Noch vor wenigen Wochen schien es für viele ausgemacht: Die AfD wird bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni 2024 und dann vor allem bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg am 1. September 2024 triumphale Wahlergebnisse einfahren. In Sachsen schien nicht einmal eine absolute Mehrheit für die AfD bei den Landtagswahlen außer Reichweite. Die Bauern-Proteste, denen sich vielerorts Speditionsunternehmer und Handwerker anschlossen mit offener Flanke zur AfD, sowie das trübe Erscheinungsbild der Ampel-Koalition beförderten eine Stimmungslage, als stehe Deutschland kurz vor dem Abgrund und das demokratische System vor dem Zusammenbruch. Ich gebe zu: Zum Jahresbeginn hat auch mich ein Gefühl der Ohnmacht beschlichen, als müsse man sich zumindest in Ostdeutschland auf rechtsextreme AfD-Minister einstellen.
Doch inzwischen vollzieht sich ein erstaunlicher Stimmungswandel. Bundesweit sind Bürgerinnen und Bürger aufgewacht – nicht aufgrund eines medial gepushten Katastrophenszenarios, gespeist von Wut und Empörung. Vielmehr wirkten die Recherchen von Correctiv über die faschistischen Gedankenspiele rechtsextremistischer Netzwerke wie ein Weckruf, wie das schrille Heulen einer Sirene. Vielen Bürger:innen fiel es wie Schuppen von den Augen: Unser Grundproblem ist nicht das manchmal kryptische Agieren der Bundesregierung, sind nicht die vielen ungelösten Herausforderungen im Blick auf den Klimawandel, ist nicht der marode Zustand der Deutschen Bahn, sind nicht Streiks und Protestaktionen gesellschaftlicher Gruppen. Als Hauptproblem erweist sich, dass rechtsextremistische Zirkel seit Jahrzehnten systematisch an der Zerstörung der freiheitlichen Demokratie arbeiten. Gleichzeitig sind zu viele Bürger:innen bereit, diesem Treiben auch noch durch Stimmabgabe für die AfD einen Schub zu verleihen – immer mit der Attitüde versehen: sie, die AfD, würde den Willen des Volkes, den Willen der schweigenden Mehrheit verkörpern. Hinzu kommt die seit Jahren wirksame Neigung, die Gefahr des Rechtsextremismus zu verharmlosen.
Doch nun erkennen immer mehr Menschen: Nichts wird dadurch besser, dass wir die Demokratie, die Menschenrechte, die kulturelle Vielfalt, die Offenheit zur Disposition stellen. Nichts wird dadurch besser, dass wir den Höckes und Weidels noch mehr Einfluss geben. Darum muss Schluss sein mit der Verharmlosung der Gefahr, die vom organisierten Rechtsextremismus, von der AfD ausgeht. Darum sollte auch eine mögliche AfD-Mehrheit bei den anstehenden Wahlen nicht länger herbeigeredet werden. Darum dürfen wir, die Bürger:innen Deutschlands, uns nicht länger darauf verlassen, dass sich das Problem des Rechtsextremismus von selbst erledigt – spätestens dann, wenn die gewählten Politiker:innen ihre Hausaufgaben richtig erledigen. Nein, in der Demokratie kommt es auf jede einzelne Bürgerin, jeden Bürger und auf seinen/ihren Mitgestaltungswillen an. Nicht in dem Sinn, dass mit Mistgabeln aufgeräumt wird, wie es schon die Pegida-Protagonistin Tatjana Festerling forderte, und das „Volk“ die Macht ergreift.* Das ist nur die Umschreibung gewalttätiger Zerstörung demokratischer Prozesse. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, dass jeder Bürger, jede Bürgerin seine/ihre Verantwortung für den Erhalt der parlamentarischen Demokratie, der kulturellen Vielfalt, der Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit sieht und einsetzt.
So meldet sich der Bürger, die Bürgerin landauf, landab seit vier Wochen zurück, verlässt die Zone erlahmten Engagements aus der Corona-Zeit und bringt zum Ausdruck:
- Die Demokratie, das sind wir, die Bürger:innen, in aller Unterschiedlichkeit unserer jeweiligen Herkunft, weltanschaulichen Überzeugung, politischer Ausrichtung.
- Wer die Demokratie angreift, der hat nicht einen Olaf Scholz oder Friedrich Merz zum Gegner, sondern mich, den Bürger, die Bürgerin.
Die Demonstrationen und Kundgebungen der letzten Wochen unterstreichen eindrucksvoll: Jede:r einzelne nimmt seine/ihre Verantwortung wahr und spricht vor allem den Rechtsnationalisten ab, was sie behaupten: sie seien das Volk, sie würden den Willen der Mehrheit verwirklichen und den Stall ausmisten, für Ordnung sorgen. Nein – sie sind eine Gefahr für unser Gemeinwesen. Sie treten all die Werte, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes in der Verfassung verankert haben, mit Füßen.
Jetzt kommt es darauf an, dass Politik sich nicht an der AfD orienteirt und ihre Narrative bedient. Politik muss sich an der demokratischen Wachheit der Bürger:innen ausrichten. Politik kann sich, das zeigen die Massendemonstrationen, auf das Demokratiebewusstsein der Bürger:innen verlassen. Sie bejahen gesellschaftliche Vielfalt, das friedliche Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, den offenen Diskurs. Das allerdings nimmt die Demonstrant:innen in die Pflicht. Es kommt jetzt nicht darauf an, die eigenen politischen Vorstellungen zum Maßstab aller Dinge zu machen. Den Rechtsextremismus bekämpft man nicht, indem man seine politischen Richtigkeiten wie ein Schutzschild vor sich herträgt. Vielmehr ist ein wichtiges Instrument in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus die demokratische Vielfalt. Darum ist es entscheidend, dass auf den Demonstrationen und Kundgebungen die zivilgesellschaftliche Vielfalt sicht- und hörbar wird. Wir sollten uns bewusst machen: Es ist das eine, denen zu danken, die in den vergangenen Jahrzehnten wach und unerschrocken dem Rechtsextremismus die Stirn geboten haben und dabei oft genug allein gelassen wurden. Das andere ist aber genauso wichtig: die Menschen zu ermutigen, die bis jetzt abseitsstanden, sich frustriert zurückgezogen haben, gar nicht mehr zu Wahl gegangen sind oder sogar mit dem Gedanken gespielt haben, AfD zu wählen, jetzt aber merken, dass ihr Engagement für die Demokratie vonnöten ist. Und: Es gilt die nicht wieder zu verschrecken, die im ländlichen Raum endlich die innere Emigration beenden und sich den Rechtsextremisten in den Weg stellen. Nicht wenige von ihnen machen den Unterschied aus zwischen 10.000 oder 70.000 auf den Straßen Leipzigs und zwischen 18 oder 35 Prozent für die AfD. Sorgen wir also dafür, dass der Stimmungswandel anhält und alle Erwartungen und Befürchtungen zu Beginn des Jahres Lügen straft.
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* „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.“
38 Antworten
Zum Kommentar von Herrn Haspelmath vom 20.2.2024 (die Funktion „Reply“ steht leider nicht zur Verfügung):
Ich verstehe ja, dass Sie mich als höchste Stufe Ihrer Geringschätzung (oder ist es sogar Verachtung?) mit „ Lieber Herr Schwerdtfeger“ ansprechen.
Darf ich Sie dann, als zweifellos hochintelligenter Wissenschaftler, zukünftig mit „Lieber Herr Aiwanger“ ansprechen?
„Doch inzwischen vollzieht sich ein erstaunlicher Stimmungswandel. Bundesweit sind Bürgerinnen und Bürger aufgewacht …..“
Was aber – und das ist die große Frage – wird geschehen, wenn der Kampf gegen Rechts gewonnen werden sollte?
Wird dann eitel Freude und Sonnenschein im Lande herrschen? Wird dann die Inflation verschwinden? Wird wieder reichlich Energie zu günstigen Preisen verfügbar sein? Wird es bezahlbaren Wohnraum für alle geben? Werden für jedes insolvente Unternehmen zwei neue gegründet, wird für jede Produktion, die ins Ausland verlagert wurde ein ausländischer Investor in Deutschland Arbeitsplätze schaffen? Werden sich die Parallelgesellschaften, die Clans, in brave Deutsche verwandeln, werden Messerstechereien und Vergewaltigungen ein Ende finden? Werden die Züge pünktlich fahren? Wird es genug Geld für Schulen und Lehrer geben? Wird das Höfesterben aufhören? Wird sich die Antifa auflösen?
Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass dies von selbst geschehen würde, wenn nur erst die AfD wieder unter die 5-%-Hürde gedrückt ist.
Die AfD ist doch überall nur Opposition, hat selbst noch kein einziges Gesetz erlassen, noch keine einzige Unterschrift unter ein internationales Abkommen gesetzt, was also sollte sie zu den unschönen Entwicklungen beigetragen haben?
Eigentlich ist die Strategie leicht zu durchschauen. Der „Kampf gegen rechts“ wird wie ein riesengroßer Teppich ausgebreitet, unter den man alle realen Probleme kehren kann.
Was sind das für komische Fragen! Die Bürger:innen, die jetzt auf die Straße gehen, wollen, dass die angesprochenen Probleme unter den Bedingungen der freiheitlichen Demokratie gelöst werden. Keines der angesprochenen Politikfelder und Probleme liefert eine Rechtfertigung dafür, eine autokratisch-nationalistische Partei wie die AfD zu wählen. Es ist erfreulich, dass das ofensichtlich sehr, sehr viele Menschen erkannt haben.
Die Friedrich Ebert Stiftung der SPD hat unter dem Titel „Lechts oder Rinks“ ein Impulspapier veröffentlicht. In einer Grafik (Seite 2 unten) werden die Mittleren Positionen der Parteiwähler/innen eingeordnet. Die der AfD werden auf der soziökonomischen Achse eher links eingeordnet (rechts befinden sich hier nur CDU/CSU und FDP), auf der soziokulturellen Achse dagegen eindeutig konservativ.
Der Autor wagt eine Einordnung des BSW, welches er sozioökonomisch bei der Linkspartei, soziokulturell dagegen zwischen CDU/FDP und AfD auf der konservativen Seite verortet.
25% der Befragten Wähler/innen befinden sich im „linksautoritären Raumviertel“ mit AfD und BSW;
nach Parteien 43% AfD, 23% Linke, 22% CDU/CSU, 18% FDP und SPD, 9% Grüne).
Interessant wäre es, zu erkunden, welcher Anteil der aktuell Demonstrierenden dort einzuordnen ist. Ich vermute, sehr wenige. Dann jedenfalls dürfte der aktuell vermeldete Rückgang der potentiellen AfD-Wähler weit überwiegend auf die Wanderung insbesondere ehemaliger SPD/Linken – Wähler von AfD zum BSW resultieren.
Kann es also sein, dass Sahra Wagenknecht der Demokratie gerade mehr hilft als die Demonstrationen? Ich meine: Ja. Johannes Lerchner hat das bereits treffsicher begründet.
Die im Papier „linksautoritär“ Qualifizierten verteidigen ihre Lebensweisen gegen Kommerz und Bevormundung. Oder ihr Recht auf Wohnen gegen Konzerne und „neureiche Aufsteiger“, die sie aus ihren Wohnquartieren verdrängen zum Beispiel. Sie verlangen, dass ihre Arbeit gewürdigt und ihre Lebensweise respektiert wird. Sie haben jedes Recht dazu. Auch an der Wahlurne.
Parolen wie: „Menschenrechte statt rechter Menschen“ sind dagegen glatter Unfug.
Hier der Link zu der erwähnten FES-Studie.
Ansonsten finde ich es immer wieder sehr aufschlussreich, in welchem Einvernehmen links-fundamentale Kapitalismuskritiker und erzkonservative Medien wie NZZ die derzeitigen bundesweiten Demonstrationen für demokratische Vielfalt und gegen die AfD als banal, Panikmache etc. abtun und der Moralüberheblichkeit bezichtigen. Dabei wird einfach ignoriert, dass es sehr, sehr viele Menschen gibt, die eines verstanden haben: die eigene Lebenssituation wird nicht dadurch besser, dass ich mich denen an die Brust werfe, deren Versprechen nur um den Preis der Zerstörung von Menschenwürde, demokratischen Freiheiten und gesellschaftlicher Offenheit eingelöst werden.
Die Wagenknechtpartei versucht, aus gegenwärtig relevanten politischen Themen (Ukrainekrieg, Flüchtlinge, Gendern usw. ) garniert mit NATO-Austritt etc. ein buntes Angebot zu kreieren. Das kann durchaus zu kurzfristigen Wahlerfolgen einerseits zu Lasten der Linken, andererseits zu Lasten der AfD, führen, trägt jedoch mittel-, und langrfristig nicht. Eine weitere Zersplitterung des Parteiensystems macht künftige Regierungsbildungen nur komplizierter und ist daher abzulehnen.
Einerseits kann ich nachvollziehen, dass die Diskussion, wer zusammen mit wem in einer Reihe von Populisten genannt werden darf, Herrn Lerchner langweilt.
Andererseits zahlt das ganze populistische Geschwafel über „die schlechteste (bzw. dümmste) Regierung, die Deutschland je hatte“, oder „dass der Hund von Markus Söder eine abgeschlossene Ausbildung habe im Gegensatz zu Kühnert oder Lang“, nach meiner Meinung nur darauf ein, dass „die da oben“ es nicht können, weg müssen, oder in Anatolien entsorgt gehören…
In der allgemeinen Wahrnehmung gehören wohl aber alle demokratischen Parteien zu diesem Establishment / „denen da oben“! Also machen leider zu viele Wähler:innen weiterhin ihr Kreuz doch bei der AfD. Für die anstehenden Landtagswahlen halte ich das für sehr gefährlich; eine „grassierende Demokratiepanik“ kann ich dagegen nicht erkennen.
Auch ich sehe „sozial-ökonomische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte“ als sehr problematisch an. „Meritorische Güter … wurden vom Kapital vereinnahmt und unter das Paradigma der Profitmaximierung gestellt“, auch da kann ich Herrn Lerchner (zumindest in weiten Teilen) folgen; mein Ansatz ist allerdings eher, dass der Staat diese aus kurzfristiger und kurzsichtiger Vorteilserwägung verramscht hat (das Kapital dann willig zugegriffen hat) und seit einiger Zeit zumindest in Ansätzen beginnt, zurückzurudern.
„Marktkonforme Demokratie“, „Neoliberale“ (davon gibt es, u.a. in der FDP sicher noch Einige, aber 2024 wohl keine Mehrheiten mehr), „Demokratie als Elitenprojekt und … Angelegenheit der besser Gestellten“ – das klingt mir doch sehr nach BSW (ohne dass ich deren Programm wirklich kenne, geschweige denn gelesen habe) … Gleiches gilt für die Europa-Skepsis; NATO-Skepsis und Putin- Apologetik hat Herr Lerchner hier möglicherweise nur vergessen, anzuführen.
Demokratische Parteien sollten endlich aufhören, sich gegenseitig zu bekämpfen, sich mit Hohn und Spott zu überziehen, Unvereinbarkeits-Erklärungen abzugeben…
Mein Eindruck ist, dass die Übernahme von AfD-Parolen diese unsägliche Partei viel mehr stärkt, als immer nur die schlechte Performance „der Ampel“.
Ich freue mich weiter über die anhaltend breite Resonanz des Protests gegen die AfD.
Sollten Sie es noch nicht getan haben, lesen Sie bitte unbedingt die wunderbare Rede von Dr. Anselm Hartinger vom 30.1.2024, Herr Lerchner!
Das Gezänk darüber, wer nun zu Recht auf die Liste der schlimmsten Populisten gehört, langweilt. Läuft es doch lediglich auf die Zurschaustellung sattsam bekannter Glaubensbekenntnisse hinaus, ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn für den Leser. Auch die derzeit grassierende Demokratiepanik vernebelt eher die wahren Ursachen für die Gefährdung der Demokratie im Lande.
Sind es nicht die sozial-ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die die Einflussmöglichkeiten der Bevölkerung bei der Gestaltung des Staatswesens zunehmend eingeschränkt und dadurch ein Gefühl der Entfremdung vom demokratischen System hervorgerufen haben? Gemeinwohlorientierte (meritorische) Güter wie Gesundheitssystem, öffentlicher Verkehr, Ver- und Entsorgung und Teile des Bildungssystems wurden vom Kapital vereinnahmt und unter das Paradigma der Profitmaximierung gestellt. Der Umbau der sozialen Lebenswelten zu einer durchkommerzialisierten Börse schreitet voran (Haller/Waldrich). Das nennt man dann „Marktkonforme Demokratie“. Für die Neoliberalen ist die höchste Form von Demokratie erreicht, wenn die Stimmabgabe durch Kaufentscheidungen als Willenskundgebung ersetzt ist. Dann wäre Demokratie auch am besten vorm Volk geschützt.
Freiheit und Demokratie sind Begriffe, die einen anderen Klang haben, je nachdem zu welcher Schicht jemand gehört und in welcher sozialen Lage er sich befindet (Haller/Waldrich). Insofern wird Demokratie zunehmend zum Elitenprojekt und damit eine Angelegenheit der besser Gestellten und es ist nicht verwunderlich, wenn sich mit den wahrnehmbaren Prekarisierungstendenzen auch Repräsentationsdefizite auftun, d .h. sich viele nicht mehr vertreten fühlen. Bezogen auf den noch krasser voranschreitenden Demokratieabbau in den Vereinigten Staaten hat Nobelpreisträger Joseph Stieglitz das folgendermaßen ausgedrückt: „Die US-Regierung ist eine Regierung des einen Prozent durch das eine Prozent für das eine Prozent“.
Ebenfalls wenig demokratieverträglich ist die zunehmende Verlagerung von Kompetenzen weg von nationalen Regierungen und Parlamenten auf die EU-Ebene. Damit rücken wichtige politische Entscheidungen für die Bürger immer weiter in die Ferne und sind für sie nicht mehr nachzuvollziehen, geschweige denn zu kontrollieren. Es ist z. B. ein Angriff auf die Demokratie, wenn von Brüssel aus in die Aufstellung nationaler Haushalte hineinregiert wird (BSW, Programm für die Europawahlen 2024).
Kurzum, das Raunen über geheimnisvolle Zirkel, die im Finsteren an der Beseitigung der Demokratie arbeiten, halte ich für oberflächlich, wenig durchdacht und den real existierenden Demokratieproblemen nicht gerecht werdend. Wenn überhaupt, dann sind diese Bestrebungen eher ein Folgeeffekt der genannten demokratieschädigenden Fehlentwicklungen. Auch die Steinmeier-Rede „wenn unsere Demokratie angegriffen wird, dann ist eine Grenze überschritten, bei der Gegensätze hinten anstehen“ ist problematisch. Burgfriedens-Apelle helfen niemandem. Die Demonstranten, die mit dem wohligen Gefühl, das Gute im Lande zu verkörpern, dieser Tage die Plätze bevölkern, sollten deshalb darüber nachdenken, gegen wen Sie eigentlich mit Parolen wie „Aufstehen gegen rechts“ protestieren (müssten).
PS: Ich habe aus dem Buch von Michael Haller und Hans-Peter Waldrich, „Schuld, Verantwortung und Solidarität“ (Herbert von Halem Verlag, Köln, 2024) zitiert.
Sie haben durchaus Recht, lieber Herr Lerchner, mit dem Hinweis darauf, dass die Durchökonomisierung des Lebens mit der Folge eines zunehmenden Ausschluss von Bevölkerungsgruppen von einer gerechten Teilhabe die Demokratie gefährdet. Daraus aber nun zu schließen, als seien die gegenwärtigen Demonstrationen für den Erhalt von gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt und von der Demokratie des GG überflüssig oder nichts anderes als „Panik“ oder ein „Raunen“, ist in meinen Augen ein gefährliches Kleinreden. Politische Entwicklungen folgen meist nicht den theoretischen Richtigkeiten. Insofern ist es ein in meinen Augen ein gutes, ermutigendes Zeichen, dass sich so viele Menschen derzeit zur freiheitlichen Demokratie bekennen und gegen nationalistisch ausgerichtete Konformität und völkischen Rassismus, die nur unter dikatorischen Bedingungen möglich sind, wenden. Bei schrillen alle Alarmnsignale, wenn solche Bewegungen als läppisch und unwesentlich abgetan werden (wie es derzeit vor allem die NZZ betreibt). Da frage ich mich immer: Was ist eigentlich die Absicht?
„Wenn es der politischen Linken nicht gelingt, die Macht der dogmatischen Freihändler zu brechen, wird Europa im Rechtspopulismus versinken“, schrieb der damalige SPD – Generalsekretär Peter Glotz im Jahr 1992.
Weil dies nicht gelungen ist, erleben wir einen Zerfall der westlichen Demokratien, „die Folge einer ausgehöhlten Souveränität und Demokratie und des Aufstiegs rechenschaftsloser internationaler und supranationaler Organisationen sind, die privaten und unternehmerischen Interessen verpflichtet sind“ (Thomaz Fazi, MAKROSKOP,11.10.23).
Demokratien können auf Dauer nur bestehen, wenn sich in ihnen die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist dies strukturell nicht möglich, wenden sich die Mehrheiten, aktiv oder passiv, ab. Der Versuch der begünstigten Minderheiten, die Fassade aufrecht zu erhalten, ist zum Scheitern verurteilt.
Da beide Seiten handeln naturgemäß in ihrem Interesse handeln, ist die von Christian Wolff geschilderte Gemengelage die Folge.
Meine Schlussfolgerung wäre aber, dass Demokratie, freie Meinungsäußerung und offene Gesellschaften gegen diejenigen verteidigt und wieder hergestellt werden müssen, die ihren Abbau über Jahrzehnte betrieben haben.
Und was bedeutet das nun für die jetzige Situation?
Mehr Demokratie wagen. Demokratie lebt von Gestaltungsspielräumen und Handlungsalternativen. Sie benötigt substanzielle Alternativen, einen gestaltbaren und selbst zu gestaltenden Wandel, frei wählbare Optionen. „Je offener die Zukunft, desto offener die Gesellschaft. Wozu brauchen wir Demokratien, wenn es nichts zu wählen gibt“ (Jean-Pierre Wils).
Weil die dominanten politischen Kräfte ihre Kapitulation vor den Gesetzen des Marktes als Alternativlosigkeit verkaufen, erscheint die „AfD“ in dem Maße, wie sie stärker wird, als einzig relevanter Gegenpol. Augenscheinlich wollen oder können sich die „etablierten“ Parteien trotz ihres schwindenden Einflusses nicht verändern. Das Zurückdrängen des Rechtsradikalismus erfordert unter diesen Voraussetzungen eine Umwälzung des Parteiensystems. Demokratische Alternativen also. Diese sollten berechtigten Protest nicht diffamieren, sondern müssen ihn aufnehmen und in alltagstaugliche alternative Politikangebote übersetzen. Arbeiten, Wohnen, Gesundheit und vieles mehr wollen doch Mehrheiten in unserem Land weder der Kapitalverwertung unterordnen noch den Faschisten überlassen.
Danke für die Präzisierung. Bleibt ein Grundproblem der Demokratie, das aber nur unter den Bedingungen der Demokratie annähernd gelöst werden kann: Entscheidungen zu treffen, die – je nachdem ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene – von 10.000, 50.000, 100.000, 500.000, 10.000.000 oder eben 85.000.000 Bürger:innen mehrheitlich akzeptiert werden und sich von einem Grundkonsens her entwickeln lassen. Wenn man bedenkt, wie schwierig es schon an einem vierköpfigen Familientisch ist, eine Vereinbarung darüber zu finden, was die Familie am Wochenende unternehmen will, dann kann man ermessen, dass es eine hohe Kunst demokratischer Politik ist, Entscheidungen zu treffen, die auf Zustimmung der Mehrheit stoßen.
Das stimme ich zu. Die hohe Kunst demokratischer Politik besteht doch einerseits darin, Entscheidungen auf der untersten möglichen Ebene ohne Bevormundung treffen zu können. Selbstverständlich muss die Familie ihre Urlaubsreise oder den Wochenendeinkauf nicht europaweit ausschreiben. Schon auf kommunaler Ebene sieht es aber anders aus.
Anderseits können wir uns doch noch an die von Keynes inspirierte Globalsteuerung erinnern, die strategische Weichenstellungen im Gemeinwohlinteresse vornehmen konnte. Öffentlichen Wohnungsbau beschließen, und Struktur- und Steuerpolitik, zum Beispiel. Krankhäuser und Schwimmbäder zu bauen, wenn welche gebraucht werden.
Die Menschen erwarten doch zu Recht demokratische Führung, die für das Gemeinwohl Verantwortung übernimmt. Politiker also, die sich ihres eigenen Verstandes ohne Anleitung eines Dritten bedienen.
Nachtrag von Wolfgang Streeck: „Wenn Demokratie überleben soll, dann muss sie mit der Erfahrung einhergehen, dass man gemeinsam für alle etwas erreichen kann. Und zwar dadurch, dass man nicht nur Rechte hat, sondern auch Pflichten; dass man gemeinsam Verantwortung für ein gemeinsames Leben übernehmen kann und muss.“ (Zeitschrift „International“ VI/2023, S.31.).
„Es kommt jetzt nicht darauf an, die eigenen politischen Vorstellungen zum Maßstab aller Dinge zu machen.“ Das schrieb uns Wolff – und ich stimme ihm zu und fordere deshalb immer neu die sachliche Diskussion über Inhalte, Ziele und Wege. Dass am Schluss nicht meine Meinung obsiegt, ist klar; vielmehr gäbe es zwei Ergebnisse: Einmal ein gewisses gegenseitiges Verständnis für andere Meinungen, auch wenn man sie nicht teilt – eine immens demokratische Folge; zum zweiten eventuell eine Einigung auf Kompromisse, die keinen vollständig, aber alle angemessen zufriedenstellen – auch eine demokratische Wirkung. Nochmal: Herr Wolff: Danke für diese richtige Aufforderung.
Und dann haben wir hier Leute, die sich selbst immer als „hirnlos“ bezeichnen, was niemand sonst tut, die allerdings ständig den Beweis dafür abliefern: Wie käme es sonst dazu, dass Käfer den Oppositionsführer in eine Reihe mit den linken und rechten Extremisten und Populisten stellt. Das genau zeigt seine demokratische Unreife und seine Unterwürfigkeit unter Wolff mit allerdings geringem Verständnis von dessen Postulaten (jedenfalls dem oben zitierten). In dieser Kategorie gibt es – Herr Wolff, Sie haben Recht – ja auch den guten Haspelmath, der hier seine Verschwörungstheorien verbreitet.
Und zur hier angesprochenen Frage: Multikulti endet an den Festlegungen des Grundgesetzes – alles andere ist in diesem Lande geschützt. Und deshalb stellt sich die Frage nicht nach der Farbe der Haut, dem Schnitt der Augen, der Religion, den Gewohnheiten und kulturellen Vorlieben oder Meinungen zu anderen Fragen. Allerdings: Hetzereien à la Käfer über demokratische Politiker – die zudem ihren Job recht gut machen, egal ob man ihnen nun zustimmt oder nicht – sind zwar erlaubt, aber sie disqualifizieren trotzdem ihre Beförderer. Nehmen wir doch die letzte Generaldebatte zum Haushalt. Merz brachte viele inhaltliche Argumente – und, zugegeben, teilte gleichzeitig ordentlich aus: Ein belebender Beitrag zum guten Stil des Bundestages. Der arme Scholz, aufgehetzt von seinen Leuten, nun mal ordentlich Emotion zu zeigen und hanseatische Zurückhaltung abzulegen, wirkte gekünstelt, inhaltlich unsicher und deshalb ausschließlich auf persönlichen Angriff ohne eine einzige inhaltliche Anmerkung gebürstet. Und jeder weiß doch, dass die FDP, die diese Regierung im Amt hält, inhaltlich komplett auf Unionsseite steht. Das aber konnte unser Anstandsdilettant nicht sagen und hat deshalb Lindner aus seiner Liste weggelassen.
Unsere politischen Vorstellungen dürfen wir nicht zum Maßstab aller Dinge machen, sagt Wolff Eine lebhafte und kontroverse politische Diskussion ohne Komplexe und ohne Beleidigungen aber wollen wir unbedingt. Das eben unterscheidet Merz von Käfer – und ebenso Merz von den beiden „W-Zwillingen“, Weidel und Wagenknecht.
Andreas Schwerdtfeger
Die Voraussetzung für den von Ihnen so gelobten Satz ist, dass ich eine eigene politische Vorstellung, Überzeugung, Meinung habe und diese auch kundtue. Dem dient z.B. der Blog. Da werden Kontroversen ausgetragen. Es gibt aber politische Situationen, da sollten die eigenen Überzeugungen einem notwendigen, breiten Konsens nicht im Wege stehen. Natürlich ist es richtig und angemessen, die immer wieder gerade von CDU-Politikern wie Freidrich Merz oder Michael Kretschmer benutzten AfD-Narrative in der Debatte um die Migration zu kritisieren. Aber das sollte niemanden davon abhalten, die CDU mit ins Boot zu holen, wenn es darum geht, die Demokratie gegen die AfD zu verteidigen.
Und schon wieder stimme ich Ihnen zu, Herr Wolff: Natürlich ist es erlaubt, die – wie Sie es nennen – „Narrative“ von Merz oder Kretschmer zu kritisieren, die umgekehrt in Wirklichkeit legitime politische Meinungen verantwortungsvoller Politiker sind. Nicht sehr glaubwürdig und eher populistisch ist es dagegen, diese Politiker in eine Reihe mit Weidel oder Wagenknecht zu stellen, wie es Käfer tut, der damit sich der Methoden genau derjenigen bedient, die er aus angeblich vorhandenen Anstandsverständnis bekämpft.
Andreas Schwerdtfeger
„Und dann haben wir hier Leute, die sich selbst immer als „hirnlos“ bezeichnen, was niemand sonst tut…“
Ich muss mich beim nächsten Gesundheits-Checkup wirklich mal auf Alters-Demenz untersuchen lassen!
Irgendwo habe ich doch schon öfter mal das vom „hirnlosen Echo“ gelesen? Wo / bei wem war das bloß? Oder bilde ich mir das nur ein?
Irgendwie kriegt der Herr die Sachlage nicht auf die Reihe. Ich habe – bezogen auf die Person eines anderen Mitbloggers, der nur unterwürfig das wiederholte, was Wolff schon geschrieben hatte, von einem „hirnlosen Echo“ gesprochen. Der Vorwurf (nicht an Käfer) also war „Echo“ und dass ein Echo „hirnlos“ ist, liegt in der Definition des Wortes, wie uns auch Käfer neulich an einem Beispiel erneut vorführte: „Ohne Hirn wäre man ja tot“, sei ihm gesagt worden – und ein Echo ist ja etwas Totes!
Zur Sache: Käfer ist, wie seine Beiträge zeigen, nicht in der Lage, demokratische Politiker von Radikalen zu unterscheiden (fühlt sich sogar durch dieses Manko noch „geehrt“), und das bereitet Sorge in einer Zeit, in der die Demokraten über Meinungsgrenzen hinweg zusammenstehen sollten (wie es auch Wolff fordert). Polemische Beiträge von Merz unterscheiden sich nicht von polemischen Beiträgen von Lang und Klingbeil und Eskens geht darüber noch weit hinaus. Mimosen haben in der Politik ebensowenig zu suchen wie Anstandsdilettanten, wie es uns der Kanzler neulich sagte und vorführte.
Also, Herr Käfer, es geht weniger um die Frage der Demenz, sondern um die des Anstands – und wer aus Komplexen heraus den demokratischen Diskurs nicht verträgt, dem fehlt die demokratische Reife. Aber sie schreiben uns ja, wie jung Sie sind – es gibt noch Hoffnung! Bleiben Sie gelassen.
Andreas Schwerdtfeger
!! KEINE ERWIDERUNG !!
War etwas vollkommen sinnlos bzw. überflüssig, benutzten wir als Bild gerne (sinngemäß): das ist genauso sinnvoll, wie einem Ochsen ins Horn zu kneifen….
Ich melde mich zu Wort mit dem Wunsch und der Bitte, dass wir zu den Demonstrationen für Demokratie und (Meinungs-)Vielfalt und auch Meinungsstreit bewusst und mehr auch Schwarze Menschen und Persons of Color oder entsprechende Gruppen einladen. Zu wenig waren sie mir bisher sichtbar und hörbar.
Das allerdings stimmt!
Liebe Frau Zeitler, sie sprechen einen auch für mich wunden Punkt an. In der Sache gebe ich Ihnen absolut Recht!
Ich selbst liebe immer noch, seit meiner Kindheit, „Mohrenköpfe/Negerküsse“. Normalerweise gelingt es mir zwar ganz gut, diese (Gott sei Dank) verpönten Begriffe zu meiden – aber nicht immer. Auch schäme ich mich heute noch aufrichtig dafür, dass ich von Herzen mitgelacht habe, als vor mittlerweile fast 60 Jahren die Eltern einer Freundin von mir, die gerade den (mir damals unbekannten) Roberto Blanco zu Besuch hatten, ihrem 6-7 jährigen Nachkömmling drohten, dass „Onkel Roberto“ ihn auffressen werde, sollte er seinen Teller nicht leer essen.
In meiner (rein) subjektiven, aktuellen Wahrnehmung in Leipzig, sind es nicht primär „persons of color“, die Unterstützung und mehr Teilhabe genießen sollten, sondern eher asiatische Mitbürger:innen, die hier gerne „Fidschies“ genannt werden!
Oder unsere osteuropäischen Mitbürger:innen, denen man oft wenig Respekt zollt, sie lediglich für einfache und einfachste Arbeiten heranzieht…
Deutschland, explizit auch die „neuen“ Bundesländer, ist heute „Multikulti“, kann nur so wirtschaftlich und in seiner weiteren Entwicklung erfolgreich sein!
Alle Populist:innen, ob Höcke, Weidel, Wagenknecht, Aiwanger, Merz, oder wie sie sonst noch heißen mögen, schaden daher nach meinem Verständnis unserem Wohlstand und unserer Entwicklung nachhaltig!
„Deutschland, explizit auch die „neuen“ Bundesländer, ist heute „Multikulti“
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Dafür hätte ich gern eine Definition von Ihnen, Herr Käfer. Denn die Kultur fremder Völker kollidiert häufig mit unserer: Wenn z. B. muslimische junge Männer im Hass gegen Juden aufgewachsen sind, so bringen sie diesen mit zu uns – ebenso ihre Frauenbild.
Zugegeben, eine allgemein akzeptierte Definition von „Multikulti“ ist mir nicht geläufig, Herr Plätzsch. Aber ich will versuchen, meine Wortwahl zu erläutern.
Zunächst einmal sehe ich persönlich „multikulti“, besser: eine multikulturelle Gesellschaft, als positiv und nicht als (abwertendes) Schimpfwort; so wie ich mich früher auch schon gegen eine negative Konnotation vom „Gutmenschen“ ausgesprochen habe. Damit gehöre ich vermutlich mittlerweile einer Minderheit an; Laut- und Vielsprecher sehen das eher gegenteilig.
Wenn ich sage, Deutschland sei heute „multikulti“, meine ich das also positiv und vor dem Hintergrund von 72 Lebensjahren. Ich bin in den 50er und 60er Jahren aufgewachsen, wo man „Gastarbeiter“, wenn überhaupt, als Exoten wahrgenommen hat. Menschen mit anderer Hautfarbe und/oder Physiognomie kannte ich praktisch nur aus den Medien. Ganz selbstverständlich hat man die Wäsche hereingeholt, wenn irgendwo „Zigeuner“ gesichtet wurden. Und für „die Franzosen“ sammelten wir Weinbergschnecken mit Eimern (5 DM pro Eimer). Was wir Kinder von deren Ess-Kultur hielten, können Sie sich bestimmt vorstellen. Meine heute radikal andere Sichtweise/Einstellung empfinde ich als Bereicherung!
Während meines Berufslebens habe ich zudem immer wieder beobachten können, dass multikulturell besetzte Teams harmonischer und effizienter gearbeitet haben.
Ich kann und will nicht leugnen, dass MANCHE „muslimische junge Männer im Hass gegen Juden aufgewachsen sind … und ihr Frauenbild mit in unser Land bringen“ können – aber doch nicht in dieser schrecklichen Verallgemeinerung! Bedenken Sie bitte auch, Herr Plätzsch, dass es in Einzelfällen christliche, deutsche Mitbürger:innen (mitnichten nur junge Männer) sind, die Unterkünfte von Asylbewerbern anzünden und jüdische Gedenkstätten schänden.
Ich sehe Deutschland heute positiver als vor 20 – 30 Jahren; daran haben nicht zuletzt die großen Kundgebungen der letzten Wochen für Demokratie und gegen rechtsextremistische Umtriebe ihren Anteil. Trotzdem bleibt noch viel Spielraum, unsere Kultur weiter zu öffnen…
Öffentliche Aussagen über ukrainischen Sozialtourismus, kleine Paschas, oder ausreisepflichtige Asylbewerber, die fleissigen Deutschen die Zahnarzttermine blockieren, sind in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht jedoch nicht hilfreich, rechtfertigen die Nennung dieses Politikers in einer Reihe mit anderen Populist:innen (wenn Herr Schwerdtfeger mich dafür der „Hetzerei gegen einen demokratischen Politiker“ bezichtigt, ehrt mich das, scheine ich nicht ganz falsch zu liegen).
Danke für Ihre Erklärung, Herr Käfer. Ich habe das gleiche Alter wie Sie, aber davon 39 Jahre DDR-Erfahrung. Dort wurde staatlicherseits auf strikte Trennung von Einheimischen und Ausländern geachtet. Schwangere vietnamesische Vertragsarbeiterinnen wurden ins Heimatland zurückgeschickt, wenn sie sich nicht zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen. Auf die wenigen Kubaner wurde herabgeblickt – auch wegen ihrer mehr oder weniger dunklen Hautfarbe. Sowjetische Soldaten erhielten gar keinen Ausgang. Der Begriff „Multikulti“ erschreckt mich ein wenig. Selbstverständlich muss Deutschland ein weltoffenes Land sein. Man wundert sich, wenn dringend gebrauchte ausländische Fachkräfte durch Bürokratie abgeschreckt werden -hinzu kommen Bedenken wegen des Rechtsextremismus. Aber völlig fremde Kulturen wie ein aggressiver Islamismus gehören nicht zu Deutschland.
Gestern Abend am Rande des Marktplatzes in Leipzig: vier oder fünf Polizeiwagen unterwegs zu einer kleinen Gruppe von Demonstrant:innen (25 – 30 Personen), die fünf blaue Fahnen mit weißen Friedenstauben schwenken und ein Plakat „Schwerter zu Pflugscharen“ hochhalten. Da zog es mich spontan hin, weil ich bei Friedenstauben und so wenigen Demonstrant:innen aktuell die große Gefahr sehe, dass da Rechte und/oder Schwurbler:innen zugange sind.
Passend zum aktuellen Blogbeitrag von Christian Wolff versuchte der Mann am Megaphon auch tatsächlich, einen „Stimmungswandel“ herbeizuführen: wo wären denn damals die Massen gewesen, die jetzt gegen die AfD auf die Straßen gehen, als man sich gegen Masken- und Impfzwang und die Corona-Diktatur habe wehren müssen?
Kopfschüttelnd (und zugegeben auch mit 2-3 „Scheibenwischern“) stellte ich mich an den Rand des Geschehens, wurde natürlich sofort als „Öko-Faschist“ erkannt, der keine Ahnung habe und sein verlogenes Weltbild bestimmt aus den zwangsfinanzierten Staatsmedien beziehe; ob ich denn auf YouTube nicht mitbekommen hätte, dass während der Corona-Pandemie 20 Kliniken geschlossen wurden? Es entspann sich ein längeres Streit“gespräch“, das aber auf keiner Seite zu einer Veränderung gefestigter Meinungen führte…
Als ich mich bei dem lautstarken Eiferer, der mir bis zu meiner Haustür Geleitschutz gewährte, für seine Einschätzung, ich sei dumm, mit dem Hinweis bedankte, dass ich von Seinesgleichen gerne auch als hirnlos bezeichnet werde, tröstete er mich: hirnlos sei ich gewiss nicht, weil ohne Hirn wäre man ja tot!
Der anschließende Dank eines älteren Herrn aus Osteuropa dafür, dass ich mich gegen diese „Schwurbler“ gestellt hatte, hat mir mehr bedeutet, als die Erkenntnis im umgekehrten Fall, mit welchen Personen und Argumenten ich mich als Opponent gegen die vermeintliche„Corona-Diktatur“ gemein gemacht hätte!
Danke, lieber Michael, für diesen instruktiven Bericht von einem Montag in Leipzig. Ich hoffe, dass Herr Haspelmath diesen Kommentar liest.
Bei Friedenstauben sind oft „Schwurbler“ unterwegs? Und ist es falsch, dass massenweise Intensivbetten abgebaut wurden, als wir sie gerade am meisten brauchten? Ich verstehe ja, dass Menschen Feindbilder brauchen, aber als Christ:innen sollten wir ja gerade konstruktiv miteinander umgehen, und um den richtigen Weg ringen. Die Atombombe für Deutschland (und viele neue Atomkraftwerke) mag jetzt der richtige Weg sein. Aber Lockdowns, Ausgrenzungen, Maskenzwang und Demoverbote waren sicher nicht der richtige Weg – die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind da sehr klar.
Wie bitte? Atomare Massenvernichtungswaffen und neue AKWs sind „der richtige Weg“ und mit den Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens vereinbar? Das aus dem Mund dessen zu hören, der permanent Schuldbekenntnisse fordert, ist schon erstaunlich!
Das habe ich nicht gesagt, das sagen SPD und Grüne – Joschka Fischer und Katarina Barley fordern Atombomben (und deshalb auch Atomkraftwerke) für Deutschland. Als Demokrat bin ich bereit, das zu diskutieren, aber dass die Corona-Demoverbote, die Ausgrenzungen, die Schulschließungen und die Lockdowns ein furchtbarer Fehler waren, das muss man wohl nicht mehr diskutieren. Man müsste es einfach anerkennen, wenn man weithin glaubwürdig sein will. Aber viele ziehen sich leider in die ihre eigenen Blasen zurück, wo sie nur Bestätigung erfahren.
Es langweilt allmählich …
Sie müssen schon aufmerksamer lesen, Herr Haspelmath! Ich schrieb: „bei Friedenstauben und SO WENIGEN Demonstrant:innen“ (hier 25-30 Personen) bestehe die Gefahr, dass sich da Rechte oder Schwurbler:innen versammeln… Und diese subjektive Wahrnehmung bezog sich explizit auf Leipzig und die aktuelle Zeit!
Auch brauche ich keine Feindbilder – wofür eigentlich? Für meine Zufriedenheit, mein Wohlbefinden? Danke, da reichen mir gelegentliche Tiraden von Herrn Schwerdtfeger vollkommen.
Ob während der Corona-Pandemie „massenweise Intensivbetten abgebaut wurden“, kann ich nicht beurteilen. Ich bin aber naiv genug, darauf zu vertrauen, dass die „Lügenpresse“, bzw. die zwangsfinanzierten Staatsmedien einen solchen Skandal inzwischen aufgedeckt und thematisiert hätten.
Zur deutschen Atombombe hat Christian Wolff schon hinreichend erwidert. Er hat Sie mir gegenüber mehrfach als hochintelligenten Wissenschaftler gepriesen; insofern verwundert mich sehr, warum Sie immer wieder „viele neue Atomkraftwerke“ fordern, deren Nutzung ja nur bei Vernachlässigung der Vollkosten zu rechtfertigen wäre und unter Ausblenden weiterer Katastrophen wie Fukushima oder Tschernobyl!
Von „Schwurbler:innen“ rede ich, wenn wir heute immer noch und immer wieder das Thema Umgang mit der Corona-Pandemie aufwärmen, weil ich mich noch gut erinnern kann, dass 2020/21 Bill Gates uns mithilfe der Zwangsimpfung Chips einpflanzen wollte, verschiedene Verschwörungstheorien aufgestellt wurden (die Chinesen, die da oben, die Pharma-Riesen usw. sind Schuld) und es grundsätzlich immer um die Aufhebung der Grundrechte ging, wenn neue Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen diskutiert/eingeführt wurden (differenzierte Betrachtungen, z.B. die von Heribert Prantl nehme ich explizit davon aus!). Ich habe bereits vor einiger Zeit geschrieben, dass im Nachhinein betrachtet sicher nicht alle eingeführten Schutzmaßnahmen tatsächlich, oder in solchem Umfang notwendig bzw. sinnvoll waren. Aus Fehlern können und müssen wir lernen! Aber die Entscheider:innen mussten damals schnell und ohne Erfahrungswerte handeln; insgesamt haben sie Deutschland, nach meiner Ansicht, damit ganz gut durch die Pandemie gebracht…
Bei den Intensivbetten kann ich Ihnen helfen:
Hier der link zur offiziellen Seite des DIVI Intensivregisters des Robert Koch Instituts :
https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen
Im 3. Diagramm ist die Gesamtzahl der Intensivbetten angegeben. Sie ging von 31000
im Jahr 2020 auf ca. 22000 Ende 2022 zurück und sinkt seitdem weiter: Stand heute hat sich die Zahl der Intensivbetten im Vergleich zu 2020 halbiert.
Offensichtlich gehört eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung nicht zu den Prioritäten unserer Regierung.
Deshalb : Bleiben Sie gesund!
Lieber Herr Schwerdtfeger: Schön, dass Sie aus fehjlern lernen wollen – aber was haben unsere Regierungen in der Corona-Zeit überhaupt richtig gemacht (außer die Impfungen kostenlos bereitzustellen)? Soweit ich sehe, war fast alles falsch: Kontaktverbote, Demo-Verbote, Gottesdienstverbote, Schulschließungen, Reiseverbote, Zwangsquarantäne, Zwangstestungen der Schüler, Pressezensur (die Sozialmedien durften ein Jahr lang nicht über die Labortheorie berichten). War das nicht die schlimmste politische Fehlleistung der letzten Jahrzehnte? Wie können Sie meinen, man solte dieses Thema (das momentan vor allem der AfD nützt) nicht mehr ansprechen. (Und übrigens: Ich habe mich nicht für neue AKWs oder Atombomben ausgesprochen – das haben SPD und Grüne gemacht. Aber ich fand es zumindest diskutierenswert, im Gegensatz zur Verunglimpfung der Lockdowngegner als „Schwurbler“.)
Am 1. Dez. 2023 schrieb uns Wolff: „Darum hat der mediale Panikmodus relativ leichtes Spiel. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass die Ampel-Parteien das Wechselspiel von Konsens und Diversität noch nicht beherrschen.“ Jetzt gibt es eine neue Erkenntnis: „Unser Grundproblem ist nicht das manchmal kryptische Agieren der Bundesregierung, sind nicht die vielen ungelösten Herausforderungen im Blick auf den Klimawandel, ist nicht der marode Zustand der Deutschen Bahn, sind nicht Streiks und Protestaktionen gesellschaftlicher Gruppen. Als Hauptproblem erweist sich, dass rechtsextremistische Zirkel seit Jahrzehnten systematisch an der Zerstörung der freiheitlichen Demokratie arbeiten.“ In Wirklichkeit, so fürchte ich, ist die erste Erkenntnis wohl die richtigere; in der zweiten dagegen werden Ursache und Wirkung verwechselt: Das „kryptische Agieren“ einer zerstrittenen und nicht zur Schwerpunktsetzung fähigen Regierung treibt die Wähler in die Arme des Populismus. Man sollte nicht vergessen, dass das anwachsen der Rechtspopulisten seit Beginn der Ampel dramatisch zugenommen hat.
Die Wolff’sche Schlussfolgerung „Politik muss sich an der demokratischen Wachheit der Bürger:innen ausrichten. Politik kann sich, das zeigen die Massendemonstrationen, auf das Demokratiebewusstsein der Bürger:innen verlassen“ ist freilich eben genau nicht die Konsequenz, die „Politik“ aus den gegenwärtigen Demonstrationen ziehen muss. Diese Konsequenz muss vielmehr lauten: „Die (deutsche) Politik“ muss die offensichtlichen Probleme lösen, im Verbund mit Europa, mit den USA und der NATO. Denn das anwachsen des (rechten) Populismus ist die Angst vor der Bedrohung aus vielen Richtungen – absinken des Wohlstandes, Vernachlässigung der Sicherheit im Inneren und Äußeren, Überforderung durch illegale Migration – und dies passiert nicht durch unentwegten Ampelstreit und Verzicht auf Politik, sondern eben durch kraftvolle Schwerpunktsetzung und Priorisierung, von denen das wählende Volk nicht durch ständiges Zögern und Ändern, sondern durch gute Argumente und Sicherheit ausstrahlendes Handeln überzeugt werden muss..
Wie erfrischend ist doch da Ihre Einsicht, lieber Herr Wolff, die Sie freundlicherweise von mir übernommen haben: „Es kommt jetzt nicht darauf an, die eigenen politischen Vorstellungen zum Maßstab aller Dinge zu machen.“ Wenn Sie das schaffen, dann sind wir wirklich einen großen Schritt weiter.
Hoffnungsvoll grüße ich Sie also.
Andreas Schwerdtfeger
„die im ländlichen Raum endlich die innere Immigration beenden “
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Sollte es nicht eher „innere Emigration“ heißen? So jedenfalls haben in der DDR viele ihren Gemütszustand beschrieben, wenn sie abends das Westfernsehen einschalteten.
Sie haben recht. Danke.