Aktuelle
Themen

Aktuelle
Themen

Verkehrte Welt … und alle machen mit

Soeben hat sie begonnen: die Leichtathletik Weltmeisterschaft in Doha, der Hauptstadt von Katar. Ein Vorlauf für die Fußball Weltmeisterschaft 2022. Bei 45° C und mehr Außentemperatur, die im riesigen, nach oben offenen Stadion Khalifa International auf 20-25 ° C heruntergekühlt werden. Hat dieser Irrsinn in den vergangenen Tagen bei den Debatten um den Klimaschutz in Berlin oder New York irgendeine Rolle gespielt? Ich habe davon nichts mitbekommen. Ein paar Sportler/innen wurden im DLF interviewt. Das Kritischste, was ich vernommen habe, war sinngemäß: Ja, Doha als Austragungsort ist schon ein Problem, aber jetzt muss ich mich auf die Wettkämpfe konzentrieren. Natürlich werden die Wettkämpfe von ARD und ZDF übertragen: aus dem „größten Kühlschrank der Welt“, wie die Leipziger Volkszeitung (LVZ) heute treffend titelte. Irgendein Aufschrei aus dem Kreis der Trainer/innen, Funktionäre, Sportpolitiker/innen im Grundton von Greta Thunberg: „Wie könnt ihr es wagen?“? Mir ist nichts bekannt. Lediglich ein paar kritische Presseberichte, die darauf hinweisen, dass Katar sich diese WM quasi „gekauft“ habe. Doch dazu gehören auch immer zwei. Auch dazu, dass der Marathonlauf nachts stattfindet.

Spätestens mit dem heutigen Nachmittag, wenn die erste Life-Übertragung begonnen hat, sind wir nach einer Woche erregter Klimadebatten wieder in der tristen Wirklichkeit des kollektiven Verdrängens und prahlerischen Auftrumpfens angekommen – da, wo sich alle hehren Vorsätze in der flimmernden Hitze Katars und im verblendeten Alltagstrott passiver Zuschauerschaft im Fernsehsessel auflösen. Sicher werden mir jetzt die ganz Schlauen vorrechnen, dass der Energieverbrauch in Doha einen kaum messbaren Anteil am CO 2 Ausstoß ausmacht, dass in Katar die modernste Technologie eingesetzt wird und dass man den Menschen doch den Spaß nicht verderben darf. Ja, wenn es so ist, dann lasst uns auch noch die letzten Reserven dieses Planeten aufbrauchen und jetzt schon Flüge buchen zum Fußball-Advent 2022 in Katar – frei nach dem Motto: „lasst und essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ (Die Bibel: Jesaja 22,13). Offensichtlich nutzen weder die Erfahrungen Noahs in der Arche und nach der Sintflut noch die Botschaft von Krippe und Stall etwas, um die Menschheit wenigstens symbolisch zurückkehren zu lassen zu einem der Schöpfung angemessenen Lebenswandel. Stattdessen 2022 Public Viewing im Bratwurstdunst der Weihnachtsmärkte? Da erscheinen die Mitglieder des Klimakabinetts trotz aller Unzulänglichkeiten gegenüber den scheinheiligen Protagonisten maßlosen Größenwahns in den Sportarenen plötzlich wie lauter kleine Gretas, wie einsame Rufer in der Wüste.

P.S. Wir sollten jetzt schon mit der Kampagne beginnen: #wm2022ohneuns. Niemand ist gezwungen, den angedachten Irrsinn mitzumachen: Fußball WM zur Weihnachtszeit im heruntergekühlten Wüstensand.

6 Antworten

  1. Wie ernst können wir die Medien nehmen?
    Danke Herr Wolff für klare Worte und Vorschläge. Ich habe in der Leipziger Volkszeitung, Beilage „Sonntag“ 5./6.10.19 eine ARD-Umfrage gefunden „Wie groß ist der Einfluss Greta Thunbergs auf Ihre Einstellung zum Klima?“. Da fühle ich mich ehrlich vera…t. Ich müsste „gar nicht“ ankreuzen, was zum völlig falschen Schluss führt. Ich bin seit 30 Jahren „Greta“, daher ist meine Einstellung schon lange klar. Was machen solche Aussagen mit Menschen, die Umfragen renommierter Institute nicht hinterfragen? Fridays for future ist schon lange mehr als Greta. Ja, wir müssen uns gegen den Wahnsinn wehren, den wir als Gesellschaft mittragen, gerade im Leistungssport. Wieso ist Eishockey eigentlich zur Sommersportart geworden? Wir müssen nach Katar schauen, aber vor Allem und zuerst auf uns. Und wir müssen auf der Straße bleiben, Freitag, 20. September, 25.000 in Leipzig, Millionen in vielen Ländern. Der Politik reicht das leider noch lange nicht, das sog. „Klimapaket“ der Bundesregierung wird in seiner Marginalität schon wierder weiter abgespeckt. Ich glaube, ich lebe im falschen Film.
    Tilo Wille

  2. Wir sitzen schon immer alle in einem Glashaus, der Erde. Doch langsam wird die Luft knapp in diesem gemeinsamen Glashaus. Also ist es meines Erachtens auch völlig legitim und vor allem wichtig ein klimafeindliches Verhalten zu kritisieren. Zumal Katar in der Weltrankingliste der CO2-Emittenten an (wohlgemerkt) erster Stelle steht (nachfolgend alle anderen Golfstaaten). Außerdem geht es bei diesen „Spielen“ weniger um Frieden, es sei denn man sieht sie als Opium fürs Volk, als Ablenker von den eigentlichen Problemen. Und es geht wie immer um Millionen für Wenige. Nach alten aber bewährten Moralvorstellungen ist eine derartige Handlungsweise höchst unmoralisch. Denn es gibt kein Menschenrecht auf Spiele, allerdings Eines auf Nahrung. Immerhin hat man an der Kühltruhe hier noch die Wahl zwischen regionalen- und Überseeprodukten. Soweit sollte sich jeder Einzelne vor allem Gedanken über Einsicht und Bewusstsein in den „fortschrittlichen Spaßgesellschaften“ machen. Doch die Märkte werden über die Preise gelenkt, und dann sind wir am Ende doch wieder hilflos und schwach.
    Danke Herr Wolff für diesen Denkanstoß

  3. Erlaubt sei ein Zitat AS: …“führt es eben doch zu dem Schluß, den ich hier seit langem vertrete und der so vehement bekämpft wird, daß die Menschen in Deutschland (…) in ihrer moralischen Überheblichkeit mit unterschiedlichen Maßstäben messen, mit sich widersprechenden Argumenten je nach Thema rechthaben wollen. Das genau ist es, was so viele NGOs und Bürgerinitiativen disqualifiziert und was und was so viele Argumentationsketten in die Beliebigkeit degradiert.“
    Bemerkenswert, wie man sich selbst bespiegeln kann und sich somit unübersehbar offenbart.
    Aber konkret:
    Sind NGOs wie z.B. Mission Lifeline, IRC, WWF, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen,
    BUND, GIZ, Germanwatch e.V., Greenpeace e.V., Hans-Böckler-Stiftung, Kindernothilfe e.V., NABU, Trägerverein Aktionsbündnis gegen AIDS e.V., Kindernothilfe e.V. wirklich sich in ihrem Tun disqualifizierende, der Beliebigkeit verfallene und moralisch arrogante Initiativen, die man so pauschal und vernichtend in der Öffentlichkeit derartig degradieren darf??
    Was wäre wohl unsere kleine und große Welt ohne diese und viele andere, die sich über Jahrzehnte ehrenamtlich, in Vereinsgruppen und anderweitig unglaublich intensiv engagieren und sich einsetzen für Notwendigkeiten, zu denen allein die Politik entweder nicht in der Lage oder gar willens ist?
    Schaun wir doch bloß mal in die völlig überfluteten Flüchtlingslager, eines der vielen Beispiele.
    Es wird vieles bewegt durch Engagement, gleichwohl es in der Natur der Sache liegt, dass Tun auch Kritik auslöst (wer sich auf dem Fenster lehnt, hat nicht nur Freunde – ein alte und längst bekannte Weisheit).
    Nichtstun bewegt allerdings überhaupt nichts, und reden gleich gar nichts!
    Und zu Katar:
    Formuliert doch eine Sportlerin kurz vor der WM Leichtathletik im überhitzten Wüstenstaat (wer überhaupt auf die Idee kam, die WM ausgerechnet in Doha austragen zu lassen, muss vermutlich ebenfalls leicht erhitzt gewesen sein…) auf die konkrete Frage an sie, was denn ihre Haltung sei zu den Menschenrechts-Problemen im Austragungsland erschreckend offenherzig, dass sie doch jetzt erstmal sich auf ihr konditionelles Training konzentrieren müsse in Vorbereitung auf die anstehenden Wettkämpfe, und dass sie zwar eine Meinung zu den bekannten Vorwürfen habe, jetzt aber für sie das Training wichtiger sei.
    Alles gesagt.
    Wäre denn dies nicht eine Disqualifikation per se? – nämlich eine, wo sich bei Gelegenheit Sportvereine fragen müssten, ob eine solche Haltung nicht höchst fragwürdig und angetan wäre, einmal inne zu halten, um nach dem Selbstverständnis zu fragen.
    Den moralischen Aspekt (s.o.) will ich hier gar nicht weiter strapazieren, obwohl dringend nötig!
    Ich denke schon, dass hier in den Clubs das politische Moment einigen Platz haben muss, Erlaubt sei das zumal Sport staatlich in beträchtlicher Höhe finanziert wird mit dem Anliegen, damit die Welt im fairen Kampf friedlicher zu gestalten.
    Kommen wir auf das Thema: Klima zurück.
    Mit qualifizierten Debatten können wir darauf Einfluss nehmen – aber eben nur damit!

  4. Ich freue mich, lieber Herr Wolff, daß Sie die Perspektive von Herrn Loebner nachvollziehen können. Zwar stimmt es, wenn Sie dann feststellen, daß dies Ihre eigene Argumentation nicht aushebelt, aber immerhin führt es eben doch zu dem Schluß, den ich hier seit langem vertrete und der so vehement bekämpft wird, daß die Menschen in Deutschland – und nicht nur hier sondern in fast allen Wohlstandsdemokratien – in ihrer moralischen Überheblichkeit mit unterschiedlichen Maßstäben messen, mit sich widersprechenden Argumenten je nach Thema rechthaben wollen. Das genau ist es, was so viele NGOs und Bürgerinitiativen disqualifiziert und was so viele Argumentationsketten in die Beliebigkeit degradiert:
    – Man will international mitreden und Einfluß ausüben, wehrt sich aber vehement dagegen, die dafür notwendigen Instrumente zu schaffen und im multilateralen Verbund einzusetzen;
    – man will in Politik und Gesellschaft innenpolitisch Einfluß ausüben, boykottiert aber Wahlen – „Denkzettel“ (!) – und rennt stattdessen ungewählten Organisationen hinterher, die ihrerseits bewußt alles ausblenden, was ihren Einfachlösungen widerspricht;
    – man wechselt die Parteienpräferenz beliebig, ohne zu erkennen, daß dies zu einem Überbietungswettwerb an Versprechungen führt, in dem Zusagen entweder nicht gehalten werden oder teuer und bürokratisch sind, aber kein Problem lösen;
    – man verführt unsere Jugend, vor der man zunehmend Angst hat, die man ihr vorher selbst eingeredet hat, dazu, Show für Realität zu halten, Zeichensetzen anstelle von hart erarbeiteten Kompromissen mit positiven Ergebnissen zu verwechseln und jugendliche Phantasien bereits für realpolitische Lösungsansätze zu halten;
    – man setzt schlechte Beispiele durch Diffamierung des politischen Gegners in Diskussion und Tat, durch Gesprächsverweigerung aus ideologischer Überheblichkeit und infolgedessen durch bewußte weitere Spaltung der Gesellschaft – und begründet dies dann je nach augenblicklicher Beliebigkeit mal damit, daß der Gegner „bewußt gefährlich“, mal umgekehrt damit daß er „verführter Mitläufer“ sei.
    Und so ist es hier auch: Die Weltmeisterschaft in Qatar ist ein Skandal; dies aber nicht, weil dort möglicherweise Umwelt geschädigt wird (oder Sportler mißbraucht werden, die ja allesamt erwachsen sind), sondern weil sie ein weiterer Beweis dafür ist, wie korrupt die Weltsportorganisationen allesamt sind und wie auch die entwickelte Welt sich dies aus Gründen des Kommerzes und der Ablenkung der Menschen in die „Traumwelt“ des Sportes bieten lässt. Ein Grundsatz wie „Sport und Politik passen nicht zusammen“ wird je nach Lage ebenso willkürlich aus dem Hut gezaubert (in Sotschi zB passte es besser, Sportler nach ihrer Meinung zu Menschenrechten zu befragen) wie eben der, daß „im Sport Sauberkeit herrschen muß“, nur aufs Blutdoping der Sportler, nicht aufs Gelddoping der Funktionäre zuzutreffen scheint.
    Wir leben in einer nicht perfekten Welt!
    Ich grüße Sie zum heutigen Sonntag,
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Wer im Glashaus sitzt …
    Die Klimadebatte hat eine schrecklich ethische Dimension, die auch die Frage nach einer globalen Gerechtigkeit aufwirft: Was legitimiert uns eigentlich als Bürger eines Landes, das weltweit zu den absolut und Pro-Kopf betrachtet größten aktuellen und historischen Klimasündern zählt, sich jetzt darüber aufzuregen, dass woanders ein Stadion runtergekühlt wird, wenn allein in Leipzig unzählige Kühltruhen in Supermärkten, Küchen und Verteilzentren betrieben werden, wenn wir die größte Tropenhalle Europas ganzjährig betreiben, wenn wir mehr als ein Drittel unseres CO2-Ausstoßes durch Heizung erzeugen sowie zu Weihnachten ganze Kirchen mit fossilen Brennstoffen auf eine Behaglichkeitstemparatur bringen, damit uns nicht nur innerlich warm wird. Die Golfstaaten leben bisher davon, das CO2 aus der Erde zu holen, was hier unseren Wohlstand befeuert. Dass dort jetzt Wege und Ideen gesucht werden, die im postfossilen Zeitalter auch dort Wohlstand, gesellschaftlichen Fortschritt und Frieden führen können, sollten wir eher positiv begleiten. Die elektrische Energie zur Kühlung der Stadien dürfte bei den solaren Energiegewinnen am Golf eigentlich kein Problem sein. Wir dürften dagegen größere Probleme haben nachzuweisen, dass man die hiesigen Tropenhallen ganzjährig und die Kirchen zu Weihnachten tatsächlich klimaneutral beheizen kann.

    1. Vielen Dank für diese Perspektive, die ich absolut nachvollziehen kann. Der Einwand, dass auch bei uns „verkehrte Welt“ gespielt wird, ist unbestreitbar. Der Hinweis auf Gondwana-Land im Leipziger Zoo ist genauso berechtigt, wie die Kritik daran, dass wir zu jeder Jahreszeit jede x-beliebige Frucht per Flugzeug oder tiefgekühlt zur Verfügung haben wollen. Ergänzt kann das noch werden mit der Erinnerung daran, dass über Jahre der Skilanglauf-Weltcup auf den Düsseldorfer Rheinwiesen ausgerichtet wurde … Nur: das entkräftet in meinen Augen nicht die Kritik an den Sportwettkämpfen in Katar. Christian Wolff

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert