„Wir werden sie jagen“. Viele können sich an die unverhohlene Drohung erinnern, die der Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, kurz nach Verkündung des Ergebnisses der Bundestagswahl am 24. September 2017 ausrief. Die Absicht dieser Ankündigung ist unschwer zu durchschauen: Die AfD will, ganz in der Tradition der Rechtsnationalisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das „politische System“, das sich die „Altparteien“ (damit sind die demokratischen Parteien gemeint) aufgebaut haben, aushöhlen und zerstören. Weil jeder aufmerksame Demokrat das mithören konnte – man sah am Wahlsonntag die Jagdhunde förmlich aus Gaulands Krawatte springen – hat sich dieser Satz als fatale Ansage eingebrannt. Das faktische Auftreten der AfD im Bundestag hat dies nur bestätigt. Darum habe ich zumindest innegehalten, als ich die Jahreslosung 2019 las: „Suche Frieden und jage ihm nach.“ (Die Bibel: Psalm 34,15) Jagen? Ist das ein angemessener Begriff? Doch schnell wird deutlich: Dem Beter geht es nicht um eine Jagd, um jemanden kampfunfähig zu hetzen, zu erlegen, auszuschalten. Nein, er will den Frieden finden, ergreifen, behalten, durch ihn Leben gewinnen. Das ist der entscheidende Unterschied.
Wer den 34. Psalm insgesamt liest (kann ich nur empfehlen! Darum hier der Link: https://www.bibleserver.com/text/LUT/Psalm34), merkt sofort: Hier wird ein völlig anderer Ton angeschlagen, als der, dem wir in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung in den vergangenen Monaten begegnet sind. In diesem alten Gebet wird nicht gejammert, beschimpft, ausgegrenzt, auf den Schwachen herumgetrampelt. Es werden keine Parolen ausgegeben: Weg mit … wir sind … abschieben … Volksverräter … . Voller Freude und Vertrauen erzählt der Beter von seiner Grunderfahrung: Gott hat mich in meinem Elend erhört und mich aus meinen Ängsten befreit. Das ist die entscheidende Differenz: Die Rechtsnationalisten von Pegida/AfD leben von Ängsten. Deswegen schüren sie diese und tun alles, um den Menschen das Gefühl von Unsicherheit zu vermitteln und lehren sie die Furcht vor Geflüchteten, Moslems, Ausländern – vor Menschen, die angeblich so ganz anders leben als Einheimische. Daraus besteht das politische Kerngeschäft der Gaulands und Höckes, der Trumps und Erdoğans, der Straches und Orbáns (alles Männer!): Angst verbreiten – auch durch die Parole: Wer pariert, hat nichts zu befürchten.
Dem biblischen Glauben wohnt aber eine andere Grundbotschaft inne: „Fürchte dich nicht!“ Damit setzt der Glaube die Kräfte frei, die nötig sind, um sinnvolles Leben zu gestalten und dem Frieden zu dienen. In der Mitte des 34. Psalms stehen die Verse, aus denen die Jahreslosung entnommen ist: Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden. Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach! Die Augen des HERRN merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien. (Die Bibel: Psalm 34,14-16) Als ob der Psalmbeter schon eine Ahnung von der zerstörerischen Kraft von Fake-News gehabt, als ob er vorausgesehen hat, dass angesichts der riesigen Konflikte auf dieser Erde, der völlig irrwitzigen Hochrüstung, der nationalistischen Exzesse 2019 der Friede auch in Europa am seidenen Faden hängt, mahnt er zum inneren und äußeren Frieden. Mehr noch: Er verbindet seine Mahnung mit dem Aufruf, sich sehr aktiv um das friedliche Zusammenleben auf diesem Planeten zu kümmern, den Frieden zu suchen, ihm nachzujagen. Das geht nicht aus dem Ohrensessel heraus. Dazu gehört ein aktives sich Kümmern. Dazu gehört zwischen gut und böse, richtig und falsch zu unterscheiden, um diesen Unterschied zu streiten und zu Lösungen zu gelangen, die das Lebensrecht auch des „Feindes“ achten. Es ist gar nicht so schwer, die Geister voneinander zu scheiden: Rechtsnationalisten leben vom Angstmachen bis hin zum Krieg – Christen, demokratisch gesinnte Menschen lassen sich aus ihren Ängsten herausrufen, richten ihr Tun und Lassen nach dem Guten aus, streiten um den richtigen Weg – aber jagen keine Menschen, sondern jagen dem Frieden unter den Menschen nach.
9 Antworten
Lieber Herr Wolff,
in Anwendung Ihrer Botschaft habe ich heute Herr Prof. Drebenstedt BAK Freiberg, Mitherausgeber des Standardwerkes „Der Braunkohletagebau“, erschienen 2009 um ein Gespräch in Freiberg gebeten. Außerdem sind nun schon Solarmodule und Microwechselrichter für 3 „Steckdosensolaranlagen“ in Poedelwitz als Solidaritätsgabe für die Aushaltenden. Wir wollen eine Crowdfunding-Aktion starten, um jeder aushaltenden Familie so etwas zukommen zu lassen. Sind Sie und weitere Mitleser dabei?
Alle guten Wünsche für 2019!
Eckehard Erben
Gerne bin ich dabei und warte auf genauere Informationen. Beste Grüße und alles Gute für 2019. Christian Wolff
Ja, lieber Christian, das ist ein fürwahr gutes Schlusswort (s. A. Schwerdtfeger)
Nur eine kleine Anmerkung zu seinen Forderungen sei mir in des zu Ende gehenden Jahres vorletzter Stunde gestattet / Zitat:“ Daß man sich an den Comment hält, an den Knigge – und nur in dieser Vernachlässigung liegt Ihre „Sünde“. Respekt, Toleranz, die Duldung anderer Meinungen (ausgedrückt ganz wesentlich auch in der Sprache und im Umgang), die argumentative Auseinandersetzung anstatt der niedermachenden, das schon aus taktischen Gründen sinnvolle Offenhalten von Möglichkeiten für eine „Rückkehr“ der Extremen auf den Boden der Demokratie….“ Das fordert zu Recht auch Herr Schwerdtfeger. Allein:
Im Falle / Zitat: …ist allemal besser als der unsägliche Bedford-S.“ wirft er diese elementar reklamierte Debattenkultur kategorisch auf den Diskurshaufen – schade!. Was sagt uns das, Herr Schwerdtfeger? Als Erster mit Steinen um sich zuwerfen, da sollte man eher vorsichtig sein.
Ein gutes, im Nachdenken eifriges 2019 – alles Gute! Jo.Flade
Ja, Sie haben Recht, lieber Herr Wolff, und wir stimmen überein in der Frage, daß auch Streit und Festigkeit zur Demokratie gehören. Aber dieser Streit hat eine Voraussetzung: Daß man sich an den Comment hält, an den Knigge – und nur in dieser Vernachlässigung liegt Ihre „Sünde“. Respekt, Toleranz, die Duldung anderer Meinungen (ausgedrückt ganz wesentlich auch in der Sprache und im Umgang), die argumentative Auseinandersetzung anstatt der niedermachenden, das schon aus taktischen Gründen sinnvolle Offenhalten von Möglichkeiten für eine „Rückkehr“ der Extremen auf den Boden der Demokratie – das alles ist die von Ihnen angemahnte „Streitkultur“, nicht aber die verbale Ausgrenzung. Und eben dieses wird ja zunehmend auch von unseren Politikern aller Couleur gefordert. Daß Sie als Pfarrer und damit als „Uniformträger“ (erkennbarer Repräsentant) Ihrer Kirche sowieso einen besseren Dienst leisteten, wenn Sie nicht tagespolitisch sondern abstrakter und langfristiger (nachhaltiger) formulierten, steht auf einem anderen Blatt.
Mit allen guten Wünschen und im Respekt vor Ihrer Meinung, die ich häufig nicht teile,
Andreas Schwerdtfeger
Das ist doch ein schönes Schlusswort zu 2018! Ihr Christian Wolff
Ob das nun ein Kompliment für den derzeitig noch amtierenden Bischof ist, Herr Schwerdtfeger: Zitat / Und Rentzing ist allemal besser als der unsägliche Bedford-S..
Na, da melde ich Zweifel an.
Solche Vergleiche sind wenig tauglich, jemanden höher zu stellen als er ist.
Trotz allem: auch Ihnen ein erfrischendes 2019 – mal sehen, ob Ihre reichhaltig artikulierten Theorien Realität werden… Jo.Flade
Ja, es ist schwierig, zwischen klarer Aussage und Raum für Toleranz und Anerkennung zu formulieren. Herr Dr Rentzing mag zu vorsichtig sein, aber er berücksichtigt, daß Führer und Wähler der AfD nicht in einen Topf geworfen werden dürfen und daß Letztere nichts anderes sind und tun als die Wähler der „Die Linke“ auch, nämlich der Chimäre von Versprechungen nachzujagen, den Neidparolen der Verführer zu vertrauen, das (vermeintliche) eigene Wohl vor das Gemeinwohl zu stellen – daß sie also prinzipiell zurückholbar sind in die Demokratie. Dazu allerdings darf man sie nicht ausgrenzen, man darf sie nicht in der Form jagen, wie es unser wackerer Pfarrer unermüdlich tut und uns dies dann als „ich kritisiere doch nur“ verkaufen will, wo er in Wirklichkeit kompromißlos hetzt.
„Fürchtet Euch nicht“, schreiben Sie, lieber Herr Wolff, aber Sie bekennen sich doch immer mal wieder zu Ihrer Angst vor denen, die Sie pauschal Nazis nennen, und fürchten sich also. Das wundert ja vielleicht auch nicht, denn Sie lehnen ja den übersichtlichen Standort zur Bewertung von Fakten ab, stürzen sich vielmehr ständig ins Getümmel – was ehrenhaft ist aber eben zum Verlust des Überblicks führt – und sehen, geschweige denn beurteilen, die Gesamtlage nicht. Wer glaubt, Politik auf der Straße über Polizeiketten hinweg machen zu können, wer dies auch noch für exemplarische Demokratieausübung hält, der begreift eben nicht, daß Demokratie in Wirklichkeit zusammenführen, Mäßigung heißt, eben „das Lebensrecht auch des ‚Feindes‘ achten“ (Zitat Wolff). Und zum „Lebensrecht“ gehört ja wohl auch die eigene Meinung.
„Suche Frieden und jage ihm nach“, zitieren Sie den Psalm. In praktische Politik umgesetzt heißt das, Stärke aufzubauen und als EIN Mittel aus der politischen Gesamtpalette auch zu nutzen. Diplomatie – und das ist ja wohl Friedenspolitik – kann nur auf der Grundlage glaubwürdiger Durchsetzungsfähigkeit und des Willens dazu erfolgreich sein. Es bedarf dazu keiner „irrwitzigen Hochrüstung“, das stimmt, aber es bedarf einer angemessenen Festigkeit des Willens untermauert durch eine glaubwürdige personelle und materielle Stärke. Ängstliches Rufen aus dem Walde, getarnt als biblische Botschaft, „mutiges“ Verstecken in der Masse der Straße bei Verlust des Überblicks, einseitiges Verbreiten von unpolitischen Parolen bei gleichzeitigem Baden in unterwürfiger Lobhudelei von Jüngern, schließlich die Arroganz des Besserwissens und des Verunglimpfens – das alles ist nicht wirklich die „Suche nach Frieden“. Und Rentzing ist allemal besser als der unsägliche Bedford-S.
Ich grüße Sie mit den besten Wünschen zum Neuen Jahr,
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, als Antwort und Neujahrsgruß nur so viel: Das Gebot der Feindesliebe lautet nicht „Du darfst keine Feinde haben“, sondern „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Das bedeutet: Die Voraussetzung für dieses Gebot ist, dass ich Feinde, Gegner habe. Die Frage ist nun: Wie gehe ich damit um. Es geht um Streitkultur und darum, das Lebens- und Existenzrecht des Andersdenkenden, Andersglaubenden nicht infrage zu stellen. Aber mit ihm darüber streiten, was richtig und falsch ist, das ist nicht nur erlaubt, sondern geboten. Ihr Christian Wolff
DANKE, lieber Christian für Deinen wichtigen und dringenden Jahresgruss mit der Grundbotschaft „Fürchte dich nicht!“. Gehen wir mit Hoffnung, Verve und aufrechtem Gang ins neue Jahr 2019.
Leider hat der immer noch amtierende Landesbischof Rentzing mit seinem aktuellen Interview erneut demonstriert, wie eng seine Geisteshaltung gestaltet ist und dass er sich vor einem klaren Bekenntnis zu Kirche und Gesellschaft fürchtet. Irgendwann hat Kirche auch als Institution in dieser Zeit und als verantwortlicher Zeitzeuge ein politisches Mandat. In Dresden und Leipzig waren sich da aufrechte Kirchenleute im Jahre a.D. 1989 sehr einig, dass es ein weiter so nicht geben darf – sprich Friedlicher Herbst `89. Ich, und nicht nur ich, bin erschüttert über die Haltungen eines Herrn Rentzing.
Die „Hoffnung auf Kirche“ geht da allmählich baden und es ist nicht nur eine Zumutung, sondern auch gefährlich, wie sich ein Bischof zu Gegenwwärtigkeiten in unsrem Land äußert! Trotzdem oder gerade deshalb: ein Gutes Jahr 2019; Jo.Flade