Sie ist weitgehend fertiggestellt: die neue Universitätskirche St. Pauli. Mit Chorraum und Langhaus, mit dem Pauliner-Altar aber noch ohne Kanzel, mit der großen Jehmlich-Orgel auf der Westempore und der Schwalbennestorgel im Chorraum, mit ausreichender Bestuhlung – und einer völlig überflüssigen „Glas“-Wand aus Acryl. Sie wirkt jetzt schon wie eine vergessene Baustellen-Absicherung und gewährt nur einen verschwommenen Durchblick, vernebelt durch eine dicke Staubschicht. Besonders hässlich: die 10 cm breite, vertikale Einfassung der beiden Acryl-Flügel von der Gewölbedecke bis zum Boden genau in der Mitte des Raumes. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieser überflüssige Unsinn beseitigt wird.
Doch das ändert nichts daran: Die neue Universitätskirche St. Pauli könnte schon heute ihrer Bestimmung übergeben werden, wäre da nicht die quälende Herumeierei um Namen, Funktion und Eröffnung. So ist heute der Presse zu entnehmen, dass zunächst am 23. August 2017, also während der Semesterferien (!), eine „Bauabschlussfeier“ stattfinden soll – hinter verschlossenen Türen im Beisein von Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Finanzminister Georg Unland und Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, alle der CDU angehörend. Da darf man gespannt sein, ob die versammelten Christdemokrat/innen sich ihres Parteinamens erinnern und beim Bauabschluss endlich von dem reden, was erstellt worden ist: die neue Universitätskirche St. Pauli. Oder wird im Programm für die vorgesehene „Ökumenische Feier“ als Ortsangabe stehen: „im für Gottesdienste geschaffenen Paulinum-Bereich“, um nur ja den Begriff „Kirche“ zu vermeiden? Aber vielleicht werden die Beteiligten auch noch andere Wortungetüme schaffen, um das Einfache und Einleuchtende (besser: das Aufklärende und Angemessene) zu vermeiden: neue Universitätskirche St. Pauli. Die Planung dieses Festaktes scheint die unselige Baugeschichte fortzusetzen: frei von jeglicher Souveränität und Geschichtsbewusstsein, dafür ganz viel Befindlichkeit – und ein bisschen Wahlkampf der billigen Art. Nur so ist zu erklären, dass die Rektorin der Universität, Beate Schücking, bei der Bauabschlussfeier nicht sprechen soll/darf. Offensichtlich will die Staatsregierung allen unmissverständlich deutlich machen, dass die Universitäten am Gängelband der Landesregierung hängen – von wegen Autonomie und Freiheit von Forschung und Lehre. Da wäre Widerspruchsgeist der Universitätsangehörigen gefragt, anstatt weiter die Wirklichkeit des Neubaus der Universitätskirche St. Pauli zu verleugnen.
Stattdessen steht zu befürchten, dass die peinlichen Abgrenzungsdebatten im Blick auf die Einweihung der neuen Universitätskirche im Dezember 2017 wieder aufleben: Welcher Teil der Kirche soll denn zuerst (ein)geweiht werden? Wie wird das benannt, was da (ein)geweiht wird? Wie werden die Stühle im Chorraum gestellt werden? Was, wenn deutlich mehr als 200 Menschen an der Weihe der Unikirche teilnehmen? Ist dann die Plaste-Wand geöffnet? Ist sie auch geöffnet beim Festakt, oder will man bewusst „Aula“ und „Andachtsraum“ trennen? Was für eine unwürdige Quälerei angesichts des wunderbaren Bauwerks und seiner großartigen Architektur. Dabei könnte es so einfach sein: am 2. Dezember 2017, dem Gründungstag der Universität Leipzig vor 608 Jahren, ein großer Gottesdienst zur Einweihung der Universitätskirche mit anschließendem Festakt – alles bei geöffneter Acryl-Wand, die dann am besten auch in diesem Zustand bleibt (schon allein des Durchblicks wegen). Dazu wäre nur nötig: Souveränität und Geschichtsbewusstsein. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben, dass beides auch in der Universität Leipzig reichlich vorhanden ist. Schon jetzt aber sollten alle nüchtern zur Kenntnis nehmen: Unabhängig davon, wie die Universität Leipzig das Gebäude nennt und zu welchen Wortkapriolen sich Medien und andere verleiten lassen – am Augustusplatz steht die neue Universitätskirche St. Pauli: Gott sei Dank! Sie kann endlich wieder so genutzt werden, wie es der Historie entspricht und den Erfordernissen eines Wissenschaftsbetriebs des 21. Jahrhunderts durchaus angemessen ist: als Gottesdienststätte, als Raum für die Universitätsmusik, als akademischer Festsaal. Damit ist alles erreicht, was das Ziel all derjenigen war, die sich mit dem Verbrechen der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli am 30. Mai 1968 nicht abgefunden haben. Damit ist aber auch dem genüge getan, dass im 21. Jahrhundert ein Bildungsort wie die Universität ein geistiges und geistliches Zentrum, in dem es zum kritischen Diskurs zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Glauben und Vernunft kommen kann, kein Überfluss, sondern eine Notwendigkeit ist. Die Universität Leipzig, aber auch alle Bürgerinnen und Bürger Leipzigs, tun gut daran, das jetzige Ergebnis dieses Engagements dankbar und erfreut anzunehmen.
14 Antworten
Ja, Herr Flade, ich verstehe das alles – und jedes einzelne persönliche Schicksal wie die von Ihnen beschriebenen, insbesondere auch persönlichen, sind in der Tat Teil der Verbrechensgeschichte der einstigen „DDR“. Wenn ich die Frage aufwarf, ob die Sprengung der Uni-Kirche in Leipzig als „Verbrechen“ qualifiziert werden sollte, wollte ich niemanden, der das so sieht, in seiner Ansicht kritisieren oder korrigieren. Aber es ist nunmal so, daß während der „DDR“-Zeit sehr viele historische Gebäude gesprengt wurden – Berliner Schloß, Garnisonkirche Potsdam, etc – und wenn man sich dann die Kontroversen um deren Wiederaufbau ansieht, dann plötzlich gibt es eben allzu viele Leute, die diese Sprengungen nicht als Verbrechen ansehen und auch den Wiederaufbau – wie er ja wenigstens in anderer Form in Leipzig erfolgt ist – nicht nur als nicht nötig sondern geradezu als falsch ansehen. Und das ist historische Doppelmoral!
Jedenfalls ist mein Petitum, daß man sich freue über das schöne neue Uni-Ensemble einschließlich Kirchengebäude in Leipzig und daß man die Einbeziehung dieses Gesamtkomplexes in das Universitätsleben und das „Stadtbild“ (auch im übertragenen Sinne) begrüße, ohne nun über Petitessen zu stereiten.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Werter Hr. Schwerdtfeger:
Sie formulieren in Ihrer Reaktion auf den Blog von Chr. Wolff wie folgt: „Es ist eben die Frage, ob die These, die Sprengung der Kirche sei „ein Verbrechen“ gewesen, richtig ist angesichts der damaligen Realität der Stadt Leipzig. Und selbst wenn sie zutrifft, bleibt die nächste Frage: Ob der Wiederaufbau eines Gebäudes mit staatlichen Mitteln dann unbedingt „Kirche“ genannt werden muß“. Und ich versuche aus individueller Erinnerungsnähe und sehr persönlichen Erfahrungen mit angebrachter Demut wie folgt zu reagieren:
Dietrich Koch beschreibt in seinem zweibändigen Bericht „Das Verhör – Zerstörung und Widerstand“ (Verlag Chr. Hille; Dresden) detailreich und aus allererster Hand das komplexe Thema Sprengung der Leipziger Universitätskirche. Es ist auch Ihnen zu empfehlen, um Ihre Sicht und Bewertung um die Zerstörung eines der bedeutenden Kirchenbauten ggf. zu korrigieren. Warum ein Verbrechen? Koch könnte Ihnen diese Frage nach der Bewertung einer unseligen Tat zu tiefsten SED-DDR-Zeiten vermitteln, wären Sie bereit, sich auf dieses für Leipzig, Sachsen, ja unseres Landes schreckliche Ereignis inhaltlich einzulassen. Und ich hege die Hoffnung, Koch könnte es bei Ihnen erreichen.
Nicht nur ein sakrales Bauwerk wurde aus ideologischen und banalen Machtansprüchen ungeachtet vieler namhafter Proteste in die Luft gesprengt, nein, es wurden auch Leben vernichtet. Menschen, im Widerstand gegen pseudosozialistischen Fanatismus wirkende Individualisten verhaftet, verurteilt, jahrelang in Stasi-Gefängnissen isoliert und nach Verbüßung mehrjähriger Haftstrafen in den Westen verkauft. Ich weiß, wovon ich rede: mein vier Jahre älterer Bruder (von Koch in o.g. Publikation beschrieben) erhielt 2 Jahre Haft, musste im berüchtigten Cottbusser Stasigefängnis unsägliches erleiden, wurde nach der Ulbricht-Amnestie 1972 nach „drüben“ abgeschoben. Seine Hafterfahrungen konnte er nicht bewältigen – er nahm sich 1985 das Leben. Dietrich Koch widmete seine beiden berichte meiner Mutter, die – wie wir alle in unserer Familie – diesen Tod schwer belastete. Während eines mehrstündigen Verhörs in der Untersuchungshaftanstalt der Leipziger Stasi (Dimitrowstraße), der ich damals unterzogen wurde, legte mir der Verhörer einen Kupferstich als sog. Beweismittel vor, auf dessen Rückseite mein Bruder Michael vermerkt hatte, dass diese „Kirche auf Befehl der SED gesprengt wurde“. Dieses Blatt wurde durch die Stasi aus der Wohnung meiner Eltern ohne Erklärung entwendet und als Belastungsmaterial gegen den Angeklagten verwendet. Der Rechtsanwalt, den unsere Familie zur Verteidigung beauftragte (und nicht schlecht bezahlen musste) war Offizier im besonderen Einsatz (OibE) – eine spätere Erkenntnis aus den Stasi-Unterlagen.
Kurz: die Sprengung der Unikirche war ein Verbrechen, und dies wird durch viele Zeitzeugen nicht anders gesehen. Das ist kein Fundamentalismus, das ist die bittere Realität. Und ich gehöre zu denen, die einen Wiederaufbau dieser Universitätskirche sehr begrüßt hätten. Dass ich berufsbedingt an der Restaurierung des „Paulusaltars“ mittun durfte, diesen einst in der St. Thomas-Kirche mit aufbauen und diesen Altar nun (ich war wieder dabei) in den sog. Andachtsraum translozieren/aufstellen konnte, hatte auch für mich, vor allem für mich in Andenken an die vielen, auch unbenannten Opfer einstiger Stasi-Willkür einige emotionale Bedeutung. Vielleicht verstehen Sie das alles. Jo.Flade
Danke, lieber Jochen, für diese eindrückliche Einlassung, die zum einen das Ausmaß des Verbrechens belegt, zum andern aber deutlich macht, dass genau diese Perspektive von vielen in der Universität ignoriert wird. Dein Christian.
Es ist eben die Frage, ob die These, die Sprengung der Kirche sei „ein Verbrechen“ gewesen, richtig ist angesichts der damaligen Realität der Stadt Leipzig. Und selbst wenn sie zutrifft, bleibt die nächste Frage: Ob der Wiederaufbau eines Gebäudes mit staatlichen Mitteln dann unbedingt „Kirche“ genannt werden muß. Der Streit liesse sich in der Tat wohl leichter lösen, wenn nicht Fundamentalismus (der ja diesem blog nicht fremd ist) zur Verhärtung führte.
Eine andere Anmerkung: Man darf „gespannt sein, ob die versammelten Christdemokrat/innen sich ihres Parteinamens erinnern und beim Bauabschluss endlich von dem reden, was erstellt worden ist: die neue Universitätskirche St. Pauli“ – schreibt Herr Wolff. Hier liegt ein häufig festzustellender Irrtum vor: Daß nämlich die Christlich Demokratische (bzw Soziale) Union wegen der Bezeichnung „christlich“ im Parteinamen die Interessen der Kirche(n) vertreten muß. Diese Bezeichnung der Partei(en) verdeutlicht vielmehr die Festlegung auf christliche Werte und Traditionen, zB im Schutz der Familie und Ehe, im Schutz des mündigen Bürgers als freiheitlich bestimmtes Wesen und vor Behandlung als Sozialobjekt oder Experimetierfeld (zB in der Schulpolitik), in der Rechts- und Chancen-Politik sowohl für den Einzelnen als auch für Gruppen, in der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zum inneren und äußeren Schutz der Bürger, usw. Die Festlegung der Partei(en) auf christliche Werte, Traditionen und Haltungen als grundlegend für ihre politischen Ziele – auch die soziale Marktwirtschaft gehört dazu – bedeutet nicht und kann auch nicht bedeuten, daß individuelle kirchliche Meinungen und Standpunkte zu politischen Zielsetzungen erhoben werden müssen, und auch nicht, daß staatlich geförderte Bauten nach Kircheninteressen benannt oder genutzt werden müssen. Daß Universitäten besser (wohlmeinende) Distanz zu Kirchen halten – Prof von Klitzing ist zuzustimmen – erscheint vernünftig, weil es auch auf andere Interessengruppen (Gewerkschaften, etc) zutrifft. Und noch mehr ist Herrn Dr Schubert zuzustimmen: Wer ein bestimmtes Ziel erreichen will, der formuliert so, daß der „Gegner“ bei Annäherung keine Niederlage befürchten muß. Wer das Wort als Waffe nutzt, hat bezogen auf seine Zielsetzung schon verloren.
Andreas Schwerdtfeger
Viele von uns Wissenschaftlern erschien schon das Ansinnen, das Hauptgebäude der Universität durch eine Kirche zu ersetzen als Zwangsmissionierung (Worte sind Waffen – ich verwende hier zur Demonstration einfach mal eine solche Killerphrase). Der Keil wurde hier tief eingeschlagen, die Neue Universitätskirche wird für die Wissenschaftler, die sich angegriffen fühlten, noch lange die Manifestation dieser Melange aus Macht-, Politik und Religionsinteressen sein.
Mit dem Durchsetzen der Kirche konnte man seinen Zorn auf das vergangene Regime (und allem, was links ist?) Ausdruck verleihen und sich in Siegerpose zeigen.
Das Klima war von Anfang an vergiftet, Fremdeinmischung befeuerte die Stimmung.
Doch wie kommt man da wieder raus? Zuerst gilt es, solche Worte und Rhetorik zu vermeiden, wie ich sie eingangs verwendet habe. Es muss ein neutraler Begriff gefunden und akzeptiert werden, der der geschichtlichen Bedeutung gerecht wird, nicht den Machtinteressen der einen oder anderen Gruppe. Legt man sich ganz unideologisch auf eine Krücke wie „Universitätsgebäude in kirchenform“ oder „Universitätskirchenmuseumsraum“ o. ä. (da bedarf es eines kreativen Menschen) fest, wird sich früher oder später der Begriff „Universitätskriche“ als Kurzform einspielen. Dann aber ohne ideologische Konnotation.
Vorausgesetzt, **jetzt** besteht niemand auf die Festlegung als Kirche.
Aber das ist Utopie, solange immer und immer wieder der Keil tiefer geschlagen wird. Mit jedem Fordern nach dem Wort „Kirche“. Worte sind Waffen.
Lieber Herr Schubert, auch wenn Sie Ihren Eingangssatz später selbst relativieren: nicht das „Hauptgebäude der Universität“ soll durch eine „Kirche“ „ersetzt“ werden. Die Universitätskirche wurde 1968 gesprengt, um sie vom Unicampus zu entfernen. Die jetzt entstandene neue Universitätskirche St. Pauli hat nichts mit „Zwangsmissionierung“ zu tun, sondern lediglich mit historischer Wahrhaftigkeit. Wenn im Zusammenhang mit der Unikirche von „Waffe“ gesprochen wird, dann bitte ausschließlich im Blick auf den 30. Mai 1968, aber nicht bei der Frage, wie die heutige Universität sich zu einem geistigen und geistlichen Zentrum verhält. Dazu verweise ich auf meine Antwort an Prof. von Klitzing (siehe unten). Für mich geht es vor allem darum, ob die Universität (und das gilt dann auch für andere Hochschulen) ihre Aufgabe auch darin sieht, das ideologische und religiöse Vakuum im kritischen Diskurs über die Grundwerte des Lebens zu überwinden. Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Herr Wolff,
leider habe ich mich nicht richtig ausgedrückt. Ich beobachte nur die Kontrahenten und die Begriffe, die bewusst oder unbewusst verwendet werden. Als Beispiel habe ich selbst eine solche Begriffswaffe in Stellung gebracht: Hauptgebäude – ersetzen – Zwangsmissionierung. Booom! Und offensichtlich hat das bei Ihnen gezündet. Die Wahl solcher Begriffe macht jeden Dialog unmöglich, Gegenfeuer ist die plausible Reaktion.
Nein, die Kirche ist keine Waffe. Aber „Universitätskirche“ ist der Begriff, der die Gegenseite provoziert. Oder „historische Wahrhaftigkeit“. Das sind die Waffen.
Aber ich fürchte, meine Hoffnung auf einen Waffenstillstand ist Illusion.
Solange wir nicht merken, womit wir einander provozieren und verletzen
Wahrscheinlich kann (und will) ich eines nicht begreifen: dass die Sprengung der Universitätskirche, ein Verbrechen, als „Fakt“ hingenommen wird und dass die zu bebauende Grundstücksfläche wie ein Neutrum behandelt werden soll. Ich sehe mich auch als Nicht-Zeitzeuge nicht auf der Zuschauertribüne sitzend, sondern als Partei – aber nicht die der Kirche, sondern derer (und darunter sind und waren – wie Erich Loest – viele nicht kirchlich gebundene Menschen), die die Zerstörung nicht als Basis für neue Überlegungen ansehen. Noch eines: Wer ist eigentlich „die Gegenseite“? Wer wird „provoziert“ und „verletzt“? Ich jedenfalls sehe mich durch niemanden „verletzt“. Aus meiner Sicht sollte es um eine streitige politische Auseinandersetzung und nicht um Befindlichkeiten gehen. Christian Wolff
„Viele von uns Wissenschaftlern erschien schon das Ansinnen, das Hauptgebäude der Universität durch eine Kirche zu ersetzen als Zwangsmissionierung (Worte sind Waffen – ich verwende hier zur Demonstration einfach mal eine solche Killerphrase) “
[Dr. Martin Schubert]
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Wie lange, bitte, stand die Paulinerkirche, die spätere Universitätskirche St. Pauli dort?
Seit 1240? Seit 1968?
Seit wann eigentlich, gab es das „Hauptgebäude“ der Karl-Marx-Universität Leipzig?
Ja, das mit dem tonnenschweren Bronze-Marx …!
Entstand dieses „Hauptgebäude“ möglicherweise, nachdem die Grabbeilagen der Paulinerkirche geplündert worden waren, – gewissermaßen und inzwischen erwiesenermaßen – als Geburtsstunde des Schalck-Golodkowski-Unternehmens?
Wissen Sie nicht? Hören Sie zum ersten Male? Macht nichts. Sie können sich ja mal erkundigen, bei Leipzigern, die dies noch wissen. Die es erlebten … Erleben mußten.
Wurde es gebaut, nachdem sich die Gräber der Universitätskirche in „Luft“ aufgelöst hatten? Von Paul Luther bis hin zu Johann Tetzel? Und ca. achthundert weiteren Gräbern? Ungefähr zu der Zeit, als man in Leipzig Knochen auf der Prager Straße fand? Als die Schädel rollten am Völkerschlachtdenkmal? (Ja, die Straße, auf der die LKW’s mit den Trümmern gen Probstheida rasten?)
War Studentenpfarrer Schmutzler eigentlich ins Gefängnis geworfen worden, – wegen seiner Predigten – oder nicht?
Und wer hatte die Universitätskirche im Dezember ’43 gerettet, als sich im Dachstuhl Feuer ausbreitete? Mit kriegsversehrten Händen?
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Stimmte die Evangelische Kirche in der DDR der Sprengung der Universitätskirche zu Leipzig zu? Oder nicht? Stimmte die Katholische Kirche in der DDR zu? Oder nicht?
Könnte dies Auswirkungen auf die Gegenwart haben?
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Fragen über Fragen …(, an Herrn Dr. Martin Schubert).
Von wegen „Zwangsmissionierung“ (oder so) …
Nun muss ich doch nochmals antworten: Mir ist all dies bekannt, all dies halte auch ich für unglaubliche Schandtaten, die nicht zu entschuldigen sind.
Ich kann aber nicht sehen, warum diese Verbrechen mit einem Eingriff in den Betrieb der **heutigen** Universität geheilt werden könnten.
Und bitte, bitte: Mein einleitender Satz sollte bloß sinnbildlich für die Wortgewalt stehen, die in diesem Streit einander angetan wird. Einige Kirchengegner fühlen sich durch die Worte der Kirchenbefürworter stark angegriffen. Das zu zeigen, habe ich die Perspektive umgedreht und diese reichlich undiplomatische Sprache einmal in die andere Richtung gelenkt. Bitte rechnen Sie mir diesen Satz nicht persönlich inhaltlich zu.
Und dennoch: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass das Ansinnen einer Wiedererrichtung tatsächlich von vielen als Zwangsmissionierung verstanden wird. Es geht um Emotionen, die nicht einfach wegdiskutiert werden können. Ebensowenig wie die Ihren!
Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass ich nicht per se gegen diesen Bau bin. Es ist durchaus gelungen und als Gedenkstätte sinnvoll. Ich bemerke aber, dass die Diskussion oft von Zorn, Rache und dem Wunsch nach Bestrafung und Wiedergutmachung getragen wird.
Das scheint mir nicht den Kern des Christentums auszumachen.
Tatsächlich ein unseliges Binnen-Scharmützel mit grandios unsouveräner Außenwirkung! Was mich über den Blogbeitrag hinaus interessiert ist, welche Wirkmechanismen da im Hintergrund Pate standen bzw. Ursache sind für diesen Fortgang (oder: Stillstand?; oder: Rückschritt?!?) der Geschichte. Einem Tanz auf rohen Eiern gleich meiden die Verantwortlichen wie der Teufel das Weihwasser (ungewollt semi-witziges Bild!) jede Bezugnahme auf Glaubensinhalte und geschichtliche Dimension.
Ja, dort stand eine Kirche, und ja, diese wurde von den Ausführenden eines (international-)sozialistischen Regimes aus Marketinggründen beseitigt. Und nun, angekommen in der egalistischen Postmoderne mit ihrer Sprache und Sinn beschneidenden Kommunikationsmethode „political correctness“ wird so lange an dem Stein gefeilt bis er zu Sand zerronnen ist. In vorrauseilender, falsch verstandener Rücksichtnahme gegenüber wem auch immer, in schwebender Angst vor Karriere-Einbußen geht der Mut verloren, Dinge beim Namen zu benennen und sich damit auch zu einer vielschichtigen Vergangenheit zu bekennen. Manche in dem Moloch Universität Leipzig verleugnen gar eine mittelalterliche Christlichkeit Europas, und stellen weiters sogar die gewesene Existenz des Abendlandes als solches in Abrede. Vor diesem Hintergrund wundert mich der Verlauf der Ereignisse keineswegs. Er folgt einer schönen, einvernehmlich breiigen Beliebigkeit. Willkommen im Heute!
Lieber Herr Wolff
Sie sprechen ja uns Wissenschaftler der Universität an. Uns mangelt es eigentlich nicht an Geschichtsbewusstsein. Aber gleichgültig, ob wir selber uns einer Religion zugehörig fühlen oder nicht, stehen wir gerade aus Geschichtsbewusstsein heraus in einer kritischen Distanz zu den Religionen. Denn die Geschichte – und auch die Gegenwart – ist voll von Beispielen, in denen Wissen und Wissenschaft von sich religiös legitimierenden Kräften unterdrückt wurde. Und zwar immer dann, wenn religiöse Überzeugungen für weltliche Macht genutzt wurde. Von daher werbe ich bei Ihnen um Verständnis für die kritische Distanz, die wir Wissenschaftler zu den Religionen jeglicher Prägung haben. Mich würde es vielleicht auch beklemmen, wenn ich auf einen Lehrstuhl in Istanbul berufen würde und meine Antrittsvorlesung in einer Moschee halten müsste.
Lieber Herr von Klitzing, vielen Dank für Ihre kritische Reaktion. Gegen eine kritische Distanz zu den Religionen habe ich überhaupt nichts. Die aber schließt doch nicht aus, dass eine Universität einen Ort hat, an der Distanz und Nähe thematisiert wird. Und wenn es möglich wäre, dass Sie an einer Instanbuler Universität in der dortigen Moschee (ich weiß jetzt, ob es so etwas gibt) ihre Antrittsvorlesung halten können, dann wären wir ja sehr weit mit einem angstfreien Umgang zwischen Islam und Wissenschaft. Aber mich bewegen derzeit noch ganz andere Fragen – aufgeworfen auch durch einen Artikel in der NYT (https://www.nytimes.com/2017/08/08/opinion/getting-trump-out-of-my-brain.html) und durch eine Frage des Philosophen Wilhelm Schmid in einem ZEIT-Interview: „Moderne heißt, sich absichtsvoll befreien von Religion, Tradition und Konvention. Das sind die Instrumente, die definieren, wie man zu leben hat. Nur etwas war von vornherein nicht bedacht worden: Was machen wir dann?“ Die neue Universitätskirche St. Pauli ist der Ort, an dem diese Frage breit diskutiert werden kann – natürlich in aller Freiheit und losgelöst von staatlicher oder kirchlicher Bevormundung. Beste Grüße Ihr Christian Wolff
„Mich würde es vielleicht auch beklemmen, wenn ich auf einen Lehrstuhl in Istanbul berufen würde und meine Antrittsvorlesung in einer Moschee halten müsste.“
[Prof. Dr. med. Kai von Klitzing ]
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Ersteres ist möglich. Letzteres nicht.
Eine Antrittsvorlesung eines neu berufenen Theologen würde ( und werde ) ich mir allerdings gerne anhören.
In der Universitätskirche St. Pauli.
Die zum Schweigen gebracht werden sollte, – 1968.
Für immer.