An diesem Montag, 09. November 2015, wird sich zeigen, wie weit es her ist mit dem viel gepriesenen Leipziger Bürgertum. Denn bis jetzt hält es sich in der Auseinandersetzung um Legida und den in Sachsen wachsenden Rechtsextremismus mehr als zurück. Während sich OBM Burkhard Jung in den vergangenen Wochen sehr klar und unmissverständlich zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie Legida geäußert hat und dementsprechenden Bedrohungen ausgesetzt war, während er aktiv den Aufbau einer Willkommenskultur für die Flüchtlinge unterstützt und gemeinsam mit Bürgermeister Thomas Fabian tatkräftig das Konzept einer über die Stadt verteilten Unterbringung der Flüchtlinge in festen Unterkünften umsetzt, hört man aus dem sog. bürgerlichen Lager sehr, sehr wenig. Die Geschäftsleute aus dem Innenstadtbereich – sie schweigen; die Geschäftsführer/Vorstände der großen Unternehmen – sie schweigen; die Vertreter der Kulturinstitutionen – auch sie schweigen zu einem erheblichen Teil. Dabei müssten sie hörbar aufschreien, den OBM tatkräftig unterstützen, dafür eintreten, dass der montägliche Spuk um Legida zu einem Ende kommt. Lediglich ein Prorektor der Hochschulen (Prof. Thomas Lenk) und ein Geschäftsmann aus der Innenstadt (Michael Rosenthal von der Musikalienhandlung Oelsner) haben sich im Blick auf den 09.11.15 klar positioniert. Das ist angesichts der hochbrisanten Gesamtlage in Sachsen viel zu wenig und beschämend. Es kann nicht sein, dass man sich montags von den ungeliebten Studierenden, Gewerkschaften, Kirchen den Protest gegen Legida machen lässt und wie selbstverständlich den Erfolg einheimst, nämlich dass es bis jetzt in Leipzig nicht zu Umsatzeinbrüchen und weniger Touristen gekommen ist – und zu später Abendstunde fällt man dann doch ein in Chor derer, die das alles nicht so schlimm finden mit Pegida/Legida, die nichts gegen Ausländer haben, aber …, die es übertrieben finden, dass eine Moschee gebaut wird, die sich am Politiker-Bashing und Demokratieverachtung beteiligen. Wir werden es nur gemeinsam schaffen, die Demokratie zu erhalten und die Flüchtlinge zu integrieren. Dazu gehört auch, dass wir uns an einem Tag wie dem 09.11.15 einig sind im Gedenken an die Reichspogromnacht und in der deutlichen Absage an diejenigen, die uns in eine Zeit gegenseitiger Bedrohung, Menschenverfeindung und Vernichtung des/der Unliebsamen zurückbrüllen wollen. Für das Leipziger Bürgertum reicht es nicht, sich an den diversen Buffets zu delektieren und bei Bällen zu vergnügen. Sie tragen einen hohes Maß an Verantwortung für die Demokratie, die Weltoffenheit in dieser Stadt und die Grundwerte unserer Verfassung. Das allerdings muss auch deutlich spürbar sein, damit die Menschen, die anfällig sind für die billigen Parolen, ins Nachdenken kommen. Es wird also höchste Zeit, dass die aufwachen, deren Vorgänger vor 77 Jahren schon einmal hinter den Gardinen zugesehen und geschlafen haben.
Zur Illustration: Am 10. November 1938 wurde der jüdische Arzt Dr. Ludwig Frankenthal am OP-Tisch im Eitingon-Krankenhaus von den Nazis verhaftet und nach Buchenwald verschleppt. Kein einziger Arzt in Leipzig hat sich für ihn eingesetzt. Dr. Frankenthal wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
2 Antworten
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Wolff, gehen die Ihrerseits Gescholtenen allesamt einer Erwerbstätigkeit nach, sorgen so u.a. auch für Ihre Ruhestandsbezüge, sind nebenbei zu einem beträchtlichen Teil auch noch freiwillig AKTIV u.a. als Helfer in den Aufnahmeeinrichtungen tätig und haben also gar nicht die Zeit, vom vermeintlichen Hügel der Erkenntnis herablassend mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger zu winken.
Auch haben die Gescholtenen im Gegensatz zu Ihnen das Grundgesetz offenbar verinnerlicht und so auch die moralische Größe, einfach zu akzeptieren, dass auch Bürgern, welche eine ggf. tadelswerte Einstellung / Anschauung haben, die gleichen Bürgerrechte zustehen, wie Ihnen selbst und denken ggf. wie folgt: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ Evelyn Beatrice Hall in „The Friends of Voltaire“ oder erinnern sich noch an den Inhalt des Spruchbandes vom 17.01.1988 „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, welches den Bürgerrechtlern auf der Liebknecht-Luxemburg-Kundgebung seinerzeit entrissen wurde.
Da die Ihrerseits Gescholtenen also bereits das Ihrige tun, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung am Leben zu erhalten, können Sie sich also Ihr Hobby / den Luxus leisten, den moralischen Zeigefinger zu schwenken und Rundumschelte zu verteilen, weil es „diesem Bürgertum“ zu albern ist, jeden Montag an kindischen Schreiwettbewerben teilzunehmen, welche längst zur Farce verkommen sind.
Das ist ja nun ein bißchen komisch, wie Sie den „Geschäftleuten in Leipzig“ „Politiker-Bashing und Demokratieverachtung“ vorwerfen – zwei „Tätigkeiten“, die man täglich hier auf Ihrem blog zu meinem Kummer von Ihnen selbst und Ihren unkritischen Jüngern lesen kann – Politiker-Bashing in direkter Form, Demokratieverachtung eher indirekt, indem Sie alle demokratischen Standpunkte anderer Leute (zB Seehofer) dann verunglimpfen, wenn sie eben nicht die Ihren sind.
Und vielleicht ist ja der Protest, den „man sich von … machen lässt“ gar nicht so unumstritten als die Lösung der Probleme, die wir zweifelsohne haben. Auf der Straße rumschreien – sie werden hier vielleicht protestieren, aber ich erinnere mich an die große Demonstration Anfang des Jahres, wo die Anti-Pegidas „Wir sind die Lauteren“ brüllten und sicher nicht den Doppelsinn im Sinn hatten – hat noch nie geholfen, sondern beide Seiten polarisierend in ihren Meinungen radikalisiert. Demonstrationen mögen in Maßen gut sein, aber sie ersetzen keine politischen Lösungen.
Andreas Schwerdtfeger