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Rede auf der Kundgebung „Pogrome von Morgen verhindern“

In der Nacht von Freitag auf Samstag, 26./27.08.2022, wurde ein Brandanschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in der Liliensteinstraße 15a in Leipzig-Grünau verübt. Ein politischer Hintergrund dieser Gewalttat legt sich nahe – wurde sie doch in der Gedenkwoche an die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren verübt. Für den 29. August 2022 hat das Aktionsnetz „Leipzig nimmt Platz“ zu einer Kundgebung und Demo aufgerufen. Daran nahmen weit über 1.000 Menschen teil, darunter viele Migrant*innen. Auf der Kundgebung vor der Unterkunft in Leipzig-Grünau habe ich nachfolgende, leicht überarbeitete Rede gehalten.

Wir haben heute Abend eindrucksvolle Redebeiträge von Betroffenen gehört. Sie unterstreichen: Wir gehören zusammen. Es darf niemanden kalt lassen, wenn eine Geflüchtetenunterkunft angegriffen wird, wie das hier am Freitag der Fall war. Wir, Leipziger Bürgerinnen und Bürger, sind aufgerufen, unmissverständlich zu demonstrieren: Ihr, die ihr in unserer Stadt Schutz sucht, gehört zu uns. Darum ist es ein gutes Zeichen, dass so viele gekommen sind – wenn auch der Anlass ein beschämender ist.

In der vergangenen Woche wurde der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 gedacht. Beim Anschauen der damaligen Ereignisse ging es vielen von Euch so wie mir: Es kam wieder hoch, das Entsetzen. Das Entsetzen darüber,

  • was Menschen Menschen antun können. Ja, die Täter*innen waren, sind Menschen. Das macht ihre Taten so horrend!
  • wie aus Nachbarn hasserfüllte Wutbürger*innen werden, die nichts dabei finden und empfinden, Menschen zu jagen, anzuzünden, zu töten.
  • wie sich Menschen in der Masse manipulieren und zu Taten hinreißen lassen, vor denen sie später selbst erschrecken.

Entsetzen auch deswegen, weil das Geschehen vor 30 Jahren kein singuläres war. Es folgten die tödlichen Brandanschläge in Mölln und Solingen, die Morde des NSU, die Massaker von München und Hanau, die Ermordung von Walter Lübke und der Anschlag auf die Synagoge in Halle.

Hass auf Andersdenkende, Hass, der schnell in Gewaltexzesse und Mord eskalieren kann, ist ein großes gesellschaftliches Übel, eine Herausforderung für alle Bürger*innen. Aber Hass ist alles andere als ein Schicksal oder eine menschliche Tragödie. Nein, Hass entsteht da, wo Menschen gezielt gegeneinander aufgebracht werden, wo Rassismus, die angebliche Überlegenheit einer Bevölkerungsgruppe gegenüber anderen, propagiert und praktiziert wird. Das war vor 30 Jahren so, das ist heute noch immer virulent: dass Menschen, die bei uns Zuflucht, Schutz, Sicherheit suchen, als Bedrohung angesehen, zur kulturellen Störung erklärt und so zum Hassobjekt werden, dessen man sich entledigen muss.

Die politische Antwort auf Rostock-Lichtenhagen war 1992: die Verschärfung des Asylrechts – eine folgenschwere gesellschaftspolitische Katastrophe! Die Antwort heute auf den Brandanschlag vom vergangenen Freitag muss sein: Eine solche Straftat darf keine Rechtfertigung finden, auch nicht die geringste! Das gilt vor allem für die gängige Entschuldigungsformel, dass wir uns derzeit wieder einmal in einer mehr als angespannten gesellschaftlichen Situation befinden und viele Menschen Probleme haben, damit klar zu kommen.

Ja, das stimmt: Viele Menschen sind tief verunsichert über den Krieg in der Ukraine, über die Inflation und die explodierenden Energiepreise, über die dramatischen, sich zuspitzenden Folgen des Klimawandels. Sie fragen sich, wie sie das bewältigen, aushalten können. Auch vor 30 Jahren waren Millionen Menschen in Ostdeutschland verunsichert angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen zwei Jahre nach der deutschen Einheit. Aber: All das ist keine Rechtfertigung für Hass gegen Menschen, die nichts anderes suchen, was auch wir uns sehnlichst wünschen: ein Zuhause, in dem sie sich einigermaßen sicher fühlen können und keine Angst haben müssen – und: Anerkennung in ihrem Menschsein, in ihren Bedürfnissen, in ihrer Herkunft.

Die Geflüchteten sind doch nicht gekommen, um uns etwas wegzunehmen. Nein, sie wollen teilhaben an dem, was wir Gott sei Dank für uns selbst in Anspruch nehmen und Menschen anbieten können, die um Leib und Leben fürchten: Schutz, Sicherheit, Bildung, Freiheit, Demokratie. Wir haben zu lernen: Die Sicherheit der Geflüchteten ist unsere Sicherheit. Oder anders ausgedrückt: Die Qualität unseres Menschseins, unserer Gesellschaft, unserer Demokratie, unserer Solidarität wird daran sichtbar, wie wir mit den uns zunächst Fremden, den Verachteten, den Ausgegrenzten umgehen. Das galt und gilt zu allen Zeiten. Auch jetzt. Da, liebe Leute, schadet es nicht, sich an die Grundeinsichten des christlichen Glaubens zu erinnern. Glaube verwirklicht sich im gerechten Umgang mit Witwen, Waisen, Fremden. Vergessen wir bitte niemals: Wo der Hass regiert, verkümmert der Mensch und mit ihm alle menschliche Regung.

Zum Schluss noch drei kurze Ansagen:

  • Brandanschläge wie der am vergangenen Freitag bedürfen des unmissverständlichen, sofortigen und klaren Einspruchs der ganzen Stadtgesellschaft: NEIN zu Hass und Gewalt. JA zu einem friedlichen Zusammenleben von uns so verschiedenen Menschen.
  • Gerade wenn die gesellschaftspolitischen Probleme und Herausforderungen groß sind, sind Demokratie, Vielfalt, Respekt vor anderen Lebensentwürfen unverzichtbar!
  • In krisenhaften Zeiten wie diesen dürfen wir denen, die diese Lage für ihren menschenverachtenden Rechtsnationalismus auszunutzen versuchen, keinen, wirklich keinen Zentimeter Spielraum geben.

Vielen Dank, dass wir das mit dieser Demo heute Abend unterstreichen.

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