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SPD nach dem Mitgliedervotum: Jetzt die Chancen des Aufbruchs nutzen!

Ja, ich hatte mir eine andere Doppelspitze gewünscht: Michael Roth und Christine Kampmann. Aber hätte sich dieses Paar gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz durchgesetzt – es wäre ein ähnliches, mediales Lamento angestimmt worden wie jetzt, da Norbert Walter-Borjans und Saskia Eskin die designierten Vorsitzenden der SPD sind. Darum die gute Nachricht vorneweg: Endlich ist es vorbei, das Vorsitzenden-Casting der SPD! Hoffentlich der letzte Ausfluss einer zerrütteten Parteizentrale, die seit Jahren den Niedergang der SPD befördert hat – zuletzt mit der Absurdität, die Kandidatenkür über Wochen zu strecken und während drei Landtagswahlkämpfen in ostdeutschen Bundesländern durchzuführen. Nun haben die SPD-Mitglieder mit klarer Mehrheit Walter-Borjans und Esken zum Vorsitzendenpaar für den Parteitag nominiert – und allein die Tatsache, dass es zwei Sozialdemokrat/innen sind, die vor August 2019 niemand auf dem Schirm hatte, sorgt dafür, dass alles neu sortiert werden muss. Ohne einen solchen Start keine Erneuerung. Denn diese hat ja bis jetzt nicht wirklich stattgefunden. Dass viele Medien mit dem Votum der SPD-Mitglieder fast noch größere Schwierigkeiten haben als Führungsriegen historisch gewachsener Institutionen, sei am Rande bemerkt. Hoffentlich befördert diese Situation eine programmatische und organisatorische Neuausrichtung der SPD. Es ist die letzte Chance. Darum verdienen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken jetzt allseitige Unterstützung innerhalb der SPD. Alles Gerede, sie seien unerfahren und keine Sympathieträger, sie seien nicht ausreichend vernetzt und könnten es nicht, sollte verstummen – bis zu dem Zeitpunkt (der hoffentlich nicht eintritt), dass sie die jetzigen Negativschlagzeilen durch eigenes (Zu-)Tun gerechtfertigt werden.

Der SPD-Parteitag am kommenden Wochenende muss aber nicht nur die Doppelspitze wählen, sondern auch den Vorstand neu besetzen. Da ist es ein gutes Signal, dass Klara Geywitz ihre Kandidatur als stellvertretende Parteivorsitzende in Aussicht gestellt hat. Denn eines muss der SPD und ihrer neuen Doppelspitze klar sein: Ohne eine wieder belebte SPD in den ostdeutschen Ländern kann sie bundesweit nicht über 20 Prozent kommen – einmal ganz abgesehen davon, dass die SPD in Ostdeutschland eine sehr junge Partei ist. Da muss die Gesamtpartei kräftig investieren und das Personalangebot aus den ostdeutschen Landesverbänden annehmen. Vor allem aber muss die SPD alles dafür tun, dass sie ihre Basis in den Kommunen nicht weiter schmälert. Die Wiederwahl von Burkhard Jung (SPD) zum Oberbürgermeister von Leipzig am 2. Februar 2020 erfährt da eine besondere Bedeutung. Die neue Parteispitze wird gut daran tun, das Ziel strategisch zu unterstützen – zumal Burkhard Jung in einem nicht parteipolitisch gebundenen Amt gezeigt hat, wie sich sozialdemokratische Grundsätze in konkretem Handeln umsetzen lassen.

In den nächsten Wochen wird aber entscheidend sein, dass die SPD endlich zwei Sackgassen verlässt bzw. sich da nicht länger hineindrängen lässt:

  • Sackgasse eins: Das ewige sich Abarbeiten an der Agenda 2010. Nicht sie kann und darf Negativ-Maßstab für das politische Handeln sein, sondern es müssen jetzt die politischen Entscheidungen auf den Weg gebracht werden, die der sozialen Gerechtigkeit dienen und denen zugutekommen, denen es an gesellschaftlicher Teilhabe mangelt.
  • Sackgasse zwei: Die leider nicht nur medial, sondern auch innerparteilich hochgezogene Frage: „Große“ Koalition ja oder nein, drin bleiben oder die Regierungsbeteiligung platzen lassen. Die SPD muss eine ganz andere Frage beantworten: unter welchen Bedingungen sie am besten ihre Programmatik umsetzen kann. Vielleicht erweist es sich jetzt als große Chance, eine Parteiführung zu haben, die programmatisch unabhängig von Regierung und Fraktion handeln kann – und so dafür sorgt, dass Regierungshandeln zu einem dynamischen Prozess wird. Eines aber sollte auch klar sein: Das Mitgliedervotum zur Doppelspitze war kein Votum gegen die Regierungsbeteiligung der SPD auf Bundesebene.

Nun wird es darauf ankommen, dass die Sozialdemokratie programmatisch wieder interessant und attraktiv wird für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es wird nur gelingen, wenn die SPD Themen aufwirft und diese inhaltlich entfaltet, durch die wieder viele Bürgerinnen und Bürger angesprochen werden können: friedenspolitische Ausrichtung des vereinten Europas; Klimaschutz und diesem angepasste Mobilität; Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt als Ziele der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik; Bedeutung und Anwendung von digitaler und analoger Kommunikation in der Bildungspolitik und Demokratieentwicklung; positive Verankerung der Grundwerte der Verfassung im gesellschaftlichen Alltag. Nur wenn es gelingt, dafür Menschen innerhalb und außerhalb der Partei in Anspruch zu nehmen, wird die Sozialdemokratie das Label „Auslaufmodell“ ablegen können. Hoffen wir, dass wir am kommenden Wochenende eine SPD im Aufbruch erleben. Vielleicht hilft ja den Delegierten, sich vom Bibelwort für den 2. Advent motivieren zu lassen: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Die Bibel: Lukas 21,28)

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19 Antworten

  1. Hallo, Herr Lerchner,
    stolz verkünden Sie, daß Sie durch mich „natürlich“ nicht widerlegt sind bzgl der sozialen Aspekte der HongKong-Frage. Da haben Sie Recht – und das liegt daran, daß ich Ihre Anmerkungen dazu (denen man inhaltlich durchaus zustimmen kann) nur in dem Sinne kommentiert habe, daß Sie diese Zustände auf den „blanken britischen Kapitalismus“ zurückführen, während ich sie für ein Ergebnis des „blanken chinesischen Kapitalismus’“ halte, der seit gut 20 Jahren in HongKong und schon deutlich länger in allen großen Städten Festlandchinas herrscht. Man muß im demokratischen Diskurs eben zuhören bzw richtig lesen. Und was Ihre sonstigen China-Anmerkungen angeht, so erinnern sie mich an Gabor Steingart, „Weltbeben“, S. 95: „Nicht nur Sprengstoff, auch Naivität kann tödlich sein“. Daran ändert auch nichts, daß Sie mein China-Bild für veraltet halten, was ja eine sehr riskante Ansicht ist (da Sie gar nicht wissen, wann und wie ich es mir bilde).
    Zurück zum SPD-Parteitag: Vor einiger Zeit schrieb uns Herr Wolff zum Thema Seehofer, dieser sei als Löwe abgesprungen und als Bettvorleger gelandet. Es scheint mir, die neue SPD-Führung sei auf eben diesem Weg. Ob das ein Aufbruch ist, den man nutzen kann?
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  2. Wenn es keine Grund gibt, „sich von Propaganda in die Irre führen zu lassen“, dann sollte Sie das auch nicht mit sich machen lassen, Herr Lerchner. Ihre Beispiele HongKong und Griechenland sind ziemlich untauglich.
    Es ist geradezu lustig, wie Sie die Misere in HongKong dem blanken britischen Kapitalismus zuschreiben, wo sie diesen doch – und alle von Ihnen geschilderten Zustände – in jeder chineischen Stadt antreffen können: Von Harbin bis Guangzhou, von Shanghai bis Kashgar, in Kunming und Chongqing, in Nanjing und Lanzhou und Urumqi – es gibt in China keine Stadt, einschließlich Peking, in der nicht eine erhebliche Zahl von Millionären neben sehr vielen „Käfigmenschen“, Arbeits- und Obdachlosen, Wanderarbeitern, etc. wohnen. Es handelt sich nicht um ein britisches Erbe sondern – in erheblichem Umfang – um asiatische Mentalität, die nicht im Staat sondern in der „Gruppe“ – Familie, Arbeitseinheit, Kollegenkreis – den sozialen Rahmen und die soziale Verantwortung sieht. Die von Ihnen für HongKong geschilderten Zustände gibt es deshalb durchaus auch in anderen asiatischen Metropolen: Bangkok, Hanoi, natürlich auch in Bangladesh, Indien und Pakistan. Fahren Sie mal hin und schauen sich um!
    Und Griechenland, wo ich ebenfalls drei Jahre bei der Regierung akkreditiert war. Griechenland ist nicht durch IWF und EU in die Klemme manövriert worden sondern durch seine jahrzehntelange durch alle Schichten vorhandene Korruption und natürlich durch seine Zahlenmanipulationen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt, als es dafür eigentlich noch nicht reif war. Mehr als 50.000 Menschen wurden während meiner Zeit dort bei einem Regierungswechsel entlassen und durch Parteigänger der neuen Regierung ersetzt und in (teure) Pension geschickt. Niemand zahlte für sein Grundstück/Haus Steuern, weil es sich im permanenten Zustrand des „Bauens“ befand und nur für fertige Häuser Steuern zu zahlen waren. Das Problem der Fortführung von Renten und Zuwendungen für nicht berechtigte Personen war schon damals bekannt. Die griechische Moral war: Die EU zahlt ja, warum also sich anstrengen. Das alles ist keine Anklage gegen Griechenland oder die Griechen – aber schuld an ihrer Misere sind sie, ist nicht die Welt um sie herum. Und daß China sich in Piräus engagiert, geschieht wohl kaum aus grösserer Landesliebe der Chinesen als Europa sie aufbringt. China sucht Stützpunkte in aller Welt, von denen aus es beobachten, steuern, regeln und Einfluß ausüben kann – das Mittelmeer ist eine besonders aktive Handelszone zwischen drei Kontinenten und es hat herausragende strategische Bedeutung. Deshalb ist China dort vertreten.
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Hallo Herr Schwerdtfeger,

      meine Kritik, dass beim gegenwärtigen Hong-Kong-Hype die sozialen Aspekte vernachlässigt werden, haben Sie natürlich nicht entkräftet. Ob die Verhältnisse in Harbin, Guangzhou, Shanghai, Kashgar, Kunming, Chongqing, Nanjing, Lanzhou und Urumqi so krass sind wie die in Hong Kong beschriebenen, kann ich so schnell nicht prüfen. In Hanoi war ich allerdings öfters. Ich habe dort Freunde, die seinerzeit in Leipzig studiert haben. Und dort (in Hanoi) sind die Verhältnisse nicht so wie von Ihnen beschrieben. Deshalb bin ich etwas misstrauisch gegenüber Ihren so selbstsicher klingenden Verkündigungen.

      In Sachen Griechenland sind Sie aber ganz offensichtlich nicht der Experte, für den ich Sie gehalten habe. So viele verschiedene Akkreditierungen bringen es vielleicht mit sich, dass man nicht die Zeit findet, den Dingen immer auf den Grund zu gehen. Die schlimmen Auswirkungen der erzwungenen Austeritätspolitik auf Griechenlands Volkswirtschaft sind ja nun wahrlich gründlich analysiert worden. Fahren Sie nicht in der Welt herum, sondern studieren Sie lieber die Fachliteratur! Bei deren Auswahl bin ich Ihnen gern behilflich. Entscheidend war damals die richtige Einschätzung der fiskalischen Multiplikatoren. Diese geben die Änderung des BIPs bei einer bestimmten Änderung der staatlichen Ausgaben an. Es sollte jedem klar sein, dass in der Krise Spardiktat zu BIP-Einbußen führt. Die Frage ist, wie stark der Effekt ist. Der IWF lag besonders bei Griechenland chronisch falsch. Der Abfall im BIP war in der Regel ungefähr doppelt so groß wie prognostiziert (0,9 – 1,7 statt 0,5). Daraus folgte dann am Ende dieser gewaltige Verlust an Wirtschaftskraft.

      Und nochmals beste Grüße,

      Johannes Lerchner

  3. Auch Ihnen einen guten Tag, Herr Lerchner – es macht Freude, Ihre Beiträge zu lesen, auch wenn man ihnen (Ihnen) nicht zustimmt. Es ist wohl kaum „Hetze“ gegen die SPD, wenn man ihren Parteitag als einen ziemlichen „Angst“-Parteitag beschreibt – selten hat es mehr Versprechungen und Phantasien gegeben, mit denen man diese Angst vor dem Wähler zu bekämpfen suchte –, und wenn man das neue Führungsduo als eher farblos und sicher nur als Zwischenlösung ansieht – zwei langweilige, abgelesene, wenig motivierende Reden mit, wie gesagt, Sozialträumereien, die in den Staatsruin führen würden.
    Ihre drei Thesen sind ja aus diesem Parteitag abgeleitet:
    1. Die schwarze Null sowie die Schuldenbremse, alles mit einer noch einigermaßen realistsischen SPD zusammen eingeführt, sind natürlich sinnvoll, wenn man die Prämissen richtig formuliert. Uns wird eingeredet, die Alternative sei: Schwarze Null oder Investieren. Diese Alternative ist natürlich falsch, die richtige lautet vielmehr: Investieren oder Konsumieren. Der Staat hat gerade in den letzten Jahren reichlich Mittel gehabt – er hat sie in Sozialmaßnahmen ungeahnten Ausmaßes gesteckt und dadurch verschwendet. Nicht einmal ernsthaft Schulden abgebaut hat er, wie es doch in „reichen“ Zeiten notwendig wäre, wenn man schon die umgekehrte These, in „armen“ Zeiten zu investieren, richtigerweise betont. Selbstverständlich würde die Abkehr von der jetzigen Politik die nächsten Generationen belasten; selbstverständlich ist eine Sozialstaatsausuferung, wie sie die SPD jetzt propagiert, schädlich; selbstverständlich ist offensichtlich, daß unser Staat massenhaft Geld hat, es aber unter dem Druck der öffentlichen individualisierten Erwartungshaltung falsch ausgibt. Die SPD wird mit immer mehr Versprechungen, die anderer Leute Geld kosten, immer mehr Wähler verlieren. Herr Müller, Berlin, hat eine nette Rede gehalten – von „seinen“ kostenfreien KiTas (die in Wirklichkeit mit bayerischem Geld bezahlt werden), von seinem Mietdeckelgesetz, das in kürzester Zeit die Wohnungsnot in Berlin dramatisch verschärfen wird; von seinem Freud’schen Ausrutscher, als er anstelle des „Föderalismus“ vom „Förderalismus“ sprach. Unser Staat ist nicht „fiskalisch stranguliert“ – er verschwendet nur sein Geld anstatt es zu investieren!
    2. Es ist interessant, wie das Klimaproblem – ohne Zweifel vorhanden – immer „finanzneutral“ für die „kleinen Leute“ dargestellt wird: Abgaben erhöhen und „Ausgleich schaffen“ – was sich ja in Wirklichkeit dann als Quadratur des Kreises darstellt: Entweder wird’s teurer oder man hat kein Geld dafür. Interessant ist ja auch, daß alle Leute für die Verbesserung des Klimas sind, aber bitte nicht durch Erhöhung der Benzinpreise, aber bitte nicht durch das Windrad nebenan, aber bitte nicht durch die Stromtrasse unter/über meinem Acker, etc. Dieselben Leute, die am eifrigsten für die Klimawende eintreten, handeln, denken und äußern sich nach dem St-Florians-Prinzip. Und: Die Grünen, die dieses Thema ja am nachdrücklichsten vertreten, bleiben vage, wenn es darum geht, den „kleinen Mann“ mitzunehmen, der ihre ganzen Ideen mitbezahlen müsste, dies aber nicht kann.
    Eines steht fest: Herr Wolffs schönes Tempolimit – mich stört es nicht – ist angesichts der vorhandenen Limits für Pkw auf vermutlich mehr als zwei Dritteln unseres Netzes und dem bereits vorhandenen Limit für Lkws wieder mal „Zeichen setzen“ anstelle von „Problem lösen“.
    3. Ja, und Ihr drittes Thema – wie schön es klingt. Ich war vier Jahre als Diplomat bei der chinesischen Regierung akkreditiert, mit Nebenakkreditierung in Ulan Bator, Mongolei; einem Großen also und seinem kleinen Nachbarn. Ihre Ausführungen zu China zeigen, verzeihen Sie, eine erschütternde Unkenntnis Chinas und eine ebenso erschütternde Unkenntnis der Ängste bzw Unterwerfung seiner Nachbarn. China ist eine beeindruckende Militärmacht und spielt diese Macht in skrupelloser Weise aus – im südchinesischen Meer und gegenüber Japan am offensichtlichsten, im Indischen Ozean und bis zur afrikanischen Ostküste am expansivsten; gegenüber seinen kleineren Nachbarn, Mongolei aber auch Zentral- und Südostasien, am nachdrücklichsten. China ist in den letzten wenigen Jahrzehnten nicht nur Weltraummacht geworden und wird weniger Hemmungen als alle anderen haben, diesen zu militarisieren, wenn es dazu eine Notwendigkeit sieht; es hat ebenso seine Nuklear-, Luft- und Seestreitkräfte in Richtung globale Machtprojektion weiterentwickelt und nutzt sie auch durch bisweilen wenig diskreten Druck in seiner auswärtigen Politik. China kontrolliert komplett alle seine international tätigen Konzerne und integriert diese in sein weltweites System zum Sammeln von Nachrichten, zum Ausspionieren von Schlüsseltechnologie, zur Formulierung seiner Außenpolitik. Und China sperrt sich gegen jede Multilateralität in sicherheitspolitischen Foren und lehnt deshalb auch bisher jegliche Teilnahme an Rüstungskontrollmaßnahmen mit den dazu notwendigen Verifizierungsregimes ab. Die „neue Seidenstrasse“, ebenso wie Chinas wirtschaftlich getarntes Auftreten in einer großen Zahl afrikanischer Staaten, ist eine besonders aggressive Form von Kolonialismus, die dem unterstützten Land wenig, seinem Diktator viel, und China die Stimmen dieser Länder in der UNO und einen großen Teil ihrer Ressourcen einbringt. Dieser Kolonialismus ist im übrigen militärisch unterstützt, den ein großer Teil des eingesetzten Personals hat einen militärischen Hintergrund.
    4. Das leidige 2%-Ziel! Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und Verteidgungsminister Struck haben diesem Ziel auf dem Prager Gipfel 2002 zugestimmt, um nicht zu sagen: es mit formuliert. Merkel und Steinmeier haben es dann in Wales 2014 mit bestätigt. Das 2%-Ziel war also einmal SPD-Verteidigungslogik. Man darf selbstverständlich seine Meinung ändern, aber nicht mit Schlagworten wie „Demilitarisierung der Außenpolitik“, die nichts besagen und nichts bewegen, solange sie nicht eine „andere“ Außenpolitik wirksam bescheiben können. Auch das schöne Wort „Ausrüstung ja, Aufrüstung nein“ ist populistisches Schlagwort, wie überhaupt Walter-Borjans Ausführungen zur Sicherheitspolituik von erschreckender und populistischer Unsachlichkeit gekennzeichnet waren. Nochmal also: Streitkräfte sind EIN unverzichtbares und wichtiges Mittel wirksamer Außenpolitik und dies zunächst durch ihre Existenz und dem durch diese ultima ratio verliehenen Gewicht dieser Politik. Daß sie bestenfalls gar nicht, nötigenfalls NUR im Konzert mit anderen Instrumentarien der Politik eingesetzt werden sollten, versteht sich von selbst. Daß sie ein politisches Problem nicht lösen sondern nur Zeit für die Lösung des Problems auf andere Weise und bei richtigem Einsatz eine De-Eskalation im Krisenraum schaffen können, muß dabei von den sie einsetzenden Politikern verstanden werden; ebenso wie ein Einsatz nur erfolgen sollte, wenn VORHER eine Lageanalyse erfolgt ist, die zur Formulierung eines eindeutigen strategischen Ziels und einem daraus abgeleiteten Mandat geführt hat. Im übrigen sind Streitkräfte, im internationalen Verbund eingesetzt, ein sehr starkes Zeichen internationaler Solidarität und Einigkeit.
    2% – ja oder nein? Es ist natürlich bedauerlich, aber leider ist ja festzustellen, daß ein überwiegender Teil eines jeden (westlichen) Verteidigungshaushaltes gar nicht in Rüstung geht – Besoldung, Instandhaltung von Liegenschaften, Rechtspflege, Logistik, Ausbildung, Verwaltung, etc; alles Verteidigungshaushalt. Insofern ist schon die ständige Gleichsetzung von 2% und (Auf-)Rüstung völliger Unsinn – wie auch die sogenannte Demilitarisierung der Außenpolitik.
    Seien sie gegrüßt,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Hallo Herr Schwertfeger,

      schön, dass Sie auf meine Kommentare eingegangen sind. Danke! Ich möchte mich auf die China-Frage beschränken. Sie bewegt und beschäftigt mich sehr. Besteht doch die Gefahr, dass sich die Europäer in den an Brisanz zunehmenden Konflikt zwischen der absteigenden Weltmacht USA und der aufstrebenden Weltmacht China hineinziehen lassen, sehr zum Schaden aller. Manche Experten sind leider ziemlich pessimistisch und erwarten, dass es ohne einen militärischen Schlagabtausch zwischen beiden Staaten nicht abgehen wird. Die Amerikaner werden den Chinesen das Feld nicht freiwillig überlassen.

      Meine These war, dass China ein Beispiel dafür ist, wie auf friedlichem Wege Einfluss und Macht in der Welt errungen werden kann. Wenn Sie dem etwas Überzeugendes entgegensetzen wollten, sollten Sie Beispiele nennen, bei denen die Chinesen sich durch Subversion, Geheimdienstoperationen oder direkter militärischer Intervention in die Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt haben, um günstige politische Bedingungen für die Durchsetzung ihrer ökonomischen Interessen in dem entsprechenden Land zu schaffen. Die Diskussion dementsprechender, von der amerikanischen Konkurrenz zu verantwortender Fälle führte sicherlich zu einem Abend füllenden Programm.

      Ich will Ihnen ja Ihre China-Expertise nicht absprechen. Bei Ihren Einlassungen zur Militär- und Sicherheitspolitik Chinas verbergen Sie diese aber geschickt. Gewiss hat sich China in den vergangenen 15 Jahren zu einer bedeutsamen Militärmacht entwickelt. Wie Fachleute einschätzen, strebt China aber auch bei seiner aktuellen Militärdoktrin der „aktiven Verteidigung“ nach einem friedlichen, kooperativen Umfeld für seine weitere Entwicklung an (M. Taylor Fravel, Active Defense. China’s Military Strategie since 1949. Siehe auch FAZ vom 23. Juli 2019). Dem Land aggressives militärisches Verhalten zu unterstellen, ist eine groteske Überzeichnung der Realität. Ich lese bei Ihnen viele Behauptungen aber wenig über Fakten. Das Nukleararsenal mit geschätzten 300 Sprengköpfen ist kleiner als das Frankreichs und genügt ganz sicher nicht global-strategischen Ambitionen. Chinas Militärhaushalt ist mit 150 Mrd. US-Dollar (1,3 % des BIP) zwar rund 900 Prozent höher als Anfang der 90er Jahre, beträgt aber immer noch nur ein Viertel des amerikanischen (3,4 % des BIP), Tendenz abnehmend [SB]. Die Ausreden „niedrige Personalkosten“ und Technologieklau (z. B. F35-Konstruktionsunterlagen) überzeugen wenig. China verfügt nur über einen Bruchteil an Waffensystemen im Vergleich zu den USA. Übrigens: die im Sommer 2017 eröffnete Militärbasis in Dschibuti dient vorrangig als Logistikdepot für internationale Anti-Pirateneinsätze der chinesischen Marine und ihre Blauhelmsoldaten in der Region. Mit 35 000 Mann stellen die Chinesen von Letzteren mehr als alle anderen Mitglieder des Sicherheitsrates zusammen [SB]. Selbstverständlich bemüht sich China, die Schifffahrtswege für seine Warenströme auch militärisch abzusichern (erinnern Sie sich an das Gezeter im Sommer dieses Jahres, doch bitte, bitte die Bundesmarine in die Straße von Hormus zu schicken?). Die Hälfte der chinesischen Exporte geht nach Asien und von dort bezieht das Land 60 % seiner Importe [SB]. Durch das leicht verwundbare Nadelöhr der Straße vom Malakka bezieht China rund drei Viertel seiner Ölimporte [SB]. Das Trauma der Seeblockade während des Koreakrieges ist nicht vergessen. Heute stellt das in seiner Nachbarschaft stationierte amerikanische THAAD-Raketensystem Chinas Zweitschlagfähigkeit in Frage. Auch die in Korea stationierten 30 000 US-Soldaten sind ein Sicherheitsproblem für die Chinesen. Soviel zur Friedfertigkeit und Aggressivität Chinas, was mein eigentlicher Punkt war.

      Über die anderen von Ihnen angesprochenen Aspekte kann man auch ausführlich diskutieren. Ich will es aber kurz machen. Den Kolonialismus-Vorwurf finde ich obszön, besonders, wenn man an die Leiden denkt, die Europäer und Japaner dem chinesischen Volk in der Vergangenheit zugefügt haben. Schwingt bei den Chinesen bei all ihren „Untaten“ vielleicht der Gedanke der Wiedergutmachung mit? Sind die 5000 Teilnehmer aus mehr als 150 Ländern des im Frühjahr dieses Jahres in Peking stattgefundenen „Belt and Road Forums“, darunter 37 Staats- und Regierungsoberhäupter, unter dem Druck von Kanonenbooten erschienen? Dass die fehlende Infrastruktur in den armen Ländern ein wesentliches Entwicklungshemmnis ist, steht außer Frage. Wenn die Art und Weise, wie die Chinesen hier Abhilfe schaffen, so schlimm ist, warum gibt es dann vom Westen keine faireren Angebote? Der von mir angeführte Griechenland/Piräus-Fall spricht doch Bände! Sie müssten das nachvollziehen können, als auch der Griechenland-Experte, als der Sie sich vor einiger Zeit hier auf diesem Blog geoutet haben. Über die unrühmliche Rolle, die der IWF in den Entwicklungsländern spielt bzw. gespielt hat, ist schon viel geschrieben worden, z. B. von Heiner Flassbeck (ehemaliger Chef-Volkswirt der UNCTAD). Es stimmt, viele Gelder landen leider in den Taschen korrupter Eliten in manchen Entwicklungsländern. Ist das neu? Ist das ein spezifisches China-Problem? Sicherlich nicht, wenn man z. B. an das Wirken der Franzosen in ihren ehemaligen Kolonien denkt. Lassen Sie mich es hiermit bewenden.

      Nur noch eine Bemerkung am Rande: Sie beziehen sich bei Ihren Meinungsäußerungen auf Einblicke, die Sie in Ihrem früheren Berufsleben gewonnen haben. Kann es sein, dass diese nicht mehr so richtig ‚up-to-date‘ sind? Ich konstatiere nämlich, dass Leute mit aktueller China-Erfahrung zu deutlich differenzierteren Einschätzungen kommen als Sie. Zum Auffrischen des Kenntnisstandes empfehle ich Ihnen (und allen anderen China-Interessierten) „Die Chinesen – Psychogramm einer Weltmacht“ (Econ 2018), geschrieben von Stefan Baron und seiner chinesischen Ehefrau, langjähriger Chefredakteur der Wirtschaftswoche und Mitarbeiter am Kieler Institut für Weltwirtschaft (Die von mir mit [SB] gekennzeichneten Passagen sind mehr oder weniger frei zitiert aus diesem Buch).

      Mit freundlichen Grüßen,

      Johannes Lerchner

  4. Lieber Johannes Lerchner,
    erhellend und nachdenkenswert, ihr Beitrag! Grundsätzlich kann ich da sehr weit mit gehen.

    Abkehr von einer tumben Marktgläubigkeit hin zu einer stärkeren Rolle des Staates – ja, wenn es bedeutet, dass gesellschaftliche (Folge-) Kosten von Angeboten und Entscheidungen berücksichtigt werden müssen und die stärkere Rolle des Staates auf Basis von (in breitem Konsens gefundenen) Werten und nicht aufgrund von Lobby-Interessen basiert. Im vorherigen Blog („Unzeitgemäß“) hatte ich mir deshalb auch eine „politische(re)“ Kirche gewünscht. Ist dies gegeben, sind die aktuellen Diskussionen zur Schuldenbremse oder Schwarzen Null in der Tat obsolet.

    Vertrauen schaffen, dass Transformationskosten des Klimawandels gerecht verteilt werden – ja, das ist Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Einstieg in diese Transformation. Nicht ganz so sicher bin ich, dass das primär über mehr Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor machbar ist; im Dienstleistungssektor (z.B. bei Bildung, Pflege oder Logistik) kann ich mir durchaus auch private Initiativen vorstellen.

    Demilitarisierung der Außenpolitik – ich sehe unsere Außenpolitik nicht so sehr militarisiert, folge ihnen aber voll beim Infrage stellen des 2% Ziels. Und ja, ein latent wachsendes China-Feindbild halte auch ich für falsch; die Seidenstraßen-Initiative sehe ich allerdings mit sehr gemischten Gefühlen (sie schafft schnell immense wirtschaftliche Abhängigkeiten von Staaten/Regionen). Generell denke ich, dass wir uns (in Deutschland und Europa) intensiv Gedanken machen müssen, wie wir zum in absehbarer Zeit Global Player No. 1 stehen. Das bloße Schielen auf dessen riesigen Markt und das damit einhergehende Ausblenden aller anderen Fragen (Hongkong), darf unseren Blick nicht länger einengen.

    Ich freue mich auf weitere Anregungen von Ihnen.

    1. Lieber Herr Käfer,

      bezüglich meiner Kritik an der zunehmenden Militarisierung unserer Außenpolitik wollte ich nur darauf hinweisen, dass man zur Weltmacht auch mit friedlichen Mitteln aufsteigen kann. Und das eben auch nachhaltiger. Die USA habe in den von ihnen geführten Kriegen der letzten 30 Jahre ca. 14 Billionen Dollar verpulvert. Bei sinnvollerer Verwendung dieser Ressourcen wären sie vielleicht heute gegenüber Huawei nicht dermaßen im Hintertreffen. Jimmy Carter hat sich vor einiger Zeit in diesem Sinne geäußert.

      Was an dem chinesischen Weg so negativ sein soll, erschließt sich mir nicht. Es mag sein, dass manche Länder unmittelbar aus der Zinsknechtschaft des IFW in die chinesischer Banken geraten sind. Am Ende verfügen diese Länder aber über eine moderne Infrastruktur, auch wenn diese zeitweilig im Besitz chinesischer Eigentümer ist (Hafen und Eisenbahnlinie in Dschibuti, neuer Tiefseehafen in Sri Lanka, Eisenbahnlinie Mombasa-Nairobi, Peljesac-Brücke in Kroatien, Hafenmodernisierung in Triest und Genua). In den „Nachdenkseiten“ wurde das unlängst sehr schön am Beispiel von Sambia dargestellt. Mit der Fokussierung auf Infrastrukturprojekte bietet China ein alternatives Globalisierungsmodell. Man bedenke, dass allein in Südostasien ein Infrastrukturdefizit von ca. 450 Mrd. Dollar existiert.

      Noch ein Beispiel: Bekanntlich haben seinerzeit die harten Auflagen für eine Kreditvergabe an Griechenland durch IWF und europäische Institutionen zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft um fast ein Drittel geführt. Seit dem die chinesische Hafengesellschaft COSCO ca. 1 Mrd. Euro in den Hafen von Piräus investiert hat, hat sich der Warenumschlag verzehnfacht und Piräus hat Valencia als größten Containerhafen am Mittelmeer abgelöst. Die COSCO-Beteiligung ist auf 35 Jahre befristet.

      Das Hong-Kong-Problem wird derzeit am stärksten für antichinesische Propaganda instrumentalisiert. Es wird völlig ausgeblendet, dass die Hong-Kong-Chinesen hauptsächlich unter den Bedingungen eines von den Briten etablierten blanken Kapitalismus zu leiden haben. Es gibt 170 000 Milliardäre aber 20 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze; die Löhne sind in den letzten 10 Jahren um 0.7 % gestiegen, die Mieten dagegen um 250 %; Hunderttausende leben als Käfigmenschen. Hong Kong ist für zahlreiche westliche Konzerne ein Steuerparadies. Dabei wird Hong Kong in seiner wirtschaftlichen Bedeutung immer mehr von Festland-China abgehängt. Nur noch 12 % des chinesischen Handels wird über Hong Kong abgewickelt. Wirtschaftlich potente Festland-Chinesen kaufen Immobilien auf. Die Marktkapitalisierung der chinesischen Börsen in Shanghai und Shenzen ist doppelt so hoch wie die aller Banken in Hong Kong. Die internationalen Finanzkonzerne Blackrock und Fidelity haben sich nicht in Hong Kong angesiedelt, sondern in Shanghai. Natürlich kann man sich die Frage stellen, warum die KP Chinas im Interesse der der Mehrzahl Menschen dem Hong-Kong-Kapitalismus keinen Riegel vorschiebt.

      Eigentlich gibt es keinen Grund, sich von Propaganda in die Irre führen zu lassen.

      Herzliche Grüße,

      Johannes Lerchner

  5. Guten Tag, allerseits,

    Die zunehmende Hetze gegen eine sich abzeichnende mögliche Re-Sozialdemokratisierung der SPD zeigt, wie schwierig eine sachliche politische Debatte ist, wenn es ums Eingemachte geht. Der Auftritt von Friedrich Merz auf dem Landesparteitag der CDU Sachsen-Anhalts am Sonnabend belegt das. Umso erfreulicher ist es, dass mit dem Wolff-Blog ein Podium für konstruktiven Meinungsaustausch existiert, an dem es Spaß macht, sich hin und wieder zu beteiligen.

    Der Idee, die SPD möge Themen aufwerfen und diese inhaltlich entfalten, „durch die wieder viele Bürgerinnen und Bürger angesprochen werden können“ (friedenspolitische Ausrichtung des vereinten Europas; Klimaschutz und diesem angepasste Mobilität; Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt als Ziele der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik usw.), ist natürlich zuzustimmen. Das sollte dann aber auch jedes Mitglied dieser Partei tun, auch hier auf diesem Blog. Auf dem soeben zu Ende gegangenen Parteitag gab es ja erfreulicherweise klare Stellungnahmen z. B. zur Schuldenbremse und zur „Schwarzer Null“.

    Ich nehme an oder hoffe es vielleicht nur, dass es die folgenden Themen sein werden, die demnächst von der SPD in den Vordergrund der Debatte gerückt werden:

    a) Abkehr von der tumben Marktgläubigkeit (z. B. der FDP) und Hinwendung zu einer stärkeren Rolle des Staates, um die verfügbaren realen Ressourcen des Landes (Arbeitskräfte, Energie) zum Wohle der Allgemeinheit nutzbar machen zu können. Der lediglich politisch gewollten aber ökonomisch nicht sinnvoll begründbaren fiskalischen Strangulierung des Staates muss ein Ende gesetzt werden. Die Mythen der „schwäbischen Hausfrau“ und der angeblichen Belastung zukünftiger Generationen sind als Unfug zu entlarven. Deshalb ist die an Fahrt gewinnende Kritik an Schuldenbremse, Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie der „Schwarzen Null“ sehr zu begrüßen (s. SPD-Parteitag).

    b) Vertrauen schaffen, dass die Transformationskosten des Klimawandels nicht den Arbeitnehmern aus den betroffenen Industriezweigen und ihren Gemeinden aufgebürdet und damit die bestehenden gesellschaftlichen Konflikte verschärft werden. Die Fokussierung auf eine CO2-Steuer, so sie denn wirkungsvoll gestaltet ist, wird zu einer Verschiebung der Anpassungskosten auf die ärmeren Bürger führen. Um die Verwerfungen der wirtschaftlichen Umstrukturierungen auffangen zu können und damit die Lohnniveaus, Sozialleistungen und damit die im Laufe des Arbeitslebens erworbenen Ansprüche erhalten bleiben, geht wahrscheinlich kein Weg an der Bereitstellung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor vorbei. Wenn noch bedacht wird, dass sehr schnell und massiv in Nahverkehrsinfrastruktur und die Förderung der Entwicklung umweltverträglicher Technologien investiert werden muss, wird offensichtlich, wie schädlich und sinnlos die derzeit fixierten fiskalischen Beschränkungen für den Staat sind.

    c) Demilitarisierung der Außenpolitik. Die geforderte 2-Prozent-Aufrüstung sollte verhindert werden. Es wäre eine sinnlose Vergeudung von Ressourcen und würde unsere Sicherheit eher beeinträchtigen als erhöhen. Dass man wirtschaftliche Interessen und Einfluss in der Welt auch ohne militärischen Druck durchsetzen und erhalten kann, zeigt China mit seiner Neue-Seidenstraße-Politik. Die Amerikaner unterhalten weltweit ca. 1000 Militärstützpunkte, um ihre Weltmachtansprüche abzusichern. Die „Belt and Road Initiative“ (Neue Seidenstraße) bringt auf friedlichem Wege 60 % der Weltbevölkerung und ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts zusammen. Am Ende werden China die USA abgehängt haben, weil Gewaltpolitik nicht nachhaltig ist. Ein China-Feindbild, an dem z. Z. intensiv gearbeitet wird, sollte zurückgewiesen werden. Deutschlands Sicherheit muss sicherlich nicht im Südchinesischen Meer verteidigt werden. Und das Gerede von einer wertebasierten Außenpolitik war schon immer Propaganda.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Johannes Lerchner

    1. Lieber Johannes Lerchner,
      vielen Dank für die wichtigen Anregungen. Der zurückliegende SPD-Parteitag hat erfreuliche, aber auch überfällige programmatische Klärungen gebracht – auch Dank der Personalentscheidungen, die eben nicht das Inhaltliche überlagert haben (damit haben dann die Medien ihre Probleme). Endlich hat die SPD ein neues Sozialstaatsprogramm aufgelegt – und beendet damit hoffentlich die ziemlich sinnlose Hartz IV Debatte. Jetzt wird es darauf ankommen, dass die SPD dieses breit kommuniziert und den Umsetzungsprozess in der Regierung beginnt – auch wenn zu erwarten ist, dass sich die CDU sperrt. Aber je mehr die SPD drängt, desto eher kann sie bei künftigen Wahlen Vertrauen zurückgewinnen.
      Was den Klimawandel angeht, so sollte die SPD als erste Maßnahme die in der Regierung durchsetzen, die nichts kostet, aber viel bringt: Tempolimit 120 oder 130 auf den Autobahnen. Ansonsten wird es Aufgabe der SPD sein, die notwendigen Maßnahmen so zu gestalten, dass sie sozial verträglich sind – aber die Sozialverträglichkeit darf nicht als Argument gegen notwendige Maßnahmen verwendet werden!
      Ja, es geht um Demilitarisierung der Außenpolitik. Hier spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD Mützenich schon lange eine sehr deutliche Sprache. Die SPD hat sich dem jetzt angeschlossen. Hier sehe ich derzeit weniger die China-Politik gefordert als vielmehr Friedensinitiativen für den Nahen Osten und Afrika. Sehr skeptisch bin ich, was die Einschätzung der Expansionsabsichten Chinas angeht. Auch weiß ich nicht, ob die chinesische Außenpolitik weniger gewalttätig ist als die der USA. Natürlich muss alles vermieden werden, was der Dämonisierung Chinas dient und neue Rüstungsprogramme rechtfertigen soll. Dennoch sollten wir die chinesische Machtpolitik sehr kritisch betrachten.
      Beste Grüße Christian Wolff

  6. Ja, es ist eine gute Nachricht, dass das schier endlose Vorsitzenden-Casting in der SPD (vorläufig) zu einem Ende gekommen ist; ob das Ergebnis die Partei befriedet oder sogar zurück auf die Erfolgsspur bringen kann, vermag ich nicht zu prognostizieren, dafür kenne ich die gewählten Vorsitzenden zu wenig. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich zumindest verinnerlicht, dass sie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans heissen.
    Das Medien-Ballyhoo, von wegen „die können das nicht“, „zu links“ oder „schon vor der Wahl auf dem Parteitag eingeknickt“, wird sich legen. Dann allerdings müssen rasch klare Linien erkennbar werden und zwar, wie Christian Wolff treffend definiert, bei der:

    friedenspolitischen Ausrichtung eines vereinten Europas (im engen Austausch mit Macron)
    beim Klimaschutz und daran angepasster Mobilität (wirksames Klimapaket; klares Verkehrskonzept)
    Integration und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt (individuelle Würde; Recht auf Arbeit und Wohnen)
    Digitalen und analogen Kommunikation (Datenschutz/ –sicherheit; Monopole vermeiden/eindämmen)
    Verankerung der Grundwerte der Verfassung (Bürgerbeteiligung/-engagement).

    Es wäre schon viel gewonnen, wenn diese Themen in den nächsten Monaten die öffentliche Diskussion prägen statt die ewig gleichen Personal-Klischees (Habeck/ Baerbock als Weichspüler; AKK als Saarland-Tölpel; Merkel als Lame Duck; Merz als Königsmörder; Kühnert als Verstaatlichungs-Sozialist; usw) weiter zu bedienen.
    Trump, Putin, Xi Jinping und (mit Einschränkungen) Erdogan und Kim Jong-un werden das Weltgeschehen in den nächsten Monaten weiter maßgeblich beeinflussen – und das nicht unbedingt immer unter rationalen Gesichtspunkten oder nach unseren ethischen Maßstäben.
    Ein starkes, werteorientiertes Europa wäre in diesem Umfeld dringend geboten und eine herausragende Chance für unsere Zukunft! Die Umkehr dieses Satzes gilt aber leider auch.
    Besinnliche Weihnachtstage allen Lesern/Disputanten dieses Blogs wünscht
    Michael Käfer

  7. Zitat A.Schwerdtfeger:
    „Wir haben in Deutschland ein sehr hohes Maß an freiwilliger ehrenamtlicher Beteiligung der Menschen im sozialen Bereich und in öffentlicher Hilfe; ausgenommen von der Bereitschaft zum Mitmachen ist häufig nur das Gebiet der Politik – wie sollte es auch anders sein…“.
    Frage, ohne jede Polemik:
    wie bereit ist denn Herr Schwerdtfeger, sich aktiv in der Politik zu engagiere, oder tut er es bereits? Denn immerhin steckt in seiner Bemerkung der latente Vorwurf der Verweigerung (der Anderen), sich einzubringen.
    Übrigens:
    die Grüne Doppelspitze als „Weichmacher“ zu deklassifizieren erscheint mir unrealistisch; ich gehöre zu denen, die zu dieser Personalia eine eindeutig positive Haltung habe.
    Und ich unterliege jetzt nicht der Versuchung Weichspüler in den anderen Parteien auszumachen – es wäre wenig tauglich und gehört sich auch nicht.
    Ebenfalls einen erhellenden Advent – Jo.Flade

  8. Wenn Walter-Borjans und Eskens jetzt tatsächlich nur mit rund 25% der Stimmen der SPD-Mitglieder gewählt sind, so erscheint es in der Tat müßig, darüber zu streiten, ob man die Wahlverweigerer mitzählen darf oder nicht – eine „klare Mehrheit“ ist es wohl kaum, dafür aber allemal ein trauriges Ergebnis und dies, wie Sie, Herr Wolff, richtig feststellen, nicht so sehr für die SPD sondern für uns alle. Gleichzeitig – leider – ist es so typisch für den offensichtlichen Mangel, der sich in den westlichen Demokratien zunehmend zeigt:
    – Alle reden von und fordern „mehr Demokratie“ (auch mehr „Basisdemokratie“, weswegen sich die SPD ja diesem untauglichen Verfahren der Vorsitzenden-Wahl unterworfen hat) und dann aber nimmt die Hälfte bis ein Viertel nicht daran teil; stattdessen laufen sie ungewählten NGOs hinterher.
    – Es reicht den meisten heutzutage, wenn sie „Zeichen setzen“, d.h. sich auf der Straße tummeln und ein (meist aggressives) Schild hochhalten – dies ist Ausdruck ihres „Widerstandes“, ihrer überlegenen Moral, ihrer höheren Einsicht, die es dann auch überflüssig macht, mit der Gegenseite zu reden oder zu Wahlen zu gehen.
    – Wir haben in Deutschland ein sehr hohes Maß an freiwilliger ehrenamtlicher Beteiligung der Menschen im sozialen Bereich und in öffentlicher Hilfe; ausgenommen von der Bereitschaft zum Mitmachen ist häufig nur das Gebiet der Politik – wie sollte es auch anders sein in einer Gesellschaft und Medienlandschaft, wo ständig zwischen „der Politik“ (anonymisiert und schlimm und abgesetzt von den Bürgern) und der „Zivilgesellschaft“ (konkret mit den Bürgern vernetzt und gut und die Engagierten umfassend) unterschieden wird, obwohl doch genau dieser Unterschied gar nicht existiert.
    Die SPD hat mit Sigmar Gabriel den letzten Langzeitvorsitzenden gehabt. Schulz war erkennbar zu unbedeutend, Nahles ebenso erkennbar zu schrill und kompromißlos, um Chancen auf längere Amtsführung zu haben. Die jetzige Wahl und ihr quälendes Verfahren haben wahrscheinlich wieder nur ein Interimsergebnis gebracht, was nicht an den 25% liegt. Der Polarisierungsprozess im Volke spiegelt sich in den Parteien wider und er spaltet sie. Ausgenommen davon ist augenblicks nur die Grüne Partei, die aus ihrer bisherigen Historie gelernt hat und die zwei Weichmacher an die Spitze gesetzt hat, die dem Volke, das sich ja so nach Harmonie sehnt, ein strahlendes grünes und klimaneutrales Arbeitsparadies mit glücklichen Menschen in allgemeinem Wohlstand verspricht (also alles, was bisher SPD war).
    Die SPD dagegen versucht, das Paradies mit der Realität zu vereinbaren, was sie ehrt. Sie braucht die Union, um sich liebevoller gegenüber den Menschen darstellen zu können, als die Realität es zuläßt. Die Union wiederum hat in der SPD das Alibi, daß soziale und wirtschaftliche Unvernunft und außenpolitisches Unvermögen um des Gesamtergebnisses willen eben hingenommen werden müssen. Beide Parteien verlieren mit diesem Konzept, auch weil beiden Parteien die Spannung zwischen „Volkspartei“ und interner „Polarisierung“ zu schaffen macht. Aber bis zu den Wahlen 2021 wird es wohl noch halten, was dann die morgen zu wählende Interimsführung der SPD schon wieder unglaubwürdig macht. Und weder Walter-Borjans noch Eskens kann man sich ja im Zusammenhang mit der Kanzlerfrage vorstellen. Die SPD wird wohl auf ihren augenblicks einzigen Star Kühnert warten müssen; die Union (vielleicht) auf Linnemann oder (noch vielleichter) auf Söder.
    Mit freundlichem Gruß zur Adventszeit,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. @ Andreas Schwerdtfeger, die Grünen haben „zwei Weichmacher an der Spitze“? Wir werden uns unter einer Bundeskanzlerin Baerbock noch umgucken!

  9. Nach meiner Einschätzung ist die mangelnde Bereitschaft zur Mitgliedschaft in der SPD oder einer anderen demokratischen Partei, das eigentliche Problem der Bundesrepublik. Das hängt sicher auch mit dem „Neubeginn“ nach 1945 zusammen. Ich bin mit mir im Reinem, da ich mit Eintritt in die IG Metall 1958, einem Jugendleiterkurs beim DGB, 1959 den Weg zur SPD gefunden habe. Und heute noch Mitglied bin.

  10. Die stärkste Botschaft, die für mich von dieser Wahl ausgeht, ist die Tatsache, daß sich fast die Hälfte der SPD-Mitglieder dieser Wahl verweigert hat und damit bekundet, daß es fast der Hälfte der SPD gleichgültig ist, wer sie zukünftig führt und wohin. Warum sollte ich als politisch interessierter und nicht an eine Partei gebundener Bürger ausgerechnet an den Gestaltungswillen und an die Gestaltungsfähigkeit dieser SPD glauben und ihren Vertretern in einer Wahl ein Mandat erteilen? Warum sollte ich ferner glauben, daß unsere bedrohte demokratische Grundordnung gut in den Händen einer Partei aufgehoben ist, in der knapp die Hälfte aller Mitglieder das wertvolle Recht auf freie Wahl sogar dann mit Verachtung straft, wenn es zum Entscheid über die eigenen Interessen aufruft? Kann ich von Menschen, die sich noch nicht einmal für ihre eigenen Interessen einsetzen, ernsthaft erwarten, daß sie sich für die Interessen der Gemeinschaft in unserem Staat einsetzen werden? Thomas Fritzsch

    1. Ich fürchte, hier wird den Nicht-Wähler/innen (nicht nur in der SPD) zu viel Ehre angetan und zu viel Einfluss zugemessen. Natürlich sind niedrige Wahlbeteiligungen immer Ausdruck von einerseits Interesselosigkeit und andererseits von gestörter Kommunikation. Aber sie ändern nichts am Ergebnis derer, die sich an Wahlen beteiligen. Viele (Ober-)Bürgermeister sind gewählt worden mit Wahlbeteiligungen von 35-45 %. Dennoch sind sie demokratisch legitimiert. Die Alternative wäre, die Wahlpflicht einzuführen bzw. eine Mindestwahlbeteiligung vorzusehen. Das aber ist auch umstritten, weil zur Wahlfreiheit auch gehören muss, dass man nicht wählt. Im Ergebnis bedeutet dies: Wir sollten die demokratische Legitimation vom Ergebnis derer, die gewählt haben, ableiten. Christian Wolff

  11. Dass sich nur 57 % der Mitglider an der Wahl beteiligt haben, zeigt m.E., dass es keine wirklich überzeugenden Kandidatinnen oder Kandidaten gegeben hat. Die Bewerber haben niemanden vom Hocker gerissen. Kein Wunder. Es fehlt der SPD an überzeugenden, charismatischen Persönlichkeiten. Dass kann auch durch Doppel-Spitzen nicht ausgeglichen werden.

  12. Stimmberechtigt waren 425.630 Mitglieder. Esken und NoWaBo haben 114.995 Stimmen erhalten. Das sind 27 % – das nennen Sie eine „klare Mehrheit der SPD-Mitglieder“?

    1. Ja, von den abgegebenen Stimmen haben Esken und NoWaBo eine klare Mehrheit erhalten. Denen, die von ihrem Stimmrecht – aus welchen Gründen auch immer – nicht Gebrauch gemacht haben, möchte ich nicht noch die „Ehre“ antun, dass sie das Ergebnis verändern. Das gilt für mich für jede demokratische Wahl, bei niemand an einer Stimmabgabe gehindert wird. Christian Wolff

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