Legida/Pegida zerfällt. Gott sei Dank! Was in Leipzig übrig geblieben ist: Jagdszenen zwischen Legida-Hooligans und sog. Autonomen. Mit Politik, mit demokratischer Beteiligung, mit einem friedlichen Miteinander der Verschiedenen hat dies nichts zu tun – wohl aber mit Verachtung der Werte, die unerlässlich sind für ein menschliches Zusammenleben. Legida/Pegida sind am Ende – auch deshalb, weil sich nur wenige Bürgerinnen und Bürger Leipzigs den kruden Parolen angeschlossen haben, die Mehrheit aber für eine offene, tolerante Stadtgesellschaft eingetreten ist und gerade die Kirchen in Leipzig mit den Friedensgebeten einen langen Atem bewiesen haben. Doch was sich im Windschatten dieser merkwürdigen „Bewegung“ des Nichtigen abgespielt hat und weiter ereignet, muss mehr als beunruhigen – insbesondere das Agieren von Innenminister Markus Ulbig. Halten wir fest:
- Ende November gibt Ulbig – natürlich an einem Montag – bekannt, eine Sondereinheit der Polizei zu gründen, um Mehrfachstraftäter unter den Asylbewerbern besser verfolgen können – was der Öffentlichkeit das suggerieren soll, womit Pegida die Vorurteile speist: Unter Flüchtlingen gibt es besonders viele Kriminelle. Später stellt sich heraus, dass es nur eine kleine Anzahl von mehrfach straffällig gewordenen Asylbewerbern gibt.
- Mitte Dezember wird unter skandalösen Umständen die tschetschenische Asylbewerberin Tamara S. nach Polen abgeschoben – verantwortlich: das Innenministerium.
- Mitte Januar lässt Ulbig aufgrund von angeblichen Terrorwarnungen gegen Lutz Bachmann alle Demonstrationen in Dresden am 19.01.15 verbieten. Kurz danach trifft er sich mit der Sprecherin von Pegida, Kathrin Oertel, zum Meinungsaustausch – um was auszuloten? Man kann nur vermuten, was den Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl in Dresden zum „Dialog“ trieb.
- In Sachen Legida stellt sich das Innenministerium samt dem sog. Verfassungsschutz taub gegenüber der offensichtlich rechtsradikalen Steuerung des Leipziger Pegida-Ablegers.
- In den vergangenen Wochen wurde vom Innenministerium für die Erstaufnahme von Asylbewerbern ein Hotel in Böhlen angemietet, das von einem bekennenden Neonazi geführt wird. Ebenso sind mehr als 1000 Plätze für Asylbewerber/innen vorgesehen in Häusern, die einem ehemaligen Stasi-Offizier gehören. Zu DDR-Zeiten soll er Häftlinge malträtiert haben.
- Doch damit nicht genug: Innenminister Ulbig hält es nicht für nötig, für eine vernünftige Kommunikation zwischen Landesregierung und Kommunen zu sorgen. Zwischen der Information über zugewiesene Asylbewerber und dem Erstbezug der vom Land angemieteten Unterkünfte liegen oft nicht einmal 24 Stunden. So wurde in der vergangenen Woche auch die Stadt Leipzig vor vollendete Tatsachen gestellt: Das Land hatte ein Haus, das von der Stadt Leipzig als Asylunterkunft vorgesehen war, kurzfristig vom Hauseigentümer als Erstunterkunft angemietet, ohne vorher die Stadt zu konsultieren. Ähnliches geschieht auch in anderen Kommunen.
- Und schließlich: Der Innenminister verweigerte für die am heutigen Montag vorgesehenen Demonstrationen nötigen Polizeikräfte und schiebt die Verantwortung einseitig der Stadt Leipzig zu. Diese sah sich daraufhin gezwungen, die Legida-Demonstration zu verbieten – eine schwerwiegende Verletzung des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit als Folge verfehlter Entscheidungen des Innenministeriums.
Was das lehrt? Alle in den vergangenen Wochen so vollmundig verkündeten Verständnisparolen für „die Sorgen und Ängste der Bürger“ erweisen sich als Makulatur. Auch das Gerede vom „Zuhören“ ist nichts anderes als plakatives Getue – da kann sich der sächsische Ministerpräsident noch so oft mit Bürgern an einen Tisch setzen. Etwas anderes scheint wirksam zu sein: Im Windschatten von Legida/Pegida will der Innenminister das Asylrecht weiter aushöhlen und darum die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen gezielt verunsichern. Offensichtlich hat er kein Interesse an der Entwicklung einer Willkommenskultur, zu der viele Bürgerinnen und Bürger bereit sind. Anders ist nicht zu erklären, dass er den Kommunen ohne jede Vorbereitungsmöglichkeit kurzfristig Flüchtlinge zuweist. Daraus kann weder Vertrauen entstehen, noch stärkt dies den demokratischen Zusammenhalt in Städten und Gemeinden. Vielmehr scheint es der Innenminister darauf anzulegen, das Thema Asyl als Sprengsatz für das gesellschaftliche Miteinander zu nutzen, um demokratische Grundrechte zu schleifen.
Dabei wäre jetzt ganz anderes angebracht. Drei Monate Pegida/Legida haben großen Schaden in den Stadtgesellschaften angerichtet: vermehrte gewalttätige Übergriffe auf Migranten und Flüchtlinge; Ängste und Verunsicherung unter den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen; haltlose Vorurteile gegenüber Menschen islamischen Glaubens. Auf diesem Hintergrund ist es mehr als bedauerlich, dass sich in Leipzig die CDU-Mandatsträger und der CDU-Kreisverband beim Thema Asyl in einer abseitigen Habachtstellung aufhalten. Kaum einer von ihnen hat den Aufruf „Willkommen in Leipzig …“ unterschrieben. Dabei hat sich dieser als tragfähige Basis für einen Konsens in der Stadtgesellschaft erwiesen, der auch die wesentlichen Aufgaben für die Zukunft beschreibt. Es wird in den nächsten Wochen darauf ankommen, über alle Parteigrenzen hinweg das gesellschaftliche Leben zu entgiftet, den offenen Diskurs zu pflegen und alles zu tun, damit wir das friedliche Zusammenleben der Verschiedenen lernen und praktizieren. Vor allem aber gilt es wachsam zu bleiben gegenüber allen Versuchen, durch das Schüren von Vorurteilen Menschen auszugrenzen und auf diesem Weg die freiheitliche Demokratie zu unterhöhlen.
5 Antworten
„Das sind keine “Rechtsbrecher”, sondern überzeugte Christen, die auf den eklatanten Widerspruch zwischen dem Grundrecht auf Asyl und der Abschiebepraxis hinweisen.“
[Chr. W., s. o.]
„In Deutschland halten sich aktuell mehr als 600.000 Ausländer auf, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder deren Flüchtlingsschutz abgelaufen ist. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU) hervor.“
siehe: http://www.cicero.de/berliner-republik/bundestagsvizepraesident-ueber-dresdner-demonstranten-pegida-anhaenger-nicht-zu
Wie Sie es so richtig sagen: Austausch von Meinungen und Kritik. Man sollte hinzufügen: Unter gegenseitiger Achtung der Meinung des Anderen. Mein Vorwurf an Sie, lieber Herr Wolff – Sie müssten es eigentlich irgendwann erkennen – bezieht sich nicht auf Ihre legtime Meinung, die ich im Übrigen durchaus häufig, wenn auch nicht immer, teile, auch nicht auf Ihre Kritik, sondern auf Ihre beleidigenden Attacken gegen andere Meinungen und Meinungsträger. Und das, allerdings, hat nichts mit Knigge zu tun, sondern ist eben Frage der demokratischen Auseinandersetzung, des „offenen Diskurses“, den Sie fordern und gleichzeitig dem Gegenüber nicht zubilligen (wenn er mit jemandem im Diskurs ist, der Ihnen nicht passt, wie in diesem Beispiel).
Und leider ist es unbestreitbar, dass die Kirche in unserem Staat mit dem Kirchenasyl klaren Rechtsbruch begeht – auch wenn man ihr, wie de Maizière, das Privileg des Erbarmens zuerkennen mag. Kirchenasyl war in antiker, in römischer und in mittelalterlicher Zeit ein anerkanntes und festgeschriebenes Recht – wer sich in den Schutz der Kirche begab, war dem weltlichen Recht entzogen. Zeigen Sie mir die Bestimmung im deutschen, europäischen, internationalen Recht, die das heute ebenso sieht! Im Rechtsstaat – den wir haben, zum Glück – hat Kirchenasyl nichts zu suchen, denn es schafft rechtsfreie Räume, also genau das, was wir weder wollen noch brauchen.
Mit herzlichem Gruss,
Andreas Schwerdtfeger
Es wird darauf ankommen, den offenen Diskurs zu pflegen – so das Ende des Beitrages.
Uhlig trifft sich mit Oertel zum Meinungsaustausch – um was auszuloten? – so der höhnische und unaufrichtige Anfang und also doch kein offener Diskurs, bitte schön, denn Jeder, der einen anderen Diskurs führt als Sie, lieber Herr Wolff, der führt eben keinen Diskurs, sondern muss sich von Ihnen die Ehre abschneiden lassen. Wer Ihnen das Recht gibt, die Motive Anderer als unehrlich darzustellen, das fragt man sich (demokratisch ist es wohlgemerkt nicht, denn andere Meinung haben ist was anderes als andere Meinungsträger beleidigen) – und dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass Sie einem Verein angehören, der in diesem Lande – de Maizière hat es deutlich gemacht – hundertfach das Recht bricht, indem er die Scheu und den Respekt des Staates vor Kirchen mißbraucht und Menschen vor dem rechtmäßigen Zugriff der Polizei versteckt. Die von Ihnen so genannte „skandalöse“ Abschiebung von Tamara S. ist ein solches Beispiel des versuchten Rechtsbruchs, der leider hierzulande – eben weil der Rechtsbruch von der Kirche begangen wird – ungestraft bleibt.
Und waren es nicht Sie und Ihre Mitstreiter, die offen erklärt haben, man wolle so viele Demonstrationen anmelden, dass die Polizei überlastet und überfordert werde – nur um jetzt zu beklagen, dass die Polizei überfordert ist und deshalb Demonstrationen eingeschränkt werden mussten? Die Widersprüche zwischen Ihren angeblich so demokratischen Parolen und Ihrer doch recht engstirnigen Einseitigkeit sind einfach nicht zu übersehen.
Mit einem herzlichen Gruss,
Andreas Schwerdtfeger
1. Diskurs heißt auch, Kontroversen öffentlich austragen und dazu gehört Kritik. Das ist legitim. Knigge-Ratschläge tragen wenig zur Klärung bei.
2. In der Kritik an Innenminister Ulbig bin ich mir mit vielen Bürgermeistern und Landräten, die der CDU angehören, sehr einig.
3. Ich gehöre zwar vielen Vereinen an, aber die Kirche ist kein Verein, sondern als Glaubensgemeinschaft Körperschaft des öffentlichen Rechts.
4. Über Kirchenasyl lohnt sich die öffentliche Debatte. Dazu sollten aber vor allem die Menschen gehört werden, die Kirchenasyl organisieren. Das sind keine „Rechtsbrecher“, sondern überzeugte Christen, die auf den eklatanten Widerspruch zwischen dem Grundrecht auf Asyl und der Abschiebepraxis hinweisen.
5. Der Fall Tamara S. hat nichts mit Kirchenasyl zu tun. Die massive Polizeiaktion zur Abschiebung wurde nicht nur vom Flüchtlingsrat scharf kritisiert, sondern auch von der durchaus konservativen Zeitung wie der „Leipziger Volkszeitung“.
6. Vielleicht können Sie erkennen, dass Diskurs bedeutet: Austausch von unterschiedlichen Meinungen möglichst untersetzt mit Fakten. Natürlich ist jeder Diskursteilnehmer für sich genommen einseitig. Was sollte er auch anderes sein? Bleiben Sie also schön einseitig, durchaus polemisch und sagen Sie Ihre Meinung.
Ihr Christian Wolff
So sehr ich mir wünsche, das braune Gedankengut würde verschwinden, so wenig wird es sein. Sie ziehen sich vielleicht von den Straßen zurück, aber in vielen Köpfen haben sie Spuren als „mutige Anführer einer Revolution des Volkes“ hinterlassen. Das macht mir Angst. Und als mindestens genau so schlimm empfinde ich die Reaktionen unserer PolitikerInnen. Es wird nie wirklich ein Dialog mit den Menschen stattfinden. Sie werden weiter an ihren Plätzen kleben und ihre eigenen kleinen oder großen Karriere Pläne hegen und pflegen. Es war doch alles nur ein unbedeutendes, eher unwichtiges ostdeutsche Phänomen. UND DAS MACHT MICH WÜTEND.