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Rede auf Ukraine-Kundgebung vor dem Gohliser Schlösschen am 02.04.22

Wir spüren es auf jeder Kundgebung seit dem 24. Februar 2022: Es ist ein großer Unterschied, ob jemand zu uns spricht, der oder die direkt vom brutalen Angriffskrieg des Putin-Russland betroffen ist; oder ob jemand – wie ich selbst – seine Gedanken zu dem entsetzlichen Kriegsgeschehen äußert und nachher wieder seinem Leben in ungestörter Normalität nachgehen und sich in großer Sicherheit wähnen kann. Darum treffen uns die Ansprachen des ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj im Innersten – ganz anders als eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Darum treiben uns die bewegenden, anrührenden Worte von Ukrainer*innen auf Kundgebungen die Schamröte ins Gesicht. Darum haben wir allen Anlass, sehr selbstkritisch und demütig denen gegenüber zu treten, die jetzt konkret unter den Bombardierungen, den Zerstörungen ihrer Lebensgrundlagen unendlich leiden oder die bei uns – verängstigt, verzweifelt, aller Zuversicht beraubt – Zuflucht suchen.

Die unterschiedlichen, sich durchaus widersprechenden Perspektiven sollten wir aber nicht bedauern oder einebnen oder darüber sprachlos werden. Diese Unterschiedlichkeit in unserem Reden und Tun ist notwendig, auch die Kontroverse. Ja, wir müssen öffentlich darum ringen, streiten, was jetzt bei uns der politisch richtige Weg ist: Stopp der russischen Gasimporte, Waffenlieferungen an die Ukraine, 100 Milliarden Aus- und Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr? Denn die wichtigste „Waffe“ im Kampf gegen Diktatur und Krieg ist: die Demokratie, eine demokratische Streitkultur, die freie Rede, die Vielfalt der Lebensentwürfe und Argumente, der kritische Diskurs. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine lehrt uns: Am Ende von Autokratismus und Diktatur, am Ende von Beschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, am Ende vom Austrocknen demokratischer Prozesse stehen Nationalismus, Militarismus, imperialistischer Krieg. Diesen Zusammenhang haben wir im Blick auf Russland in den vergangenen 20 Jahren aus den Augen verloren; einen Zusammenhang, den wir aus unserer eigenen Geschichte eigentlich kennen müssten.

Bei allen Vorbehalten, die man bei historischen Vergleichen an den Tag legen sollte: Jetzt stehen wir genau vor dem Scherbenhaufen wie Europa zu Beginn des 2. Weltkrieges. Putin hat in Russland zunächst mit brachialer Gewalt die Diktatur nach innen durchgesetzt, um dann mit ebensolcher Gewalt seinen großrussischen Herrschaftsphantasien zu folgen – unter gezielter und infamer Ausnutzung einer europäischen Politik, die eigentlich ein gemeinsames Haus Europa bauen wollte.

Die Frage, die sich jetzt stellt: Soll dieses Ziel eines gemeinsamen Hauses Europa, eines friedlichen Zusammenlebens nun ad acta gelegt werden? Ist auf lange Sicht Russland als feindliches Ausland zu behandeln? Nein! Wie auch immer der gegenwärtige Krieg ausgehen wird: Russland bleibt ein Teil Europas – genauso wie Belarus, Georgien, Moldavien, die Balkanstaaten, die EU-Staaten und natürlich die Ukraine. Wir müssen uns neu auf eine Friedensordnung für das gemeinsame Haus Europa verständigen. Wir müssen schon jetzt für Grundwerte dieser Friedensordnung eintreten: Wahrung der Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit. Das hat nichts damit zu tun, anderen eine westliche Lebensweise aufzuoktroyieren. Dafür gibt es viel zu viele Menschen in den Vereinigten Staaten und in West-Europa, die im verwerflichen Autokratismus ihr Heil suchen. Trump und Orbán lassen weniger grüßen als warnen. Nein, es sind diese Grundwerte, die allein friedliches Zusammenleben auf diesem Planeten ermöglichen.

So sehr ich die Wut auf das Putin-Russland teile, so sehr ich befürworte, dass es unsere vornehmste Aufgabe ist, die Selbstverteidigungskräfte der Ukraine zu stärken, so sehr ich hoffe und bete, dass das Putin-Regime bald zusammenkracht und der Krieg beendet wird – in all unserem Denken, Reden, Handeln dürfen wir die genannten Grundwerte nicht aus den Augen verlieren. Wir dürfen uns niemals durch die Gewalt- und Rachesprache eines Putin auf seine Ebene, auf die Ebene kriegerischer Zerstörung und gegenseitiger Verfeindung ziehen lassen und damit die eigenen Grundwerte verraten.

Putin und seine Vasallen sind Verbrecher. Ja. Viele Menschen werden durch und im Krieg zu Verbrechern. Ja. Unzählige russische Bürger*innen ermöglichen all diese Verbrechen. Ja. Aber es muss weiter ein Grundsatz des christlichen Glaubens, der zum Grundsatz des Rechtsstaates wurde, gelten: Auch der größte Verbrecher hat einen Anspruch auf die Menschenwürde, die er durch sein Handeln mit Füßen getreten hat. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau (1931-2006) sagte im Blick auf den Täter des Massakers von Erfurt im Jahr 2002: „Was immer ein Mensch getan hat: Er bleibt ein Mensch.“ Lasst uns davon niemals abrücken. Es gibt keine Unmenschen, wohl aber unmenschliche Taten – im Krieg allemal.

Lasst uns nie der Illusion anheimfallen, man könne Probleme lösen, indem man sie vernichtet. Wir lösen sie dadurch, dass wir gemeinsam um den richtigen Weg ringen und dabei allen Menschen ausreichend Luft zum Leben lassen. Darum gehe ich gegen Krieg und gegen Hochrüstung auf die Straße. Darum streite ich weiter für einen tatkräftigen Pazifismus, nämlich Konflikte mit dem geringst möglichen Gewaltaufwand zu lösen. Darum gilt meine Solidarität den Ukrainer*innen. Darum hoffe ich auf ein Ende des Putin-Regimes. Darum trete ich weiter für ein friedliches Zusammenleben im Haus Europa ein.

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Nachtrag: Seit dem gestrigen Sonntag (03. April 2022) ist die Welt entsetzt über die Massaker, die offensichtlich von russischen Truppen in mehreren Vororten Kiews unter der Bevölkerung verübt wurden. Man spricht von Kriegsverbrechen. Aber ist nicht der Krieg als solcher schon ein Verbrechen? Was kann man in einem Verbrechen anderes erwarten, als dass Menschen zu Verbrechern werden? Mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man Krieg mit Zivilität in Verbindung bringen kann.

34 Antworten

  1. Interessante Buchpräsentation der Friedrich Ebert Stiftung gestern (13.4.22) in Leipzig: Solidarität – Zur Geschichte und in den aktuellen Kriegs- und Krisenzeiten
    Solidarität in Abgrenzung zu Wohltätigkeit, Nachbarschaftshilfe, Kollegen-Geselligkeit. Da fällt einem dann schnell der Satz ein: „…als Zeichen unserer großen Solidarität mit der Ukraine liefern wir 5.000 Helme…“ und man merkt, wie falsch er ist!
    Wahre Solidarität verträgt sich nicht mit andauerndem Zaudern und Zögern, wenn ein Partner auf Augenhöhe nach wirksamen Waffen verlangt, oder um ein Energielieferungs-Embargo bittet, um die Kriegsfähigkeit des Aggressors nachhaltig zu schwächen. Sie schließt nicht aus, über Art und Umfang von Waffenlieferungen oder eine Abstufung des Embargos zu sprechen…
    Der Besuch des Bundeskanzlers in der Ukraine, z.B. vor oder gemeinsam mit Boris Johnson oder Ursula von der Leyen hätte ein (starkes) Symbol der Solidarität sein können. Auf absehbare Zeit sollte er eine solche Reise jetzt aber nicht mehr antreten. Da ich mir fest vorgenommen habe, auf Unhöflichkeiten oder Anstandsdefizite nicht einzugehen, werde ich nichts weiter zum ukrainischen Präsidenten und seinem Botschafter in Deutschland sagen, außer, dass sie sich und ihrem Land mit ihren Äußerungen in dieser Woche m.E. keinen Gefallen getan haben.

  2. Lieber Herr Plätzsch – sicher, Russland hat ein Veto-Recht, de jure. Aber der Sicherheitsrat hätte angesichts dieses Krieges eine Pflicht; ich beschreibe es so: Außergewöhnliche Zeiten fordern außergewöhnliche Handlungen. Es gibt Situationen – und die derzeitige ist eine solche, nicht zu erfassen, dieses Leid, diese Zerstörung, diese Gewalt mit ungeahnten Folgen für die Weltpolitik !!! – da muss gehandelt werden. Hier zeigt sich, welche Kompetenz der UN-Sicherheitsrat hat. Auch hier Ohnmacht…
    Und lieber M. Käfer – Selenskij hat in seiner Bedrängnis den Überblick für das Maß der dinge aus den Augen verloren. Ich sehe es wie Sie, wäre aber etwas sanfter in der Reaktion. Scholz hätte längst nach Kiew reisen müssen, unaufgefordert! Nun ja – warten wir den Montag ab…

  3. Dem, was Du sagst, lieber Christian (und schreibst), ist nur hinzuzufügen: GUT + notwendig, vor allem eben auch diese Rede in der Öffentlichkeit. Es wird ja heutigentags viel, sehr viel geredet (und geschrieben) – gesagt wird nicht immer das, was nötig wäre, es zu sagen! Aber es muss gehandelt werden. Ich frage mich z.B. wie viele zunehmend auch andere aus der Distanz: Warum sind nicht längst UNO-Blauhelm-Truppen in der Ukraine??? Und offenbart sich nicht deutlich auch in diesem Blog nach den vielfachen Kommentierungen (ich rede von den ernstzunehmenden) unsere Ohnmacht, unsere innere Zwiespältigkeit, wie mit diesem unfassbaren Kriegsverbrechen umzugehen, ihm Entscheidendes entgegen zu setzen sein müsste? Bisher bezeugen für mich die schrecklichen Realitäten, dass Putin bis dato mit nichts beizukommen ist, keine Diplomatie, keine massenhaften Waffenlieferungen, keine Sanktionen bremsen ihn bis jetzt, die von ihm als Staatsautokraten befehligte Armee wütet und keiner vermag, diese Katastrophe zu stoppen – nicht nur ich frage mich: wie soll das nur enden? Millionen Menschen verlassen die Ukraine und ALLES, was sie haben, fliehen und es werden Menschen getötet, unaufhaltsam. Es gilt nicht die Menschenrechtscharta der UN, Selenskji verliert den politischen Kopf, weil er sich partiell isoliert fühlt, Besuche div. Politiker sind temporäres Balsam, ändern aber (bis heute) an der schrecklichen Realität nichts. Ob die Kirchen, der Papst mit dem vorösterlichen Ruf zum Frieden, mindestens zu einer Waffenruhe während des hohen Osterfestes etwas erreicht beim Kreml-Diktator? Ob Kyrill seinen Freund Putin darin bestärkt, was elementares Menschenrecht per se fordert: Die Würde des Menschen ist unantastbar? Ich weiß es nicht.
    Eines ist jetzt längst klar: die spürbaren Ressentiments gegen Russland, gegen russische Staatsbürger zeigen auf, dass Putin seinem Volk unermesslichen Schaden zufügt. Wann wird es nur aufwachen…
    Wir haben direkten Kontakt mit ukrainischen Flüchtlingen hier in Sachsen; was sie erleben mussten, was sie erzählen, sprengt teilweise jede Vorstellungskraft und macht deutlich, in welcher Blase wir im „Westen“ leben.
    Ich wünsche für das bevorstehende Osterfest FRIEDEN, inneren und äußeren, auch in diesem Blog!
    Und Dir, lieber Christian, einen besonderen Gruss!!

    1. „Warum sind nicht längst UNO-Blauhelm-Truppen in der Ukraine???“
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      U. a. weil Voraussetzung für deren Einsatz eine Resolution des UN-Sicherheitsrats wäre, und da hat Rußland ein Vetorecht.

  4. Bei aller Sympathie nach wie vor und uneingeschränkt mit dem ukrainischen Volk, nach dem Affront gegen den obersten Repräsentanten der Bundesrepublik gestern Abend fühle ich mich nicht mehr willkommen auf Ukraine – Solidaritätsveranstaltungen.
    Präsident Selenskyj hätte durchaus sein Missfallen gegenüber der Person Steinmeier vor Ort in Kiew ausdrücken können (z.B. kein Händeschütteln), aber ihn – wenige Stunden vor Reiseantritt – als unerwünscht zu erklären, trifft und beschämt auch alle deutschen Bürger:innen!

    1. Mich ärgert, dass die ukrainische Führung Putin politisch in die Hände gespielt hat, denn jetzt wird ein Riss zwischen West,- und Osteuropa sichtbar. Schade, dass die baltischen Präsidenten und der polnische Präsident nicht aus Solidarität den Besuch abgesagt haben.

  5. „Krieg ist das Ergebnis mangelnder Friedenspolitik“ – schreibt uns Herr Wolff und schön wäre es ja, wenns stimmte. Aber leider ist es eben nicht so. Krieg ist vielmehr das Ergebnis von Meinungsverschiedenheiten, deren Beilegung durch menschliches Versagen oder andere Umstände für eine Partei nicht mehr anders möglich scheint. Es geht ja schon damit los, daß Herr Wolff gerne einen „Kleinkrieg“ um Vokabeln anfängt – zB die Vokabel „Phänomen“ – anstatt eben die großen Linien einer Argumentationskette aufzugreifen und zu akzeptieren oder zu widerlegen. Was ist eigentlich Friedenspolitik? Warum ist es keine Friedenspolitik, wenn man Potential bereit hält, das entweder abschreckt oder mindestens zur Verteidigung befähigt? Warum ist es umgekehrt Friedenspolitik, wenn man die Bergpredigt zitiert, wenn man so schöne Sätze schreibt wie „es muß Platz für Kain und Abel sein“, wenn man aber doch gleichzeitig eine andere Wirklichkeit wahrnimmt. Herr Wolff und ich stimmen sicherlich darin überein, daß der Erhalt des Friedens jede Anstrengung auf diplomatischem Felde wert ist (und daß die Grundsätze der Bergpredigt dazu einen schönen Anhalt bieten). Aber er selbst schreibt uns dann: es könne ja eine Lage geben, in der „man (Kriege) von vornherein als Mittel der politischen Auseinandersetzung einkalkuliert“ – und ja genau: Solche Diktatoren gibt es und gegen sie eine Verteidigung aufzubauen, ist eben sachlich richtig, vernünftig und einzig verantwortlich. Wo es einen Gegensatz gibt zwischen Wolff und mir, ist die Tatsache – nicht die Annahme, nicht die Vermutung, sondern die Tatsache –, daß es (siehe oben) Umstände oder Personen gibt, die die Dinge so anders sehen, daß selbst die beste „Friedenspolitik“ – wir meinen hier eine Politik ohne Waffen und Waffen sind auch (im kleinen) Fäuste, Messer, Knüppel und, ja, auch Worte – den Frieden nicht erhalten kann. Bundespräsident Steinmeier hat sich gerade – eine große, wenn auch völlig überflüssige Geste – entschuldigt, weil er jahrelang „Friedenspolitik“ betrieben hat: Wandel durch Handel oder Annäherung, Einbindung des Gegners in Konferenzen und Verhandlungen, wirtschaftliche Verflechtung, eine Vielzahl von persönlichen Begegnungen zum Gespräch und zur Überzeugung (weit mehr also als Mitdiskutanten hier, die persönliche Begegnungen ablehnen, weil sie dann vielleicht Angst überwinden und ihr Bild ändern müßten). Steinmeier hat getan, was Wolff fordert – jetzt wird er dafür (natürlich zu Unrecht) kritisiert. Warum? Weil es eben schief gegangen ist, aber dies lag nicht an Steinmeier und seiner Politik (die ja allseitig von den „Friedensstrategen“ gefordert wurde). Es liegt an der Tatsache, daß Friede nur erreichbar und erhaltbar ist, wenn alle freiwillig, oder durch eine realistische Bedrohungseinschätzung dazu gezwungen, mitmachen. Und wer jetzt Steinmeier kritisiert, der ist es, der in seiner nachträglichen Besserwisserei nicht friedensfähig ist. Krieg ist also nicht das Ergebnis mangelnder Friedenspolitik, sondern das Ergebnis mangenden FriedensWILLENS – und da gibt es halt in unserem Leben, im Kleinen (siehe diesen Blog) und im Großen (siehe die traurige Lage an vielen Stellen dieser Welt) immer jemanden, der seine Ansicht für unfehlbar hält. Ich freue mich nun (weil ich mich nicht für unfehlbar halte) über jeden, der mich widerlegt – aber wenn er nur eine Vokabel rausgreift oder wenn er nur Schlagworte ins Feld führt, dann fehlt ihm eben die Größe eines Steinmeier oder auch der augenblicklichen Bundesregierung, die eher erkannt haben, wie die Welt in Wirklichkeit ist.
    Ein fröhliches Osterfest wünsche ich allen hier – ein Fest übrigens, das ja mit unglaublicher Brutalität und Gewalt begonnen hat, mit Verrat und Mißgunst, mit Bestechung und auch hinterher, zumindestens vorübergehend, mit Verleugnung eines Freundes. Alles menschlich seit 2000 Jahren, alles in dieser Welt – und jeder, der sich und die seinen schützen will, tut gut daran, auf das Gute im Menschen zu hoffen und sich gegen das Böse im Menschen zu wappnen.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. 1. Beim Krieg handelt es sich nicht um die Endstufe von „Meinungsverschiedenheiten“, die man mit anderen Mitteln nicht mehr auszutragen bereit ist. Der Angriffskrieg Putins lehrt, dass Krieg vor allem die Endstufe einer nationalistischen, Diktatur betreibende Politik ist. Gegen einen solchen Krieg werden auch die Mittel von Hochrüstung nur bedingt etwas ausrichten können: erstens erleben wir, dass die atomare Abschreckung in nicht-gewollter Weise funktioniert – sie ermöglicht Krieg; und zweitens lässt sich Autokratismus nur politisch bekämpfen – und zwar in diesem Fall durch die russische Bevölkerung.
      2. Wer Friedenspolitik auf „Bergpredigt“ und „Kain und Abel“ reduziert oder sie als lächerlich schwächlich karikiert, indem er schon ein sog. „Wortgefecht“ als unfriedlich betrachtet, der kann mit dem Begriff Frieden nichts anfangen. Da endet dann auch eine Auseinandersetzung. Zu einer Friedenspolitik, die den Namen verdient, gehört vor allem, diese nicht nur auf die jeweils Regierenden zu beziehen, sondern auf die Gesellschaften sowie den einzelne*n Bürger*in, um deren Würde und Integrität es geht. Das wurde in Sachen Ukraine/Russland spätestens seit 2014 vernachlässigt.
      3. Wer die Vorgeschichte von Ostern erwähnt, sollte das Ostergeschehen als solches nicht verschweigen. Dort wurde mit der Auferstehung Jesu das ins Recht gesetzt, wofür Jesus zeitlebens eingetreten ist und was ihn ans Kreuz gebracht hat. Selbst die radikalste Form der Gewalt, nämlich der gezielt herbeigeführte Tod eines unliebsamen Menschen, hat nicht dazu geführt, dass nun die angebliche Lächerlichkeit der Gewaltfreiheit endgültig beseitigt ist. Solange Menschen diesen Osterglauben in sich tragen, werden sich Leute wie Herr Schwerdtfeger damit leben müssen, dass den Kriegsherren und -damen nicht das Feld überlassen bleibt.

      1. „Zu einer Friedenspolitik, die den Namen verdient, gehört vor allem, diese nicht nur auf die jeweils Regierenden zu beziehen, sondern auf die Gesellschaften sowie den einzelne*n Bürger*in, um deren Würde und Integrität es geht. Das wurde in Sachen Ukraine/Russland spätestens seit 2014 vernachlässigt.“
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        Diesen Vorwurf hätte ich gern belegt. Sie meinen doch den sog. Westen. Was hätte denn der für weitergehende Aktivitäten in die russische Gesellschaft machen können? Nehmen wir als Beispiel Alexei Nawalny. Wenn jemand die russische Gesellschaft kennt, dann doch er. Und wie hat er sich verschätzt als er nach überstandenem Giftanschlag aus dem sicheren Deutschland, in das die Bundeskanzlerin ihn durch persönliche Intervention brachte, in seine Heimat zurückkehrte. Ich bin davon überzeugt, dass er nicht davon ausging, dort jahrelang im Straflager zu landen.

        Im heutigen SPIEGEL wird der französische russischstämmige Philosoph Michel Eltchaninow (Buch „In Putins Kopf“) interviewt;

        „Ich glaube, wir haben alle gesündigt. Wir haben nicht ernst genommen, was Putin seit Jahren sagt. Er sagt seit zehn Jahren das Gleiche: Der Westen. Der Liberalismus. Die Bedrohung Russlands. Und ich glaube, dass wir ihn nicht ernst genommen haben, weil wir dachten, ein Krieg wäre unmöglich.“

        Das ist die Realität und nicht eine versäumte Friedenspolitik des Westens..

        1. Ich verstehe Ihren Einwand nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzug zu dem, was ich geschrieben habe. Meine These ist: Die Politik gegenüber Russland wurde vor allem im Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen/Ernergielieferungen ausgerichtet. Da trifft der Vorwurf zu, den Selenskyj im Bundestag erhob: „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“. Wir müssen nach innen und außen stärker darauf achten, womit und wodurch wir Autokraten und ihr diktatorisches Wirken eingrenzen bzw. verhindern oder eben fördern.

          1. Das Geschäftsmodell der Bundesrepublik bestand darin, billiges russisches Gas aus Rußland zu importieren und Luxusautomobile nach China zu exportieren. Die Globalisierung der Wirtschaft schafftt gegenseitige Abhängigkeiten: „Wandel durch Handel“ ist gut gedacht, leider gegenüber Rußland gescheitert. Und wie der Mangel an Masken zu Beginn der Pandemie gezeigt hat, auch gegenüber China problematisch. Diese Abhängigkeiten müssen reduziert werden. Das wird einen Teil unseres Wohlstands kosten. Aber hätte eine Verminderung des Rohstoffimports aus Rußland den Krieg verhindert? Ich glaube nicht. Ich hatte Sie, lieber Herr Wolff, so verstanden, dass der Westen noch auf anderen Gebieten hätte etwas tun können, um den Krieg zu verhindern. Doch da sehe ich nichts.

      2. Was könnte den Unterschied zwischen uns, Herr Wolff, besser kennzeichnen als diese Korrespondenz:
        ICH glaube Ihnen Ihren Anspruch, für den Frieden einzutreten, halte nur Ihren Weg dorthin für weder realistisch noch glaubwürdig. SIE dagegen bestreiten meinen Friedenswillen, weil ich als EIN Mittel zu diesem Ziel Streitkräfte für zwingend erforderlich halte. „Warum ist es keine Friedenspolitik, wenn man Potential bereit hält, das entweder abschreckt oder mindestens zur Verteidigung befähigt?“ fragte ich. Sie antworten mit vagen Hinweisen auf „Hochrüstung“ oder „Zackigkeit“ und mit so selbstverständlichen Anmerkungen wie „lässt sich Autokratismus nur politisch bekämpfen“ – der Einsatz von Streitkräften IST politisch! – und mit dem Ausweichen auf „Gesellschaften“ und „Bevölkerung“, wo hier doch der Krieg diskutiert wird, in dem sich die Ukraine – mit Streitkräften und Waffen – gegen eine Aggression von außen zur Wehr setzt. Daß es Ihnen so schwer fällt, andere Wege zum gleichen Ziel – zumal natürlich nicht ausschließlich, sondern als zwingende Ergänzung zur Diplomatie, Wirtschaft, also Ihren Vorschlägen – angesichts der krassen Realität unserer Welt anzuerkennen, ist mehr als erstaunlich.
        Und dies auch, weil ja Ihre bruchstückhaften Einlassungen auf diesem Gebiet Unkenntnis erkennen lassen, was nicht verwundert. Ich bin kein Experte auf Ihrem Gebiet und finde daher Ihre Anmerkungen zum Osterfest (wie auch bei anderen Gelegenheiten zu Weihnachten, etc) interessant und bedenkenswert. Mein Kommentar zum Osterfest widerspricht ja Ihnen auch gar nicht – weshalb „Leute wie ich“ auch gut damit leben können. Mein Kommentar stellte sachlich fest, daß das Osterfest mit einem Gewalt- und Verratsausbruch begonnen hat – Beweis für meine These, daß man diese Phänomena über 2000 Jahre nicht hat aus der Welt bringen können und daß es also sinnvoll ist, sich dagegen zu wappnen. Was die „Botschaft“ angeht, akzeptiere ich Ihre Erläuterung gerne. Ihre Einlassungen zu Kriegen, Nuklearkriegen allzumal, stehen dagegen auf schwachen Füßen und zeigen halt weniger Expertise: Es ist offensichtlich, daß es nicht die gegenseitige nukleare Abschreckung ist, die Kriege „ermöglicht“ – die gegenseitige nukleare Abschreckung verhindert nukleare Kriege. Es ist (Kurzform!) der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es zwingend erscheinen lässt, unterhalb der nuklearen Schwelle Mittel zur Verteidigung bereitzuhalten, denn ohne diese gäbe es nur Eskalation oder Kapitulation. Ihr Argument – auf die Vergangenheit bezogen, in der es noch keine Atomwaffen gab –, daß erst die Erfindung von Pfeil und Bogen den Faustkampf möglich gemacht hat, läßt sich wohl nicht wirklich aufrecht erhalten.
        Interessant ist schließlich, daß Sie jetzt plötzlich die Fähigkeit zum Frieden dem absprechen, der „schon ein sog. ‚Wortgefecht‘ als unfriedlich betrachtet“. Bisher waren es immer SIE und IHRE Jünger, die Wortgefechte nicht ertrugen und sie als Ausrede benutzten, die sachliche Diskussion zu meiden und stattdessen in moralisierende Hinweise zu Höflichkeit und individuelle Beleidigungsinterpretationen auszuweichen. Ich stelle nur fest, daß auch Worte Waffen sein können – und daß dies hier von Ihnen weidlich genutzt wird: Wer andere Meinung hat wird (mit Namensnennung: „Leute wie Herr Schwerdtfeger“) bekämpft; und man muß noch froh sein, daß man nicht des „Gehens über Leichen“ beschuldigt wird angesichts des Diskussionsthemas, nämlich Waffen.
        Glaubwürdigkeit, Herr Wolff, ist Ihr Problem!
        Ich wünsche Ihnen ein Frohes Osterfest ganz im Sinne Ihrer Erklärung.
        Andreas Schwerdtfeger

    2. Bezüglich Steinmeier bin ich Ihrer Meinung, Herr Schwerdtfeger. Wenn ich auch Verständnis für Selenskyi habe, der keine Symbolbesuche braucht, so ist die Ausladung des Bundespräsidenten (während die anderen vier Präsidenten kommen dürfen) doch ein Affront. Gut für Scholz, denn nun braucht er nicht zu fahren.

  6. Es ist eben sehr problematisch, lieber Herr Wolff, wenn man – wie Sie – die Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis nimmt: Sie kennen keinen Krieg, der nicht ein Angriffskrieg war – was war denn mit England, Frankreich, auch der Sowjetunion, die sich VERTEIDIGT haben? Was ist denn heute mit der Ukraine, die sich VERTEIDIGT? Was ist im Jemen, in Eritrea, in Syrien, im Sudan, etc, bezogen auf die angegriffenen Seiten? Natürlich gibt es immer jemanden, der anfängt – insofern gibt es einen Angreifer, ja. Aber da man dies, wie das Beispiel zeigt, offensichtlich nicht verhindern kann – und also lohnt auch lamentieren nicht –, ist wohl eine gut vorbereitete Verteidigung und Abschreckung die beste Friedensvorbereitung und -politik.
    Und nochmal: Aus ideologischen Gründen hinzugehen und einen politischen Zustand, der nunmal zu unserer Realität gehört und offensichtlich unvermeidbar ist, vom Recht ausnehmen zu wollen (mit dem fadenscheinigen Argument, Krieg und Recht seien unvereinbar), ist allemal der falsche Weg. Man muß das internationale Kriegsvölkerrecht stärken, ausbauen und verbessern, nicht es ideologisch verunglimpfen. Ich habe auf die Schwierigkeiten hingewiesen, aber ich halte sie für Ansporn und nicht für widersinnig. Recht wirkt immer langsam, aber natürlich ist es gut, daß wir es haben und denjenigen Hoffnung geben, die wenigstens nachträgliche Gerechtigkeit erwarten dürfen.
    Und schließlich: Es ist die Tragik der sich selbst so nennenden Pazifisten, daß sie in der Tat (siehe die Geißler-Anmerkung) nicht erkennen, daß ihre Haltung gewalt- und damit auch kriegsprovozierend ist. „Wenn es aber in der Geschichte eine Vergeltung gibt, dann ist es die Rache der Realität an den Ideen, die versucht haben, die Realität zu ändern“ (Alexander Demandt) – das ist die Tragik der sogenannten Pazifisten, die durch ihre Parolen in der Tat das bewirken, was sie verhindern wollen. Wenn Jesus uns empfiehlt, auch die andere Wange hinzuhalten, dann nimmt er wohl als gegeben an, daß es jemanden gibt und immer geben wird, der einen aggressiven Akt unternimmt. Die Frage ist also nur, wie reagieren – hinnehmen oder abschrecken und notfalls verteidigen!
    Andreas Schwerdtfeger

      1. „Der zweite Weltkrieg“ ist eine historisch-politische Kategorie, Man sollte differenzieren: Zunächst überfiel das Deutsche Reich am 1. 9. 1939 die Republik Polen. Am 3. September 1939 erklärte Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg und wenige Stunden später auch Frankreich. Hitler glaubte übrigens nicht daran, dass beide Staaten ihren Bündnisverpflichtungen gegenüber Polen nachkämen. Ich habe in der DDR-Schule gelernt, man solle zwischen gerechten und ungerechten Kriege unterscheiden. Das ius ad bellum ist natürlich auch eine fragwürdige Sache, weil ein Staat einseitig sein Recht auf einen gerechten Krieg erklären kann.

      2. Ja, Herr Wolff, da haben Sie gründlich was mißverstanden. Wenn man das Phänomen „Krieg“ diskutiert, dann geht es nämlich nicht um die Frage des „Ob“. Die Geschichte, auf die Sie hier rekurrieren, zeigt uns, daß Kriege (auch Bürgerkriege) immer stattfinden werden, weil es eben immer jemanden gibt, der sie anfängt. Den Krieg an sich zu verurteilen, ist daher eine sehr müßige und wohlfeile Übung – und Sie wissen das. Es geht um die Fragen, wie man auf einen Aggressor reagiert und ob bzw welche Vorbereitungen man trifft um zu vermeiden, daß man in einen Krieg hineingezogen wird (wie jetzt die Ukraine, wie damals England und Frankreich, auch Polen, etc) oder ihn erfolgreich besteht. Wenn es nur so einfach wäre, wie Sie das unterstellen – Krieg ist böse, es darf ihn nicht geben, also braucht man auch nichts gegen ihn zu unternehmen außer eine “Friedensstrategie“ zu entwickeln (offensichtlich unter Ausschluß von Waffen)! Die großen Friedensstrategen unserer Zeit halten uns dauernd vor, daß es seit Ende des 2. WK mehr als 100 bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben hat – nach Ihrer Methode hätte man doch bloß eine „Friedensstrategie“ – selbstverständlich ohne Waffen – finden und (ohne Waffen) durchsetzen müssen. Oder habe ich da was mißverstanden?
        Ich nenne niemanden beim Namen – es lohnt auch kaum, auf Naivitäten und Realismusverweigerung einzugehen, aber den Frieden propagieren und nichts dafür zu tun, außer die eigene Weste mit Illusionen sauber zu halten – Tatsache, keine Verunglimpfung! – reicht eben nicht.
        Andreas Schwerdtfeger

        1. 1. Seit wann ist Krieg ein „Phänomen“, also etwas Ungefähres, in seinen Ursachen nicht zu Bestimmendes, Merkwürdiges? Nein, das Entstehen von kriegerischen Handlungen ist rational erklärbar. Eine Erklärung unter vielen anderen ist: Krieg ist das Ergebnis mangelnder Friedenspolitik.
          2. Es ist immer wohlfeil, denjenigen, die für nicht-militärische Strategien bei internationalen Konflikten eintreten, Untätigkeit zu unterstellen. Vielleicht sollten einmal alle, die Kriegführen und die Vorbereitung dafür (Aufrüsten, Rüstungsexport etc.) für selbstverständlich halten, einmal darüber nachdenken, dass genau das etwas mit Untätigkeit in Sachen friedlicher Konfliktlösungen zu tun hat. Wenn es mit Gewalt/Draufschlagen/Drohen geht, warum sich dann einem mühsamen Verständigungsprozess aussetzen, der davon ausgeht: Es kann nur Frieden geben, wenn es Lebensmöglichkeiten für Kain und Abel gibt.

          1. Wie man es gesehen hat bei Kain und Abel! Sie müssen Ihre Friedensstrategien schon mit Inhalten ausfüllen. Ich fülle meine Friedensstrategie mit Inhalt, indem ich eine glaubwürdige und abschreckende Gegenwehr vorschlage. Und ich freue mich, daß in der ersten Bewährung der neuen Regierung, diese die Größe und den Mut hatte, gegen alles vorher gesagte die richtigen Maßnahmen zu ergreifen – gegenüber dem Angegriffenen und zur Vorsorge gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die Regierung hat ihre Pflicht erkannt, Schaden vom Volke abzuwenden – andere schwafeln halt nur. Hätte unsere Regierung bei Corona ebenso verantwortungsbewußt gehandelt, wären wir auch auf diesem Gebiet besser geschützt. Aber immerhin – Lernfähigkeit ist ein Prozess, der bei manchen lange dauert.
            Andreas Schwerdtfeger

          2. Gerne „schafele“ ich weiter.Das ist mir auf jeden Fall lieber als zackig alle Alternativen zu kriegerischen Handlungen von vornherein auszuschließen. Es könnte ja durchaus sein, dass Kriege auch deswegen entstehen, weil man sie von vornherein als Mittel der politischen Auseinandersetzung einkalkuliert. Die Ostpolitik sowie die Politik der Integration Deutschlands in Europa ging einmal davon aus: Es muss unter allen Umständen eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den damaligen Militärblöcken verhindert werden. Diese Unbedingtheit war in den letzten 30 Jahren nicht mehr vorhanden – was auch dazu führte, Beziehungen zu Russland fast ausschließlich auf wirtschaftliche Beziehungen zu beschränken (Energie). Das hat mit dazu beigetragen, dass die Entwicklung des System Putin zu einer nationalistischen Diktatur nicht im Fokus war.

  7. Man sollte jetzt mal versuchen, das Problem des Krieges in der Ukraine wieder mit Vernunft anstatt mit Emotionen zu diskutieren, so schwer das sein mag:
    1. Krieg ist ein POLITISCHER ZUSTAND. Man wird ihn nicht mögen, aber zu sagen, daß „Krieg und Recht sich gegenseitig ausschließen“ bedeutet, den Krieg noch mehr zu brutalisieren. Die Welt ist wohl eher dankbar dafür, daß es ein internationales Kriegsvölkerrecht gibt (auch wenn es häufig unwirksam bleibt). EIN Problem heutzutage ist, daß im Krieg in praxi nicht mehr zwischen „Zivilisten“ und „Streitkräften“ unterschieden werden kann – dies nicht nur wegen der Wirkung von Waffen, sondern auch wegen der Tatsache, daß zunehmend „Zivilisten“ (einschl Frauen und zumindestens Jugendlichen) aktiv und freiwillig in Kriegshandlungen eingreifen.
    2. Wir reden viel von dem Spagat, Gas zu brauchen, damit aber den Aggressor zu finanzieren. Es sollte nicht vergessen werden, daß die Ukraine, durch die drei Leitungen fliessen, diese nicht zugemacht hat: Die Ukraine bekommt meines Wissens von Rußland durchgehend weiter die Durchleitungsgebühren. Putin – in westlicher Sprache – finanziert also den Krieg gegen sich selbst.
    3. Noch vor wenigen Wochen zeigten die westlichen Sender stolz, wie die Ukraine Zivilisten mit Waffen ausrüstete, sie an Waffen ausbildete und zur Verteidigung des Landes einsetzte. Wir alle (nehme ich mal an) empfanden dies als Zeichen der tapferen Gegenwehr der Ukraine gegen eine Aggression von außen. Aber die Bewaffnung von Zivilisten hat eben, wie wir leider jetzt sehen, durchaus auch problematische Seiten. Ich entschuldige keine Kriegsverbrechen – ich zeige nur auf, wie Zivilisten (sofern man sie überhaupt noch identifizieren kann – bei den Palästinensern zB geht das gar nicht mehr) instrumentalisiert werden durch unsere Medien und in den emotionalen Politikerreden: Mal als Opfer, mal als Helden.
    4. Man muß den Versuch machen, Lösungsvorschläge OBJEKTIV auf ihre Realisierungschancen zu prüfen. Wenn zB die Ukraine gleichzeitig vorschlägt, auf einen Nato-Beitritt verzichten zu wollen, wenn sie dafür Sicherheitsgarantien der westlichen Staaten bekommt, dann ist das nichts weiter als der Nato-Beitritt durch die Hintertür. Ein solcher Vorschlag ist zu durchsichtig. Und in solchem Realismus muß wohl auch für einige Zeit akzeptiert werden, daß Putin der Gesprächs- und Verhandlungspartner in dieser Sache bleiben wird (oder ein – sehr unwahrscheinlich – Nachfolger, der kaum anders als Putin handeln wird). Es ist eben über die letzten Jahrzehnte der westliche Fehler gewesen, Putin in moralisierender Art immer weiter zu isolieren, anstatt ihn einzubinden in gemeinsames Handeln in der UNO.
    5. Der Westen sollte sich sprachlich zurücknehmen und dafür mehr agieren: Auch Worte nutzen sich ab – Kriegsverbrechen, Greueltaten, Unmenschlichkeit; wir hören das alles und wiederholen es und es bewirkt nichts. Wir sollten stattdessen fordern, daß das Rote Kreuz zB die Ukrainer besuchen darf, die Rußland nach eigener Aussage „gerettet“ und dorthin gebracht hat. Wir sollten unsere Sanktionen treffen, ohne dabei dauernd auf die Auswirkungen auf uns selbst hinzuweisen – Putin erkennt darin nur ein gewisses Zögern. Sanktionen bedürfen keiner Erklärungen, ebenso wie sie eben – wir sehen es – keine UNMITTELBAREN Auswirkungen auf das Kriegsgeschehen haben.
    6. Die Diskussion um Vokabeln erscheint mir gänzlich überflüssig: Was ist „tatkräftiger Pazifismus“? Soldaten verstehen darunter: „So vis pacem, para bellum“! Und unsere Regierung sieht das wohl dankenswerterweise ähnlich. Herr Wolff versteht darunter offensichtlich was völlig anderes, ohne es je zu definieren. In jedem Fall wäre es wohl wichtiger, konkret zu sehen und zu definieren, was machbar ist, anstatt sich in Vokabelkriegen zu verlieren. Ich verfolge parallel die augenblickliche Debatte im EU-Parlament – eine unglaublich überflüssige Veranstaltung: ALLE Redner sagen in ihrer Verurteilung der Verbrechen dieses Krieges in unterschiedlicher aber allgemeiner Emotionalität dasselbe – aber in über einer Stunde Debatte noch kein einziger Vorschlag, wie man denn zu Lösungen kommt. Es ist erbärmlich!

    Der Krieg wird enden, wenn Putin zur innenpolitischen Beruhigung einen „Erfolg“ verkünden kann. Das für die Ukraine beste territoriale Ergebnis wird dann – leider – der status quo ante sein und nicht mal das ist wahrscheinlich. Die ganzen Opfer und Zerstörungen werden bleiben und der Westen wird das alles wieder aufbauen, zusammen mit den dann zurückgekehrten Flüchtlingen, was diese entscheidend von denen der Jahre 2015/16 unterscheidet. Es kommt darauf an, der Ukraine (gilt auch für Georgien und andere) einen Platz ZWISCHEN Rußland und dem Westen zu sichern, der ihr Sicherheit und Wohlstand bietet und der sehr wahrscheinlich nur gemeinsam mit Rußland verhandelbar ist.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. 1. Richtig ist, dass die Inflation der Worte und vor allem der Bilder oft zu keinem Erkenntniszuwachs führen. Wir haben jetzt seit drei Tagen die Leichen auf der immer gleichen Straße gesehen, immer dieselbe Kameraeinstellung, verbunden mit den immer gleichen Worten, die suggerieren sollen, dass es sich um ein singuläres Geschehen handelt. Dabei ist der ganze Krieg von Anfang an Ausdruck von horrender Unmenschlichkeit. Der getötete Soldat stirbt nicht einen gerechtfertigten Tod, während der ermordete Zivilist einem Verbrechen zum Opfer fällt. Beides ist verwerflich. Solange wir aber das militärische Töten mit dem Recht in Verbindung bringen, wird es schwer, die Gewalt einzudämmen. Sie, lieber Herr Schwerdtfeger, zeigen es selbst auf.
      2. Dass der Satz „Willst du den Frieden, bereite den Krieg vor“ nicht stimmt, zeigen alle Angriffskriege (und ich kenne keinen Krieg, der nicht ein Angriffskrieg war und ist). Denn da dient die Kriegsvorbereitung einem Ziel: dem Krieg. So auch Putins Krieg gegen die Ukraine. Wer den Frieden will, kann nur den Frieden vorbereiten bzw. den Krieg verhindern. Dass es jetzt zum Krieg gekommen ist, liegt doch zum einen an dem militaristischen und nationalistischen Größenwahn Putins und seiner Vasallen. Zum andern liegt es auch an mangelnder Friedenspolitik des Westens in den vergangenen 20 Jahren. Darum ist es unzutreffend, wenn jetzt so getan wird, als sei eine Friedenspolitik gescheitert. Was nicht wirklich vorhanden war, kann auch nicht scheitern.

      1. „Zum andern liegt es auch an mangelnder Friedenspolitik des Westens in den vergangenen 20 Jahren.“
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        Der Westen hat auf „Wandel durch Handel“ gesetzt. Diese Politik ist allerdings gescheitert. Doch wenn sie nicht versucht worden wäre, hätten Sie, Herr Wolff, das auch bemängelt. Frau Dr. Merkel und Herr Sarkozy haben 2008 den von J. W. Bush .initiirten NATO-Beitritt der Ukraine verhindert, weil sie Rußlands Interessen berücksichtigt haben. Der Westen hat Rußland in Syrien gewähren lassen. Nordstream 2 wurde nach der Annexion der Krim und Beginn des Donbas-Krieg vereinbart. Der Abschuss einer niederländischen Verkehrsmaschine durch von Russen unterstützten Donbas-Separatisten blieb ohnne wirksame Sanktionen, Morde und versuchte Morde an politischen Gegnern z. T. auf EU-Territorrium wurden nicht politisch sanktioniert. Die gern zitierte Rede Putins im Bundestag am 25. 9. 2001 fand zwei Jahre nach Beginn eines grausamen Tschetschenienkriegs statt. Anna Politkowskaja, die darüber berichtete, wurde am 7. 10. 2006 als Geburtstagsgeschenk für Putin ermordet.
        Was bleibt, ist einzig das berühmte Obama-Zitat von der „Regionalmacht Rußland“, das dieses hat reizen können.

        Ich erinnere Sie an den ehemaligen CDU-Generalsekretär Geißler:

        „Der Pazifismus der 30er-Jahre – der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben – dieser Pazifismus der 30er-Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“

        1. Das Geißler-Zitat ist einer der übelsten Sätze, die im Bundestag jemals gesprochen wurden – allein schon wegen der Tatsache, dass viele überzeugte Pazifisten von den Nazis ermordet wurden. Es ist grotesk, diejenigen, die sich den Nazis entgegengestellt haben, zu bezichtigen, sie hätten Auschwitz, also dioe Ermordung von Millionen Menschen ermöglicht. Aber eigentlich verbietet es sich, solch unsinnig-böswilligen Gedankengang auch noch zu kommentieren.

  8. Danke, lieber Christian für Deinen Redebeitrag am 2.4.22, den ich voll inhaltlich unterstütze! Leider habe ich ihn nicht mehr im Original miterlebt – es war mir zu kalt, die Veranstaltung zu lang (15 – 19 Uhr), etwas unprofessionell (1 Stunde „Sound-Check“, ohne erkennbare Ergebnisse, tatsächlicher Veranstaltungsbeginn dadurch erst gegen 16 Uhr), und in Teilen zu aggressiv (manche Redebeiträge, aber auch die Schilder mit „Kill Putin“)….
    Auch ich empfinde den Zwiespalt, einerseits vom brutalen Krieg in der Ukraine tief betroffen zu sein, andererseits weiterhin in „ungestörter Normalität“ leben zu können!
    Ohne eine abschließende Einschätzung treffen zu können, sehe ich derzeit folgende Punkte als gegeben / wünschenswert:
    • Einen Frieden MIT Putin wird es nicht geben
    • Was – exemplarisch – offensichtlich in Butcha passiert ist, ist ein KRIEGSVERBRECHEN. Ich halte diesen juristischen Begriff trotz Deiner und Einwänden von Anderen für gerechtfertigt; diese Gräueltaten müssen dokumentiert, angeklagt und verurteilt werden
    • Spätestens nach den Bildern von Butcha dürfen wir nicht mehr „rumeiern“ (nächste Sanktionsstufe, noch mehr Diplomaten ausweisen, noch mehr Empörung) sondern müssen konsequent handeln – auch um den Preis, dass uns dies selbst kurzfristig mehr schmerzt als den Aggressor Russland ( Ausschluss aller russischen Banken aus SWIFT, sofortiger Stopp von Öl- und Kohlelieferungen aus Russland und maximal mögliche Reduktion der Gasimporte)
    • In Deutschland wünsche ich mir schnell eine aufrichtige Diskussion über Waffenlieferungen an die Ukraine; so wie ich selbst war unsere Regierung da lange zu zögerlich. Mir scheint derzeit plausibel, die Ukraine nicht nur mit reinen Abwehrwaffen zu beliefern, sondern sie auch zu ertüchtigen, sich gegen Angriffe durch russische Kriegsschiffe zu wehren
    • Eng abgestimmt mit Frankreich und Italien (Spanien) eine echte Führungsrolle bei der Konfliktlösung einnehmen
    • Aufrichtige Kommunikation, dass und wo / wie wir den Gürtel mittel- und langfristig enger schnallen müssen (dabei die Notwendigkeiten der Klimakrise am Besten gleich mit „einpreisen“)
    Bei der jetzt notwendigen Diskussion und Verabschiedung einer neuen Friedensordnung wünsche ich mir auch eine weitaus lautere und entschiedenere Positionierung der Kirchen (nicht nur der christlichen)!

    1. Vielen Dank für Deine weiterführenden Gedanken, lieber Michael. Nur dass da kein Missverständnis aufkommt: Natürlich sind die schrecklichen Massaker in Butcha und anderen Städten Kriegsverbrechen. Aber das Verbrechen beginnt schon vorher: mit dem Krieg.

    2. Ich sehe nicht dass Putin von der Macht verschwindet – und selbst wenn, wer folgte ihm? Also wird man mit ihm (vielleicht nicht persönlich) einen Frieden schließen müssen. Ich hoffe, dass unsere Entscheidungsträger einen kühlen Kopf bewahren werden – was immer auch kommen werde.

  9. „Mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man Krieg mit Zivilität in Verbindung bringen kann.“
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    Wer macht denn das? Aber schon eigenartig wie sich die Positionen verschieben. Die prominente Grüne Marieluise Beck forderte bei „Anne Will“ eine Flugverbotszone über der Ukraine, während alle früheren Generale, die im Fernsehen, in Podcasts etc. auftreten, vehement davor warnen.

    1. Mich wundert schon immer, dass man aufgrund bestimmter Vorgänge im Krieg von „Kriegsverbrechen“ spricht. Dabei ist der Krieg als solcher ein Verbrechen und das, was folgt, sind die dem Verbrechen innewohnenden grausamen Begleiterscheinungen, also Teilaspekte des Verbrechens. Genauso ist für mich das Wort „Kriegsrecht“ ein Widerspruch in sich. Denn Krieg und Recht schließen sich aus.

      1. „Denn Krieg und Recht schließen sich aus.“
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        In der Praxis stimmt das leider, wenn auch alle 194 Staaten die Genfer Konvention unterzeichnet haben. Dennoch sollte man daran arbeiten, um derartige Kriegsverbrechen wie jetzt geschehen, zu ahnden.
        Aber man sollte sie nicht zum Anlass nehmen, folgenschwere Entscheidungen wie ein sofortiges Energieembargo gegen Rußland zu treffen wie vom Günen Anton Hofreiter gefordert. Dies würde den Krieg nicht verkürzen, aber unsere Volkswirtschaft mit dramatischen Folgen in der Lieferkette und für Arbeitsplätze nachhaltig schädigen. Anderes Extrem: Finanzminister Lindner, der zu Beginn des Kriegs den ukrainischen Botschafter Melnyk mit dem Hinweis eiskalt abblitzen ließ, dass Widerstand zwecklos sei.

  10. Eine sehr gute Rede. Mit dem Begriff des „tatkräftigen Pazifismus“ habe ich Probleme. Wenn ich aktive und pensionierte Bundeswehrgenerale reden höre, nehme ich ihnen ab, dass sie keinen Krieg wollen. Aber als Pazifisten würden sie sich nicht bezeichnen.

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