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Sieben Lehren aus der Coronakrise

Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat im Blick auf die Coronakrise im Deutschlandfunk bemerkt, dass es „spannend (ist) zu sehen, wie wir mit einer Situation umgehen, die wir nicht kennen.“, um dann die Frage zu stellen „Was kann man denn daraus lernen?“
(https://www.deutschlandfunk.de/folgen-der-coronakrise-die-wirtschaft-hat-nicht-das-primat.691.de.html?dram:article_id=477859) Jetzt, da der Ausstieg aus dem Shutdown vollzogen wird und viele Bürger/innen hoffen, möglichst schnell zur Normalität zurückkehren zu können, die sich jedoch alles andere als normal erweist, legt es sich nahe, über das nachzudenken, was uns die vergangenen Wochen an Erfahrungen beschert und gelehrt haben. Denn es gilt eines zu vermeiden: da einfach weiterzumachen, wo wir im Februar 2020 aufgehört haben. Vielmehr müssen wir uns neu darüber verständigen, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen. Darum möchte ich sieben Lehren zur Diskussion stellen – in dem Bewusstsein, dass Lehren immer beides sind: vorläufiges Ergebnis eines Lernprozesses und Ausgangspunkt für einen neuen, offenen Diskurs.

  1. In der Coronakrise wurde die wirtschaftliche Entwicklung erstmals einem Grundwert, nämlich dem Gesundheitsschutz (Art. 2 Abs. 2 GG), untergeordnet. Das war nur möglich, weil die staatlichen Organe ihre politische Verantwortung entschlossen in die Hand genommen haben. Die vielen Bürger/innen übermächtig erscheinende und alles bestimmende Wirtschaft konnte das Geschehen nicht mehr diktieren. Für die Zukunft bedeutet dies: In der Demokratie müssen die gewählten Regierungen und Parlamente sehr viel selbstbewusster die politischen, sozialen, ökologischen Rahmenbedingungen auch für die wirtschaftliche Entwicklung bestimmen, ohne die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft zu verlassen.
  2. Gesellschaften, die starke soziale Gegensätze aufzeigen, bieten einem Virus wie Covid 19 große Angriffsflächen: Armut, Mangelernährung, Übergewichtigkeit, enger Wohnraum. Im Umkehrschluss heißt dies: Der beste Schutz vor Pandemien ist ein Höchstmaß an gleichberechtigter Teilhabe an Arbeit, Einkommen, Bildung, Wohnen aller Bürgerinnen und Bürger eines Landes. Wir brauchen nicht weniger Sozialstaat, sondern mehr. Wer aber mehr für mehr öffentlich-rechtliche Verantwortung plädiert, muss gleichzeitig für demokratische Beteiligung und Delegation von Verantwortung (Subsidiarität) sorgen.
  3. Vergleiche zwischen den USA, England, Italien, Frankreich, Türkei auf der einen und Deutschland, Dänemark, Schweden auf der anderen Seite zeigen: Grundsätzlich sind parlamentarische, repräsentative Demokratien besser mit der Coronakrise fertig geworden als autokratische, präsidiale, zentralistische Systeme. Die Zahlen sprechen für sich. Eine Krise braucht nicht den „starken Mann“, sondern den Konsens in einer Gesellschaft, sich freiwillig und zustimmend auf zeitlich begrenzte Beschränkungen einzulassen. Der bundesdeutsche Föderalismus hat sich gerade in der Coronakrise bewährt.
  4. Auch wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Covid-19-Virus und dem Klimawandel bisher nicht belegt ist – zu den Folgen des Klimawandels gehört, dass wir vermehrt mit Pandemien rechnen müssen. Feinstaub und Klimaerwärmung bilden offensichtlich einen fruchtbaren Nährboden für Viren, deren Zerstörungskräfte weitgehend unbekannt sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Alles, was jetzt politisch, ökonomisch auf den Weg gebracht wird, muss notwendig mit den Erfordernissen des Klimaschutz verbunden werden. Er hat unbedingte Priorität. Denn die dramatischen Folgen des Klimawandels bedrohen das Leben auf diesem Planeten in ganz anderer Weise als das Coronavirus.
  5. Nicht erst die Skandale in großen Schlacht- und Fleischereibetrieben haben aufgedeckt: Wir müssen die Ernährungsgewohnheiten in unserer Gesellschaft prinzipiell verändern – weniger Fleischkonsum, mehr regionale Produkte, artgerechte Tierhaltung und eine ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft. Gesundheitsvorsorge besteht nicht nur aus ausreichend Krankenbetten und Intensivstationen. Ernährung ist eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen, um Gesundheit zu fördern, Immunsysteme zu stärken, Pandemien zu vermeiden. Hier ist die Politik gefordert, neue Rahmenbedingungen für Land- und Ernährungswirtschaft zu entwickeln.
  6. Ohne ethische Grundorientierung kann keine Gesellschaft auskommen – vor allem nicht in Krisenzeiten. Wenn wir nicht wollen, dass in gesellschaftlichen Krisen allein die Angst das Handeln bestimmt und damit die ideologischen Angstmacher das Sagen bekommen, ist es notwendig, dass wir uns immer wieder und neu über Grundwerte verständigen, damit sie jederzeit abrufbar bleiben. Kirchen, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und alle Bildungseinrichtungen sind gefordert, sich im öffentlichen Diskurs an dieser Aufgabe zu beteiligen.
  7. Die Coronakrise hat die Grundbedingungen des biblischen Menschenbildes neu: Alles Leben ist endlich, begrenzt, fehlbar, vergänglich. Gesundheitsschutz ist nicht alles. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Gesundheit, wohl aber den Anspruch, ja die Pflicht, dass in jeder Lebenslage, auch im Sterben, die Würde eines jeden Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) gewahrt wird.

Man darf gespannt sein, welcher Partei es gelingen wird, sich auf einen solchen, durchaus offenen Lernprozess einzulassen, um neue Zielvorstellungen für das gesellschaftspolitische Handeln zu entwickeln. Natürlich müssen diese dann im politischen Alltagsgeschäft in kleine Schritte heruntergebrochen werden. Aber ohne neue programmatische und visionäre Zielvorstellungen und ohne Menschen, die diese glaubwürdig verkörpern und langfristig kommunizieren, wird es nicht gelingen, aus der Coronakrise die richtigen, nachhaltig wirkenden Konsequenzen zu ziehen. Die Sozialdemokratie ist hier als erste gefordert.

28 Antworten

  1. Ach Herr Schwerdtfeger; ich verstehe überhaupt nicht Ihre aufbäumende Entrüstung. Ich glaube, Sie haben da einen Sarkasmus unbedingt entdecken wollen, den es meinerseits gar nicht gab in meiner Reaktion! Bleiben Sie doch mal locker!
    Also mal ganz sachte und eben: demokratischer Diskurs – na klar! jedoch ohne Beleidigungen! Sie werden immer mal wieder von mir hören.
    Dass Sie mich erneut und unbedingt so in die Pfanne hauen müssen – nun ja; war nicht nötig, wirklich nicht.
    Wer hier den Schaden davon trägt? Mal sehen. Jedenfalls nimmt der demokratische Diskurs Schaden!
    Andere und auch Pfarrer Wolff haben mich völlig richtig verstanden.
    Ihnen ein entspannendes WE – Jo.Flade
    Übrigens: ich bleibe bei meinen im Blog dargestellten Ansichten zum Thema Kirche – so ist das Leben, Herr Schwerdtfeger, vor allem ist es bunt und vielfältig.

  2. Sie beweisen, was Sie zurückweisen, lieber Herr Wolff: Daß Sie nämlich nicht lesen oder daß Sie „am kritischen Punkt“ vorbeidiskutieren. Ich hatte nicht Flades inhaltliche Äußerung kommentiert sondern seine erneute Belehrung und moralistische Überheblichkeit.
    Aber was soll’s – er kann nicht anders und Sie sind parteiisch.
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Wie nett: Flade „versucht es mal wieder mit mir“ – das ist genau das patriarchalisch-patronisierend-belehrerische Verhalten, das ein demokratischer Diskurs braucht. Und das von jemandem, der erst kürzlich entdeckt hat, daß man mit einigen inhaltlichen Argumenten weiterkommt als nur mit einem festgefahrenen Katalog von Beleidigungen. Und dann kommt ein langer Sermon mit durchaus schönen Anmerkungen, die aber alle nichts mit dem Thema – weder mit Corona-Lehren noch mit der Interpretation der Rolle der Kirche und ihrer Repräsentanten – zu tun haben, dafür aber Bildung andeuten sollen. Es kulminiert dann in der Feststellung: „Würde die Kirche weiterhin schweigen …“ – ja wer hat denn das gefordert. Neulich schrieb jemand, er hätte den Eindruck, Herr Wolff läse die Gegenargumente gegen seine Meinung gar nicht (das scheint mir auch manchmal so); Flade dagegen versteht sie nicht.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Nur zur Beruhigung: Ich lese alle Kommentare, aber muss nicht jeden kommentieren. Außerdem bedeutet Kritik an der Kritik nicht, dass jemand den anderen nicht versteht, sondern dass er eine andere Meinung hat. Herr Flade stellt in seinem Kommentar sehr einleuchtend klar, wo das Problem anfängt: nämlich dann, wenn Kirche konkret wird und die abstrakte Ebene verlässt, also wenn Kirche zu einem konkreten gesellschaftspolitischen Vorgang von ihren Glaubensgrundlagen her Stellung bezieht. Das ist ihre Aufgabe, ohne damit den Anspruch zu erheben: So muss nun jeder denken und glauben. Christian Wolff

  4. Na klar, Herr Schwerdtfeger; demokratischer Diskurs, was sonst?
    Ich versuche es mal wieder mit Ihnen.
    Zu Ihrer reaktion wie folgt:
    Wie schreibt Goethe so trefflich im Faust I?
    Famulus / Mephisto:
    Schüler –
    „Doch ein Begriff muß bei dem Worte ſein“.
    Mephisto –
    Schon gut! Nur muß man ſich nicht allzu
    ängſtlich quälen,
    Denn eben wo Begriffe fehlen,
    Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein.
    Mit Worten läßt ſich trefflich ſtreiten,
    Mit Worten ein Syſtem bereiten,
    An Worte läßt ſich trefflich glauben,
    Von einem Wort läßt ſich kein Jota rauben.“
    Die Bedeutung von konkret ist mir durchaus bewusst: gegenständlich, wirklich, sachlich, genau!
    Das Zusammenführen innerhalb der Kirche als Priorität bedeutet für mich die Christliche Botschaft. Da jedoch die Kirchenmitglieder subjektiv geformte und gebildete Individuen unserer Gesellschaft sind und Kirche nicht isoliert wirken will, kann und darf, die einzelnen Gemeindeglieder sehr wohl „wirklich“ sind, muss Kirche auch und sehr „genau“ und vor allem“ sachlich“ Haltung offenbaren zu aktuellen Sachverhalten in unserer Demokratie und in jeder anderen Gesellschaft nicht weniger. Was da Kirchenleute in autokratischen oder diktatorisch geführten Ländern leisten, ist höchst wagemutig, nicht zu erahnen und zu oft auch selbstmörderisch; sie können aber nicht anders!
    Gott sei Dank leben wir in einer Demokratie, die wahrlich kein Selbstzweck ist.
    Derzeit – Sie werden es verfolgen – zeigen Kirchenvertreter eine eindeutige, konkrete und sachliche Haltung zu politischen Situationen, die eine klare, unmissverständliche Gesinnung erfordern: in den USA nach dem unsäglichen Auftritt eines Trump vor der Kirche St. John nahe des Weißen Hauses meldet sich unmittelbar die Bischöfin von Washington Mariann E. Budde zu Wort – andere anglikanische Würdenträger reagieren entsetzt und fordern, die Bibel nicht als „Waffe“ zu nutzen. Das ist nach meiner und nicht nur nach meiner Wahrnehmung höchst aktueller Bezug und vor allem hinweislich auf einen Republikaner, der das Weiße Haus zum Demagogen-Hort und polarisierende Institution wider der weltbedeutenden Demokratie verkommen lässt, wohl bemerkt nach dem öffentlich vollbrachten Mord eines Afroamerikaners durch Polizeigewalt.
    Was die Auswirkungen sind, erfahren wir allesamt global gerade sehr deutlich. Und dass sich hier Kirche zu Wort meldet, weder abstrakt noch unkonkret und damit endlich ganz sicher einiges bewirken wird und muss, ist nicht von der Hand zu weisen.
    Politiker sind übrigens auch Mitglieder dieser und jener Kirche – meinen Sie nicht, dass dies nebenbei bemerkt, an der einen und anderen Stelle politischer Entscheidungen moralische, ethische, soziale und damit gesellschaftliche Auswirkungen hat?
    Ich meine schon.
    Manche Politiker sind z.B. auch Musiker, was sich auf intellektuell und substantiell geistige Denk- und Wortäuß0erungen durchaus wohltuend auswirkt.
    J.S. Bach sagte einmal: Bei einer wohltönend Musik, ist alle Zeit bei Gott – nicht schlecht, oder? Die Klavierkonzerte mit Helmut Schmidt übrigens sind durchaus hörenswert!!
    Zurück zum Eigentlichen:
    Kirche – da sind wir uns wohl deckungsgleich in der grundsätzlichen Haltung – ist keine politische Instanz mit parlamentarischer Entscheidungsbefugnis.
    Aber sie hat und sie ist aus Glaubensgründen befugt, ja temporär auch genötigt, Position zu beziehen, u.a. auf politische Entscheidungen einzuwirken, geht es um den Bestand und den Erhalt einer demokratischen Staatsform, die womöglich durch Fehlentscheidungen oder politische Wirrköpfe in Gefahr gerät.

    Der Friedliche Herbst 1989 (Plauen, Leipzig, Dresden…) ist u.a. ein beredtes Zeugnis, was neben anderen Initiatoren eben Kirche vermag, mischt sie sich bewusst, konkret, langfristig und vor allem gewaltfrei in die haltungsfordernde Zeitläufte ein!
    Was die Amtskleidung betrifft, kenne ich Pfarrer, die kein Problem darin sahen, selbstbewusst und unübersehbar mit dieser „Dienstkleidung“ öffentlich ein „frei Geständnis…“ (s.a. EKLG 163, Vers 4) auf Demonstrationen abzulegen. Damit verstießen sie wissentlich gegen kirchenrechtliche Vorgaben, aber die Auswirkungen im politischen Kontext waren enorm und ließen manchen Mut fassen, sich dem frei Geständnis anzuschließen – und es waren nicht immer Christen.
    Und dass aktive Sportler den Kniefall in Mahnung an den Tod von George Floyd öffentlich praktizieren, obwohl gewisse Normen des Olympischen Geistes eine politische Manifestation untersagt, wird ebenfalls nicht ohne Wirkung bleiben können, auch in unserem Land.
    Vielleicht können Sie es annehmen, dass wir – jeder auf seine Weise – grundsätzlich für Veränderungen eintreten, allein in den Möglichkeiten sehen wir beide Unterschiede.
    So ist das leben.
    Und glauben Sie mir – viele erwarten von ihrer Kirche Klartext: Umwelt, Soziales, Kunst, Kultur, Rassismus, Kapitalismus, Demokratie.
    Würde hier Kirche weiterhin schweigen, würde sie unglaubwürdig und an Verantwortung verlieren, die es gilt, wahrzunehmen.
    Mit Gruß – Jo.Flade

  5. Sie haben Recht, Herr Schneider: Ein Pfarrer im Talar ist kein Vorgesetzter in Uniform. Aber ein Pfarrer im Talar signalisiert, daß er – auch – für die Kirche als Ganze und nicht nur im eigenen Namen spricht und handelt. Im übrigen hat ja gerade das BVerfG sinngemäß auch so entschieden, wie ich es vorschlage: Ein Minister spricht für seine Organisation (Regierung) und muß daher eine gewisse Unparteilichkeit (bei amtlich-ministeriellen Äußerungen) zeigen.
    Sie verweisen mit Recht darauf, daß Herr Wolffs Beitrag der „7 Lehren“ „weitgehend geteilt“ wird. Könnte dies daran liegen, daß Herr Wolff in diesem Beitrag genau das gemacht hat, was ich empfehle, nämlich etwas „abstrakter“, langfristiger orientiert zu argumentieren und keine tagespolitischen Partei-Empfehlungen zu geben? Mir jedenfalls hat sein Beitrag genau deshalb gefallen (was zT andere Meinung ja nicht ausschließt).
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

  6. Ich nehme mit Interesse Ihre Argumente zur Kenntnis, Herr Flade (und freue mich, daß Sie nun Argumente bringen), stelle aber fest, daß Sie meine beiden Haupteinwände gegen eine konkrete Stellungnahme von Kirchen in aktuellen politischen Tagesfragen nicht ansprechen – was Ihre Argumente nicht entwertet, aber eben zu einem Aneinander-vorbei-reden führt. Dies wird vielleicht verstärkt durch unterschiedliche Interpretation von Vokabeln: „Konkret“ soll die Kirche gerne werden, aber bezogen auf ihre Prinzipien und Grundsätze, auf Ethik und Verantwortung – nicht aber bezogen auf DIE oder EINE Lösung eines augenblicks „konkret“ diskutierten Tagesproblems und schon gar nicht bezogen auf „konkrete“ Wahlempfehlungen.
    Meine beiden Argumente sind:
    1. Die Kirche möchte und sollte für ALLE Menschen da sein, was im übrgen ja auch ihrem Selbstverständnis entspricht. Sie muß also EINEN, ZUSAMMENFÜHREN, VERBINDEN. Politik dagegen ist immer im besten Fall kompetitiv, im üblichen Fall eher spaltend, teilend, parteiisch – und dies besonders in unserer Zeit der Alles-Besserwissenden. Wenn also Kirche ihre Aufgabe des Zusammenführens im eigenen aber auch im Interesse ihrer Mitglieder und Sympathisanten ernst nimmt, dann kann sie nicht gleichzeitig sich in konkreten politischen Fragen auf die eine oder andere Seite stellen und so die Andersdenkenden ausgrenzen. Sie muß also abstrakter, ideeller, langfristiger formulieren, „konkret“ nur bezogen auf die langfristige Leitlinie, nicht bezogen auf die aktuelle Lösung und schon gar nicht mit dem Hinweis auf eine bestimmte Partei. Daß einzelne Mitglieder der Kirche, einschließlich Pfarrern als Individuen (im Gegensatz zu „als Vertreter ihrer Organisation“), eine Meinung haben und diese auch äußern sollen, ist durch diese Forderung völlig unberührt. Sie sollten dies dann nur in der Einsicht tun (und entsprechend handeln), daß sie dies als Individuum und nicht als Vertreter ihrer Organisation tun. Denn:
    2. Die Kirche hat als Gesamtorganisation eine Art „Amtsautorität“, die durch die persönliche Autorität ihrer Vertreter (Pfarrer) ergänzt wird. Diese Autorität drückt sich aus in bestimmten Riten, von Pfarrern angeführt / geleitet; und ebenso in bestimmter Kleidung, die diesen Autoritätsanspruch äußerlich dokumentiert (ich weiß, sie mögen den Ausdruck „Uniform“ nicht, aber es ist eben eine, denn Uniform heißt ja nichts anderes als „einheitliche Kleidung“). Diese Amts- und persönliche Autorität gibt der Organisation und ihren Vertretern eine gewisse Macht über /Verantwortung für die Menschen ihrer Gemeinde. Und diese Verantwortung auszuüben, bedeutet, daß man nicht die Autorität des Amtes zur politischen Beeinflussung mißbraucht – egal in welche Richtung. Zu Recht ist durch das Soldatengesetz unseres Landes deswegen zwar ein politischer Bildungsunterricht in den Streitkräften im Sinne zB des demokratischen Aufbaus, der Rechtsstaatlichkeit, des Rechtekatalogs, etc erlaubt oder sogar gefordert, eine politische Beeinflussung im Sinne von Tagespolitik und -fragen der Untergebenen durch Vorgesetzte in Uniform aber verboten. Ich halte dieses Prinzip auch für erforderlich in anderen Bereichen, in denen amtliche Beeinflussung unter Inanspruchnahme der Amtsautorität und evt. deren Symbole (Kleidung) möglich ist: Streitkräfte, Polizeien, Kirchen, Sportvereine, Schulen, etc. Der Lehrer in der Schule muß ja auch „politischen Unterricht“ erteilen, ohne dabei seine Parteipräferenz erkennen zu lassen.
    Sie müssen diesen Argumenten nicht zustimmen. Aber es sind eben Argumente, die Herr Wolff – und Sie – bisher ignoriert haben. Demokratischer Diskurs?
    Und vielleicht ist ja auch dies eine Erkenntnis aus der Corona-Krise: Daß man eben besser zurecht kommt, wenn man die andere Seite ernster nimmt – also nicht nur auf den eigenen Rechten besteht.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Eine Stellungnahme zu Ihrem Beitrag, lieber Herr Schwerdtfeger, müsste den Rahmen eines Blogbeitrags sprengen, weil Sie Tages- und Parteipolitik vermengen, ein Pfarrer auch dann kein Vorgesetzter in Uniform ist, wenn er einen Talar träg, die Teilnahme am Gottendienst nicht verpflichtend ist und Demokratie ohne ihre Ausübung ebenso zum leeren Bekenntnis mutiert wie Religionsausübung ohne Bindung an deren Wesenskern.
      Ein Blick in die deutsche (Kirchen) Geschichte des letzten Jahrhunderts könnte am Anfang einer vertieften Debatte stehen, die aber hier gerade nicht Thema ist.

  7. In der sehr interessanten Diskussion, die sich um Christian Wolffs weitgehend geteilte Thesen entwickelt hat, stehen dennoch einige Haltungen gegeneinander. Können wir sie nicht miteinander im Zukünftigen auflösen?
    Die unbedingte Priorität des Klimaschutzes erfordert ethische Prinzipien, von denen Angela Merkel die Wesentlichen immer wieder benannt hat: Allen Menschen auf dieser Erde steht das gleiche Recht auf Erde, Wasser, Luft und CO2-Ausstoß zu.
    Bewegen wir uns unter dieser Voraussetzung aufeinander zu, kommen doch viele Thesen in Bewegung. Erhard Wagners Forderung an Bolsonaro möchte man zustimmen, aber Brasilien hat bislang im Verhältnis zu Europa wenig CO-2 ausgestoßen, Europa hat seine Urwälder längst vernichtet. Etwas fehlt also.
    A. Dresel und A. Schwerdtfeger finden gute Argumente zu Sozialstaat, Verantwortung und Leistungsgerechtigkeit. Aber welche materiellen Erfolge hat jemand unter Umständen verdient, die rechtfertigen, dass er es behalten darf? Anthony Atkinson hält der zunehmenden Ungleichheit die Frage entgegen, wie hoch die Erbschaftssteuer in einer Leistungsgesellschaft sein muss, und er hat eine klare Antwort:100%. Was von den Früchten aus 500 Jahren Kolonialismus dürfen die Nachfolger der Kolonialherren also behalten? Warum verdient eine Näherin im globalen Süden 15 ct pro Stunde, im Norden aber fast 100 mal so viel? Die Verdienste des erdverbundenen Kleinbauern im Süden und des maschinell hochgerüsteten, erdzerstörenden Farmers im Norden bewegen sich im ähnlichen Verhältnis. Wenn wir Landwirtschaft unter den Geboten der Erderhaltung betreiben, mit welchem Recht dürfen wir dann den Feldern fernbleiben und die Arbeit an ausländische Saisonarbeitskräfte delegieren?
    In der Debatte um Sozialstaat und Grundeinkommen werden diese Fragen auch eher selten gestellt.
    Hinterfragen müssen wir auch, warum besser bezahlt wird, wer mittels Maschinen mehr Menge erzeugt. Verdient der Industriearbeiters deshalb mehr als eine Kindergärtnerin oder ein Handwerker? Und es hat weder mit Leistung noch mit Bildung zu tun, dass Arbeit am PC besser bezahlt wird als in der Pflege, und die 24-Stunden-Pflegekräfte aus Polen einreisen.
    Wir bestehen auf unserer Demokratie. Ich stelle aber immer wieder fest, dass globale Demokratie, jeder Mensch eine Stimme, fast durchweg abgelehnt wird. Wir empfehlen der Welt eine Demokratie nur, wenn das zu unseren Gunsten ist. Dürfen wir, die Reichen, uns selbst demokratisch ermächtigen, die Lebengrundlagen Anderer, der Armen, zu zerstören?
    Es braucht die Initiative und Verantwortung aller Menschen für ihre Tätigkeit und für die Welt – Eigentumsrechte, die dem entgegenstehen, dürfen keinen Bestand haben.
    Zur Marktwirtschaft zum Schluss: die Betriebswirtschaft ist für externe Effekte blind, und keine Steuer kann dieses Defizit nachhaltig beheben. Das zeigt schon der Umstand, dass die finanziell überreich ausgestattete „Gesundheitswirtschaft“ mangels finanzieller Motivation kaum Prävention betreibt und es an Schutzkleidung mangelt. Und setzt eine funktionierende Marktwirtschaft nicht die Abwesenheit von (Vor)Macht voraus?

  8. Werter Herr Schwerdtfeger:
    Als Reaktion auf die Ihrige plädiere ich für „konkret“ und „langfristig“; wobei sich das Langfristig auf das „Ewige“ bezieht, was Sie für entscheidend erachten zum Thema: Kirche.
    Kürzlich positionierte sich öffentlich der katholische Bischof Dr. Koch sehr eindeutig politisch, in dem er sich bezog auf die derzeit üblen kruden Verschwörungs-Mythen (Theorie wäre hier falsch) und vor allem auf die klerikalen Initiatoren und Unterzeichner des Viganòs Corona-Papiers (z.B. Müller, ehemals Glaubenskongregation im Vatikan) die sich gemein macht mit eben jenen dumpfen Aggressionen und damit Ablehnungen der Demokratie., die na klar, arg schwächelt.
    An dieser Stelle wird deutlich, wie ambivalent es doch der Ruf aus Kirche sein kann.
    Die unübersehbar eindeutigen und vor allem kritischen Reaktionen vieler Kirchenleute beider Konfessionen zeigen auf, wie dringend es ist, sich konkret und langfristig einzumischen in die gesellschaftliche Debatte.
    Verantwortung – das ist es doch, was uns antreiben muss, Sie, mich und alle anderen, im Denken, Schreiben und vor allem TUN.
    Die momentan gewaltigen Demonstrationen auf den Straßen der USA und auch unserem Land (wider Rassismus, Polarisierung, Gewalt) im Zusammensein mit allen humanistisch und religiös denkenden und lebenden Menschen – das ist praktizierte Verantwortung; alles andere ist Theorie.
    Was in den USA seit einigen Jahren ziemlich schief läuft, hat Auswirkungen auf Europa und Dt.; da muss nun eben mal Kirche sehr dran bleiben, auch aus ethisch, moralischen, umweltpolitischen und sozialen Gründen!
    Werden unsere graduellen Differenzen zukünftig ggf. etwas kleiner ? Der uns allesamt umtreibenden Probleme wäre es dienlich !
    Gruß – Jo.Flade

  9. Lieber Herr Wolff,
    wir sind mit Ihren Thesen sehr einverstanden und haben einen Brief von amnesty international an.Herrn Präsident Bolsonaro persönlich weitergeleitet.
    Er möge aufhören, ein .kleiner Trump zu sein, er möge seine bon ihm begangenen Verbrechen gegen den Regenwald und besonders seine Menschen sofort stoppen und sein Volk gesundheitspolitisch endlich versorgen und bewahren.
    Gruß Claudia und Erhard Wagner

  10. Danke, Klaus Plätzsch für den Link zu Helmut Schmidt. Seine Betrachtung hat politisches Niveau, welches man heute in unserem eingemauerten, aufrüstenden und politisch erstarrenden Europa schmerzlich vermisst. Hinter den Grenzen braucht es eben Feinde um jeden Preis. So jedenfalls möchte ich künftig nicht leben.
    Der Umgang mit einem aggressiven Virus erzwingt jedenfalls eine globale Kooperation, was das exakte Gegenteil von Wettbewerb ist. China, Singapur und Taiwan haben das Ziel der Ausrottung des Virus verfolgt, das Unterlassen dieses Versuchs aus wirtschaftlichen Motiven ist der riskantere Weg und mit dem Verweis auf Demokratie nicht zu rechtfertigen. „Die lässige Großzügigkeit, wenn andere sterben, ist in unserer Gesellschaft nicht zu übersehen“ schrieb Prof. Paul Robert Vogt dazu. In der Klimafrage ist das nicht anders, und es erstaunt mich, dass angesichts einer Wirtschaft, die tötet, der Umgang mit dem 5. Gebot bisweilen ebenso lässig erscheint.
    Weder Virus- und Klimakrise noch das Drama zunehmender Ungleichheit können mit der Rückkehr zu jener deutschen oder europäischen Normalität gelöst werden, die deren Ursache ist. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung wünscht sich eine Weltbürgerbewegung (WBGU 2014). Das kann man durchaus auch als Misstrauenserklärung gegenüber der westlichen Auffassung von Demokratie lesen, die Hans Eckard Wenzel auf die Formel „Wer reich ist und satt, der ist so gerne Demokrat“ brachte.
    Selbstverständlich muss die Gesellschaft, in der wir zukünftig leben wollen, global gedacht werden. Also in der Mehrzahl. Unsere nicht verallgemeinerbare Lebensweise als Vorbild zu nehmen endet mit Sicherheit tödlich für die Menschheit. Wir müssen von anderen lernen, statt sie zu belehren. Helmut Schmidt wusste das. Zur Ethik für das Überleben der Menschheit werden wir deshalb herzlich wenig beizutragen haben. Wir müssen unsere weltverzehrende Lebensweise überwinden und dort um Hilfe, und Nachsicht, bitten, wo man erdverträgliche Lebensweisen, noch oder wieder, praktiziert.
    Ob die europäische Sozialdemokratie die Palliativstation noch einmal verlassen kann, ist offen. Kann Bruno Latour helfen, „ist es nach hundert Jahren Sozialismus, der sich auf die Umverteilung der Gewinn der Wirtschaft beschränkt, vielleicht an der Zeit, einen Sozialismus zu erfinden, der die Produktion selbst in Frage stellt?“

  11. Ich wäre mit den Thesen 1 – 6 im Wesentlichen einverstanden, (mit der 7. hadere ich noch) wenn ich eine Vorstellung davon hätte, wie eine soziale Weltmarktwirtschaft herbeigeführt werden kann, die eine Bewahrung unserer Lebensgrundlagen zum Ziel hat. Hätte sie das nicht, wäre sie ja nicht sozial.
    Dabei bin ich ein Fan der Marktwirtschaft, wenn ich mit vollem Einkaufskorb vom Wochenmarkt in mein Büro schlendere, komme aber sehr ins Zweifeln, sobald dabei die Tafel und die Schlange davor in Sicht sind. Solange „unsere“ Marktwirtschaft sozial war, kannte ich so etwas nicht.
    Jetzt lese ich, dass die Lebensmittelpreise in der Krise um 20% gestiegen sind, mit dem „großen Wumms“ aber die entsprechen Regelsätze für Hilfeempfänger nicht angepasst wurden. Alle Welt feiert trotzdem die Senkung des Mehrwertsteuersatzes um 2% als Wohltat. Warum rechnet kaum einer nach, plus 20 minus 2 ist plus 18. Beziehungsweise minus 18, was die mit dem Regelsatz käufliche Lebensmittelmenge betrifft. Sozial?
    Wie sieht es also mit dem Teilen aus, hier und in unserer gemeinsamen Welt?
    „Mit steigender Produktivität und höherer Effizienz menschlicher Arbeit werden wir einmal in eine Phase der Entwicklung kommen, in der wir uns fragen müssen, was denn eigentlich kostbarer oder wertvoller ist: mehr zu arbeiten oder ein bequemeres, schöneres und freieres Leben zu führen, dabei vielleicht bewusst auf manch güterwirtschaftlichen Genuss verzichten zu wollen“ (Ludwig Erhard 1957).

  12. Hallo, Herr Flade und Herr Dresel!
    Wie schön, Herr Flade, daß wir diesmal sozusagen nur graduell unterschiedlicher Meinung sind, denn wir stimmen überein, daß Kirche als EINE gesellschaftliche Stimme mitreden darf und muß. Die Frage ist also nur, wie konkret – besser etwas abstrakter und längerfristig gültig oder jedesmal mitten im Streit in konkreter Parteinahme. Ich plädiere für ersteres, weil dies den Vorteil hat, daß Kirche dann auch über politische Grenzen hinweg glaubwürdig bleibt und daß sie mit der Autorität des „Ewigen“ argumentieren kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist ja gerade die Mitgliedschaft von Theologen im Ethikrat (überhaupt der ganze Ethikrat) zu sehen – langfristige Standards setzen!
    Und Herrn Dresel muß man sagen, daß ideologische Propaganda uns nicht weiterführt: Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß Leistung und Initiative anerkannt werden sollten und die darus resultierenden materiellen Erfolge verdient sind. Daraus den Satz zu machen, die „Reichen sollten reicher werden“ ist genau die Art unlogischer Verbohrtheit und Verbiegung, die die heutige Sozialdemokratie in weiten Teilen kennzeichnet. Natürlich gibt es Wettbewerb, Eigeninitiative und Gleichmacherei als Kennzeichen unserer Gesellschaft bzw einiger politischer / gesellschaftlicher Initiativen und natürlich müssen diese als Gegensätze ausbalanciert werden. Wer den Sozialstaat über Minderheitenschutz hinaus ausdehnen will, der fördert Abhängigkeit und Unmündigkeit und erstickt Leistung. Und man schmälert nicht den Beitrag der SPD über anderthalb Jahrhunderte zur positiven Entwicklung unseres Staatswesens, wenn man ihr heute – mit Bedauern – attestiert, daß sie sich selbst in personell und inhaltlich unbedeutende Isolierung manövriert hat.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. @Schwerdtfeger:
      1 Zum „Sozialstaat“: Es handelt sich dabei um einen Staat, der sich um soziale Gerechtigkeit bemüht und sich um die soziale Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger kümmert. Das Grundgesetz legt fest, dass die Bundesrepublik Deutschland „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist (Art. 20 GG).
      Von lediglich „Minderheitenschutz“ ist nicht die Rede.
      2 Ein wesentliches Ziel des Sozialstaates ist Gerechtigkeit, Teilhabe und Absicherung durch Versicherungssysteme. Im Ergebnis stabilisiert ein funktionierender Sozialstaat die Gesellschaft und erhöht deren Leistungsfähigkeit. Sozialpolitik ist Ordnungspolitik und nicht leistungsbremsende Politik für Minderheiten.
      3 Zur Geschichte: „Entwickelt hat sich der Sozialstaat im 19. Jahrhundert als Folge der industriellen Revolution und der Massenverelendung breiter Bevölkerungsschichten. Er basiert auf der Erkenntnis, dass Eigentum die Basis für die Ausübung von Rechten ist und dass Freiheit substanzlos bleibt, wenn ihre Ausübung nicht durch Eigentum gewährleistet ist.“ (Wikipediazitat)
      Diese Erkenntnis bildet einen der Eckpfeiler der politischen Programme westlicher sozialdemokratischer Parteien.
      4 Im Ergebnis verwechseln Sie den „Sozialstaat“ mit einem „Wohlfahrtsstaat“
      5 Ohne ausreichendem gesetzlichen sozialstaatlichen Schutz werden Reiche immer reicher und die Armut vieler Menschen nimmt zu. Um diese Tatsache festzustellen bedarf es keiner „Verbohrtheit“ Das hat sich bisher überall bestätigt. (Ob in den USA, in China oder Russland, Saudi-Arabien und sonstwo)

  13. Sie werden es nicht glauben, Herr Schwerdtfeger:
    Ihr Kommentar zum aktuellen Blog des politisch stets auf der Höhe denkenden und agierenden Pfarrers Chr. Wolff ist durchaus anregend; ich kann diesmal nicht anders, als es festzustellen.
    Und ich stehe weiterhin im Widerspruch zu Ihrer wiederholt vorgetragenen Auffassung, dass sich Kirche, deren Sendboten eben auch Pfarrer sind, von Politik fernhalten sollten.
    Unter Pkt. 6. (Wolff) ermahnt und fordert Chr. Wolff, dass (Zitat) „Kirchen, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und alle Bildungseinrichtungen sind gefordert, sich im öffentlichen Diskurs an dieser Aufgabe zu beteiligen.“ Am Diskurs muss man sich als Teil dieser unserer Gesellschaft, was ja auch Kirche ist (!) mit ihren Mitgliedern beteiligen, eben und gerade, weil es u.a. auch um ethische, moralische und soziale Belange geht.
    Dass es auch derzeit ein empfindliches Defizid gibt, was Kirche und ihre Haltung zu politischen Meinungsbildungen betrifft, wird aktuell vielseits beklagt.
    Sie soll keine Politik machen, aber eingreifen – wo ist das problem?
    Kirche, z.B. als einer der großen Arbeitgeber in diesem Staat (Bildungseinrichtungen, Diakonie, Alten-/Pflegeheime, Krankenhäuser etc.pp.) haben sehr wohl die Aufgabe, sich einzumischen.
    Sie schreiben von ethischer GRUND-Orientierung – ganz richtig, da sind wir doch gar nicht weit von einander entfernt?
    Im Deutschen Ethikrat sitzen übrigens u.a. die Regionalbischöfin Dr. theol. Petra Bahr (Evang.-Luth. Landeskirche Hannover), Prof. Dr. theol. Andreas Lob-Hüdepohl (Kath. Hochschule für Sozialwesen Berlin) und Josef Schuster, Zentralrat der Juden Deutschlands.
    Damit wird doch deutlich, wie relevant für Entscheidungen der Ethikrat streitet und dies durchaus zu höchst elementaren Politikfeldern.
    Also – lassen wir die Kirche im „Dorf“, aber eine Demokratie ohne sie, in ihrer komplexen Wirkunsgweise, scheint mir undenkbar!
    Mit Gruß – Jo.Flade

  14. Meinen Glückwunsch, Herr Wolff, zu diesem Beitrag aus zwei Gründen: Erstens – auch wenn man nicht allen Ihren Gedankengängen zustimmen muß – weil es Ihnen gelungen ist, ein Thema inhaltlich sehr anregend zu bearbeiten, und zweitens weil Sie dies getan haben, ohne Ihre üblichen Phobien einzubauen und dadurch in die Propaganda abzugleiten.
    Einige inhaltliche Anmerkungen:
    1. Sie sind überzeugter Sozialdemokrat und das ehrt Sie. Es ist wohl dennoch falsch – und ja letztlich auch der Niedergang der deutschen Sozialdemokratie – wenn man immer mehr „Sozialstaat“ fordert (Punkte 1 und 2), wo wir in Wirklichkeit mehr Eigenständigkeit und mehr Eigenverantwortlichkeit und weniger Staat brauchen und wo der „mündige Bürger“ nicht nur Pappkamerad sondern Realität ist. Daß dies unter dem „Schutz“ der SOZIALEN Marktwirtschaft geschehen muß, ist wichtig, aber der Wettbewerb und die Eigeninitiative müssen angestrebte, geförderte und geehrte Merkmale unserer Gesellschaft und Wirtschaft bleiben und die daraus entstehenden unterschiedlichen Grade des Erfolges auch in materieller Hinsicht müssen gewollt und anerkannt bleiben. Die von Ihnen immer wieder bemühten Grundrechte, die uns das GG vorgibt, und insbesondere auch Art 1 GG fordern eben nicht den sozialstaatsabhängigen, trägen, ständig nach „staatlicher Gerechtigkeit“ im Sinne von Ausschüttung hoffenden Abhängigen sondern einen eigenständigen Bürger, der die aus gleichem Recht entstehenden Freiheiten zur (durchaus auch unterschiedlichen) Gestaltung seines Lebens nutzt. „Sozialstaat“ muß deshalb immer Minderheitenschutz bleiben und nicht allgemeine Gleichmacherei unter einer warmen Decke. Gerade wenn Sie (Punkt 3) die Überlegenheit des Parlamentarismus in der Bewältigung von Pandemien oder sonstigen Krisen hervorheben, unterstützen Sie ja diese meine Aussage: Intelligentes Mitmachen auf der Basis eigener Vernunft und Leistung, nicht träges Warten auf staatliches Handeln mit Ausschüttungscharakter ist gefragt. Und dies widerspricht natürlich nicht dem augenblicklichen Handeln unseres Staates, der in der Krise Überbrückung und Neu-Starthilfe zur Unterstützung der Eigenleistung anbietet.
    2. Ich freue mich, daß Sie indirekt meine These unterstützen, daß Institutionen wie Kirchen sich aus der Tagespolitik raushalten sollten. Denn wie anders sollte man Ihren Punkt 6 verstehen, daß „ethische Orientierung“ – also langfristig angelegte und auf Zusammenführung der unterschiedlichen Tagespositionen von Menschen in über die Kurzfristigkeit hinaus geltende „GRUNDorientierung“ – erforderlich sei. Es ist der Bundes- und den Landesregierungen in dieser Krise, wie ich finde, im übrigen recht gut gelungen, einen GRUNDkonsens in der Bevölkerung über viele verschiedene politische Meinungen hinweg zu schmieden – warum also soll nicht auch GRUNDorientierung über unterschiedliche politische Meinungen möglich sein, wenn man – was sowieso dem Begriff „Orientierung“ widerspricht – sich nicht ins tagespolitische Detail einmischt. Der Ethiker ist nicht Politiker – er gibt Ziele über den täglichen Kleinkrieg hinaus vor; der Politiker streitet in der Gegenwart um Lösungen.
    Und dann kriegen Sie doch noch, lieber Herr Wolff, einen kleinen Schlenker zu Ihrem überragenden Anliegen hin, nämlich Ihrer Partei zu helfen und ein bißchen Wahlpropaganda zu machen – schade eigentlich. Aber die Chancen der SPD bleiben auf Splitterniveau: Sie hat das falsche und zu unbedeutendes Personal an der Spitze (der Partei), sie vertritt inzwischen nur noch ein paar exotische Minderheiten, sie hat die Konkurrenz zweier jüngerer und dynamischerer Parteien im gleichen Lager und sie versucht ihre Ideologie auschließlich mit Geldgeschenken aus Töpfen, die andere erarbeiten müssen, umzusetzen – alles nicht wirklich zielführend.
    Und nun bin ich gespannt, welches Zitat das Echo (ich erspare mir das offensichtliche Adjektiv) sich diesmal auswählen wird, um anstatt einer eigenen Meinung ein bißchen rumzugiften.
    Ihnen aber, Herr Wolff, meinen Dank: Ihr Beitrag ist anregend.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. @ Schwertfeger:„ …der Wettbewerb und die Eigeninitiative müssen angestrebte, geförderte und geehrte Merkmale unserer Gesellschaft und Wirtschaft bleiben und die daraus entstehenden unterschiedlichen Grade des Erfolges auch in materieller Hinsicht müssen gewollt und anerkannt bleiben.“

      Sie meinen also die Reichen müssen reicher werden …

      > Es gibt nicht DEN Wettbewerb und DIE Eigeninitiative und DIE Gleichmacherei.
      > Sozialstaat ist VIEL MEHR als Minderheitenschutz.

      Den Beitrag der Sozialdemokratie für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland werden Sie so nicht „wegbügeln“ … Wettbewerb und Eigeninitiative jedenfalls wurde von der SPD NIE bekämpft – unfairer Wettbewerb, Marktmanipulation, Vetternwirtschaft und Betrügereien konsequenter. „Freiheit“ bedeutet eben nicht Beliebigkeit sondern auch soziale Verantwortung.

  15. Für mich die wichtigste Lehre war, dass ich als Verfechter von Weltoffenheit, Grundrechten und Demokratie ziemlich allein dastehe. Die Nationalisten und die Gleichgültigen haben gewonnen. Über Nacht wurden die Grenzen zu Frankreich und anderen Ländern geschlossen, und es hat sich kein Protest geregt – die AfD hat im Stillen jubiliert (und wird beim nächsten Mal sofort noch strengere nationale Alleingänge einfordern). Es hat auch fast niemand gegen die unfassbaren Grundrechtsbeschränkungen protestiert, und es hat sich niemand gewundert, dass die folgenreichsten politischen Entscheidungen seit 1989 nicht von den demokratisch gewählten Parlamenten getroffen wurden (trotz Parlamentsvorbehalt in der Verfassung). Wir haben auf unsere starken Führer vertraut, die uns Schutz versprechen – nicht auf die Kraft von Demokratie und Vielstimmigkeit. Ganz offenbar wird unsere Demokratie als ein Luxus verstanden, den wir uns leisten können, wenn gerade kein Unheil doht.

    1. @Martin Haspelmath, dass „über Nacht“ die Grenzen zum Ausland geschlossen wurden (bzw. vom Ausland) hatte weniger damit zu tun, dass man den Ausländern nicht zutraute, wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen zu haben, sondern vielmehr damit, die Reiseströme innerhalb Europas einzudämmen. In der Hochzeit des sog. Lockdowns war auch das Reisen innerhalb Deutschlands fast völlig zum Erliegen gekommen. Im Großen uind Ganzen war die Bevölkerung mit den Einschränkungen ihrer Grundrechte durch die Bundesregierung und die Landesregierungen einverstanden. Wem sie partout nicht passten, der ging vor Gericht und bekam z. T. auch schnell sein Recht. Gegen Ende der totalen Einschränkungen regte sich auch Widerstand auf den Straßen, der aber zu großen Teilen von Rechtsnationalisten, Verschwörungstheoretikern und anderen Obscuren gekapert wurde.
      Wenn ich die Entscheidungsprozesse der Politiker betrachte, die unter Mitwirkung von Wissenschaftlern stattfanden, so sehe ich darin sehr wohl die von Ihnen vermisste „Demokratie und Vielstimmigkeit“. Allerdings erfordert die Bewältigung einer umfassenden Naturkatastrophe schnelle und manchmal auch unkonventionelle Entscheidungen (sh. den grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr durch Innensenator Helmut Schmidt bei der Hamburger Sturmflut 1962).

    1. Das Argument von Klaus Plätzsch, dass in demokratischen Staaten es unmöglich gewesen wäre, was China verfügt hat, nämlich Millionen Menschen in ihren Wohnungen festzusetzen, um daraus zu Schlussfolgerung zu ziehen, dass Diktaturen mit der Seuche nicht schlechter fertig geworden sind, ist wenig überzeugend. 1. ist es ein Segen, dass solche Maßnahmen in Demokratien nicht möglich sind; 2. zeigen die Maßnahmen in Deutschland, dass sich die Pandemie bis jetzt wirkungsvoll hat eindämmen lassen, ohne dass alle Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt werden. Gerade weil die Wirklichkeit sehr komplex ist, halte ich es für dringend erforderlich, immer wieder die Gedanken zu ordnen und Angebote für „Lehren“ zu machen. Denn nichts schlimmer, als die Unübersichtlichkeit zum Argument dafür zu nehmen, keine Schlussfolgerungen mehr zu ziehen. Christian Wolff

      1. Bei der Bewertung des Umgangs mit der Pandemie ist zu berücksichtigen, dass diese ihren Ausgangspunkt in China hatte und erst relativ spät nach Deutschland kam und dort lokalisiert werden konnte (Fa. Webasto). Es kam dann zu den massenhaften Infektionen durch Rückkehrer aus Ischgl, wo von den Behörden extrem leichtfertig gehandelt wurde. Wir haben auch Glück gehabt. Die strikten Handlungen der KP Chinas waren jedenfalls zielführend.

        Wie sagte Helmut Schmidt-Kosmos:

        “ Ich sage nur, es wird anders sein. So, wie es in Rom anders als in Athen und dort wiederum anders als in Sparta war, so sind die Verhältnisse in Peking ebenfalls grundverschieden von denen in Washington, Berlin, London, Parisoder Rom. Man muss schon Amerikaner sein, um sich einzubilden, alles müsste nach amerikanischem Muster vonstatten gehen.“

        https://www.wz.de/politik/helmut-schmidt-wir-sehen-china-ganz-falsch_aid-31435487

  16. Zu Ziff 3: Sie stellen Schweden mit Deutschland und Dänemark als positives Beispiel bei der Bewältigung der Pandemie dar. Doch ist der schwedische Weg mit geringeren Einschränkungen der Bürgerrechte umstritten. Gegenwärtig sind dort im Verhältnis der Einwohnerzahl weit mehr Tote als in unserem Land zu beklagen. Es könnte allerdings sein, dass bei einer zweiten Pandemiewelle die sog. Herdenimmunität weiter ausgebildet ist als z. B. hierzulande, so dass evtl. insgesamt verhältnismäßig weniger Todesopfer zu beklagen sein werden.
    Das kommunistisch regierte China hat zwar zu Beginn der Pandemie diese zu vertuschen versucht, doch später viele Millionen Menschen in Wuhan in ihren Wohnungen festgesetzt, was eine Ausbreitung der Pandemie wirkungsvoll verhinderte. In demokratisch verfassten Staaten wäre dies unmöglich gewesen. Man kann also nicht pauschal sagen, dass Diktaturen schlechter mit der Seuche fertig geworden sind.

  17. Warum ist die Sozialdemokratie „als erste“ gefordert?
    Weil die SPD, die seit 1998 mit nur 4 Jahren Unterbrechung auf Bundesebene an der Regierung beteiligt ist, so besonders geeignet ist?
    Eine defacto sterbende Partei, die ihr ureigenstes Wählerklientel (steuerzahlende AN) vergessen hat?
    Eine Partei, die sich mit Wonne der Unterstützung der Antifa bedient?

    Nein, diese Partei (man schaue sich nur mal das Führungspersonal etwas genauer an) hat ihre Unfähigkeit bewiesen, die kann weg!

    1. 1. Die SPD ist die Partei, die seit 1863 ganz wesentlich die Demokratiebewegung bestimmt und für die erste demokratische Verfassung 1919 gesorgt hat. Im Gegensatz zu anderen Parteien hat sie bis zum heutigen Tag keinen Zweifel daran gelassen, dass es ohne Demokratie und Freiheit auch keine soziale Gerechtigkeit geben kann.
      2. Wer sich Deutschland heute anschaut, kann sicherlich sehr viel kritisieren. Aber dass Deutschland seit 1998 „mit vier Jahren Unterbrechung“ einen Niedergang erlebt haben soll, maßgeblich befördert durch die SPD – das kann nur jemand denken und schreiben, der mit Hingabe die Wirklichkeit verleugnet.
      3. Das Führungspersonal der SPD hat gerade in den vergangenen Monaten bewiesen, dass es in einer Krisensituation den Herausforderungen durchaus gewachsen ist.
      4. Was das Totenglöcklein für die SPD angeht: Wir sprechen uns bei der Bundestagswahl 2021 wieder.
      Christian Wolff

      1. zu 1. Ich bestreite dies nicht. Die SPD war eine wichtige und erfolgreiche Partei. Aber meiner Meinung nach ist sie dies eben aktuell nicht mehr.
        zu 2. Nein, das habe ich weder geschrieben, noch gemeint. Meine Frage war, warum eine Partei, die diese Dinge, die im Artikel benannt werden, die letzten 20 Jahre als Regierungspartei nicht umgesetzt / angepackt hat, gerade jetzt dafür besonders geeignet sein soll? Man hatte doch all die Jahre alle Möglichkeiten. Nebenbei: Es wäre doch ein leichtes gewesen, Veränderungen anzupacken (oder gab es vor Corona dafür keinen Bedarf?), weil es Frau Merkel nur um ihren Machterhalt, egal zu welchen Bedingungen, geht. (Das mag jetzt etwas überspitzt sein, aber vielleicht verstehen Sie worauf ich hinaus will?) Nur habe ich das Gefühl, dass die SPD die letzten Jahre sich eher planlos treiben ließ. Warum sollte das bei gleichem Personal jetzt anders werden?
        zu 3. Herr Maas hat im Februar Schutzausrüstung verschenkt, die dann hier gefehlt hat. Als Regierung mit wesentlich mehr Infos als unsereiner hätte man Mitte Februar längst den Pandemieplan von 2012 umsetzen bzw. zumindest lesen müssen.
        Herr Scholz lässt unsere Steuergelder in alle Welt oder an Großkonzerne verteilen (ob freiwillig oder auf Druck der Kanzlerin weiß ich nicht), für die eigenen kleinen Leute wird aber geknausert.
        Nur 2 Beispiele, die anderes sagen in meinen Augen. Was nicht heißen soll, dass alles falsch war.
        zu 4. Sie haben recht, die Hoffnung stirbt zuletzt.

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