure kriegerische Gewalt in Syrien, ob es die Terrorakte in europäischen Metropolen oder in Bagdad oder Kabul sind – die nüchterne Analyse dieser Vorgänge muss uns zu der Einsicht führen: Nur durch wachsendes Vertrauen in die gestalterische Macht der Gewaltlosigkeit werden wir einer friedlichen Entwicklung näher kommen. Denn nur so werden wir den immer noch wirksamen verheerenden Zusammenhang von Rassismus, Armut und Militarismus durchbrechen können. Am 04. April 1968 wurde Martin Luther King ermordet, aber die Kraft der Gewaltlosigkeit lebt.
Nachtrag am 04.04.2018
Martin Luther King sagte wenige Tage vor seiner Ermordung in einer Predigt die eindrücklichen Sätze: „Gott ist mächtig! Ist jemand unter uns, der seinem Lebensabend entgegengeht und den Tod fürchtet? Warum diese Furcht? Gott ist mächtig! Ist jemand unter uns, der über den Tod eines geliebten Menschen verzweifelt ist? Warum verzweifeln? Gott kann die Kraft schenken, das Leid zu tragen. Sorgt sich jemand um seine schlechte Gesundheit? Warum sich sorgen? Komme, was mag – Gott ist mächtig! Wenn unsere Tage dunkel sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große segnende Kraft gibt, die Gott heißt. Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er will das dunkle Gestern in ein helles Morgen verwandeln – zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit.“
2 Antworten
…und ich schließe mich gern dem Kommentar des Herrn Schwerdtfeger an. Nicht nur inhaltlich (was Chr. Wolff aussagt), sondern sekundär, weil eine solche vorbehaltlose Zustimmung geradezu ein Novum bedeutet.
Es ist alles gesagt!
Lieber Herr Wolff,
so oft schreibe ich Ihnen und halte Ihnen eine andere Meinung entgegen. Deshalb will ich Ihnen heute auch schreiben und Ihnen sagen, wie sehr mich Ihr Beitrag zu MLK bewegt hat und wie eindrucksvoll ich ihn finde.
Mit herzlichem Dank,
Andreas Schwerdtfeger