Es war mehr als makaber: Im ZDF lief am 13.11.15 der Krimi „Wem gehört die Stadt“ aus der Serie „Soko Leipzig“. Ein Baudirektor wird von jungen Leuten entführt, um den Abriss von besetzten Häusern zu verhindern. Unter den Entführern ist Henner, ein gewalttätig agierender Protestler. Während dieser sich immer mehr in seinem Richtigkeitswahn verrennt, läuft ein rotes Band über den Fernseher „Schießereien in Paris. Mehrere Tote. Näheres im Heute Journal“. Da stoßen auf grausame Weise virtuelle und reale Welt aufeinander – und wir können sie oft nicht mehr auseinanderhalten. In Paris waren zu allem entschlossene Gewalttäter am Werk und haben am Ende 128 Menschen getötet – einfach so. Nein, nicht einfach so: Sie haben sich eine ideologisch-religiöse Welt zurechtgezimmert, in der der Terror fast zwangsläufig, vor allem aber gerechtfertigt erscheint – so wie Henner, der für eine angeblich gerechte Sache eiskalt Menschenleben auslöschte.
Nach dem Krimi wurde das ganze Ausmaß des tatsächlichen Terroranschlags offenbar. Paris wurde eine traurige, tief verunsicherte Stadt, und auch wir sind erschrocken, geschockt und mehr als verunsichert. Wie mit dieser Tat umgehen? Wie Haltung bewahren? Wie weiter mit der Auseinandersetzung um islamistischen Terror, Flüchtlinge, Pegida/Legida, die Grundwerte unserer Verfassung? Gar nicht so einfach, Antworten zu finden. Ein ehemaliger Konfirmand schrieb mir gestern eine Mail – aufbauend auf seinem Konfirmationsspruch „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21):
Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass man Terrorismus nicht mit Krieg allein bekämpfen kann. Aber heißt das auch, dass man Terrorismus ohne eine militärische Auseinandersetzung unterbinden kann. Ich denke an dieser Stelle an Bonhoeffers Verantwortungsethik. Diese besagt: Handle so, dass die Maxime deines Handelns den Fortbestand der Menschheit nicht gefährdet. Das heißt, dass man auch mal Lügen darf, wenn ein Menschenleben davon abhängt. Heißt es auch, dass man Terroristen, mit denen sich nicht verhandeln lässt und die gewillt sind, möglichst viele Menschen zu töten, selbst töten darf? Ich weiß es nicht und erbitte Ihre Antwort. Ich denke, man sollte zunächst alle friedlichen und deeskalierenden Maßnahmen einleiten und durchsetzen. Wenn diese aber keine ausreichende Wirkung zeigen, weiß ich momentan leider nicht mehr weiter.
Zunächst: Wie wohltuend, dass ein Konfirmationsspruch einen jungen Menschen von den ganz einfachen Antworten abhält. Wie wohltuend, dass hier der Zweifel, die Unsicherheit zunächst einmal das Grundsätzliche in den Vordergrund stellt: das Böse mit Gutem überwinden. Wie wohltuend, dass das Bild, das nun als Symbol für den Widerstand gegen den Terrorismus um die Welt geht, nicht eine durchgestrichene Moschee, nicht ein geXter Islamist ist, sondern der Pariser Eiffelturm als Friedenszeichen: Nein, wir lassen uns nicht in einen Krieg hineinziehen. Nein, wir begeben uns nicht auf die Gewalt- und Terrorebene der Täter. Nein, wir bleiben dabei: Nur wenn wir so unterschiedlichen Menschen bereit sind, in Frieden zusammenzuleben, in Frieden unsere Interessensauseinandersetzungen zu führen, in Frieden unseren unterschiedlichen Glauben zu leben – nur dann gibt es Zukunft und Hoffnung für alle. Sage bitte niemand, das sei blauäugig. Oder behaupte er dies bitte erst dann, wenn er sich mit folgenden Fragen auseinandergesetzt hat:
- Wie kann es sein, dass der 2001 erklärte „Krieg gegen den Terror“, der 15-jährige Krieg in Afghanistan, der 2003 erlogene Krieg im Irak, als Ergebnis hat: ein Afghanistan, aus dem nun die Menschen massenhaft vor den Taliban nach Europa fliehen; einen zerstörten, zerrissenen Irak, der in Terror und Gewalt versinkt; ein Syrien, das seit vier Jahren in einem Bürgerkrieg untergeht; einen Nahen Osten, der der größte Umschlagplatz für Rüstungs“güter“ ist und eben einen IS, der seinen grauenhaften Terror nach Europa trägt?
- Wie ist das zu bewerten, dass wenige Stunden nach den schrecklichen Terroranschlägen führenden Politikern und Kommentatoren nichts anderes einfällt, als sich weiter in der Sackgasse dieser fatalen Kriegslogik zu verrennen: mehr Waffen, mehr Krieg, mehr Militär?
- Wäre es nicht angebracht, erst einmal innezuhalten und zu fragen: Was muss an unserer Politik als gescheitert angesehen werden angesichts der Tatsache, dass der Terror nicht weniger geworden ist? Warum haben die, die 2001 09/11 zu verantworten haben, trotz des „Krieges gegen den Terror“ größeren Zulauf erhalten – nicht nur im Nahen Osten? Welche politischen Strategien verheißen Zukunft und Frieden für die Menschen im Nahen Osten und in Europa? Wie kann eine politische Ordnung aussehen, die die Zustimmung der Menschen im Nahen Osten findet, an der sie also beteiligt sind?
Nur wenige Stunden nach dem Terroranschlag von Paris scheint sich jeder bestätigt zu fühlen in seinen Ängsten und Absichten: zu viele Flüchtlinge, zu viel Islam, zu offene Grenzen, zu wenig Kriegführung, zu viel Freiheit, zu wenig Überwachung. Markus Söder tönt „Paris ändert alles“, um aber nur das sattsam Bekannte zu wiederholen. Und das alles bekommt eine Überschrift – präsidial formuliert in Paris und Berlin: Krieg. Was bezwecken ein François Hollande oder Joachim Gauck mit diesem Wort? Soll ich meinem ehemaligen Konfirmanden raten: Pass mal auf, vergiss deinen Konfirmationsspruch. Das ist was fürs Gemüt, aber nichts für die Realpolitik. Soll ich ihm erklären: So läuft eben die Politik: der von Bonhoeffer als „ultima ratio“ (letzte Möglichkeit) gedachte Tyrannenmord erhält heute als Normalität des Krieges die Priorität. Jetzt ist Härte gefragt. Mit dem Guten kommst du nicht weit, und mit Jesus kannst du in dieser Welt schon gar nichts anfangen. Jedoch: Merken wir eigentlich nicht, dass wir damit jungen Menschen wie uns selbst die Grundlagen dessen unter den Füßen wegziehen, worauf sich unsere Werte aufbauen, die angeblich durch Krieg verteidigt werden müssen? Was ist denn von diesen Werten in den Regionen, in die wir sie implementieren wollten, übrig geblieben? Könnten sich nicht alle, die jetzt reden, angewöhnen, die Werte immer genau zu benennen, um die es geht – um sich dann auch fragen zu lassen, ob ihre Politik diesen Werten entspricht? Welche Werte also sind in Afghanistan und im Nahen Osten verteidigt worden bzw. sollen verteidigt werden: die Demokratie, die Freiheit, die Nächsten- und Feindesliebe, die Barmherzigkeit, die Vielfalt und Offenheit der Lebensentwürfe, die Menschenrechte?
Das Friedenszeichen, das jetzt viele Menschen hochhalten – es zeigt an: Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Wir brauchen mehr Friedens- und Demokratieinitiativen in unseren Gesellschaften. Wir brauchen mehr Glaubwürdigkeit, die den Terroristen weltweit das Wasser abgräbt. Dieses Zeichen und vor allem die Menschen, die es tragen, sind eine deutliche Kampfansage an den IS und andere Terroristen. Und vielleicht sollten wir daran denken, dass der mordende Henner aus dem Freitag-Krimi, sollte er vor Gericht gestellt werden, bei uns Gott sei Dank immer noch als Mensch behandelt wird – die wohl größte Provokation für alle, die aus Menschen ideologisch Unmenschen machen. Wer hier auch nur einen Zentimeter zurückweicht, wird sich schnell wiederfinden in der Sackgasse derer, die das „Heil“ immer in dem zum Monster verzerrten Menschen sehen, den sie auszugrenzen und zu vernichten suchen.
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Ach, Herr Wolff – nun begreifen Sie doch: Ihrem Punkt 3 stimme ich ja vorbehaltlos zu. Das ändert aber nichts daran, dass diese unsere Meinung in vielen Teilen der Welt eben als nicht akzeptabel gilt und also die Menschen dort unsere Form der MR-Ausübung ablehnen und von dort aus auf das gesamte System schliessen. Deshalb mein Plädoyer, daß, wenn wir schon so handeln oder es tolerieren, weil es UNSERE Auffassung von Freiheit ist, wir damit aber nicht oberlehrerhaft durch die Welt eilen müssen – das aber tun wir!
Zu Saudi Arabien: Das Regime ist uns beiden unsympathisch. Aber sollte es stürzen – daran besteht doch kein Zweifel – dann haben wir einen weiteren ganz schlimmen gewalttätigen Krisenherd in der Gegend (und zwar nicht vom Westen provoziert), denn dann kämpfen Sunniten und Schiiten auch noch um die heiligsten Stätten des Islam.
Und schliesslich Waffenexporte in die Region: IS fährt, wie Sie täglich sehen können, auf Toyota-Jeeps – wollen Sie die dann auch verbieten? Natürlich sind Waffenexporte keine Bagatelle, aber Waffen sind nun mal in der Welt; Sie werden sie nicht abschaffen können; es kommt also darauf an, sie zunehmend, aber weltweit konsensual (sehr schwierig!) einzuschränken. Und es sind nicht die Waffen, die das Problem sind, sondern die Köpfe und Hände, die sie bedienen. Solange IS & Co über Waffen anders denken als Sie, wird wohl nichts übrig bleiben, als selbst Waffen zur Verteidigung zu haben und seinen Verbündeten auch zur Verfügung zu stellen.
Ihre Standpunkte sind ja unbestreitbar sehr schön und wünschenswert, aber eben leider völlig unrealistisch und deshalb, so glaube ich, nicht wirklich weiterführend.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Ach, Herr Schwerdtfeger, die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen man militärische Interventionen, Kriegsführung, Waffenexporte wie selbstverständlich als die „realistische“ Variante behaupten kann, um alternative, nicht-militärische politische Strategien als „Träumereien“ beiseite zu schieben. Inzwischen wird immer klarer, dass ersteres verbrannte Erde hinterlässt (siehe Afghanistan und Irak), das zweite zwar nicht jede Gewalttat und jeden Terrorakt verhindern kann, aber langfristig neue Perspektiven für die Region schaffen kann und Gesellschaften befriedet. Es geht also darum, Zeit, Kraft, Innovation, Geld umzusteuern. Das ist das Gebot der Stunde! beste Grüße Christian Wolff
Zwei Anmerkungen dazu, lieber Herr Wolff:
1. es ist schade, dass Sie sich ersparen aufzuzählen, „wer alles davon (Rüstungsexporte) bei uns profitiert und wer mit Waffen vollgestopft wird, um die nächste Terrortruppe zu installieren“. Sie würden schnell feststellen, dass das eben vergleichsweise minimal ist. Unabhängig davon stimme ich Ihnen aber zu, dass die Verbreitung von Kleinwaffen und Sprengstoffen ein Problem ist. Aber der Westen wird in dem Dilemma bleiben, dass er auch „unliebsame“ Regimes (zB Saudi Arabien) eher stützen als bekämpfen muss, weil Letzteres noch schlimmere Instabilität provozieren würde.
2. „In autoritären Systemen (haben) die Völker andere Vorstellungen von den Menschenrechten. Nein, nicht die Menschen, aber die Herrscher“ – das ist eben der fundamentale Irrtum, dem wir im Westen unterliegen und aus dem wir unsere ständige Einmischung in deren Angelegenheiten heraus rechtfertigen. Fragen Sie mal einen Chinesen (nicht hier in DEU sondern in CHN), was er von Loveparaden hält und sexuellem Exhibitionismus, was er von Streiks à la UFO hält, was er von Prozessdauern à la Tschäpe hält, von bestimmten Ausschnitten unserer Kunst- und Pressedarstellungen, etc (es gäbe noch viele weitere Beispiele). Er wird Ihnen sagen, dass sei unverständlich und unerwünscht. Und ich weiß auch, dass dies nicht die „Essenz“ unserer MR sind – aber es sind die „Schaufenster“, mit denen wir unsere Werte nach außen „verkaufen“.
Ich stimme Ihnen begeistert zu, wenn Sie sagen, man müsse den jungen Völkern Perspektiven schaffen und die Probleme gemeinsam mit ihnen lösen – also auch wieder ohne Belehrung. Aber dies ist eine Frage, die ja wohl vollständig losgelöst ist von der Bekämpfung fanatisierter Terroristenorganisationen, die man ja nicht mal mehr in Gespräche ziehen kann, was Voraussetzung für friedliche Lösungen wäre. Deshalb ja ist mein Ansatz: Bildung! Aber dies ist eine Strategie, die sich erst über Generationen auszahlt. Die islamische Säkularisierung zu unterstützen ist eben der beste Weg, aber er kann wohl nur sehr behutsam von außen unterstützt werden und unter Anerkennung der sozialen Realitäten im islamischen Raum.
Ich grüße Sie herzlich,
Andreas Schwerdtfeger
Nur so viel: 1. Nein, Rüstungsexporte sind keine Bagatelle, sondern eine Ursache des Übels. Es wird höchste Zeit, dass wir aufhören, uns diesen Skandal schönzureden. 2. Saudi Arabien ist kein Stabilitätsfaktor, sondern vorhersehbar eines der nächsten Regime, die fallen werden. Was aber dann? 3. Nicht die „Loveparade“ ist ein Menschenrecht. Aber dass in einer Gesellschaft auch das stattfindet, was mir nicht passt, weil es anderen Menschen wichtig ist und nicht gegen die Menschenrechte verstößt, das ist ein Bestandteil der Menschenrechte.
Ihre Fragen, lieber Herr Wolff, sind gut und vor allem freue ich mich über deren Sachlichkeit und danke Ihnen dafür. Man muß sich diesen Fragen stellen und ich antworte wie folgt:
1. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten gab es lange vor dem westlichen Eingreifen. Der auf 9/11 folgende Nato-Einsatz in Afghanistan und der Einsatz der sogenannten „Willigen“ im Irak sind also nicht Auslöser des jetzigen Terrorismus. Allerdings ist der Westen in beide Einsätze mit einer unsinnigen Zielsetzung hineingegangen und hat damit dem Zorn und dem Bürgerkrieg der dortigen Menschen gegeneinander ein „vereinendes Ziel“ verschafft – das der westlichen Lebensart in ihrem großen Liberalismus, mit dessen Auswüchsen im täglichen Leben, mit den den dortigen gewachsenen Strukturen entgegengesetzten Regeln. Es war richtig, dem dort originären Terrorismus mit militärischen Mitteln entgegenzutreten; aber es war falsch, dies mit dem Versuch des Überstülpens der „Demokratie“ zu verbinden. Ich habe lange genug in China gelebt, um zu wissen, daß unsere Form der Demokratie und unser Leben der Menschenrechte in solchen Ländern auch von den einfachen, unpolitischen Menschen nicht gewollt wird. Der Westen wird also, wenn er erfolgreich sein will, davon ablassen müssen, sich als demokratischer Oberlehrer zu betätigen. Und dies gilt auch und insbesondere auf dem Gebiet, das sie neulich einmal als so harmlos darstellten – dem der sexuellen Öffentlichkeit allenthalben. Konkret: Der Westen hätte die terroristischen Basen im mittleren Osten militärisch bekämpfen und sich dann heraushalten müssen.
2. Ihre zweite Frage erstaunt, denn es hat sich von unseren verantwortlichen Politikern niemand in die von Ihnen dargestellte Logik „mehr Waffen, mehr Krieg, mehr Militär“ verrannt. Im Gegenteil: Alle Stimmen sagen, dass wir zwar im Krieg sind und die Terroristen verfolgen werden – was ja wohl selbstverständlich ist – dass wir aber ansonsten politische Initiativen brauchen und auch diejenigen einbeziehen müssen, die wir bisher in menschenrechtlicher Verblendung von uns aus ausgeschlossen haben (Putin, Assad, etc). Dass der frz Präsident von Krieg spricht, beschreibt die Tatsachen; denn man muß sich wohl endlich darüber klar werden, daß der Begriff „Krieg“ sich in seiner Ausformulierung eben nicht mehr an dem Bild des Zweiten Weltkrieges orientiert, sondern an genau dieser Form des asymmetrischen, des hybriden Kampfes darstellt. Und daß man diesen Krieg dann auf sich nehmen muß, wenn er einem – wie in Paris – aufgezwungen wird, ist ja unvermeidlich. Richtig ist nur, daß man dazu Parallelstrategien braucht, die den Krieg dort einordnen, wo er hingehört: als EIN (und eben das einzige sofortige) Instrument der Politik neben vielen anderen und wichtigeren (aber nur langfristiger wirkenden) Mitteln. Genau das tun unsere Politiker derzeit.
3. Ihre dritte Frage nimmt das auf, was ich neulich schon einmal ansprach: Daß nämlich jede Politik Zeit braucht, um ihr Ziel zu erreichen – und diese Zeit wird ihr von der öffentlichen und veröffentlichten Meinung nicht mehr gegeben. Zwar redet jeder vom „innehalten“, aber in der Realität verlangen wir alle die sofortige Lösung. Und dann fragen Sie nach Strategien und Lösungsmodellen: EIN wichtiger Grundsatz zur Entwicklung solcher Modelle muß doch wohl offensichtlich der sein, daß man die anderen IHR Leben führen läßt, wie sie es für richtig halten und sie, wenn man das für erforderlich hält, nur behutsam und vorsichtig auf andere, die eigenen Wege bringt. Wir aber haben in den letzten Jahrzehnten einen Menschenrechtsfundamentalismus gezeigt, der seinesgleichen sucht, abschreckend ist und von vielen Völkern (und – leider – vor allem auch deren Machthabern) als Gefahr angesehen wird. Überzeugen tut man durch Mäßigung, durch Ruhe, teils auch durch stille Diplomatie hinter verschlossenen Türen. Aber wenn unsere dummen öffentlichen Medien bei jeder Auslandsreise unsere Politiker am „offenen Wort in Sachen Menschenrechte“ messen, dann provozieren sie in den besuchten Ländern Antipathien und Abwehr, teils eben auch aggressive Reaktionen.
Was ist zu tun? Es wird Sie nicht freuen, wenn ich ein paar realistische Vorschläge mache:
1. Zur unmittelbaren Abwehr subversiver Attacken brauchen wir stärkere, besser ausgerüstete, von der Öffentlichkeit unbehelligte Geheimdienste und deren Zusammenarbeit über Grenzen hinweg (also zB einschl Mossad);
2. Wer das Wort „Krieg“ vermeidet und glaubt, damit einen Beitrag zur Lösung zu leisten, ist naiv. Worte sind der Schlüssel zur Realitätserkenntnis. Der Terrorismus läßt sich nicht durch Waffen besiegen, aber Waffen (einschliesslich Drohnen) können ihn begrenzen, ihn von uns fernhalten und der Politik die Zeit geben, die sie braucht, um Wege zum und ins Gespräch zu finden (daß solche Gespräche häufig durch Geheimdienste angebahnt werden, sei nur am Rande v ermerkt); die Politik muß diese Zeit allerdings auch nutzen (was sie zB in Afghanistan nicht getan hat). Und im Krieg ist das Töten des Gegners (zB mittels Drohnen) legal, also Schluß mit den albernen Forderungen, man müsse Leute wie Bin Laden vor Gericht stellen.
3. Wir müssen uns zurücknehmen in unserem ideologischen Eifer und akzeptieren, daß andere Völker und Menschen andere Maßstäbe und Lebensformen haben, die sie teilweise sicher ändern wollen, teilweise aber eben auch nicht. „Menschenrechte“ ist ein absoluter Begriff, ohne Zweifel, aber ihre Interpretation lässt Spielräume, und unsere häufigen Übertreibungen (Sexualität, Streiks, Presse – man denke nur an das Schmierblatt Charlie Hebdo, Kunst – man möchte das Letztere schon fast in Anführungsstriche setzen) sind eben in gruppenorientierten Gesellschaftsmodellen wie den arabischen und asiatischen eher abschreckend. Wohlgemerkt: Ich sage damit nicht, daß wir bei uns was ändern müssen; aber ich sage: wir müssen es nicht den anderen aufzwingen wollen.
4. Kurzfristig ist es wohl richtig, daß jetzt erstmal jedes EU-Land zu nationalen Maßnahmen greift. Aber die Lehre aus Paris ist, daß wir Europa zu einer Einheit ausbauen müssen. Die einzelnen Staaten sind zu klein, zu schwach, zu verletztlich und nur die Bündelung der Kräfte kann uns stark genug machen, um den globalisierten Gefahren zu begegnen.
5. Und langfristig, sehr langfristig brauchen wir als wichtigstes eine auf Jugendliche und Frauen ausgerichtet Bildungsoffensive. Diese wiederum muss mit sehr viel Einfühlungsvermögen, mit großer Rücksichtnahme, mit Verständnis auch für das von uns Abgelehnte und Nichtverstandene betrieben werden. Dies wäre zB eine Aufgabe nicht allein, aber auch und insbesondere für Kirchen in der heutigen Zeit. Aber sie müsste die Toleranz, die man erwecken will, auch selbst vorleben. Die Forderung nach „Friedens- und Demokratieinitiativen“ ist sicher richtig, aber bitte nur mit dem Spielraum für Interpretationen aus anderen mentalen und geschichtlich gewachsenen Welten als ausschliesslich der unseren.
Sie sind mit Ihrem neuesten Beitrag ja auf gutem Wege und ich freue mich mit Ihnen.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, ein paar kurze Anmerkungen zu Ihrem Kommentar:
1. Ich habe nicht behauptet, dass der Terrorismus durch den Afghanistan- und den Irakkrieg erzeugt wurden. Aber beide Kriege haben den Terrorismus verstärkt und damit das Gegenteil von dem erreicht, was als Ziel und Rechtfertigung dieser Waffengänge behauptet wurde.
2. Habe ich vielleicht etwas überhört? Ich kennen nicht einen Vorschlag von einem europäischen Regierungspolitiker, der besagt: Lasst uns jetzt endlich eine Friedensprozess für und im Nahen Osten implementieren. Stattdessen: mehr Waffen für bestimmte Gruppen in Syrien, mehr Bombardierungen, mehr Geld für militärische Optionen. Das halte ich für wenig verheißungsvoll. Das Gravierendste aber ist: Die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren und damit auch die Rüstungsexporte. Ich erspare mir, jetzt zum xten Mal aufzuzählen, wer alles davon bei uns profitiert und wer mit Waffen vollgestopft wird, um die nächste Terrortruppe zu installieren.
3. Das Fatale ist: Es gibt derzeit kein von der Politik formuliertes und in strategische Schritte aufgeteiltes Ziel für den nahen Osten und im Kampf gegen den Terrorismus. Vor allem wird nach wie vor ausgeklammert: Wie werden die Menschen im Nahen Osten einbezogen? Hinter der Frage steht für mich sehr viel mehr, als den auch von Ihnen wiederholten Einspruch: In autoritären Systemen hätten die Völker andere Vorstellungen von den Menschenrechten. Nein, nicht die Menschen, aber die Herrscher – ja, die fürchten die Menschenrechte. Dennoch müssen wir uns hüten, den Völkern von außen Lebensweisen zu oktroyieren. Militärische Interventionen aber gaukeln dies immer vor.
Entscheidend aber wird sein, dass wir sowohl im Nahen Osten, wie in Afrika wie auch bei uns viel intensiver damit beschäftigen, was wir denn der jungen Generation (in vielen der genannten Länder stellen diese 50 % der Bevölkerung dar) an Aussichten für ihr Leben anbieten. Dazu später einmal mehr.
Dabei will es bewenden lassen. Herzliche Grüße Christian Wolff
Ja, wir müssen Frieden und Versöhnung leben nicht nur reden. Jede da wo sie tätig ist. Was nicht gelebt hat keine Wirkung. Reden wird nicht viel ändern – leider.
Lieber Herr Wolff, es ehrt Sie, dass Sie keine Antwort auf die Frage wissen, wie man als Christ mit Terroristen umgehen soll, die völlig unbeteiligten Menschen das Leben nehmen, und um unsere Antwort bitten. Ich will es versuchen.
Auch wenn es sich bei diesem zweiten Pariser Mordanschlag innerhalb weniger Monate zweifelsohne wieder um ein von langer Hand geplantes Verbrechen von Fanatikern handelt, die in ihrer Rücksichtslosigkeit große Ähnlichkeit mit den je auch von Ihnen mit Recht verhassten Nazis und Faschisten haben, teile ich Ihre Meinung, dass Krieg schon deshalb keine Antwort sein kann, weil seine Opfer noch unvergleichlich viel größer wären und einer Lösung nicht näher brächten. Hier geht es doch zunächst einmal um Notwehr. Notwehr gestern und heute für unsere französischen Mitmenschen, aber künftig sicher auch für uns. Und Notwehr auch für den gefährdeten Mitmenschen, den Nächsten, gehört doch – und das können Sie mit gutem Gewissen auch Ihrem Konfirmanden sagen – zum Guten, mit dem man entsprechen dem Römerbrief das Böse überwinden kann und soll!
Mit den Themen Flüchtlinge und Pegida/Legida, die Sie da mit dem islamistischen Terror in einem Atemzug nennen hat das nun Garnichts zu tun. Da muss ich unserem Innenminister, dessen Vorfahren ja einst selbst als Religionsflüchtlinge zu uns gekommen sind, völlig Recht geben. Die Flüchtlinge müssen und wollen wir weiter willkommen heißen und nach Kräften bei uns fördern. Zur Notwehr kann keineswegs die Abweisung von Flüchtlingen gehören, wohl aber in ihrem Interesse ebenso wie im Interesse unserer Bürger und all unserer europäischen Nachbarn, die ordnungsgemäße Kontrolle unserer Grenzen.
Spätestens jetzt nach diesem zweiten noch schrecklicheren Massaker wird einem doch sehr klar, dass das Schengen-Abkommen gescheitert ist, nachdem alle Außengrenzen mit Ausnahme derjenigen Ungarns – ja ausgerechnet des Landes, das von unseren Medien deswegen am meisten gescholten wurde – nach Süd- und Osteuropa praktisch unkontrolliert offen stehen. Wenn man in diesem Zusammenhang die Flüchtlingsfrage ansprechen will, dann allenfalls in dem Sinne, dass es auch und gerade im Interesse der Flüchtlinge liegt, auch sie hier vor den terroristischen Gefahren zu schützen, vor denen sie ja meist aus ihren Heimatländern geflohen sind.
Diese Notwehrmaßnahme, die keinem gutwilligen Flüchtling die Einreise in unser Land verwehren darf, ist in meinen Augen das Gebot der Stunde und danach so schnell wie möglich die Beendigung des syrischen und irakischen Religions-und Bürgerkrieges durch vorbehaltlose Verhandlungen mit allen verhandlungswilligen Parteien also mit Assad und Putin ebenso wie mit den schiitischen und sunnitischen Führungsmächten Iran und Saudi-Arabien.
Ich habe die begründete Hoffnung, dass unsere Bundesregierung auf diesem Wege voran schreitet und grüße Sie herzlich. Ihr Hans v. Heydebreck
Ach, lieber Herr Pfarrer Wolff, ich wünsche uns allen, dass Ihre mahnenden Worte den Mächtigen dieser Welt – auch in Berlin – in den Ohren klingen. Aber wird das geschehen?
Ich hoffe es immer noch, werde aber zunehmend unsicher.
Herzlichst
Ihr Cornelius Weiss