Am heutigen Samstag, 15. April 2023, habe ich in der Motette in der Thomaskirche die folgende Ansprache gehalten. In ihr bin ich auf das Ende der friedlichen Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung eingegangen und habe dieses in den österlichen Kontext gestellt.
Heute Nacht ist es soweit. Dann werden die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet – ein Ereignis von historischer Bedeutung, das aber nach wie vor umstritten ist. Denn angesichts der Energieprobleme und des Klimawandels erfreut sich die friedliche Nutzung der Atomkraft plötzlich einer unerwarteten Akzeptanz. Sie sei eine saubere Energie, heißt es. Ohne Not sollte man auf sie nicht verzichten.
Doch was hat vor fast 50 Jahren auch viele Christenmenschen dazu veranlasst, gegen den Bau von Atomkraftwerken auf die Straße zu gehen, im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in beiden Teilen Deutschlands für einen Ausstieg aus der Kernkraft zu votieren? Die Älteren unter unseren Gästen aus Schopfheim werden sich vielleicht noch erinnern an die Auseinandersetzungen um das geplante Atomkraftwerk im badischen Wyhl in den 70er Jahren. Damals protestierten Tausende konservative Bürgerinnen und Bürger, christlich gesinnte Bauern und Winzer gemeinsam mit langhaarigen Jungen Menschen aus der alternativen Szene gegen den Bau der Atommeiler. Ihnen wurde entgegengehalten: Wenn Wyhl nicht gebaut wird, gehen in Baden-Württemberg die Lichter aus. Wyhl wurde nicht gebaut, und Südbaden ist alles andere als Dunkeldeutschland.
Auch auf meinem Auto klebte damals leuchtend „ATOMKRAFT? – NEIN DANKE“. Für mich waren und sind drei Gründe ausschlaggebend, den heutigen Tag nachdenklich-dankbar zu begehen:
- Einer Technologie, die als sog. Restrisiko die Unbewohnbarkeit ganzer Regionen zur Folge hat und auf Generationen Menschenleben schädigt, liegt eine tödliche Anmaßung des Menschen zugrunde: es wird schon nichts passieren. Aber es ist leider viel passiert – und jetzt sehen wir im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, wie schnell ein Atomkraftwerk zu einer Atombombe werden kann.
- Das Funktionieren der friedlichen Nutzung der Atomkraft setzt den unfehlbaren Menschen und eine ewig andauernde Folgenbewältigung voraus. Das aber widerspricht dem biblischen Menschenbild.
- Die Entsorgung des Strahlenmaterials ist bis heute nicht geklärt und kann auch nicht geklärt werden, weil kein Mensch eine sichere Lagerung des atomaren Restmülls über Tausende von Jahren garantieren kann.
Die Atomkraft, friedlich und militärisch genutzt, ist ein Produkt menschlicher Hybris. Was aber der Überheblichkeit des Menschen entspringt, ist für ihn auf Dauer nicht mehr beherrschbar bzw. beherrscht zunehmend ihn. Das Tragische an der Sache: Wir Menschen wollen nicht wahrhaben, dass wir machtlos sind gegenüber den Dingen, die wir selbst anrichten.
Das gilt auch für den Krieg und alles, was ihn ermöglicht. Auch er ist Ausdruck von einer ungeheuerlichen Anmaßung und Überheblichkeit – kann aber ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr von denen gesteuert werden, die ihn anzetteln. Die Folgen sind verheerend. Leider lässt sich Krieg nicht abschalten wie ein Atomkraftwerk. Krieg ist der Supergau jeglicher Hochrüstung, den es eigentlich zu verhindern gilt – ausgelöst durch einen Gott verachtenden Macht- und Herrschaftsanspruch einzelner Diktatoren, Nationen, Bevölkerungsgruppen.
Und nun ist die Frage: Gibt es eine Möglichkeit, die Mechanismen rechtzeitig zu durchschauen, die uns immer wieder dazu verführen, wissentlich das Falsche zu tun? Ja, wenn wir uns das aneignen, was uns vor verhängnisvoller Selbstüberheblichkeit bewahrt: Demut – nicht vor Menschen und Mächten, sondern vor Gott. Darum steht am Anfang eines jeden Gottesdienstes, auch dieser Motette das „Kyrie eleison – Herr, erbarme dich“. Vor Gott lösen sich jede von Menschen gemachte Hierarchie, jeder Machtanspruch auf. Mit dem „Kyrie“ steigen wir von unseren selbstgemachten Podesten und anerkennen die Gleichberechtigung aller Menschen. Säkular ausgedrückt können wir das „Kyrie eleison“ übersetzen mit der Redewendung „Nun komm mal runter von deinem hohen Ross!“. Indem wir uns in dieser Weise vor Gott in Demut üben, bejahen wir: Nicht wir sind Schöpfer des Lebens; aber jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, mit Recht und Würde gesegnet. Nicht wir sind Herr aller Dinge; sondern wir leben für eine sehr begrenzte Zeit hier auf Erden und alles, was wir tun, haben wir vor Gott und den Menschen zu verantworten. Und schließlich gilt es zu erkennen, dass die Vollendung des Lebens sich nicht auf Erden vollzieht. Die Vollendung steht uns erst bevor. Eine solche, auf Gott bezogene Lebenshaltung wird von denen im besten Fall missachtet und im schlimmsten Fall bekämpft, die sich zum Herrn aller Dinge erklären und gleichzeitig Mensch und Natur in den Abgrund reißen.
Wir haben gerade in der eindrucksvollen Vertonung von Christoph Bogon die österliche Auferstehungsbotschaft vernommen. Wir verdanken sie dem Apostel Paulus: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich.“ (Die Bibel: 1. Korinther 15,42) Was hier auf Erden geschieht, unterliegt der Vergänglichkeit. Alles bleibt bruchstückhaft, fehlerhaft und unvollendet. Aber alles, was wir hier leben und gestalten, soll schon einen Hinweis geben auf das, was mit der Auferstehung kommen soll und mit Jesus Christus angekündigt wird. Wir werden es nachher im Lobgesang der Maria „Meine Seele erhebt den Herren“ hören, worauf es ankommt: dass Machtverhältnisse eingeebnet, Ungerechtigkeiten beseitigt werden und Barmherzigkeit waltet. Dieses kann nicht dadurch erreicht werden, dass sich ein Mensch über den anderen, eine Macht über die andere erhebt. Ostern verleiht uns die Kraft, der eigenen Anmaßung zu widerstehen und gerade dadurch dem Leben und dem Frieden zu dienen. Amen.
11 Antworten
Sehr geehrter Herr Professor Löbler,
so gründlich wie Sie habe ich die auf der Blümmschen Webseite angeführten Quellen nicht studiert. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass seine Ausführungen etwas plakativ sind und bin mir der Risiken der zivilen Nutzung der Kernkraft durchaus bewusst. Im übrigen bleibt ja auch noch das Unfallrisiko der militärischen Atomrüstung
https://www.welt.de/geschichte/article121167769/Menschheit-entging-bereits-1200-Atombomben-GAUs.html und wie Herr Wolff hinwies, die bewusste Herbeiführung eines Atomunfalls im Kriegsfall sowie die ungeklärte Endlagerung des radioaktiven Abfalls. Für Deutschland ist der Atomausstieg endgültig besiegelt, und es gilt nun, nach vorn zu schauen. Da bin ich allerdings für dieses Land skeptisch, ob der rasant steigende Strombedarf (E-Mobilität, „Wärmewende“ etc.) aus eigener Kraft und zu wettbewerbsfähigen Preisen gedeckt werden kann.
Freundliche Grüße – K. P.
Ich darf zitieren (Herrn Schwerdtfeger): zum Terminus HYPRIS…
„….er übersieht, dass jeder wissenschaftliche Fortschritt das Potential zum Guten ebenso enthält wie zum Schlechten; er ist, in anderen Worten, schon deshalb selbst ein Ausdruck von Hybris, weil wohl niemand solche Grenzen abschließend und allgemeingültig definieren kann oder auch nur darf.“
Richtig, Herr Schwerdtfeger, und nun die konkrete Frage: Was geschieht mit dem radioaktiven Nuklearmüll (hochradioaktive Brennstäbe etc.pp.), wo gibt es absolut (?) umweltsichere Lagerstätten mit welchem eindeutig fixierten Sicherheitsstandart, wie wird sich diese Lagerung tausender Tonnen radioaktiver Nachlassenschaften über Jahrtausende ohne Schädigung (?) der Umwelt auswirken und welch ethisch-moralische Verantwortung für massive Auswirkungen nach reichlich 60 Jahren Atomenergie-Wirtschaft allein in DEU wird von denen getragen, die heute für den Fortbestand der Atommeiler plädieren im Wissen um „solche Grenzen…“? Sind all diese Problemfragen überhaupt zu beantworten?
Sie sagen es, aber mir fehlt sofort eine kluge Erkenntnis aus den Ihrerseits in all Ihren Kommentierungen stets postulierten Wissen und Erfahrung zu Ihrem oben gesagten: Was bieten Sie denn nun eigentlich zur Lösung der komplexen Probleme (Umwelt, Klima, Atomenergie, internationale Verflechtungen, Konfrontationen zwischen Ost + West / China, Russland, Nordkorea versus EU, USA + Skandinavien) an, denn allein mit der eloquenten Reduzierung auf den Nachweis detaillierter Irrungen zu Gedachtem und Gesagtem (Geschriebenem) unseres aufrechten, an den Brennpunkten unserer teils chaotischen Realität stets dranbleibenden Chr. Wolff (welches auch ich übrigens sehr anerkenne und nachzuvollziehen in der Lage bin!) ist ja dieses chaotische Welt wohl kaum zu „retten“…wenn überhaupt!
Und was sagen Sie zur höchst umstrittenen Taxonomie-Verordnung der EU, die mehr als fragwürdige Subventionen für Unternehmen mit dem Blendwerk „Klimaneutralität“ beinhaltet, eine umweltgerechte Co2- Reduktion vorgaukelt und erst 2024 im Herbst gesetzlich gelten soll? Auch hier „Grenzen…“?
Übrigens:
Das christliche Weltbild, seit 2000 Jahren ein beständiger Moralcodex, welcher Bestand hat in seinen Grundlagen und unbestritten Fundament für diejenigen bedeutet, die weltverteilt daran glauben, dass ohne dieses Credo ein ganz bewusst verantwortliches Dasein für den Nächsten, für Natur und Leben überhaupt schlechterdings unmöglich ist – dieses Weltbild soll an den Realitäten, von denen Sie reden und Chr. Wolff und somit ja auch Christen und den anderen monotheistischen Religionen (Judentum, das Christentum, der Islam und auch die Bahai-Religion) vorbeigehen?
Verehrter Herr Schwerdtfeger – Ihre Sicht, aber es gibt eben auch die andere, Gott sei Dank! Und Gläubige sind nach meiner Wahrnehmung durchaus Realisten im Irdischen, das wissen Sie doch. Nicht alle, aber die meisten!
Ergo: Üben Sie einfach Demokratie und Toleranz, dies tut dem nötigen Diskurs einfach nur wohl.
Guten Tag, Jo.Flade
Demokratische Übung und Toleranz sollten eigentlich als erstes mal zur Gratulation führen: Zur Beglückwünschung derjenigen in unserem Lande, die eine jahrzehntelangen Kampf gewonnen und ihre Überzeugung durchgesetzt haben. Ich beglückwünsche die Atomkraftgegner zu diesem Erfolg ebenso wie ich zufrieden war, als die jetzige Regierung vor gut einem Jahr endlich in Sachen Landesverteidigung den richtigen Schritt getan hat, den die SPD als „durchgehende“ Regierungspartei allerdings vorher als kleinerer Partner konsequent blockiert und damit unserem Lande über Jahre schweren Schaden zugefügt hatte. Ein solcher Glückwunsch ist unabhängig von der Richtigkeit der Entscheidung – er ist Anerkennung der Demokratie in unserem Lande und leider bei der überwiegenden Menge unserer Menschen inzwischen nicht mehr üblich, sondern eher Anlaß zum ewig eskalierenden Nachtarocken.
Die Entscheidung an sich ist nicht nur zum jetzigen Zeitpunkt falsch, sondern sie ist ja auch nur polemisch-ideologisch begründet und findet deshalb die Zustimmung der Mehrheit des Volkes nicht. Dieses Dilemma zeigt Ihre Predigt, lieber Herr Wolff, nur allzu deutlich auf: Kein einziges politisches oder technisches Argument, sondern nur religiöser Idealismus als Stärkung der Seele, aber eben an jeglicher politisch-wirtschaftlicher Realität vorbei. Ihre schöne Predigt zeigt wieder einmal, wie sehr die Religion uns ein gutes Menschenbild als Idealzustand vorspiegelt – was ehrenwert ist – und wie sehr davon allerdings die politische und menschliche Realität abweicht und die Vernunft also eine andere, realistische Politik erzwingt.
Die letzte Woche war eine politisch schwarze, ein Desaster für Deutschland und Europa:
1. Zum zweiten Mal nach der richtigen Entscheidung zur Landesverteidigung enttäuscht die Regierung, insbesondere SPD und Grüne, ihre Wähler: Denn die Abschaltung der Kernkraftwerke führte und führt zur schmutzigsten und teuersten Stromproduktion in unserem Land über das kommende Jahrzehnt. Ich begründe dies hier nicht, weil es ja offensichtlich ist und von der Mehrheit auch so gesehen wird. Nur ein Hinweis: Die ganze Verquertheit der Befürworter zeigt sich in dem Argument, die Atomkraft habe ja sowieso nur noch vier komma bißchen betragen – freilich ohne hinzuzufügen, daß diese Reduktion eben mit dem massenhaften Hochfahren von Dreckschleudern bezahlt wird.
2. Der fatale Auftritt der Außenministerin in China ist die zweite Katastrophe dieser Woche. Zum ersten Mal hat ein hoher chinesischer Politiker, der Außenminister, deutlich gesagt, was ich seit Jahren hier schreibe: China weist die ewige Belehrung des Westens nachdrücklich zurück. Nicht umsonst findet der Auftritt des brasilianischen Präsidenten Lula dort mehr Aufmerksamkeit als der von Baerbock; nicht zufällig ist die fatale, die EU spaltende Aussage des französischen Präsidenten dort willkommener als das Geschwätz der Deutschen – Geschwätz deswegen, weil die Chinesen klar erkennen, daß hinter deutschen „festen“ Positonen keinerlei Gewicht erkennbar ist und daß in Vokabeln wie „Horrorszenario“ wenig politische Aussage, aber viel German Angst steht. Eindruck hätte den Chinesen gemacht, wenn Baerbock mit Hinweis auf die militrischen Manöver der VRC zur Einschüchterung eines benachbarten souveränen und demokratischen Staates (also ganz ähnliches Verhalten wie Putin zu Beginn 2022) den Besuch abgesagt und verschoben hätte.
3. Angesichts der Umsetzung einer in der Tat epochalen Entscheidung in unserem Lande hätte man von einem Kanzler, der führt, entscheidet und zum Wohle des deutschen Volkes agiert, eine Ansprache erwarten dürfen, in der er die unterschiedlichen Positionen zusammenführt, den Frieden beschwört, versöhnt und nicht – wie Sie, Herr Wolff, es als Pfarrer tun können – über religiöse Visionen an der Realität vorbei, sondern über konkrete politische Friedensrhetorik die widersprüchlichen Positionen in eine gemeinsame Zukunftspolitik zurückführt. Aber wo ist unser Kanzler? Gibt es ihn noch? Die beiden o.a. Themen – Zusammenführung eines gespaltenen Volkes und Schadensbegrenzung nach der Doppelzüngigkeit der EU-Politik und der sinnlosen Belehrungspolitik seiner AM – hätten eine sichtbare Präsenz des Kanzlers erfordert.
Nochmal: Ich beglückwünsche die Menschen, die in der Atom-Entscheidung einen Sieg in unserer Demokratie erzielt haben. Ich würde mir wünschen, daß sie die Größe haben, diesen Sieg zur Versöhnung und nicht zur rechthaberischen Insistenz auf ihrer Position und stattdessen zur Anerkennung des immens hohen Preises auch gegen ihre eigenen Interessen nutzen, den wir alle zahlen. Der Satz allerdings: „Die Atomkraft, friedlich und militärisch genutzt, ist ein Produkt menschlicher Hybris“ – dieser Satz verkennt eben völlig den natürlichen menschlichen Trieb, die wissenschaftlichen Grenzen auszudehnen; er übersieht, daß jeder wissenschaftliche Fortschritt das Potential zum Guten ebenso enthält wie zum Schlechten; er ist, in anderen Worten, schon deshalb selbst ein Ausdruck von Hybris, weil wohl niemand solche Grenzen abschließend und allgemeingültig definieren kann oder auch nur darf. Und „Ausdruck … einer ungeheuerlichen Anmaßung und Überheblichkeit“ ist es wohl eher, wenn man seine eigenen Meinung über die Freiheit zur Eigenverantwortung erhebt, die Gott jedem anderen Menschen genauso gegeben hat – eben hier liegen ja der Irrtum und die Naivität, ja die Aggressivität des sogenannten Pazifismus über das Schicksal anderer Menschen, wenn diese sich verteidigen wollen (und dazu natürlich auch die Mittel brauchen).
Man tut eben auch „wissentlich das Falsche“, wenn man sich die Welt simpel konstruiert, indem man das „biblische Menschenbild“ zum Leitmotiv erhebt, obwohl dieses Bild sich über Jahrtausende als politisch unrealisierbar erwiesen hat – und dann darüber das Machbare vernachlässigt.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, wieder einmal enthält Ihre Replik etliche Aspekte, die wenig mit meinem Beitrag zu tun haben (wie Baerbocks China-Besuch); und Etliches, was Sie schreiben, geht am Kern meines Beitrages vorbei. Zu Letzterem ein paar Anmerkungen:
1. Sie setzen meiner Bemerkung zur Hybris „den natürlichen menschlichen Trieb, die wissenschaftlichen Grenzen auszudehnen“ entgegen. Dieser „Trieb“ entbindet den:die Wisennschaftler:in aber nicht, Verantwortung für seine:ihre Arbeit zu übernehmen (siehe die Erklärung der „Göttinger Achtzehn“ von 1957 zur atomaren Bewaffnung).
2. Sie sprechen davon, dass ich mir „die Welt simpel konstruiere, indem ich das biblische Menschenbild zum Leibild erhebe“. Ein solchen Satz kann nur jemand schreiben, der offensichtlich keine Vorstellung vom biblischen Menschenbild hat. Das verüble ich Ihnen keinen Augenblick. Allerdings sollte man dann vorsichtiger mit seinen Äußerungen sein. Das biblische Menschbild ist ausgesprochen realistisch und geht davon aus, dass jeder Mensch ein Geschöpf Gottes ist (woraus sich die Menschenwürde ableitet), dass das menschliche Leben begrenzt und vergänglich ist und wir deswegen keinen Anspruch auf Leine bestimmte Lebenslänge haben, der entsprechend durchzusetzen wäre, und dass der Mensch ein sehr fehlbares Wesen ist. Darf ich fragen, was ist daran „simpel“ ist?
3. Sie bemerken, dass ich in meiner Ansprache „kein einziges politisches oder technisches Argument, sondern nur religiöser Idealismus als Stärkung der Seele, aber eben an jeglicher politisch-wirtschaftlicher Realität vorbei“ vorbringe. Das ist insofern putzig, als ich drei gewichtige Argumente anführe, die seit Jahrzehnten eine große Rolle in der Debatte um die Atomkraft spielen. Diese allerdings ergänze ich mit einem Aspekt, der erhebliche Auswirkungen auf das gesellschaftspolitische Leben hat: die Hybris des Menschen.
Beste Grüße, Christian Wolff
Lieber Herr Wolff,
Ihre Antwort regt zu erneuter Nachdenklichkeit an und ich danke Ihnen. Sie haben Recht, mit dem, was Sie dort schreiben – unsere ganze Diskussion hier ist ja eine subjektive und unterliegt insofern dem Kriterium richtig/falsch nur in begrenztem Umfang. Ich sehe sie allerdings als „fortlaufend“ über die einzelnen Beiträge hinweg an, weswegen ich gelegentlich thematisch (wie ja andere auch) über das konkrete Anliegen Ihres jeweiligen Beitrages hinausreiche: Meine China-Anmerkung passte zur letzten Woche, aber nicht zu Ihrem Thema.
Zu Ihren drei Antworten:
1. Ich stimme Ihnen zu , daß Wissenschaft mit Verantwortung einhergeht. Diese Verantwortung äußert sich aber wohl mehr im Umgang (der Menschheit) mit wissenschaftlichen Ergebnissen als in deren Entstehung. Die letztere lässt sich nicht bremsen, das erstere unterliegt gesellschaftlichem und politischem Konsens im Rahmen der im Menschen angelegten Fähigkeit, in freier Entscheidung das Böse oder eben das Gute zu tun. Die Erklärung der Göttinger Achtzehn übersieht eben, daß Resultate der Wissenschaft nicht dadurch verschwinden, daß man auf ihre Gefahren hinweist.
2. Die Frage des biblischen Menschenbildes ist zwischen uns unstrittig in der Form, wie Sie es hier erklären. Simpel aus meiner Sicht ist es, wenn man das Ideal als Realität annimmt und hieraus Politik ableitet. Unser GG stellt den Menschen in seiner Würde als unantastbar dar – und hat damit natürlich Recht. Und doch kann ein Mensch – er selbst, nicht seine Mitmenschen – seine Würde antasten und verletzen, wenn er eben ein schmutziges Verbrechen begeht. Neben dem Idealbild wird also schon ein Strafgesetzbuch gebraucht – und so ist es eben auch in der sonstigen Realität: Das Idealbild ist nicht bei allen erreichbar – Vorsorge gegen die Fehlbaren ist also notwendig. Sie sprechen vom Menschen als „Geschöpf Gottes“ – simpel erscheint es mir, wenn man dann die von Gott im Menschen angelegte Fehlbarkeit als gegeben zwar anerkennt, sich aber in Politik und Gesellschaft nicht dagegen wappnet. Sie selbst sprechen in Punkt 1 die freie Verantwortung des Menschen an – er hat (leider) diese Verantwortung zum Guten UND zum Bösen und das leugnet das biblische Menschenbild nicht.
3. Ich kann – es liegt sicherlich an mir – in Ihren drei Häkchen kein „gewichtiges Argument“ erkennen, sondern nur bekannte Ideologie. Daß wissenschaftliche Forschung und ihre Ergebnisse mit Risiken belastet sind, ist richtig, aber normal. Wo die Grenze zwischen Normalität und Hybris liegt, ist subjektive Definitionssache und Frage des gesellschaftlichen Konsenses. Die Göttinger Achtzehn, Ihre Zeugen, sprechen sich gegen atomare Waffen aber FÜR friedliche atomare Nutzung aus. Jede Forschung und Technik – gerade zB auch die medizinische heutzutage oder auch die jetzt hochaktuelle der KI – zeigt das Spannungsfeld zwischen Machbarkeit und ethischen Grenzen auf und in allen diesen Fortschritten (oder vielleicht NUR „Schritten“?) können wir die Unfehlbarkeit des Menschen anzweifeln. Deshalb auf sie zu verzichten, wäre sowohl falsch als auch unmöglich, denn die Frage ist nicht die nach der Unfehlbarkeit, sondern die nach der Verantwortung. Und schließlich das Problem der atomaren Entsorgung – das hatten wir schon: Das Problem besteht – richtig! –, aber es wird durch ein paar Monate mehr oder weniger in einem „kleinen“ Atomland wie DEU qualitativ überhaupt nicht und quantitativ nur in sehr geringem Umfang berührt. Aber Sie schimpfen doch immer, DEU habe die Arbeitsplätze in der Solartechnik quasi „weggegeben“ – für die Atomenergie trifft es allemal zu!
Sie empfehlen „Demut vor Gott“ – das ist es, was ich mit „simpel“ meine bezogen auf POLITISCHE Zusammenhänge. Demut vor Gott ist gut und richtig – nur enthält die Welt zu viele (durchaus mächtige) Menschen , die diese Demut (oder auch einen Gott) nicht haben oder sie nur vorspiegeln, und diese Realität zu übersehen bzw nicht gegen sie vorzubeugen, ist doch simpel, oder?
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
„Unser GG stellt den Menschen in seiner Würde als unantastbar dar“
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Die Forumierung von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wie Sie richtig bemerken, kann die Würde des Menschen selhr wohl angetastet werden. Eine bessere Formulierung wäre:
„… darf nicht angetastet (oder weniger antiquiert „verletzt“) werden“. Dann passte auch Satz 2: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Lieber Herr Schwerdtfeger,
bitte lesen Sie mal auf der Seite der Gesellschaft für Reaktorsicherheit den Aufsatz zur Geschichte der Atomenergie in Deutschland. Dort finden Sie einen Absatz zur Entwicklung in der DDR. In diesem wiederum findet sich ein Link zu einer detaillierten Studie von 1990 zum KKW „Bruno Leuschner“ Greifswald.
Kindern liest man das Märchen von „Einem der auszog, das Gruseln zu lernen“. Für Ingenieure gibt es dieses 380 Seiten lange Dokument. Nur mal als Tip eines Ingenieurs.
Danke für den Text Deiner Motetten-Ansprache vom Samstag (15.4.), lieber Christian!
Die beeindruckende Uraufführung des „Ostergesangs“ von Christoph Bogon durch die Kantorei Schopfheim und Deine daraus abgeleiteten Gedanken, bestärkten mich schon nach der Freitags-Motette erneut darin, dass die Motetten zur Thomaskirche gehören und zu Recht bei Gemeinde-Mitglieder:innen und Besucher:innen so beliebt sind.
Nun Deine Konkretisierung der österlichen Auferstehungsbotschaft anhand des (hoffentlich) endgültigen Atom-Ausstiegs in Deutschland am 15.4.2023. Auf die aktuelle Diskussion des Für und Wider, die (angebliche) Unverzichtbarkeit der Kernkraft oder der „Mehrheitsmeinung“ zur Weiternutzung will ich dabei gar nicht eingehen; das hatten wir schon vor einigen Wochen hier im Blog zur Genüge.
Für bemerkenswert halte ich, wie Kirche (oder einzelne Vertreter:innen der Kirche) mit solchen Reflektionen christlichen Glauben begründen, Werte, Lebens- und Handlungsorientierung in relevanten gesellschaftlichen Fragen geben kann. Und dies im „geschützten Raum“ einer Kirche, jenseits aller (digitalen) Hektik des Alltags. So verstanden ist Kirche etwas grundlegend Anderes als bloßer Zeremonienmeister familiärer Großereignisse, oder Verursacher von Steuerzahlungen.
In Leipzig hatten und haben wir zum Glück nicht nur in der Thomaskirche einige kluge und mutige Stimmen und engagierte Förder:innen der (Kirchen-) Musik!
Uns Menschen stehen mit unserer Geburt keine Wahrnehmungs- und gerechten Unterscheidungsmöglichkeiten von ‚Du‘ und ‚ich‘ zur Verfügung. Erst die liebevolle Prägung und Erfahrung durch die allernächsten Menschen, von denen wir als Säuglinge abhängen , Mutter , Vater, in Liebe verbundene Menschen erlauben , mit der Zeit , diese säuglingstypische und notwendige narzisstische Wahrnehmungsweise in ein gerechteres und angemesseneres Aushalten von unserer Unterschiedlichkeit , Unzulänglichkeiten, von Frustrationen , von Ringen um Beziehungen, in denen ein ‚Du‘ von einem ‚‚ich‘unterschieden, ausgehalten werden kann.das ist ein langwieriger Prozess, der viel von beiden Seiten verlangt, in jeder Hinsicht. Nur , wer das erlebt und erfahren hat, kann , so geprägt ,die Lage versetzt werden, ein ‚Du‘ als wirklich ‚anderen‘ anerkennen, die eigene Bedürftigkeit anerkennen zu können und eine eigene Beziehung zu ihm aufnehmen zu können, die immer auf Verhandlungen zum gerade Möglichen angewiesen bleibt. Wir müssen , schon als kleine Kinder und dann möglichst stetig Liebe, Verzicht , Gerechtigkeit , Weisheit, Caritas ,frustrationstoleranz, Tapferkeit von ganz begreifbaren , nahen , mitteilungsfähigen Menschen absichtslos erfahren haben, um selber danach streben zu können, um den , für Säuglinge notwendigen Narzissmus in den Hintergrund treten lassen zu können und empfänglich bleiben zu können für Bescheidenheit, Solidarität und Zusammenhalt. Der Narzismus verführt uns automatisch zum Streben nach ‚ großen’ Lösungen , wie Atomkraft etc. . Beim Schreiben merke ich, dass ein so großes Thema kaum in wenige Worte zu fassen ist und so möglicherweise schnell zum Widerspruch aufruft. Mögliche Lösungen in diesem Dilemma bleiben mühsam und unzureichend. Aber ich gebe zu bedenken: ‚ausreichend‘ als Wertung wäre doch ein erstrebenswertes Ziel , um als Mensch unter Menschen leben zu können , mit Gottes Hilfe…und nicht die gerade noch letzte Note vor dem ‚Mangelhaft‘.
Nur zum Vergleich:
Welche Energiequellen sind am sichersten? Es sind: Kernkraft, Geothermie, Solar, Wasser und Wind – in dieser Reihenfolge.
https://www.tech-for-future.de/sicherste-energiequelle/
Sehr geehrter Herr Plätzsch, die Quelle, die Sie angeben (https://www.tech-for-future.de/sicherste-energiequelle/), haben Sie wohl nicht hinterfragt. Ich habe bisher nur den Aufsatz von Bressler (2021) nachgelesen und sehe nicht wie sich daraus die Zahlen von Herrn Blümm ergeben können (die beiden anderen relevanten Quellen habe ich bestellt). Herr Blümm ist übrigens der Betreiber der Website https://www.tech-for-future.de/sicherste-energiequelle/. Er ist Informatiker und hat ansonsten wenig nachgewisene Expertise auf dem hier relevanten Gebit. Gegen die These Kernkraft sei sicher steht immerhin die Tatsache, dass diese von keinem Versicherer versichert werden und auch die Argumentation von Harals Lesch, kurz und prägnant bei Anne Will am 16.4.2023 vorgetragen: (https://www.ardmediathek.de/video/anne-will/deutschland-schaltet-ab-ist-der-atom-ausstieg-die-richtige-entscheidung/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS8xNDQzZWNkZC1kZmY1LTRhYmItOWMyNi1mMjRjODE1YjY2OWNfZ2FuemVTZW5kdW5n)
Herr Lesch erscheint mir jedenfalls erheblich seriöser als Florian Blümm
Ach die Medien….