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Bedient jetzt auch DIE ZEIT ein AfD-Narrativ?

Man reibt sich verwundert die Augen: „‘Die staatliche Willkür in der DDR war auch nicht schlimmer als heute‘“ – so titelt die Wochenzeitung DIE ZEIT ihre aktuelle Ausgabe. Die Headline ist zwar in Anführungszeichen gesetzt, aber das geht im Hintergrundbild mit rote Tücher schwenkender junger Menschen unter. Damit wird das AfD-Narrativ: heutiges Deutschland = DDR, Merkel = Honnecker, demokratischer Rechtsstaat = Diktatur durch DIE ZEIT geadelt. Muss das sein? Selbst wenn die ZEIT-Umfrage als Ergebnis gezeitigt hat, dass „58 % (der Ostdeutschen) sagen, dass der Schutz vor staatlicher Willkür schlechter geworden ist oder sich kaum verändert hat“ – rechtfertigt das, dass sich DIE ZEIT dieser Geschichtsklitterung mehr oder weniger anschließt, diese zumindest verstärkt? Wo ist da noch der Unterschied zum Thema einer Veranstaltung, die am 7. Oktober 2019, zu DDR-Zeiten der „Tag der Republik“, in der Alten Handelsbörse Leipzig stattfinden soll: „30 Jahre – und die DDR ist zurück!“. Veranstalter ist die AfD-nahe „Gustav-Stresemann-Stiftung“, die sich aber seit heute laut Gerichtsbeschluss so nicht mehr nennen darf. Die Enkel Stresemanns hatten gegen den Missbrauch des Namens durch die AfD geklagt.

Nun könnte man zugunsten der ZEIT einwenden: Journalisten haben die Aufgabe, Ergebnisse von Meinungsumfragen ungeschminkt zu veröffentlichen. Das ist nicht nur richtig, es ist notwendig. Das geschieht auch auf Seite 2 der aktuellen ZEIT-Ausgabe. Aber die journalistische Auswertung der Umfrage durch den Redaktionsleiter „ZEIT im Osten“, Martin Machowecz, und Heinrich Wefing bleibt sehr in der scheinbaren Unterfütterung des gefährlichen Narrativs stecken. Denn die Frage „Was ist in den letzten 30 Jahren schiefgegangen?“ dringt nicht zum Wesentlichen vor. Wichtige Faktoren werden nicht benannt. Ich nenne einige:

  1. Dass die Demokratie in Ostdeutschland ein Akzeptanzproblem hat, ist seit Anfang der 90er Jahre offensichtlich. Der „Aufbruch zur Demokratie“, der mit der Friedlichen Revolution verbunden war, wurde 1989 nur von einer Minderheit vollzogen und wenige Wochen nach dem 9. Oktober 1989 überlagert von dem Wunsch der Massen, möglichst schnell am wirtschaftlichen Wohlstand in einem vereinten Deutschland teilhaben zu können. In der Folgezeit wurde aber die politische und Demokratiebildung vor allem in den Bildungseinrichtungen völlig vernachlässigt und die systematische Wühlarbeit des organisierten Rechtsextremismus Westdeutschlands in Ostdeutschland vollkommen unterschätzt. Schon in den 90er Jahren hörten Schüler/innen  aus dem Mund ihrer Lehrer/innen nicht selten, dass das neue System auch nicht viel besser sei als die DDR.
  2. Eine der Langzeitfolgen des verordneten Kollektivismus und der zwanghaften Volksgebundenheit (Volkseigene Betriebe, Volkssolidarität, Volkspolizei, Volksarmee) ist, dass heute die individuellen Interessen mit dem „Volkswillen“ verwechselt werden und gesellschaftliche, kulturelle Pluralität als Bedrohung empfunden wird.
  3. Es wird viel über die westdeutschen Dominanz in Ostdeutschland nach 1990 gesprochen. Über eine der politischen Voraussetzungen dieser Dominanz wird aber kaum ein Wort verloren: der doppelte Aderlass des Bürgertums in Ostdeutschland durch die Judenvernichtung in der Nazi-Zeit und durch die Übersiedelung bzw. Flucht aus der DDR in die BRD West zwischen 1949-1989. Dieser personale Transfer hat Westdeutschland stark gemacht und die DDR zu einer Diktatur des Mittelmaßes verkommen lassen. Wer sollte denn nach 1989/90 die Führungspositionen der ostdeutschen Gesellschaft
  4. Derzeit wird viel über die schwierige Zeit der deutschen Einheit nach 1990 diskutiert, aber nur sehr wenig über die 40 Jahre DDR vor 1989. Wieso beschränkt sich diese Debatte über die DDR-Zeit fast ausschließlich auf die Stasi? Warum so wenig Reflexion darüber, wie das System von Entmündigung und Bevormundung Menschen geprägt hat und bis heute nachwirkt? Warum so wenig kritische Aufarbeitung? Warum eine durchweg äußerst unkritische, bewusst beschönigende Würdigung des kürzlich verstorbenen Sigmund Jähn? Kaum ein Wort darüber, dass er als Nationalheld ein wichtiger Stabilisator des DDR-Systems war. Warum wird die Generationen übergreifende kritische Befragung der Eltern und Großeltern nicht viel stärker eingefordert? Stattdessen wird die mangelnde Anerkennung der Lebensleistung beklagt – so als ob vor 1989 alles ganz normal gewesen wäre.

Man kann die in der ZEIT veröffentlichten Umfrageergebnisse auch sehr anders lesen*: als Ausdruck eines äußerst unkritischen Umgangs, einer Glorifizierung der DDR-Zeit – nach dem Motto: Da hatten wir nicht die Probleme von heute. So scheint es, dass jede konfliktreiche Situation heute die Verhältnisse der DDR in der Rückschau aufhübscht – und schon stimmt das Narrativ: Damals ging es uns eigentlich gar nicht so schlecht, vielleicht sogar besser. Wie dem zu begegnen ist? Sicher nicht allein mit den beiden Maßnahmen, die Machowecz und Wefing empfehlen: Angleichung der Löhne und Grundrente auf der einen und das Lieblingsthema von ZEIT im Osten auf der anderen Seite: mehr Ostdeutsche in den Führungsetagen. Da ist aber die Frage, wer darf sich denn 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution als „Ostdeutscher“ bezeichnen? Der, der in Ostdeutschland geboren wurde, aber als Kleinkind in Westdeutschland aufgewachsen ist? Oder die, die 1991 als Kind von westdeutschen Eltern in Plauen geboren wurde? Oder der 60-jährige, der in Schwerin geboren wurde und ab dem 10. Lebensjahr in Stuttgart aufgewachsen ist und nun Rektor einer ostdeutschen Hochschule werden will? Vielleicht ist etwas anderes wichtiger: Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau (1931-2006) hat als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen den sehr erfolgreichen Slogan kreiert „Wir in Nordrhein-Westfalen“ (und nicht etwa „Wir Nordrheinwestfalen“). Damit waren der Wuppertaler Bäckermeister, der sein Geschäft in der dritten Generation führt, wie der türkische Hochofenarbeiter in Duisburg, die koreanische Krankenschwester in Detmold wie der Brieftaubenzüchter in Dortmund, der japanische Unternehmer in Düsseldorf wie der Landwirt im Sauerland gemeint. Darum: Wir in Deutschland, nicht: Wir Deutsche; Wir in Sachsen, nicht: Wir Sachsen; Wir in Leipzig, nicht: Wir Leipziger. Auch Sprache dient der Integration und Inklusion und verändert das gesellschaftliche Klima.

Doch an einem führt kein Weg vorbei: Die in der ZEIT aufgeführten Umfrageergebnisse zeigen an, welche Versäumnisse jetzt durchschlagen und vor welchen Herausforderungen wir stehen. Die sich daraus ergebenden Aufgaben sind auch ohne diese Umfrage klar (und werden durch die Ergebnisse nur noch dringlicher): Wir müssen endlich daran gehen, die Demokratie, die Vielfalt in einer freien Gesellschaft, die Gestaltungsmöglichkeiten eines jeden Bürgers wertzuschätzen, offensiv darzulegen, zu verteidigen und einzufordern. Daran sollte sich DIE ZEIT auch in der Auswertung einer Umfrage beteiligen. Es ist schon auffällig, dass in den vergangenen Wochen in der Berichterstattung von „Zeit im Osten“ die Demokratiebewegung, die es Gott sei Dank in Ostdeutschland gibt, kaum Beachtung gefunden hat. Dafür in mehreren Ausgaben Lobeshymnen auf den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der seinen Wahlerfolg am 1. September 2019 nicht zuletzt denen verdankt, die seit Jahrzehnten gegen den Widerstand der CDU Sachsens für die Akzeptanz der Demokratie und gegen die Verharmlosung des Rechtsextremismus kämpfen. Manchmal ist eben doch das Engagement einzelner aufrechter Demokrat/innen aussagekräftiger und wichtiger als irgendwelche Meinungsumfragen.

* Siehe den Kommentar zu den Umfrageergebnissen von Christian Bangel auf ZEITonline.

19 Antworten

  1. Eigentlich hatte ich es nicht für möglich gehalten, aber es gibt sie – Zeitreisen!!
    Gestern Abend habe ich in der Alten Handelsbörse in Leipzig an einer teilgenommen; Reiseveranstalter: Die Gustav Stresemann Stiftung.
    Eine interessante Reise in die beginnenden dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, eingebettet in (vermutlich) altdeutsches und DDR-Liedgut („die Partei, die Partei, die Partei hat immer Recht“). Ca. 30-35 Mitreisende hatten sich im Saal der Handelsbörse eingefunden (1/3 der Sitzplätze waren besetzt, was H. Moosdorf bei der Abmoderation etwas schade fand).
    Auf der Rückseite des Programmzettels, der auf allen Plätzen ausgelegt war, die erneute Verwertung des Blogbeitrags von H. Moosdorf in voller Länge; in seinen Moderationstexten hat er ihn dann in weiten Teilen nochmals präsentiert….

    Ich weiß jetzt alles über gleichgeschalteten Staatsrundfunk, die demnächst drohende Diktatur der Grünen und das fiese Ausgrenzen von aufrechten Demokraten, die nur für (ungeliebte) Wahrheiten einstehen…
    Und in den kritischen Tagen Ende September/ Anfang Oktober 1989 gab es wohl neben Frau Barbe und Herrn Faust gar nicht so viele mutige Bürgerrechtler. Die meisten anderen sind erst später dazu gestoßen, als es nicht mehr so gefährlich war, bzw. als sie ihre DDR Kaderprivilegien retten wollten wie z.B. Thierse, Stange, Köpping, Tiefensee…
    Insbesondere Frau Barbe, die damals wohl den SPD Ortsverein in Dresden gegründet hat (und zur CDU wechselte, weil Thierse irgendwann anfing, mit der SED zu kungeln) sieht das Abendland in zunehmender Gefahr, weil die alten Seilschaften (zu denen u.a. wohl auch Maybrit Illner und Susanne Daubner zählen) weiterhin in Amt und Würden sind….
    Interessant auch, dass Frau Barbe keine Notwendigkeit sieht, von der CDU zur AfD zu wechseln, weil das CDU-Programm von 2002 so gut wie deckungsgleich sei mit dem AfD –Programm von heute….. Nur habe Frau Merkel nach 2002 einen radikalen Linksschwenk der CDU vollzogen, dem man am besten entgegenwirken könne, wenn möglichst viele Mitglieder der Werte-Union beitreten.

    Eine Erkenntnis des gestrigen Abends bleibt: ganz so kompliziert wie ich dachte, ist die Welt doch nicht; man kann sie sehr gut in Schwarz und Weiss unterteilen, wobei Schwarz (oder besser: Böse/Igitt) alles ist, was auch nur einen Millimeter links von der Werte-Union angesiedelt ist!
    Felix Germania!

    1. Vielen Dank, lieber Michael, für diesen Bericht. Noch zwei Ergänzungen: 1. Die sog. Stresemann-Stiftung der AfD darf sich laut Gerichtsbeschluss von der vergangenen Woche nicht mehr nach Gustav Stresemann nennen. Dieses Urteil haben die Stresemann-Enkel durch Klage erwirkt. 2. Während Moosdorf und Barbe ihre AfD-Welt entwarfen, nahmen der AfD-Vorsitzende Jörg Urban und der mit CDU-Stimmen gewählte AfD-Vizepräsident des sächsischen Landtages André Wendt an der Pegida-Demo in Dresden teil. Da sprach Lutz Bachmann von den „links-grünen Volksschädlingen und Volksfeinden“, die er im „Graben“ entsorgen und diesen dann zuschütten will. Braunes Deutschland! Christian Wolff

  2. „Empfindlichkeit“ und „Befindlichkeit“, lieber Herr Wolff, scheinen die neuen Vokabeln zu sein, mit denen Sie auf andere Merinungen reagieren, die Sie im umgekehrten Fall (also bei Ihren Argumenten) als „Kritik“ beschreiben. Es ist weder „empfindlich“ noch „befindlich“, wenn Herr Lerchner Ihnen schreibt – was ich ja auch schon des öfteren ausgeführt habe, – daß er durch Ihre Beiträge immer mehr davon überzeugt wird, „dass eine Fokussierung auf das Rechtsextremismus-Problem eine erfolgreiche Analyse behindert.“ Es ist schlicht eine andere – und sehr überzeugende – Meinung, mit der man sich auseinandersetzen sollte. Denn es ist eben so, daß die ewige einseitige „Rechts-Beschimpfung“ – dazu noch, wie beschrieben, in so manipulatorischer Form – die Anhänger und Mitläufer, die Protest-Konservativen und die opportunistischen Wechselwähler aus den linken Parteien (alle ja angeblich ganz bewußte Wähler) in die Arme der so ungeschickt bekämpften Partei treibt, mit der man sich offensichtlich nicht traut argumentativ umzugehen. Und wir haben ja hier auf dem blog Beispiele dafür, wie dem demokratischen Diskurs ausgewichen und stattdessen nur emotionale Personalisierungen gebracht werden.
    Unsere Demokratie ist derzeit mindestens ebenso wie durch Rechtsextremismus durch den Mißbrauch demokratischer Freiheiten gefährdet, den sich einige – wenn auch große und weltweit gut vernetzte – Minderheiten-Gruppen in doppelter Hinsicht herausnehmen und dem die Gesellschaft und Politik leider nicht mit der notwendigen Entschlossenheit entgegentritt (ich habe bewußt die Gesellschaft zuerst genannt). Blockaden ganzer Städte über längere Zeit ist nicht „demokratisch“, auch wenn dieser Begriff zunehmend mißbräuchlich zur Rechtfertigung von Straftaten oder von Behinderungen anderer Bürger, deren Freiheit mißbraucht wird, heraustrompetet wird und aus einem Teil der Medien unterwürfig widerhallt. Daß dazu noch die in dieser Form behinderten Bürger ausgerechnet diejenigen sind, die den Wohlstand und die Leistungsfähigkeit produzieren, die die „Undemokraten“ für ihr eigenes Leben in Anspruch nehmen und für ihre Ziele benötigen, ist die große Ironie dabei.
    Also lassen wir die „Be- und Empfindlichkeiten“ in der Mottenkiste der Emotionen und setzen wir uns mit den realen Problemen auseinander:
    – der Zerstörung unserer Demokratie durch zunehmenden Mißbrauch demokratischer Rechte und Freiheit aus lauten und aggressiven Minderheiten-Ecken (Blockade ist Gewalt!) gegen die Mehrheit, die dafür die Mittel bereitstellen muß (einschließlich der Aufrechterhaltung der Sicherheit durch die Polizei, die weiß Gott woanders mehr gebraucht würde);
    – moralische Rechthaberei in allen Winkeln der Welt ohne die Bereitschaft, die notwendigen Mittel in Form von hardware und nicht nur von Belehrung für überzeugende Menschenrechts- und Klimapolitik, für Friedens- und Dialogstrategien zu entwickeln, zu bezahlen, zu exportieren unter realen Politikblickwinkeln, schließlich auch im Bedarfsfall im multilateralen Rahmen effektiv einzusetzen;
    – langfristige Ziele in den verschiedenen Problem-Politikfeldern unter strategischen Gesichtspunkten (d.h. vom Ziel ausgehend) konsensual und kompromißfähig festzulegen und sich dann auch gemeinsam daran zu halten, anstatt überwiegend mit sofort „nachzubessernden“ Kleinklein-Showmaßnahmen für Streit zu sorgen und sich an primitiven Überbietungen in Populismus zu ergötzen. (Bezogen auf die Sicherheitspolitik zB bedeutete dies zB, daß unser Parlament endlich begreift, daß eine Armee sich auch und gerade in multilateralen Einsätzen nach Mitteln und Zeit nicht unter innenpolitisch „verkaufbaren“ Richtlinien oder parteibezogenen „Mecker-Intervallen“ einsetzen lässt – und ähnliches gilt wohl für alle Bereiche);
    – endlich aufzuhören, in rein akademischen Diskussionen dem Volk dauernd Mißbehagen und Minderwertigkeitskomplexe einzureden bezogen auf alle möglichen Situationen, immer die paar und vergleichsweise unwichtigen vermeintlichen Ungerechtigkeiten am Beispiel verschwindender Minderheiten larmoyant auszuwalzen und die überwiegende Mehrheit engagierter, tatkräftiger und zufriedener Bürger in Geiselhaft für ideologische Blähungen zu nehmen.
    Mit meinen freundlichen empfindlichen Grüßen,.
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Lieber Herr Wolff,

    es ist sicherlich so, dass zur Bewertung dessen, was eventuell oder angeblich „… in den letzten 30 Jahren schiefgegangen“ ist, noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde und dass auch manch wesentlicher Aspekt bisher in der Debatte unberücksichtigt geblieben ist. Ihre Thesen liefern meines Erachtens aber kaum Erhellendes für ein besseres Verständnis der jüngeren Vergangenheit.

    1. Die Rechtsextremisten aus Westdeutschland und die übrig- bzw. zurückgebliebene ostdeutsche Lehrer waren es also, die die Entwicklung von Demokratie-Akzeptanz in Ostdeutschland behindert haben. Denken Sie nicht, dass die in hohem Maße politisch hellwachen Ostdeutschen die Forderung nach einer „marktkonformen Demokratie“ richtig gedeutet und die realen Machtverhältnisse im Lande erkannt haben? In gewisser Weise war der Osten „Avantgarde“, als die neuen ökonomischen Verhältnisse einen Paradigmenwechsel der Wertschöpfung im ganzen Land befördern sollten, und das mit erheblichen, landesweiten Folgen für die sozialen Verhältnisse. Im Übrigen überzeugen mich Ihre Beiträge immehr davon, dass eine Fokussierung auf das Rechtsextremismus-Problem eine erfolgreiche Analyse behindert.

    2. Der Kollektivismus in der DDR mag im Nachhinein mit Recht zu beklagen sein. Jedoch im damaligen Gebrauch von Bezeichnungen wie „Volkssolidarität“ (!), „Volksarmee“ und „Volkspolizei“ die Keime für völkisches Denken im heutigen Ostdeutschland zu sehen, ergäbe m. E. bestenfalls Stoff für eine mittelmäßige Nummer im Programm von Dieter Nuhr. Dass die durch die genannten Begriffe betonte Volksgebundenheit irgendetwas mit völkischer Abgrenzung, dem Hauptthema der Neuen Rechten, zu tun gehabt haben könnte, widerspricht vollständig meiner Lebenserfahrung. Es scheint mir geradezu absurd! Außerdem zeigt es Theorieschwäche, nur individuelle Interessen kontra „Volkswille“ zu sehen und die Rolle von Gruppeninteressen auszublenden (ein schöner Artikel dazu in der FAZ vom 25.09.19, „Zur Ethik des Klimawandels“, Nikil Mukerji).

    3. Den autochton Ostdeutschen als Folge der Dezimierung des sogenannten Bürgertums (politisches ?, kulturelles ?) Mittelmaß zu attestieren, werden Ihnen sicherlich manche als arrogant ankreiden. Vielleicht haben Sie vor Ihren Augen die proletarisierten Massen in der DDR, die nach der mittelmäßigen Literatur von Christa Wolf, Christoph Hein und den Strittmatters gierten und die von der bunten und weltoffenen BILD-Kultur abgeschnitten waren. Nicht zu vergessen die Brutalität der Parteipresse, die jedes Wochenende mit überdimensionierten Wissenschaftsseiten nervte. Gott sei Dank, zumindest diesbezüglich ist der Anschluss gelungen.
    In den wenigen Wochen im Herbst 89, als mich und so viele andere der demokratische Aufbruch euphorisierte, glaubt und hoffte ich, dass Persönlichkeiten wie Wolfgang Ullmann, Jens Reich oder Christa Wolf mal die Geschicke meines Landes maßgeblich bestimmen werden. Doch dann kam das Mittelmaß über uns.

    4. Warum gibt es keine Post-DDR-Achtundsechziger, die ihren Eltern und Großeltern endlich ihren mangelnden Widerstand gegen das verbrecherische SED-Regime vorwerfen? Es ist seltsam. Die Frage wird nun seit Jahren immer wieder gestellt und immer noch scheint die Antwort trotz kaum zu leugnender Intelligenz der Frager auszustehen. Als Folge eines Disputs mit einem FAZ-Autor zu eben diesem Thema (Hagen Findeis, Warum befragen wir unsere Eltern nicht? FAZ 13.08.2019) habe ich neulich, als sich angesprochen fühlender, ehedem DDR-loyaler Bürger, meine kluge vierundzwanzigjährige Enkeltochter explizit nach ihrer Meinung dazu befragt. Nach dreißigjähriger, massiver antikommunistischer Aufklärung bzw. Propaganda (Herr Moosdorf ist jetzt noch begeistert vom „Schwarzbuch des Kommunismus“) scheint unter den jungen Leuten der Bedarf nach mehr davon gesättigt zu sein. Außerdem fällt es ihnen eventuell schwer, wegen der Erkenntnis der Konsistenz von moralischem Anspruch und dem politischem Verhalten der Großeltern seinerzeit, den Stab über sie zu brechen. Viel wäre noch dazu zu sagen.

    Die Ursachen von allem derzeitigen Weh und Ach auch heute noch in der DDR-Vergangenheit zu suchen, ist offensichtlich en vogue. Ines Geipel hat derzeit Hochkonjunktur (Cicero, 23.04.2019; FAZ 12.08.2019). Das Fragwürdige dieser Sicht hat Wolfgang Engler unlängst dargelegt (Verheißung und Enttäuschung, Die Ostdeutschen und die Demokratie, Blätter 8/2019): (1) Demokratiefeindschaft unbeirrt der DDR zuzuschreiben, infantilisiert die im Osten lebenden Menschen, werden doch ihre seit 1989 gesammelten Erfahrungen als irrelevant erklärt. (2) Das habituelle Erbe der DDR wird nicht in seiner Widersprüchlichkeit betrachtet, sondern nur eindimensional als lediglich abzuwerfender Ballast angesehen. (3) Und schließlich werden dadurch die Fehlentwicklungen der letzten Jahre gerechtfertigt. Dem schließe ich mich an.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Johannes Lerchner

    1. Lieber Johannes Lerchner,

      zunächst vielen Dank für den kritischen Kommentar. Das „letzte Wort“ wird nie gesprochen sein. Denn jeder von uns hat nur einen beschränkten, selektiven Blick auf die Dinge. Anspruch auf Originalität erhebe ich auch nicht. Ich versuche, meine Erfahrungen und Eindrücke zu reflektieren und stelle diese zur Diskussion. Zu Ihren Punkten ein paar Anmerkungen:
      1. Da wird viel zusammengepackt. Was ich anführe, sind Teilaspekte einer Erklärung für eine aus meiner Sicht unbestreitbare mangelnde Akzeptanz des demokratischen Systems. Sie stellen dagegen „die in hohem Maße hellwachen Ostdeutschen“. Ich kenne viele Ostdeutsche, auf die das zutrifft. Aber sicher nicht auf alle. Das ist mir zu pauschal und zu euphemistisch. Mag sein, dass ich mich derzeit sehr stark mit dem Rechtsextremismus beschäftige. Aber darin ein Ablenkungsmanöver zu sehen? Das kann ich nicht erkennen.
      2. Auch das ist nur ein Teilaspekt. Kürzlich hat jemand darauf hingewiesen, dass in der DDR der Begriff „Volk“ sehr häufig staatsoffiziell verwendet wurde – ich weiß nicht mehr, wer es war. Es hat mich aber überzeugt. Dieser häufige Gebrauch des Begriffs „Volk“ hat sicher dazu geführt, dass er nicht kritisch hinterfragt wird.
      3. Damit Sie beruhigt sind: Der Begriff „Diktatur des Mittelmaßes“ stammt nicht von mir. Darum hätte ich ihn in Anführungszeichen setzen sollen. Dieser Begriff stammt vom verstorbenen Superintendenten Johannes Richter, einem sächsischen Urgestein, der genau dies immer wieder beklagte. Insofern kann ich Ihren beleidigten Sarkasmus an dieser Stelle nur sehr bedingt nachvollziehen. Schade, dass Sie zu dem Fakt, dass das Bildungsbürgertum in DDR-Zeiten sich dezimierte mit aus meiner Sicht tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Folgen, sich nicht äußern.
      4. Meinen Sie nicht, dass die DDR-Sozialisation (das gleiche gilt auch für Westdeutschland) Langzeitwirkungen hat, über die sich lohnt, sich auszutauschen? Wieso betrachten Sie die DDR-Zeit allein als „Ihr Eigentum“, das nicht angetastet werden darf? Dabei habe ich ausdrücklich auch dieses nur als einen von vielen Aspekten erwähnt. Warum diese Empfindlichkeit?
      Sie schreiben im letzten Absatz: „Die Ursachen von allem derzeitigen Weh und Ach auch heute noch in der DDR-Vergangenheit zu suchen, ist offensichtlich en vogue“ Nein, darum geht es nicht. Aber ohne die DDR-Zeit ist das Heute genauso wenig zu erklären wie Deutschland ohne die Nazi-Zeit (und die liegt nun fast 75 Jahre zurück).
      Zum Ganzen: Ich bedauere sehr, dass es offensichtlich sehr schwer ist, eine von Befindlichkeiten möglichst unbelastete Debatte über die unterschiedlichen Aspekte zu führen. Aber ich habe mir sehr früh angewöhnt, mich in dieser Debatte nicht von aus meiner Sicht falschen Rücksichtnahmen leiten zu lassen und damit insgesamt gute Erfahrungen gemacht. Im Übrigen kann ich nur das DLF-Interview am 03.10.2019 mit der Schriftstellerin Katja Lange-Müller verweisen.
      Ich stelle gerade fest: die Grüße habe ich vergessen. Das sei hiermit nachgeholt. Ihr Christian Wolff

      1. Lieber Herr Wolff,

        vielleicht habe ich mich bei der Darstellung meines Anliegens tatsächlich zu sehr von persönlichen Befindlichkeiten leiten lassen. Es war wahrscheinlich unvermeidbar. Klar, jeder ringt um Erklärungen für die bestehenden Konflikte im gesellschaftlichen Miteinander. Manche Erklärungsversuche sind produktiv und eröffnen Lösungsoptionen, andere dagegen führen m. E. auf einen Holzweg. Darum ging es mir. In diesem Sinne werde ich mich auch weiterhin an Diskussionen in Ihrem interessanten Blog beteiligen.

        Mit freundlichen Grüßen,

        Johannes Lerchner

    2. „In den wenigen Wochen im Herbst 89, als mich und so viele andere der demokratische Aufbruch euphorisierte, glaubt und hoffte ich, dass Persönlichkeiten wie Wolfgang Ullmann, Jens Reich oder Christa Wolf mal die Geschicke meines Landes maßgeblich bestimmen werden. Doch dann kam das Mittelmaß über uns.“
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      Sie haben Stefan Heym vergessen: „Nach der Maueröffnung verspottete der DDR-Autor seine in den Westen strömenden Landsleute als schlichte Gemüter, die sich vom „Tinnef und Tand“ bei Woolworth und Aldi blenden ließen. Dass Heym zu DDR-Zeiten das Vorrecht genossen hatte, regelmäßig die Feinkostabteilung des KaDeWe aufzusuchen, machte seinen Spott noch unerträglicher.“ https://www.cicero.de/innenpolitik/alterspraesident-keine-garantie-gegen-peinlichkeiten-

  4. “ … haben es geschafft, ihr Narrativ … in den Köpfen … zu verankern“, schreibt Moosdorf und die Reaktion des sehr geschätzten Herrn Käfer auf meine Anmerkungen beweist leider die Richtigkeit dieser Erkenntnis. Es ist charakterisitsch für Manipulation und Manipulator, daß das „Opfer“ dies nicht bemerkt sondern vielmehr für „plausibel“ hält. Wenn man dann noch eingesteht, daß man „Nachhilfe“ braucht, ist der Manipulation zusätzlich das Tor weit geöffnet. Daß zusätzlich in „aufrechten“ Medien Meldung und Meinung zu trennen sind, Adjektive aber häufig Meinung sind und also in einer Meldung nichts zu suchen haben, sei nur am Rande erwähnt.
    Alles 1. Semester „Volksverdummung“ (pardon!).
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Der Beitrag von Herrn Moosdorf – natürlich kann man ihm ganz oder teilweise nicht zustimmen – zeigt im Gegensatz zu seinen früheren Äusserungen diesmal eine gewisse Mäßigung im Ton und – wichtiger – teilweise nachvollziehbare Argumente sowie eine Sicht auf die Geschichte, die ebenfalls zT ihre Berechtigung hat. Es ist deshalb schade, daß Sie, Herr Wolff, glauben, man könne dieses alles mit dem Hinweis auf eine AfD-Mitgliedschaft und einigen banalen „Abfuhren“ abtun. Vieles könnte man stattdessen auch argumentativ bekämpfen und wäre dann selbst glaubwürdiger. Und der wieder mal in seiner einfachen Struktur nicht zu unterbietende Beitrag aus Dresden (auch hier würde Herr Dr Händler wohl wieder schreiben (23.09.19): „Ich bin erschrocken über so viel Selbstgefälligkeit und verletzenden Hass, besonders auch bei Herrn Flade“) zeigt dann erneut auf, wie dumme Böswilligkeit gepaart mit ein paar nachgeplapperten und unverstandenen Zitaten Argumente ersetzt, wenn es an Kapazität fehlt zur sachlichen Auseinandersetzung. Wirklich lustig, daß ausgerechnet dieser Herr sich im Verbund mit einem anderen über die Frage austauscht, wen man in den Kreis der Philosophen rechnen sollte oder lieber nicht. Und lassen Sie mich der Klarheit wegen betonen: Es muß erlaubt sein, Dummheit als solche zu bezeichen, wenn sie so offensichtlich hervortritt (hierzu haben Sie auch, Herr Wolff, nicht zu Unrecht Bonhoeffer zitiert).
    Solange wir in Deutschland – in großer, vor allem verblendeter Selbstgefälligkeit eben – glauben, daß Aussagen schon deshalb falsch sein müssen, weil sie aus einer anderen politischen Ecke kommen als der eigenen, wird es wohl mit der „Freiheit in Verantwortung“, die Merkel gerade zu Recht beschworen hat, nichts werden. Und solange wir auf dem primitiven Standpunkt stehen „mehr ist es (dazu) nicht zu sagen“ zeigen wir mehr unsere eigene Dummheit auf als daß wir demokratischen Diskurs fördern. Es ist ja das Problem einer Demokratie, daß niemand und keine Partei den Anspruch auf absolute Wahrheit hätte, sondern alle – nur vielleicht je nach Standpunkt in unterschiedlicher Menge – richtig oder falsch liegen, was es wiederum so wichtig macht, Demokratie als Dialog und zwar unter und mit allen zu verstehen. Und daß nun ausgerechnet derjenige, der dauernd intelligente Vokabeln im Munde führt und dann erschütternde Beiträge schreibt, was Intoleranz, persönliche Beleidigung, Inhaltslosigkeit in der Sache angeht, sich zum Richter über richtig und falsch machen will, degradiert Ihren gesamten blog, lieber Herr Wolff.
    Die Tatsache, daß extreme rechte und linke Flanke inhaltlich, methodisch und stilistisch dicht beieinander liegen, wird niemand ernstlich bestreiten. Die Tatsache, daß der Kommunismus in unserer Welt mehr Leute ins Unglück gestürzt hat als der Faschismus, rechtfertigt zwar den letzteren in keiner Weise, ist aber deswegen nicht falsch. Das Argument, die „DDR“ käme langsam zurück und „räche sich an der Bundesrepublik“, erscheint mir zwar stark übertrieben, aber wenn es stimmen sollte, daß die Mehrheit der Ostdeutschen unter 40 Jahren – also von Leuten, die die „DDR“ gar nicht bewußt erlebt haben – sich diese in irgendeiner Form zurückwünschen sollten, so wäre das schon ein Alarmsignal. Die trübe Miesepetrigkeit, mit der ein Teil der Medien und der Öffentlichkeit den Tag der Deutschen Einheit begleitete, zeigt nicht nur die erschreckende Unfähigkeit der Deutschen, sich einfach mal zu freuen, sonder auch unsere unselige Eigenschaft, in rechthaberischer Überlegenheit und tumber Selbstgefälligkeit (wer fällt einem da sofort ein?) herum zu kritteln und Nachteile zu suchen und zu finden. Wenn wir vom „Sommermärchen“ sprechen, meinen wir eine nicht so ganz erfolgreiche Fußballveranstaltung, die nachträglich in den Korruptionssumpf versinkt, anstatt vom großartigen Sommer 1989 und dessen Folgejahren zu sprechen.
    Und die Medien (mal wieder)? Es war immerhin interessant, wie das ZDF die Wahlergebnisse in Österreich verkündete: ÖVP soundsoviel, SPÖ soundsoviel, Liberale …, Grüne …, die rechtspopulistische FPÖ soundsoviel. Und bei uns merkt kaum noch jemand, wie geschickt hier manipuliert wird, indem nur EINE Partei mit einem Adjektiv versehen wird. Nicht, daß ich die Partei anders bewertete – Manipulation und Beeinflussung bleibt es dennoch! Und es wird dabei übersehen, daß (auch bei uns) ALLE Parteien eine starke populistische Komponente haben, vor allem auch – eben – die linken Parteien.
    Freuen wir uns, daß Moosdorf diesmal nicht Anlaß zur Klage gegeben hat (wie bei seiner letzten Einlassung). Daß man überwiegend mit ihm nicht übereinstimmt, ist eine andere Frage. Aber daß man sich mit ihm und seiner Partei (wenn es denn stimmt) argumentativ auseinandersetzen sollte anstatt hirnlos zu antworten, sollte keine Frage sein.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Ich fühl mich heute wieder mal so schrecklich manipuliert vom bösen ZDF!

      Könnte man es vielleicht auch so sehen:
      Das ZDF hat viele ältere Zuschauer (z.B. mich), die sich in der österreichischen Parteienlandschaft nicht ganz so perfekt auskennen und die FPÖ leicht für die österreichische Variante der FDP halten (so wie ich bisweilen)…

      Ergänzende Adjektive sind dann bisweilen Verständnis-fördernd!!

  6. Wie umgehen mit dem Beitrag von H. Moosdorf? Immerhin hat er sich ja scheinbar sehr viel Mühe und Gedanken gemacht und einen langen Beitrag geschrieben….
    Tatsächlich hat es ihn nur einige wenige Klicks Aufwand gekostet, sein Elaborat, das er an anderer Stelle bereits „unters Volk“ gebracht hatte, mittels Copy and Paste auch in diesen Blog einzufügen! Für mich ist das keine Diskussionskultur, ich neige sogar dazu, es als unverschämt allen anderen Mitdiskutanten gegenüber zu bezeichnen!
    Ob er den Ursprungsbeitrag von Christian Wolff zuvor überhaupt gelesen hat – ich vermute eher nicht.

    Soll man trotzdem auf Moosdorfs Beitrag eingehen? Vieles wurde schon richtig geschrieben, von mir daher nur einige wenige zusätzliche Anmerkungen:
    Er beklagt, „man“ habe Gregor Gysi als Redner für den 9.10. in die Peterskirche nach Leipzig eingeladen. „Man“ waren in diesem Fall die Leipziger Philharmoniker, mithin keine öffentliche/kirchliche Institution. Ob das Orchester damit eine kluge Wahl getroffen hat, mag gerne kontrovers diskutiert werden; mich reizt es jedenfalls nicht, Karten für diese Veranstaltung zu erwerben.
    Dass „Die Linke“ sich teilweise aus Geldern (ob nun Millionen- oder Milliarden-Beträge, sei mal dahingestellt) der ehemaligen SED finanziert, kann man trefflich beklagen, wenn es denn so ist. Schaut man sich aber so manche durchaus dubiosen AfD-Zuwendungen an, fällt mir recht schnell der Begriff des „Glashauses“ ein.
    Und dass „Gegenpositionen … zu den Themen Klimawandel, Umgang mit Russland, Trump, Brexit …“ nicht gewünscht seien, ist schlicht falsch!! Speziell die Gegenpositionen der AfD zum Klimawandel interessieren mich brennend, entzaubert sich diese unsägliche Partei doch damit am schnellsten und effektivsten!!

    Zu Christians Beitrag:
    Ich gestehe, seit Jahrzehnten ein intensiver – und oft begeisterter Leser der „Zeit“ zu sein. Zugegeben, Beiträge der Redaktion „Zeit im Osten“ hauen mich nicht immer vom Hocker; dies trifft auch hier bei „Was ist in den letzten 30 Jahren schiefgegangen?“ zu. Trotzdem bin ich geneigt, ohne größeres „Bashing“ über eine vertane Chance, das Verständnis zwischen „Ost“ und „West“ zu verbessern, hinwegzugehen.
    Hauptsächlich Milde empfinde ich auch hinsichtlich der Person des verstorbenen Sigmund Jähn. Für mich steht seine „Lebensleistung“ eindeutig und positiv im Vordergrund gegenüber der (wohl eher erzwungenen denn freiwilligen) Vereinnahmung durch die DDR-Propaganda!
    Um meinem Ruf als „hirnloses Echo“ und „Mit-Kindergärtner“ von Christian dennoch wenigstens im Ansatz gerecht zu werden, stimme ich seinen „wichtigen Faktoren“ ansonsten voll zu.

    1. Danke für den Hinweis. Ich hatte mich schon über den für eine Moosdorf-Antwort ungewöhnlichen Sprachstil gewundert (sonst ergeht er sich in wüsten Beschimpfungen, die freizuschalten sich verbietet). Aber so zeigt auch dieser Vorgang, wie bei der AfD gearbeitet wird. Christian Wolff

  7. Dass die Demokratie in Ostdeutschland ein Akzeptanzproblem hat …….

    Hier sollte vielleicht erst einmal klargestellt werden, worüber überhaupt gesprochen wird:
    Basisdemokratie, „Repräsentative Demokratie“, „Gelenkte Demokratie“, „Marktkonforme
    Demokratie“, „Sozialistische Demokratie“….
    Die verschiedenen Interessengruppen verwenden den Begriff Demokratie und meinen ganz Unterschiedliches, weil der Begriff sehr wirkmächtig ist.
    Schon im antiken Griechenland und z.B. auch die Väter der amerikanischen Verfassung haben sich Gedanken darüber gemacht, wie man als Elite trotz Demokratie die Macht fest in den eigenen Händen behalten kann.
    Eine echte Basisdemokratie ist auch heute nicht gewollt.
    Welche wichtige Entscheidung in den letzten Jahren ist den wirklich zur Abstimmung gestellt worden: Oft wird ja nicht einmal der Bundestag ausreichend berücksichtigt.

    Die „Gestaltungsmöglichkeiten eines jeden Bürgers“ sind da doch recht begrenzt.

  8. „Eine der Langzeitfolgen des verordneten Kollektivismus und der zwanghaften Volksgebundenheit (Volkseigene Betriebe, Volkssolidarität, Volkspolizei, Volksarmee) ist, dass heute die individuellen Interessen mit dem „Volkswillen“ verwechselt werden und gesellschaftliche, kulturelle Pluralität als Bedrohung empfunden wird.“

    Da scheint viel Wahres dran …

    Wer nie wahrnehmen durfte, wie einschnürend ein „Volk“ in all seinen „Gewohnheiten“ und „Ansichten“ dem menschlichen Geist sein kann, fällt leicht bei jeder Herausforderung aus Angst vor dem „Neuen“ und „Fremden“ auf völkische Parolen herein. Mit Blick auf die AfD-Wahlergebnisse in Sachsen eine plausible Erklärung? Steckt da nicht viel „kollektives Gefühl“ dahinter? Zum Beispiel wenn eine Fahne hochgezogen wird und dabei von „einem Volk“ plötzlich geträumt werden kann? Und die Wut aus dem Kehlkopf der Pegida hinausgeschrien werden kann?

  9. M. Moosdorf fragt sich:
    „Mir ist nicht im Ansatz eine Idee im Kopf, wie man wieder zu einer Gesellschaft von Vernünftigen zurückfinden soll.“
    Mit dieser Sprache, die Denken voraussetzt, keinesfalls!
    Victor Klemperer schrieb in seinen Tagebüchern (LTI) von: Die Sprache lügt nicht.
    Mehr ist zu Moosdorfs Beitrag nicht zu sagen.

  10. Die Lehrbücher der Journalistenschule der ehem. „Karl-Marx-Universität“ Leipzig, unter den Kommilitonen „Rotes Kloster“ genannt, lesen sich jetzt wie eine Blaupause zur täglichen Indoktrination heutiger Tage. Vom „Beifall der Kulturschaffenden“ zur „Erklärung der Vielen“ – die Methoden sind nahezu identisch.
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    Ihre unverschämte Gleichsetzung der Methoden des DDR-„Journalismus“ mit der „täglichen Indoktrination heutiger Tage“ weise ich zurück, Herr Moosdorf. Es existiert kaum ein Land auf der Welt mit einer vielfältigeren Medienlandschaft als Deutschland.
    Damit wäre allerdings bald Schluss, wenn Ihre Leute ans Ruder kämen.

  11. 30 Jahre – und die DDR kommt zurück?

    Wer heute konservativ ist, muss sich einem Generalverdacht aussetzen. Linke und Grüne haben es geschafft, ihr Narrativ vom gesellschaftlichen Wandel als fast alternativlos in den Köpfen der Multiplikatoren zu verankern. Ihr unermüdlicher Einsatz für die Entrechteten der Welt – nur mit dem vorlauten Mund natürlich – hat eine ebenso laute Minderheit glauben lassen, der leuchtende Stern von Demokratie und Menschenrechten, von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit in Verbindung mit Frieden und Völkerfreundschaft komme aus dieser Ecke.
    30 Jahre nach dem Ende der DDR lädt man Gregor Gysi nach Leipzig (nicht an die erste Adresse, aber immerhin!), offenbar um aus der Sicht von ehemaligen Tätern mehr über ihre Taten zu erfahren. Im Gegensatz zur großen sowjetischen Schwester KPdSU wurde die SED, die Einheitspartei der ostdeutschen Arbeiterklasse, 1990 nicht abgewickelt und verboten. Gerade Gysi warb bei den Mitgliedern damals um die Fortsetzung in Verbindung mit einer Umbenennung. Es ging um Hunderte Millionen, manche sprechen sogar von Milliarden: Parteivermögen, Grundstücke, Gold, Beteiligungen, Medien und viele Dinge mehr. Sehr wenig ist davon bis heute wieder aufgetaucht, und wenn, dann nur in Tausenden kleinen Tranchen im Kampf für eine gerechte Sache. So kommt es, dass ebendiese Partei heute ihre legitime Nachfolgerin, „Die Linke“, in den Parlamenten sitzen hat, in Thüringen stellt sie sogar den Ministerpräsidenten. Wir erinnern uns: Die SED hat zwar den Grenzschutz der DDR an die Stasi, „Schild und Schwert der Partei“ ausgelagert gehabt, die Marschrichtung stammte, so wie fast alles damals, von ihr. Sie hat ab 1961 Andersdenkende, Abtrünnige, Flüchtlinge mit Maschinenpistolen an der Grenze erschießen lassen, „wie Karnickel“ – so in einer der letzten Reden im Bundestag. Bis zu 17.000 dieser damaligen Stasi-Täter sitzen lt. einer Erhebung mehrerer Medien (Handelsblatt, FAZ, Die Zeit) noch in den zumeist ostdeutschen Verwaltungen. Wie man eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin zur Chefin der mit Bundesmitteln gepäppelten Amadeo-Antonio-Stiftung machen kann, lässt sich anders als mit Hohn und Perfidie nicht erklären.
    Der viel zitierte SPD-Politiker Kurt Schumacher erkannte sehr frühzeitig: »Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und die Vorliebe für die Gewalt.“ Und der Philosoph Peter Sloterdijk griff das in ähnlicher Weise 2005 auf: „Dass sich der linke Faschismus als Kommunismus zu präsentieren beliebte, war eine Falle für Moralisten. Mao Tse-Tung war nie etwas anderes als ein linksfaschistischer chinesischer Nationalist, der anfangs den Jargon der Moskauer Internationale pflegte. Gegen Maos fröhlichen Exterminismus gehalten, erscheint Hitler wie ein rachitischer Briefträger. Doch man scheut noch immer den Vergleich der Monstren. Das massivste ideologische Manöver des Jahrhunderts bestand ja darin, dass der linke Faschismus nach 1945 den rechten lauthals anklagte, um ja als dessen Opponent zu gelten. In Wahrheit ging es immer nur um Selbstamnestie. Je mehr die Unverzeihlichkeit der Untaten von rechts exponiert wurde, desto mehr verschwanden die der Linken aus der Sichtlinie.“
    Bedrückend, immer wieder bedrückend erkennen wir, was das 20.Jahrhundert für unfassbare Gewalt unter den Menschen gesät hat. In Europa wird der Opfer wenigstens noch gedacht. Weiter östlich, in Russlands Lagern, auf Chinas Äckern der Kulturrevolution und Kambodschas Todesfeldern kennt man bis heute nicht einmal die Größenordnung. Wissenschaftler sind sich einig, es sind etwa 100 Millionen, die den Weg zum Sozialismus mit ihrem Leben bezahlen mussten. Und doch kommt er als Ganzes oder in Teilen davon stets zurück. Alexander Jakowlew, langjähriger Berater von Breshnew und Beauftragter für die Rehabilitierung der Opfer unter Gorbatschow stellt in seinem monumentalen Buch („Die Abgründe meines Jahrhunderts“) gleich am Anfang fest: „Die schlimmste Sünde der Sowjetunion war, den Faschismus erfunden zu haben.“ Denn natürlich war auch aus seiner Sicht die Nazi-Diktatur eine Spielart gegen das Konservative, gegen das Bürgerliche, gegen Freiheit, gegen das Individuum. Ideologien versprechen stets das Paradies und führen doch immer in die Hölle. Das haben rote und braune gemeinsam. Deswegen gilt es, den Anfängen, dem schleichenden Gift der Gesinnung entgegenzutreten. Mietendeckel in Berlin, SPD – Kühnert träumt von Kollektivierung, Kulturleute verlieren ihren Job weil sie mit den falschen Leuten zu Mittag gegessen haben, Wahlen werden gefälscht, immer zu Lasten derselben Partei, ganz demokratisch gewählte Parteien werden ausgegrenzt, alles was nicht auf Linie liegt, wird diffamiert – das sind nur einige Beispiele. Heute wie damals ist es wieder legitim, „Meinungen auf Linie zu bringen“, mit Diffamierung, Zersetzung, Ächtung im privaten Umfeld und psychischer Gewalt auf Andersdenkende einzuwirken.
    Hubertus Knabe, ehem. Forscher und Leiter der Gedenkstätte im Stasi-Knast Hohenschönhausen, schreibt darüber im aktuellen Cicero: „Die stille Rückkehr der DDR“.
    Wir scheinen nichts dazu gelernt zu haben. Oder doch?
    Die Gallionsfigur der DDR-Bürgerrechtsbewegung, Bärbel Bohley, verblüffte mit ihrer Erkenntnis aus den 90er Jahren, die Erklärung sein könnte für all das, was heute landauf und landab an der Tagesordnung ist: „Die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
    Die Lehrbücher der Journalistenschule der ehem. „Karl-Marx-Universität“ Leipzig, unter den Kommilitonen „Rotes Kloster“ genannt, lesen sich jetzt wie eine Blaupause zur täglichen Indoktrination heutiger Tage. Vom „Beifall der Kulturschaffenden“ zur „Erklärung der Vielen“ – die Methoden sind nahezu identisch. Auch damals schlugen Künstler morgens die Zeitung auf und lasen ihren Namen unter einer Ergebenheitsadresse. Dagegen zu protestieren war nicht das Gebot der Stunde. Aus naheliegenden Gründen ist es heute ebenso: Ohne Arbeit, ohne Geld – keine Familie, kein Leben. „Bestrafe Einen – Erziehe Hundert“ – was wären wir ohne die Sentenzen von Josef Stalin.
    Der Kreis schließt sich jeden Tag, an dem mit zweierlei Maß gemessen wird, an dem vom Kampf gegen rechts geredet und damit von den wirklichen Problemen, einer rasant fortschreitenden Entmündigung geschwiegen wird. Gegenpositionen sind oft nicht einmal mehr im privaten Umfeld erwünscht: Klimawandel, Umgang mit Russland, Trump, Brexit, Migration, Kriminalität durch Ausländer, Terror usw. Mir ist nicht im Ansatz eine Idee im Kopf, wie man wieder zu einer Gesellschaft von Vernünftigen zurückfinden soll.
    Hat sich bisher keiner gefragt, wessen Tag wir am 3.Oktober feiern, den einer „Bevölkerung“, oder den der „schon länger hier Lebenden“? Schon im Bemühen, nicht vom „Deutschen Volke“ sprechen zu müssen wird deutlich, was Henryk M. Broder in einer Kolumne 2015 schrieb: „Die Politik der Kanzlerin ist die späte Rache der DDR an der BRD“.

    Matthias Moosdorf

    1. Matthias Moosdorf, AfD-Mitglied und Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion, gehört zu den für die Veranstaltung am 7.10.19 vorgesehenen Referenten in der Alten Handelsbörse. Jetzt setzt er hinter das Thema ein Fragezeichen. Auf dem Plakat steht ein Ausrufezeichen. Wortreich versucht er, das ekelhafte AfD-Narrativ zu belegen und tappt noch in die „Falle“ von Bärbel Bohley: „Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“ Ja, genau. Damit ist die Strategie der AfD exakt beschrieben. Und wenn man so gestellt wird, ändert man einmal schnell das Satzzeichen und befleißigt sich eines umfänglichen Rundumschlages. Der ändert aber nichts daran, dass alles leicht durchschaubar ist: die Destruktion der Freiheit, indem ich sie zur Diktatur erkläre, um diese dann zu „vollenden“. Daran ist nichts „konservativ“ oder „bürgerlich“. Das ist die Vorstufe dessen, was wir schon einmal in Deutschland hatten. Christian Wolff

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