Es war am 16. Mai 2010. Nach dem Abendgottesdienst in der Thomaskirche stellte sich mir beim Verabschieden am Bach-Portal eine junge Frau vor. Sie nannte ihren Namen, den ich nur rudimentär in Erinnerung behielt, und sagte, dass sie Pfarrerin in Meldorf (noch nie gehört) sei und sich für die Pfarrstelle an der Thomaskirche interessiere; ob ich noch Zeit hätte für ein Gespräch. Da ich an dem Abend zum Essen eingeladen und schon in Zeitverzug war, sagte ich, dass wir nur kurz miteinander sprechen könnten. Wie mir Britta Taddiken später erzählte, habe sie mir fünf Fragen gestellt, die ich knapp und bündig beantwortet hätte. Sie sei mit dem Eindruck nach Hause gefahren: Mit dem könnte ich …
Am anderen Morgen versuchte ich mich an den Namen der Pfarrerin aus Mel … (auch den Ortsnamen wusste ich nicht mehr genau) zu erinnern. Ich gab also bei Google ähnlich klingende Worte ein und landete dann schließlich auf der Homepage der Kirchgemeinde Meldorf. Denn auch ich fand nach dem kurzen Gespräch an der Kirchentür: Diese Pfarrerin sollten wir uns genauer anschauen.
Gott sei Dank hat sich Britta Taddiken einige Tage später auf die 2. Pfarrstelle beworben – und sie erreichte nach der Vorstellungsrunde im ersten Wahlgang im Kirchenvorstand die erforderliche Mehrheit. Damit wurde sie nach 800 Jahren die erste Pfarrerin an der Thomaskirche. Am 06. Januar 2011 wurde sie in ihr Amt eingeführt, nachdem sie zuvor ins Thomashaus eingezogen war. Im Einführungsgottesdienst hielt ein Gottesdienstbesucher ein Plakat in die Höhe. Auf diesem stand „Wir fordern Pfarrer von hier!“. Da hatte einer nicht mitbekommen, dass die Stadt Leipzig schon längst eine gesamtdeutsche Stadt geworden war und die Kirchgemeinde St. Thomas seit der Friedlichen Revolution sich zu einem Ort der Begegnung zwischen Ost und West entwickelt hatte. Hinzu kam, dass sich in den Vorstellungsgottesdiensten und Gesprächen Britta Taddiken als die für das Amt bestqualifizierte Persönlichkeit erwiesen hatte: theologisch gebildet, musikalisch kompetent und menschlich nahbar. Das wurde auch dadurch bestätigt, dass eine große Gruppe aus Meldorf zur Einführung nach Leipzig gekommen war. Dort war man traurig, eine zupackende Seelsorgerin, eine ausgezeichnete Predigerin und eine musikbegeisterte Pfarrerin verloren zu haben und gratulierte der Thomaskirche zu dieser Wahl.
Britta Taddiken arbeitete sich schnell in die neuen Aufgaben ein. Sie bejahte das Gemeindekonzept und füllte vom ersten Tag an ihr Amt aus. Bezeichnend für sie war die Neugier, mit der sie über Weihnachten 2010/11 alle Gottesdienste, Motetten und Konzerte besuchte, um die Atmosphäre und Besonderheiten der Thomaskirche kennenzulernen. Schon im ersten Jahr nach ihrer Ankunft brachte sie sich in das Jubiläumsjahr „800 Jahre THOMANA – glauben, singen, lernen“ präsent und prägend ein. Die Zusammenarbeit mit ihr fand immer auf Augenhöhe statt. Wir haben uns ergänzt, gegenseitig unterstützt und auch kritisch begleitet. So haben wir auch immer wieder Predigten und Ansprachen im Nachhinein besprochen. Auch fand Britta Taddiken sehr schnell Zugang zu den Gemeindegliedern und den Bürger:innen der Stadt. Ihre offene, zugewandte und schlagfertige Kommunikation verschaffte ihr schnell Respekt und Anerkennung.
Für mich selbst war dann im Jahr 2013 klar, dass ich Anfang 2014 in den Ruhestand eintreten will. Denn Britta Taddiken verfügte über die Fähigkeiten, die 1. Pfarrstelle an der Thomaskirche und damit verbunden die Pfarramtsleitung und den Vorsitz im Kirchenvorstand zu übernehmen. Das sah der Kirchenvorstand in seiner Gesamtheit auch so. Darum schlug er dem Landeskirchenamt vor, dass Pfarrerin Britta Taddiken auf die 1. Pfarrstelle wechselt und die 2. Pfarrstelle neu ausgeschrieben wird. Doch davon wollte das Landeskirchenamt zunächst nichts wissen. Sie hatten schon jemanden ausgeguckt, der 1. Pfarrer an St. Thomas werden sollte. Das „System Wolff“ sollte beendet werden. Außerdem wollte man unter keinen Umständen wieder jemanden aus Westdeutschland und schon gar keine Pfarrerin haben. Wieder einmal musste der Kirchenvorstand Rückgrat zeigen – und wieder einmal mit Erfolg: Britta Taddiken übernahm ab Februar 2014 die 1. Pfarrstelle. Die 2. Pfarrstelle wurde ausgeschrieben und mit Pfarrer Martin Hundertmark neu besetzt.
Dies hat sich als Segen für die Kirchgemeinde St. Thomas erwiesen. Bis zum Ausbruch ihrer schweren Erkrankung kurz nach ihrem 50. Geburtstag 2020 hat Britta Taddiken ihre Arbeit mit Bravour vollzogen. Sie hat mit ihrer glockenklaren Sopranstimme dem männerdominierten liturgischen Gesang neuen Glanz verliehen. Durch ihre durchdachten, sehr aktuellen und bibeltextorientierten Predigten und Motettenansprachen hat sie viele Menschen tief berührt. Sie hat als Vorstandsmitglied des Vereins Thomaskirche-Bach e.V. und als Vorstandsvorsitzende des forum thomanum Leipzig e.V. wesentliche Impulse für die THOMANA gesetzt. Sie hat engagiert und mutig die gesellschaftspolitische Verantwortung der Kirchgemeinde St. Thomas in der Stadt wahrgenommen und dafür auch die Logistik des Thomaskirchhof 18 zur Verfügung gestellt. In ihrer Zeit wurde der Paulineraltar in die Universitätskirche St. Pauli zurückgeführt und der neugotische Jesus-Altar in der Thomaskirche aufgestellt. Die Grundschule forum thomanum und der Hort wurden 2017 eingeweiht. Das Geläut der Thomaskirche wurde erheblich erweitert. Britta Taddiken ist auch zu verdanken, dass durch ihre sehr erfolgreiche Spendenakquise nun ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sind, um notwendige Renovierungsmaßnahmen in der Thomaskirche und im Thomashaus durchzuführen. Vor allem aber ist sie in der Seelsorge jungen und alten Menschen wegweisend und tröstend beigestanden, nicht zuletzt auch in der von ihr initiierten Pilgergruppe. Nicht verschwiegen werden soll, dass Britta Taddiken unter dem unsäglichen Agieren des Landeskirchenamtes in Sachen „Strukturreform“ (beabsichtigte Zusammenlegung der beiden Kirchgemeinden St. Nikolai und St. Thomas) sehr gelitten hat.
Weniger die Zeit der Corona-Pandemie als vielmehr ihre schwere Krebserkrankung bedeuteten einen tiefen Einschnitt in ihre Tätigkeit als 1. Pfarrerin an der Thomaskirche. Zunächst fiel Britta Taddiken krankheitsbedingt von September 2020 für ein Jahr aus. Gott sei Dank kam die Erkrankung zum Stillstand. Doch weitere Operationen und die Therapie zehrten an den Kräften. Bewundernswert und beispielgebend war und ist, wie offen, tapfer, zuversichtlich und voller Gottvertrauen Britta Taddiken im Spannungsbogen von Widerstand und Ergebung mit der Krankheit umgegangen ist. Allerdings hat sie gesehen, dass ihre Kräfte für die vielfältigen und herausfordernden Aufgaben nicht mehr reichen. Darum ist sie mit Wirkung vom 1. November 2023 in den vorzeitigen Ruhestand eingetreten. Für die Kirchgemeinde St. Thomas, aber auch für die Stadt Leipzig ist dies ein großer Verlust. Wie groß die Lücke sein wird, wurde auch durch ihre eindringlichen Ansprachen in der Christvesper und der Silvestermotette 2023 deutlich. Die Kirchgemeinde St. Thomas und viele Bürger:innen Leipzigs, der Thomanerchor und die Einrichtungen des Bildungscampus forum thomanum, die Mitglieder des Thomaskirche-Bach e.V. und viele Freund:innen der Thomaskirche haben Britta Taddiken viel zu verdanken. Ich persönlich bin ihr dankbar für eine wunderbare Zusammenarbeit in meiner aktiven Zeit und für eine enge Freundschaft, in und mit der ich Britta Taddiken in den vergangenen Jahren begleiten konnte und verbunden bleiben werde. Wir alle wünschen ihr für die Zukunft viel Kraft, neue, sie erfüllende Aufgaben und Gottes Segen.
10 Antworten
Wer Britta Taddiken erlebt hat weiß um den Verlust um eine außergewöhnliche Pfarrerin an der Thomaskirche in Leipzig.Hoffentlich gibt die Begeisterung nach ihrer Predigt von der Gemeinde während des festlichen Gottesdienstes am6.1.24 dir selbst viel Kraft für dein zukünftiges Leben.Liebe Britta,du wirst noch gebraucht,ganz gleich ,wo auch immer!! Doch neue Aufgaben mögen auch dich bereichern und dich stärken! Das wünschen wir dir,auch wenn wir sehr traurig sind,dich nicht mehr in Leipzig als Pfarrerin zu erleben.Meinen Vorrednern kann ich mich nur anschließen und in Verbundenheit grüßen wir dich herzlich.Traudl und Jürgen Weise
Zaghaft verhallten meine Schritte im hinteren Teil der Thomaskirche, um mich im Raum für eine öffentliche Sprechstunde mit Pfarrerin Taddiken zu treffen. Ihr gegenüber sitzend, erzählte ich von meine Herzgefäßerkrankung und der bevorstehende stationäre Behandlung. Noch wenige Monaten vorher hatte sie unseren Sohn konfirmiert. Und nun bat ich sie, wenn alles schief laufen würde, mich zu beerdigen und meine Familie zu stützen. Sie dachte darüber kurz nach und sicher ging ihr auch das sächsisches Kirchenrecht durch den Kopf. Wir sind keine Kirchenmitglieder der Thomaskirchgemeinde. Da kam ihr „Ja“ und die Einladung zu einem gemeinsamen Gebet. Voller Zuversicht sah ich der kardiologischen Behandlung entgegen. Aber beim Einführen eines Herzkatheters muss etwas nicht vorhersehbares passiert sein, denn was sollte auf einmal die Herzdruckmassage, was am Kopfende der Anästhesist? Das alles konnte ich später meinem Hausarzt erzählen, der ganz spontan fragte? „Und hinter dem Anästhesisten stand ein Pfarrer?“ Nein, es war eine Pfarrerin, eine sehr gute Seelsorgerin, der ich bis über den heutigen Tag hinaus vertraue.
Liebe Frau Taddiken,
Sie waren mein Draht zur Thomaskirche und zur Kirche überhaupt. Danke. Ich hoffe, Sie wiederzusehen. Möge Ihr weiterer Weg gesegnet sein.
Wahrlich ein würdiger Abschied von und für Britta Taddiken heute im Festgottesdienst in der Thomaskirche!
Gewandhaus-Orchester, Posaunenchor, Thomanerchor, Gemeinde und Funktionsträger/-trägerinnen der Thomas- und der evangelischen Landeskirche in Hochform schufen für knapp zwei Stunden eine beeindruckende Stimmung in der Kirche.
Absoluter Höhepunkt natürlich die (hoffentlich nur vorerst) letzte Predigt von Britta Taddiken; Ihre Auslegung des Bibeltextes zu Epiphanias und der Bach-Kantate „Sie werden aus Saba alle kommen“, Ihre sehr persönliche Bilanz der letzten 13 Jahre und Ihre Wünsche für unser aller Zukunft, regten die ca. 1.000 Teilnehmer:innen zu (gefühlt) minutenlangem, stehendem, spontanem Applaus an!
War es ein (kleiner) „Wettstreit“, den Organisten, Chor und Gemeinde anlässlich des letzten Tages der Weihnachtszeit bei „O Du Fröhliche“ veranstalteten (wer erklingt am lautesten/inbrünstigsten)? Wenn ja, ging er aus meiner Sicht Unentschieden aus.
Nochmals ein tief empfundenes Dankeschön an Frau Taddiken und alle Guten Wünsche für Ihre Gesundheit und Ihre weitere Lebensplanung! Ansonsten kann ich mich der Rede von Superintendent Feydt zur Verabschiedung von Pfarrerin Taddiken nur voll inhaltlich anschließen (sein Text und die Predigt von Frau Taddiken sind sicher bald auf der Homepage der Thomaskirche nachzulesen)!
Lieber Herr Wolff,
vielen Dank für Ihre sehr bewegende Würdigung von Britta Taddiken. Ergänzend erlaube ich mir noch einige persönliche Gedanken hinzuzufügen:
Leider ist es in unserer Zeit der Selbstverständlichkeiten und dominierenden Anspruchshaltung eine Rarität geworden, auch einmal Danke zu sagen für all das Segensreiche, was man sowohl als einzelner als auch als Gemeinschaft über lange Zeit empfangen hat. Umso mehr ist es für mich eine absolute Notwendigkeit, Britta Taddiken zu ihrem Abschied vom Pfarramt an der Thomaskirche auf vielfältige Weise zu danken. Als Vorsitzender des Thomanerbundes e.V. (Verein ehem. Thomaner und Thomasschüler) danke ich ihr im Namen unserer Mitglieder für die langjährige konstruktive Begleitung unserer Arbeit. Stets konnte ich mich auf sie verlassen, wenn es galt die traditionelle Verankerung des Bundes im Geist der Trias Thomasschule – Thomanerchor – Thomaskirche zu bewahren und zu befördern. Aber auch ganz persönlich habe ich Britta Taddiken zu danken für ihre stets lebendigen Predigten und Ansprachen in Gottesdiensten und Motetten, die niemals ohne inneren Nachklang blieben. Unvergessen ist mir auch die Gestaltung des Trauergottesdienstes in der Thomaskirche anlässlich des Todes meiner Frau im Oktober 2021. Sie sprach damals sehr einfühlsam über den Text „Glaubet an das Licht, derweil ihr´s habt, auf dass ihr des Lichtes Kinder seid“ (Joh.12,36). Dieser Tag hat tiefe Spuren in der Erinnerung hinterlassen. Deshalb mischt sich in den Abschied auch ein fühlbarer Tropfen Wehmut. Möge der nun folgende Lebensabschnitt für Britta von wohltuenden Zeiten der Entspannung erfüllt sein, gleichzeitig aber auch zur Sammlung neuer Kräfte dienen und von Gottes Segen begleitet werden.
Herzliche Grüße
Peter Roy
Liebe Frau Taddiken! Sie standen an meiner Seite wo es mir nicht gut ging, vielen Dank dafür. Sie spendeten Trost und wünschten mir Gottes Segen für meinen Klinikaufenthalt. Ihr großes Interesse am Förderverein und erfolgreichen Bemühungen Spenden zu sammeln für die Erhaltung und Restaurierung der Thomaskirche muss auch erwähnt werden. Ich bin sehr traurig, dass Sie in den Ruhestand gehen. Aber ich verstehe es, die Gesundheit geht vor. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles erdenklich Gute. Kerstin Füldner aus Leipzig.
Frau Pfarrerin Taddiken ist für mich herausragend in ihrer Persönlichkeit, ihrer Bildung, ihrer Auffassung des seelsorgerischen Amtes! Die Lücke, die sie hinterlässt, ist riesig, solche Menschen muss man lange suchen. Ich danke für die Zeit in Leipzig und verbeuge mich vor Frau Taddiken.
Vielen Dank für diese wunderbare Würdigung und die schönen Fotos!
Frau Taddiken wird hier in Leipzig und der Thomaskirche sehr fehlen, ich kann es mir noch gar nicht richtig vorstellen ohne sie.
Von Herzen Gottes Segen für Frau Taddiken und ganz herzliche Grüße Gabi Klose
Liebe Britta Taddiken,
an das erste Mal, dass ich Sie in einer Motette oder einem Gottesdienst erlebt habe, erinnere ich mich nicht mehr wirklich (es war vermutlich 2012 oder 2013).
Allerdings weiß ich noch genau, dass ich Freunde aus Stuttgart, die unbedingt mit uns eine Motette in der Thomaskirche besuchen wollten, im Herbst 2014 beglückwünschte, dass es an jenem Samstag Sie waren, die die Ansprache hielt.
Nachdem ich mit meiner Frau Anfang 2016 dann nach Leipzig zog, versäumten wir nach Möglichkeit keinen Gottesdienst, den Sie gestalteten. Wir verdanken Ihnen einige sehr bewegende Predigten, über die wir auch oft im Anschluss noch weiter sprachen; es ist Ihr Verdienst, dass ich in den letzten Jahren den Weg zurück zur Kirche gefunden habe. Und als ich selbst zum Jahreswechsel 2020/21 auf der Intensivstation der UKL lag, dachte ich immer daran, dass es mir doch eigentlich ganz gut geht, im Vergleich zu Ihnen (Krebs) und Christian Wolff (bevorstehende Bypass-OP); das gab mir Kraft und Demut.
Für Ihren weiteren Weg wünschen wir Ihnen von Herzen alles Gute, Gesundheit, Glück und Gottes Segen! Es war uns eine große Freude, Sie in der Thomaskirche erlebt zu haben.
Liebe Grüße
Dagma und Michael Käfer
Britta Taddiken ist eine wunderbare (und auch noch sehr fleißige) Pastorin, nüchtern, ganz realistisch. Theologisch sehr begabt, die Situation stets korrekt und uneigennüzig einschätzend, einfühlsam, fleißig, gewissenhaft … ach, was soll ich sonst noch alles Positives über sie sagen … ? Leipzig verliert mit ihr eine hervorragende Pastorin und Theologin, die in jeder Weise zu Thomas (Bach!!!) gepasst hat, von Anfang an. Axel Denecke