Wenn Christen das Wort „Liebe“ in den Mund nehmen, bewegen sie sich auf dünnem Eis. Denn kaum ist das Wort einladend oder mahnend ausgesprochen, kehrt es als Bumerang zurück: Wie steht es bei dir, der du anderen Liebe predigst, mit dem Gebot der Nächsten- und Feindesliebe? Und übt ein Christenmensch deutliche Kritik am Verhalten anderer, sieht er sich sofort mit der kritischen Rückfrage konfrontiert: Wie lässt sich mit der christlichen Liebe vereinbaren, das Verhalten anderer zu brandmarken oder zu verurteilen? Insofern erweist sich der zentrale Begriff des Glaubens, die Liebe, als eine Gratwanderung. Das gilt auch für die Jahreslosung, eine Art Leitwort für 2024. Es ist ein Satz aus einem der Briefe, die der Apostel Paulus Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christi Geburt an christliche Gemeinden in der griechischen Hafenstadt Korinth geschrieben hat:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (1. Korinther 16,14)
In diesem Satz ist für mich das Wort „Alles“ das zunächst Wichtigste. Denn es schließt kein Geschehen aus, auch nicht die Kritik, den Streit. Alles, was wir erleben, gestalten, bewirken soll sich am Maßstab der Liebe messen lassen. Das bedeutet aber auch: Liebe erschöpft sich nicht darin, den Nächsten wertzuschätzen, zu mögen. Liebe schließt ein, sich mit anderen kritisch auseinanderzusetzen, dem Streit um Richtig und Falsch nicht aus dem Wege zu gehen. Allerdings gilt es, das Lebensrecht und die Würde dessen, dessen Denken und Handeln ich für abwegig halte, zu achten, ihn nicht auf immer und ewig zu verdammen, auszugrenzen, mit Nichtbeachtung zu strafen. Die Dinge in Liebe geschehen zu lassen, ist also alles andere, als aus Bequemlichkeit und Konfliktscheu der Beliebigkeit Vorschub zu leisten. Liebe bedarf einer Festigkeit in der eigenen Haltung und gleichzeitig der Erinnerung daran, dass wir Menschen uns immer nur dem annähern können, was von uns erwartet wird, nämlich alles in Liebe geschehen zu lassen. In diesem Sinn bedarf die Liebe des freiheitlichen, offenen, demokratischen Miteinanders, der Einebnung der Hierarchien und der Einsicht in die eigene Fehlbarkeit.
In diesem Jahr stehen uns harte Auseinandersetzungen in der Gesellschaft bevor. Damit steht auch die Liebe auf dem Prüfstand. Zum einen geht es um die Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen, deren jeweilige Durchsetzung sich dem Maßstab der Gerechtigkeit unterwerfen muss. Zum andern müssen wir in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung denen sehr klar und entschieden entgegentreten, die unsere Gesellschaft „bereinigen“ wollen – von allem und allen Fremden, von Menschen, die angeblich keinen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft haben, die sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen folgen. Wir haben sehr deutlich denen zu widerstehen, die unterschiedliche Menschengruppen gegeneinander aufbringen, die Identität nur dadurch stiften können, dass andere herabgewürdigt und die eigene Gruppe, Rasse, Nation überhöht werden.
Derzeit ist die AfD das Sammelbecken derer, die unsere Gesellschaft durch Ausgrenzung uniformieren wollen, dem Autokratismus frönen und dafür die demokratischen Grundrechte missbrauchen bzw. aushebeln wollen. Das allein ist aber nicht das Gefährliche. Beunruhigend, ja alarmierend ist, dass sich der AfD vermehrt Menschen zuwenden, die sich nichtbeachtet vorkommen, die das Gefühl haben, dass ihnen Liebe, Anerkennung, Wertschätzung verweigert werden. Gleichzeitig haben sie den Eindruck, dass das Vermisste nur noch denen zukommt, die aus ihrer Sicht keinen Anspruch darauf haben. Die damit verbundenen Ängste machen sie nicht nur blind für die Wertschätzung der eigenen Lebenssituation. Sie blenden auch aus, dass konstitutiver Bestandteil der Ideologie der AfD die Zementierung ungerechter sozialer Verhältnisse, der Nationalismus mit imperialem Anspruch als Keimzelle von kriegerischer Gewaltbereitschaft nach innen und außen, eine völkische Harmonisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch Herabwürdigung bestimmter Menschengruppen, kulturelle Einfalt und rassistischer Diskriminierung sind. Dass eine solche Politik nichts von dem bewirkt, wonach sich Menschen sehnen, können wir nicht nur beobachten in Polen (da hat der PIS-Schrecken Gott sei Dank ein Ende gefunden), Ungarn, Russland, Türkei, USA (da ist eine Trump-Diktatur zu befürchten). Als Deutsche wissen wir aus der eigenen Geschichte, wohin eine Politik führt, die Liebe durch Hass konterkariert und sich nationalistisch und rassistisch über andere Menschen und Völker erhebt: in einen mörderischen Faschismus. Das wollen bis zu einem Drittel der Wähler:innen in Kauf nehmen, um sich für Liebesentzug zu rächen? Wollen wirklich über 30 Prozent der Wähler:innen in Ostdeutschland die Errungenschaften der Friedlichen Revolution, eine weltoffene, tolerante, demokratische Gesellschaft auf dem Altar des Rechtsnationalismus opfern?
Nein! In diesem Wahljahr müssen wir jede Zurückhaltung aufgeben, um auch die Wahlen in Liebe geschehen zu lassen. Es ist alles andere als gleichgültig oder beliebig, wem die Wähler:innen ihre Stimme geben und wem sie sie verweigern. Darum müssen wir auf allen Ebenen, in der Nachbarschaft und im Hörsaal, auf der Kanzel und dem Katheder, in Konferenzen und auf Betriebsversammlungen, anlässlich von Vereinssitzungen und bei den Kleingärtnern eine Botschaft kommunizieren: Keine Stimme für die AfD! Keine Stimme für Neonazis! Denn diese Partei zu wählen, ist unvereinbar mit den Grundwerten der biblischen Botschaft und unserer Verfassung! Mit einer Wahl der AfD wird der Liebe der Boden entzogen und der gegenseitigen Verfeindung der Boden bereitet. Gleichzeitig haben wir ins Bewusstsein zu rufen, dass sich in der demokratischen Gesellschaft Gott sei Dank und Tag für Tag manifestiert, nicht alles, aber Vieles in Liebe geschehen lassen zu können. Davon ist unsere gesellschaftliche Wirklichkeit noch geprägt: der Schutz des beschädigten Lebens, der offene Diskurs über die richtigen Lösungen, die europäische Friedenspolitik, die kulturelle Vielfalt, der immer noch vorhandene gesellschaftliche Zusammenhalt, das Engagement vieler Bürger:innen für den nahen und fernen Nächsten. Unbestritten: Vieles davon steht auf der Kippe. Aber es ist nicht so, dass Liebe nur ein Wort ist. Liebe ist eine gesellschaftliche Realität. Diese sollten wir nicht den Weidels, Höckes, Chrupallas zum Fraß vorlegen. Sie leben von der Glorifizierung derer, die den Hass predigen. Ihnen in Liebe zu begegnen heißt, sie per Wahlzettel aus der politischen Verantwortung herauszuhalten bzw. abzuberufen.
25 Antworten
Hallo Herr Schwerdtfeger, Sie können mich ja als „Spinner und Verschwörungstheoretiker“ bezeichnen, aber wäre es nicht netter, sich mal vorher mit mir zu unterhalten? Mein Büro ist im Max-Planck-Institut am Deutschen Platz (https://www.eva.mpg.de/linguistic-and-cultural-evolution/staff/martin-haspelmath). Ich würde gerne von Ihnen wissen, warum es so offensichtlich ist, dass die Corona-Verbote erfolgreich waren – die Wissenschaft konnte das jedenfalls nicht nachweisen, soweit mir bekannt. Zuletzt gab es erst wieder diesen Artikel, wo gezeigt wurde, dass der Verlauf der Pandemie weitestgehend durch natürliche Schwankungen statt durch Verbotspolitik zu erlären ist: https://www.mdpi.com/2077-0383/13/2/334. Wenn all diese schrecklichen Verbote und Ausgrenzungen sinnlos waren, müsste man das dann nicht dringend aufarbeiten, wie es jetzt auch von BSW gefordert wird?
Lieber Herr Wolff,
leider bin ich erst jetzt auf diesen Beitrag gestoßen.
In dem Ziel sind wir einig. Wir sind auch einig, dass Liebe keine Kritik ausschließt, auch harte Kritik. Die Frage ist nur, in welcher Weise sie vorgebracht wird. Ob dort auch die christlichen Prinzipien gelten, wonach der Andere nicht niedergemacht, sondern als gleichwertig angesehen und behandelt wird. Er überhaupt in seinem Anderssein und Andersdenken eine Chance hat gehört und beachtet zu werden, oder ob er gleich in eine Schublade gesteckt wird.
Zur Liebe als Christ gehören nicht nur klare Positionen (christliche Positionen), sondern auch Brücken bauen, nicht spalten durch Pauschalierungen und Zuschreibungen, Probleme nicht ausblenden und schönreden. Das gilt auch in der Position zur AfD. Sie ist schließlich eine demokratisch gewählte Partei und letztlich „nur“ von exekutiver Seite als „gesichert rechtsradikal“ in bestimmten Ländern bezeichnet. Bis zum Parteiverbot durch Gerichte haben wir sie entsprechend zu behandeln als Demokraten.
Gibt es vor diesem Hintergrund nicht auch Verbesserungspotential generell und auch bei Ihnen (Stichwort Beitrag zu Lochner) und auch in diesem Beitrag?
Sie fordern mit Ihrem Kommentar zu einem Boykott der AfD auf, zu einer konzertierten Aktion: Wählt nicht die AfD! Damit sind Sie Sigmar Gabriel zuvorgekommen, der alle demokratischen Gruppen am 5.1. in einem Interview beim WDR zu genau dem gleichen auffordert. Ihnen aber gebührt die Anerkennung, mit einem Tag Vorsprung das als erster gesagt und geschrieben zu haben. Glückwunsch! Der Beitrag ist lesenswert. Er spricht Klartext.
https://www1.wdr.de/nachrichten/interview-sigmar-gabriel-afd-rechtsruck-100.html
Gabriel schreibt u.a. „Und dann gibt es Etwas, wovor leider die Sozialdemokratie, aber auch die anderen Parteien, CDU, FDP und die Grünen, Angst haben: dem Thema Migration. Dass wir inzwischen zu viele Menschen in Deutschland haben, die wir zu wenig integriert haben. Und dass wir keine wirklichen Ideen und praktischen Möglichkeiten entwickelt haben, wie wir die Zuwanderung reduzieren. Wir diskutieren immer darüber, wie wir sie besser verteilen, und wie wir den Kommunen mehr Geld geben. Das ist alles nett, aber es geht darum, die Zahlen runterzubringen – und zwar auf ein Niveau, das wir anschließend auch wirklich integrieren können. Wir versagen ja an beiden Enden: Bei der Frage der Kontrolle, wer kommt und wie viele kommen, und bei der Integration.“
Glaube – Hoffnung – Liebe 3.0
Aus dem Glaube wurden Verträge,
aus der Hoffnung Versicherungen,
worauf die Liebe sich verbat.
Aus den Verträgen wurde Hass,
aus den Versicherungen Angst,
worauf die Liebe
Glaube und Hoffnung neu gebar.
Adalbert Haberbeck und ,,Müsli“ 2008
PS: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.
Ja, die Liebe gegenüber den Mitmenschen bringt uns dazu, die verschiedensten Lebensentwürfe zu respektieren – und sogar „unsere Feinde zu lieben“ zu versuchen, wie Christus es radikal ausdrückt. Aber was heißt es, den Feinden „entgegenzutreten“, wie Sie es empfehlen, Herr Wolff? Kann man jemandem in Liebe „entgegentreten“? Carl Friedrich von Weizsäcker hat es in den 1980er Jahren so ausgedrückt: Feindesliebe bedeutet mindestens, dass man versucht, die Welt aus der Perspektive der Feinde zu sehen. Wenn Sie von „Uniformierung durch Ausgrenzung“ reden, denken viele vor allem daran, dass Menschen ohne Impfung (wie z.B. Stefan Hüneburg, den Sie sicher auch sehr schätzen) viele Monate lang nicht an öffentlichen Begegnungen teilnehmen durften. Teilweise durften sie nicht einmal einkaufen. Das betraf Millionen von Menschen, und es war sicher der schlimmste Fall von Ausgrenzung, den unsere Generation erlebt hat. Was bedeutet es nun, unsere Feinde, die diese Ausgrenzung betrieben haben (z.B. Burkhard Jung, der sich öffentlich für Verschärfung von 2G ausgesprochen hat), zu lieben? Ich kann als Christ sogar einen Ober-Ausgrenzer wie Herrn Jung lieben, wenn ich mich in seine Perspektive hineinversetze – denn er war in Panik, weil er dachte, dass die Pandemie nur mit einer höheren Impfquote beendet werden kann. Und die Wissenschaftler*innen (also meine Zunft) haben nicht deutlich genug gesagt, dass das ein Hirngespinst war. Insofern trifft ihn nur begrenzte Schuld, aber als Verantwortlicher für eine unmenschliche Politik sollte er jetzt zumindest zurücktreten, oder? Er hat es sicher mit Liebe gemeint, und als Liebende müssen wir dies anerkennen (statt ihn nur zu verdammen), aber das Ergebnis war eine Katastrophe. Ich denke, christliche Liebe bedeutet hier nicht, Burkhard Jung (und anderen, die diese Politik unterstützt haben), „entgegenzutreten“, sondern einfach immer wieder darauf hinzuweisen, was für schreckliche Fehler auch solche Menschen machen können, von denen man früher immer erwartet hatten, dass sie auch in der Krise die Menschenwürde an die oberste Stelle stellen. Wir alle können Fehler machen, und deshalb müssen wir auch schlimme Fehler bei anderen verzeihen, wenn sie Einsicht zeigen. https://www.lvz.de/mitteldeutschland/burkhard-jung-fordert-2g-regelung-fuer-freizeitbereich-motivation-fuers-impfen-QUIW2LOQFYNXKM3FJKYZK5XNQY.html
Auch wenn dieser Kommentar eigentlich nichts zu dem im Blog-Beitrag angesprochenen Problemen und vor allem zu der geforderten klaren Haltung gegenüber dem Rechtsnationalismus zu tun hat: Offensichtlich begreifen Sie, lieber Herr Haspelmath, immer noch nicht, dass es nicht darum geht, unterschiedliche Positionen zu den Maßnahmen während der Corona-Pandemie im Nachhinein zu diskutieren, sondern darum, dass gerade diejenigen, die wie Sie im Wissenschaftsberieb tätig sind und darum ein hohges Maß an gesellschaftspolitischer Verantwortung tragen, dazu aufzufordern, in diesem Jahr vor der Wahl der AfD zu warnen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Sie das eines nicht allzu fernen Tages endlich begreifen – jedenfalls möglichst bevor es zu spät ist.
Aber geht es nicht um viel mehr als die AfD? – Geht es nicht allgemein um die Demokratie, die Freiheit der Lebensentwürfe, und den Einsatz gegen Ausgrenzung Andersdenkender? Um die europäische Friedensordung? Wenn man warnt, dann müsste man doch eher vor der Wahl von CDU (Kretschmer, Röttgen), FDP (Strack-Zimmermann), SPD (Lauterbach, Pistorius) und Grünen (Hofreiter, Dahmen) warnen, oder? Diese Parteien haben allesamt bei der Verteidigung der Menschenwürde gegen die Virus-Panik versagt, und sie haben Deutschland in einen verderblichen Krieg geführt. Außer der Wagenknecht-Partei sehe ich keine politische Kraft, vor der man nicht warnen müsste. Und wenn jemand mich darauf hinwiese, dass die AfD weder für den Ukraine-Krieg ist noch die Corona-Katastrophe unter den Teppich kehren will, dann wüsste ich nicht recht, wie ich antworten sollte. Die bisherigen Regierungen haben jedenfalls in den zwei schlimmsten Krisen seit 1945/89 furchtbar versagt, und es ist kein Wille zur Umkehr erkennbar – oder sehen Sie einen solchen Willen?
Dann nehmen Sie sich doch einmal Zeit und lesen einige Bücher über die Ereignisse 1923ff – z.B. Harald Jähner, Höhenrausch.Da finden Sie viele Antworten auf Ihre Fragen. Ansonsten bin ich doch einigermaßen schockiert, dass ein so gebildeter Mensch wie Sie, so naiv, so blauäugig die gegenwärtige, höchst brisante politische Lage beurteilt. Bei aller Kritik, die ich auch im Blick auf viele Corona-Maßnahmen hatte und habe, halte ich das, was Sie von sich geben, für ziemlich arrogant und im Blick auf den Ukraine-Krieg für äußerst naiv. Zumindest müssen Sie die Frage beantworten, wie Politik auf einen Aggressionskrieg eines nationalistischen Faschisten reagieren soll?
Die Demokratie muss Spinner und Verschwörungstheoretiker wie Haspelmath ertragen. Die Corona-Maßnahmen waren allesamt offensichtlich richtig, jedenfalls in ihrer Zeit, was durch die erfolgreiche Bekämpfung weltweit belegt ist (oder auch umgekehrt durch das chinesische Beispiel); und ein Mensch, der Antisemitismus nur für eine „schlimme Meinung“ hält, hat sich doch längst disqualifiziert. Und was die AfD angeht – nochmal: Inhaltlich und sachlich bekämpfen, nicht emotional diskriminieren, und schon gar nicht mit Widersprüchen, wie sie in Ihrem Beitrag, Herr Wolff, offenbar werden:.
Andreas Schwerdtfeger
Wieso „arrogant“? Ich sage aber gerne, wie man auf einen Angriffskrieg reagiert: Indem man neutral bleibt und versucht, möglichst viele Kräfte für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu mobilisieren. Durch die Parteinahme für die Ukraine haben die westlichen Länder in einer maßlosen Selbsüberschätzung das Problem massiv verschärft. Die Leidtragenden sind die Ukrainer*innen, und alle Armen weltweit, die unter den deutlich gestiegenen Energiepreisen leiden. (Schon Erhard Eppler hat in den 1970ern gesagt: Die beste Entwicklungshilfe sind günstige Energiepreise.) Wenn sich die Weltgemeinschaft einig wäre, könnte man ein kleines Land wie Irak oder Afghanistan isolieren, und 1991 hat das ja irgendwie funktioniert. Aber schon die Kriege von 2001 und 2003 sind gescheitert, und der Ukraine-Krieg ist unser größtes Fiasko überhaupt – noch viel schlimmer als Vietnam. Seit dem Gaza-Krieg sind Südafrika und Brasilien zu Führungsmächten aufgestiegen, und höchstens von solchen Ländern (vielleicht sogar China oder Indonesien) geht jetzt noch Hoffnung aus. Wir hätten von Anfang an deren Friedens-Kurs einschlagen sollen.
Was hat 1991 „funktioniert“? Dass die Bush-Administration einen Wüstenkrieg gegen den Irak geführt und damit den Grundstein für das gelegt hat, was heute die Region prägt: Krieg und Terror? Und wie habe ich den Vergleich mit dem Vietnam-Krieg zu verstehen? In Vietnam waren die USA der Aggressor – jetzt ist es in der Ukraine Russland. Also wenn Vergleich, dann müsste man wünschen, dass Russland das gleiche Schicksal ereilt wie die USA in Vietnam! Alles, was Sie schreiben, ist doch ein wenig naiv. Friedenspolitisch müssen wir schon klarer Position beziehen, um der allgemeinen „Kriegstüchtigkeit“ entgegenzutreten.
Die Regierungsparteien und die Union haben Deutschland in einen „verderblichen Krieg geführt“? Wie abstrus ist das denn, Herr Haspelmath. Einem (zugegeben nicht mustergültig) demokratischen Land beizustehen, wenn es durch eine brutale Diktatur kriegerisch überfallen wird, hat mit einem Kriegseintritt nichts zu tun. Wenn Trump die Wahl gewinnen und die Unterstützung der USA für die Ukraine herunterfahren wird, werden wir Europäer uns warm anziehen müssen – ganz warm!
Warum „warm anziehen“? Die EU ist ein mächtiger Staatenverbund mit vielen Gemeinsamkeiten, und wir brauchen weder vor Trump noch vor Putin Angst zu haben. Wir müssten einfach mehr Respekt für unterschiedliche Kulturen und Ängste haben. Die Trump-Anhänger haben Angst vor der Globalisierung, die Putin-Anhänger haben Angst vor der NATO, die Brasilianer haben Angst vor den Amerikanern, usw. Wenn wir friedlich leben, können wir auch mit bedrohlich erscheinenden Entwicklungen in der Welt umgehen.Glücklicherweise ist die kommunistische Ideologie verschwunden, und die anderen Herausforderungen kann man sehr gut friedlich meistern.
Auch ich halte diesen Beitrag von Christian Wolff für sehr gelungen und in die Zeit passend. Auch kann ich überhaupt nicht erkennen, dass Christian Wolff Andere/Andersdenkende ausgegrenzt hätte (wie das umgekehrt m.E. aber sehr wohl geschieht)! Er fordert vielmehr (nun schon zum wiederholten Mal) uns alle auf, im Alltag sensibel auf AfD-Nähe/Argumente zu reagieren, nicht zu schweigen!
Was, wenn bei den ostdeutschen Landtagswahlen dieses Jahres Regierungskoalitionen zwischen AfD, BSW und/oder der (noch zu gründenden) WerteUnion des Herrn Maaßen möglich werden???
Was, wenn die hämische Hetze gegen SPD (Esken, Scholz), B90/Grüne (Baerbock, Hasselmann), bzw. die Ampel-Regierung in Gänze (schlechteste Regierung, die D je hatte) weiter verfängt (in den USA glauben auch immer noch Viele, Trump sei die Wiederwahl „gestohlen´ worden).
Ist es wirklich erfolgversprechender, Parolen der AfD zu übernehmen (Kopftuch-Mädchen, Paschas, Sozialtouristen, illegale Immigration…), als sich stets klar von ihr abzugrenzen?
Lassen Sie uns die Demokratie-fördernden Parteien in den anstehenden Wahlkämpfen nach Kräften unterstützen (ich vermeide derzeit bewusst eine Einordnung von BSW und WerteUnion, sehe lediglich die AfD als gesichert Demokratie-feindlich).
Hören/schauen wir in unser aller Alltag nicht weg, wenn rechte, diskriminierende, antisemitische Reden geschwungen oder Witzchen gemacht werden.
Stellen wir der AfD Fragen, was sie konkret tun will, um Themen voranzubringen wie Klimawandel („Freie Fahrt für freie Bürger“, uneingeschränkte Nutzung von Verbrenner-Motoren, weitere Subventionierung fossiler Brennstoffe),
neue Friedensordnung (auf Russland zugehen, Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, raus aus der/bzw. radikales Stutzen der EU),
Fachkräftemangel/Einwanderung (Grenzen dicht machen, zur Not mit der Schusswaffe, Abschiebung aller abgelehnten und/oder straffällig gewordenen Immigrant:innen – aber wohin?),
Bildung, Digitalisierung, ÖPNV-Infrastruktur, Gesundheitswesen, Rentenreform….
Und was sagt die AfD in diesem Zusammenhang zur Finanzierung dieser Aufgaben, zur Schuldenbremse?
Und last but not least: Hören wir endlich auf damit, andere demokratische Parteien und deren Repräsentant:innen als „Feinde“, „Gegner“, oder Ursachen allen gegenwärtigen Übels anzusehen/anzuprangern!
Wir leben nicht in einer DDR 2.0! Aber für die „Liebe zur Demokratie“ müssen wir 2024 a l l e kämpfen; Fortbestand und Weiterentwicklung dieser Demokratie sehe ich (nicht nur) in Deutschland derzeit gefährdet!
Christian Wolff hat geschrieben : Wenn Christen das Wort Liebe in den Mund nehmen, …. begeben sie sich auf eine Gratwanderung.
Aber ich denke, diese Gratwanderung lohnt sich allemal!!!
Hier lesen wir wieder einmal einen wunderbaren Beitrag von Herrn Wolff – wenn wir ihn als religiöse und christliche Mahnung auffassen zum Thema des Zusammenlebens von Menschen. Und eines solchen Beitrages bedarf es ja angesichts der Lage in Deutschland, wo fast wöchentlich oder täglich
– Jugendliche sich gegenseitig umbringen oder verletzen,
– ganze Gruppen von Menschen sich über das Gesetz stellen,
– Prügeleien mit der Polizei zum Alltag gehören,
– der demokratische Diskurs sich auf Behinderungen der Rechte anderer reduziert (Habeck wird von Bauern nicht von der Fähre gelassen),
– der Bundestag (leider besonders durch die Ampel-Fraktionen, neben der AfD) zum Beleidigungsforum wird (siehe die panisch-populistische Esken),
– die politische Diskussion sich auf Rechthaberei reduziert (man lese die Beiträge der Grünen-Vorsitzenden Hasselmann).
Wenn wir den Beitrag allerdings als „politisch“ auffassen, dann leidet er wie immer an den offensichtlichen Wolff’schen Schwächen:
„Beunruhigend, ja alarmierend ist, dass sich der AfD vermehrt Menschen zuwenden, die sich nicht beachtet vorkommen, die das Gefühl haben, dass ihnen Liebe, Anerkennung, Wertschätzung verweigert werden. Gleichzeitig haben sie den Eindruck, dass das Vermisste nur noch denen zukommt, die aus ihrer Sicht keinen Anspruch darauf haben“ – schreibt uns Wolff und wir wollen das nicht bestreiten. Aber wie hat er sich denn in seinen bisherigen Beiträgen über die AfD und deren Wähler geäußert? Eben genau so: Daß sie „das Gefühl haben, dass ihnen Liebe, Anerkennung, Wertschätzung verweigert werden“ (ist ja verständlich, widerspricht aber seiner Forderung). Wie äußert er sich denn gegenüber Menschen – wohl der Mehrheit in unserem Lande -, die nicht nur nichts gegen Ausländer haben, sondern die Integrationsbereitschaft der meisten anerkennen und begrüßen, aber zwei Postulate erheben:
1. Gesetzeskonforme Einreise und Behandlung – also Unterscheidung zwischen Asyl und sonstiger Migration;
2. Integration in unsere Kultur, einschließlich insbesondere auch der Rechtskultur.
Der Wolff’sche Fehler, sich immer und ausschließlich hinter die Migranten zu stellen und nicht die berechtigten Wünsche der Einheimischen zu formulieren – also das Problem ausgewogen zu betrachten – kommt ja auch hier wieder zum Tragen; ebenso wie seine Verweigerung, sich mit den Positionen der Rechtsradikalen INHALTLICH und mit dem Angebot von ZUKUNFTSLÖSUNGEN auseinanderzusetzen, anstatt immer nur ein paar Schlagworte aufzutischen; Völkisch, rassistisch, nationalistisch, brauner Sumpf. Alles durchaus richtig, aber eben nicht zielführend , wenn es um die POLITISCHE Bekämpfung des Rechtsradikalismus geht. Esken macht uns augenblicks in ihrer Panik um die Existenz ihrer Partei vor, wie man Wähler (erfolgreich) zur AfD treibt, indem sie demokratische Mitbewerber hemmungslos diffamiert, indem sie populistische Lösungen (immer mehr Geld) als einzigen Ausweg aus der Krise ihrer Partei ansieht, indem sie Parteien-Verbote ins Gespräch bringt, was Wolff zu Recht als Problemlösung durch Problemnegierung bezeichnen würde: Eine Partei, die sich sicher sein kann, von deutschen Gerichten nicht verboten zu werden, wird durch solche Diskussionen gestärkt, wie selbst Eskens Parteigenossen (ihr) sagen.
„Keine Stimme für die AfD!“ schreibt uns Wolff und ich stimme zu. Aber das muß POLITISCH untermauert werden, indem man die Sorgen, die die Bürger in die Arme dieser Partei treiben – Migration, Ausgrenzung durch linke Arroganz und rechthaberische Belehrungen, klare und nachvollziehbare Politik zu akzeptierbaren Zielen und Kompromissen, Überzeugung statt Verbote und ständige Regulierungen, Ideologie- und Ausgrenzungsverzicht, etc – ernst nimmt und Wege aufzeigt anstatt einfach nach einer unbequemen Lagefeststellung zu einer angstvollen Beschimpfung und Verbotsforderung überzugehen. Der geforderte „offene Diskurs über die richtigen Lösungen“ ist dies nur dann, wenn die Lösungen auch beschrieben sind – und „keine Stimme für die AfD“ als Appell reicht wohl nicht, wenn das überzeugende – im Gegensatz zum populistischen – Argument fehlt.
Esken ist auf AfD-Niveau angekommen – leider (für sie) nicht prozentual, sondern eben argumentativ. Sie ist ein Geschenk für die AfD, wie es leider auch die kanzler-lose Chaos-Ampel ist. Es wäre besser – auch hier im Blog – sich mit Inhalten zu beschäftigen und Kompromisse zu akzeptieren, als auf Beschimpfungen, historische Vergleiche und viele schöne Floskeln zu setzen.
Andreas Schwerdtfeger
„– der demokratische Diskurs sich auf Behinderungen der Rechte anderer reduziert (Habeck wird von Bauern nicht von der Fähre gelassen)“
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Bezeichnender Kommentar von Sarah Wagenknecht: Habeck sei peinlich und weinerlich.
https://www.n-tv.de/politik/Wagenknecht-wirft-Habeck-Opferinszenierung-vor-article24642124.html
Jetzt kommt ja noch eine neue Partei von Maaßen hinzu. Bin auf die Auseinandersetzung gespannt: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Statt Wiederholungen hier ein Link zu einem entlarvenden Artikel aus der TAZ: TAZ-Artikel
Mit Ihren Eingangsempfehlungen, lieber Herr Wolff, bin ich sehr einverstanden. Insbesondere gilt es, „das Lebensrecht und die Würde dessen, dessen Denken und Handeln ich für abwegig halte, zu achten, ihn nicht auf immer und ewig zu verdammen, auszugrenzen, mit Nichtbeachtung zu strafen.“ Gerade das muss aber doch auch für unsere politischen Gegner gelten, mögen sie uns nun zu weit links oder rechts stehen. Wenn Sie die AFD pauschal als Neonazis bezeichnen, verharmlosen Sie einerseits die tatsächlichen Naziverbrechen und verzichten andererseits darauf, sich sachlich mit den Fehlern dieser Partei auseinanderzusetzen, z. B. die Unterstützung Putins in dessen Krieg gegen die Ukraine, die Ablehnung des Mindestlohns oder andere konkrete politische Fehler zu kritisieren.
Wenig überzeugend wirkt Ihr Vorwurf, dass die AFD “unsere Gesellschaft „bereinigen“ wolle von allem und allen Fremden, von Menschen, die angeblich keinen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft haben, die sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen folgen”, wenn Sie anschließend in einem Atemzug mit anderen Frau Weidel als Beispiel nennen, die doch ganz offen mit einer Ausländerin als Familie zusammen lebt.
Derart unsachliche Angriffe wirken sich leider nur als Werbung für die AFD aus und sind vermutlich der Grund dafür dass diese Partei immer stärker wird. Wenn Sie das verhindern wollen, sollten Sie sich – wie in diesen Tagen Ihr Parteigenosse Schneider – ganz konkret mit den vielfach theoretischen und undurchführbaren Vorschlägen der AFD befassen und Schlagworte wie “Neonazis” oder “gegenseitige Verfeindung” vermeiden.
„Unsachliche Angriffe“? Bitte lesen Sie diesen Artikel: TAZ. Und hier der Link zur Seite Corrective
Ganz herzlichen Dank für diesen tiefgründigen und klaren, aus der Liebe heraus geborenen Artikel.
Walter Knöpfel
Jetzt soll also die Liebe herhalten für den heiligen Kampf gegen „Rechts“. Gibt es nicht an anderen Stellen Liebesdefizite mit viel gravierenderen Auswirkungen? Ich denke dabei vor allem an die in letzter Zeit forcierte Gehirnwäsche, mit der die Bevölkerung für eine andauernde Unterstützung dieses sinnlosen Krieges im Osten und dessen möglicher Ausweitung konditioniert werden soll. Der offenbar werdende Tunnelblick irritiert mich nach wie vor.
Auch ich möchte allen Teilnehmern an diesem von Herrn Wolff dankeswerterweise zur Verfügung gestellten Forum alles Gute für das Jahr 2024 wünschen. Insbesondere erhoffe ich mir zahlreiche Beiträge, geschrieben mit Herz, Seele und Verstand (fromme Sprüche alleine laufen ins Leere), die gegen die Parolen der Kriegstreiber in Ost und West immunisieren helfen.
Zunächst vielen Dank für die guten Wünsche zum neuen Jahr, lieber Herr Lerchner. Mit „frommen Sprüchen“ werden Sie weiter leben müssen. Sie sind mir allemal lieber als das eiskalte Wegbügeln von Problemen a la „heiliger Kampf gegen Rechts“. Wer in Sachsen lebt und die Gefahr des alltäglichen Rechtsextremismus (und natürlich auch die Chancen, ihr zu begegnen) nicht sehen will, muss sich fragen lassen, welcher Gehirnwäsche er zum Opfer gefallen ist. Christian Wolff
Lieber Herr Wolff,
Sie haben mehr als Recht mit Ihrer Meinung. Und wenn wir eine wählbare demokratische Opposition hätten, wäre alles nicht so dramatisch und kritisch. Wahrscheinlich werden die vielen Nichtwähler der Demokratie schaden und damit der AfD zu einem entsprechenden Ergebnis verhelfen.
Vor dem Hintergrund der schlimmen Kriege und der Hetze und dem Gift der Zersetzung in unserer Gesellschaft: Vielen herzlichen Dank für Deine Botschaft und Engagement!
Dieser Beitrag gefällt mir sehr gut – ohne wenn und aber. Auch von mir allen hier ein glückliches neues Jahr.
Lieber Herr Wolff!
Sie sprechen mir aus der Seele. Vielen Dank für diesen Aufruf.