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Krieg: die Rationalisierung des Verbrechens

Seit über zwei Jahren vergeht kaum ein Tag, an dem nicht der Krieg das Hauptthema aller Nachrichtensendungen und vieler persönlicher Gespräche ist. Zwei Kriege stehen dabei im Mittelpunkt:

  • der Angriffskrieg des Putin-Russland gegen die Ukraine, ausgelöst durch die gewaltsame Besetzung der Krim und der Gebiete im Don Bas durch russische Truppen seit 2014 und den Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 mit dem Ziel, diese zu vernichten;
  • der Krieg in Gaza zwischen Israel und Palästina nach dem Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023.

In beide Kriege sind Deutschland und die Europäische Union direkt involviert, weil Deutschland und die EU die Ukraine in ihrem Kampf um nationale Integrität und Souveränität militärisch, wirtschaftlich und zivilgesellschaftlich unterstützen, und weil Deutschland das Ziel der Regierung Israels teilt, Gaza-Palästina von der Terrorherrschaft der Hamas zu befreien.

Diese Kriegsbeteiligung hat dazu geführt, dass in den vergangenen Monaten das Kriegführenkönnen in der öffentlichen Debatte als Erfordernis gesellschaftspolitischer Bestrebungen Zug um Zug Oberhand gewonnen hat. Das zeigt sich

  • an der Verengung der öffentlichen Debatte um die Unterstützung der Ukraine auf die Lieferung von bestimmten Waffensystemen – immer mit dem Unterton, wenn bestimmte Waffen nicht geliefert würden, sei das kriegsentscheidend;
  • an der Forderung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), dass die Deutschen „kriegstüchtig“ werden müssten;
  • an dem Vorschlag von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), deutsche Schüler:innen besser auf einen Kriegsfall vorzubereiten: „Die Gesellschaft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereiten – von einer Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg“. Es gehe darum, „unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken“.
  • an der Diskussion um einen Satz aus der Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich im Bundestag am vergangenen Donnerstag (14.03.2024). Fragend führte Mützenich aus: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ Wie grotesk die Diskussion um diese Frage inzwischen geworden ist, konnte man am Sonntagabend bei Caren Miosga beobachten. Mit einem verächtlich-triumphierenden Grinsen ging Miosga minutenlang ihren Gast, den SPD-Co-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil, an – immer unterstellend, Mützenich habe gefordert (so auch die ständige Formulierung im Deutschlandfunk*), den Ukrainekrieg einzufrieren. Dabei hat Mützenich keinen Zweifel an der Notwendigkeit der militärischen Unterstützung der Ukraine gelassen und betont, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe. Allerdings hat er die friedenspolitische Öffnung der  Diskussion angemahnt.

Diese Beobachtungen zeigen, wie weit die politische Rationalisierung des Verbrechens Krieg schon gediehen ist. Dabei geht es nicht darum, alle am Krieg Beteiligten zu Verbrechern zu erklären. Es muss natürlich unterschieden werden zwischen Tätern und Opfern, zwischen Angreifern und Angegriffenen. Letztere haben das Recht, sich zu wehren. Nur: Wenn sich der Angegriffene sowie seine Unterstützer immer mehr auf die Ebene ziehen lassen, auf die ihn der Angreifer haben will, nämlich die einer ausschließlich mit kriegerischen Mitteln geführten Auseinandersetzung, also wenn es nur noch um Sieg oder Niederlage geht, dann droht die große Gefahr, Teil des Verbrechens des Täters zu werden. Es ist eben ein großer Irrtum, dass der- oder diejenige, die die friedenspolitischen Erfordernisse in die Debatte einbringt, das Geschäft des Aggressors betreiben würde – nein: es sind vor allem die, die sich vom Aggressor ihre kriegerischen Maßnahmen diktieren lassen.

Diesem fatalen Irrtum wird derzeit in der gesellschaftspolitischen Debatte Vorschub geleistet – insbesondere dadurch, dass „Kriegstüchtigkeit“ die friedenspolitischen Erfordernisse auf allen Ebenen verdrängen soll. Gleichzeitig führt dies dazu, dass jede Differenzierung abhandenkommt – auch die Bereitschaft, unterschiedliche Optionen für ein Ende der Kriege zu diskutieren. Es ist schon auffallend, dass jede auch noch so zaghafte Initiative, die sich jenseits kriegerischer Handlungsmaximen bewegt, entweder als Verrat an der Ukraine gebrandmarkt oder – imn Fall Israel – des Antisemitismus bezichtigt wird. Das ist umso bedenklicher, als die militärische Beteiligung am Ukrainekrieg damit begründet wird, die offene, freiheitliche, demokratische Gesellschaft gegen die Gewaltherrschaft des Autokratismus und Terrors zu verteidigen. Darum muss es eigentlich jede:n mehr als beunruhigen, dass die Normalisierung des Krieges als politische Option einhergeht mit dem Anwachsen rechtsnationalistischer Kräfte sowie einer innergesellschaftlichen Gewaltbereitschaft. Ist es nur ein bitterer Zufall, dass parallel zu den Kriegen in Schulen die Gewalttätigkeit und -bereitschaft auch durch Selbstbewaffnung in erschreckendem Maße zunimmt?

Von daher gesehen sollte die wegweisende Feststellung vom ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann (1899-1976) „Nicht der Krieg … sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“ jedenfalls für Christen und Sozialdemokraten politische Richtschnur bleiben. Denn keine noch so rationale Begründung ändert etwas daran, dass Krieg in sich ein Verbrechen bleibt. Dieses Verbrechen basiert auf Feindschaft, Tod, Zerstörung. Merkwürdig: Zu einer solchen Überzeugung gelangen zumeist diejenigen, nachdem sie einen Krieg erlebt und erlitten haben. Warum können wir Menschen nicht vorher, also „vor“ dem Frieden zu dieser Einsicht gelangen bzw. uns sie nicht ausreden lassen durch die, die unsere Gesellschaft auf Krieg trimmen wollen? Wir sollten jetzt die Möglichkeit ergreifen, gegen die Rationalisierung des Verbrechens das zu setzen, was nach 1945 die Menschen, die das Verbrechen überlebt haben, als „Willen“ des Deutschen Volkes in die Präambel des Grundgesetzes geschrieben haben: „dem Frieden der Welt zu dienen.“

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* Im Deutschlandfunk (DLF) fragte am 19.03.2024 die Moderatorin Maria Grundwald den SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hellmich mehrfach „Krieg einfrieren – Ja oder Nein“ – so, als ob das die von Mützenich aufgeworfene Entscheidungsfrage sei. Man könnte ja auch danach fragen, wie denn ein mögliches Einfrieren oder ein Verhandlungsfrieden aussehen kann, was für Anheizen des Krieges und was für Einfrieren spricht … Aber offensichtlich ist ein solcher Diskurs in vielen Medien gar nicht mehr gefragt. Ein Alarmzeichen!

54 Antworten

  1. Die Reaktion von Herrn Plätzsch, 27.3., 21:57h, zeigt uns das ganze Problem typisch deutscher Diskussionen auf: Man klammert sich an einzelne Sätze (auch bei Mützenich), interpretiert sie um in die eigene Weltanschauung und nutzt sie dann als Totschlagargument.
    Ich habe argumentiert, dass die Fleißarbeit von Lerchner uns aufzeigt, wo auch der Westen Weichenstellungen vorgenommen hat, die – aus der nachträglichen Sicht – die Kriegsschuldfrage anders beleuchten, als es die Vereinfacher bei uns andauernd tun. Eigentlich ist diese Erkenntnis sowieso banal, denn fast nie ist eine kriegerische Entwicklung AUSSCHLIESSLICH von einer Seite verursacht. Und Plätzsch macht daraus die polemische Frage, ob der Ermordete nun an seinem Tode selbst schuld sei und kommt zu dem Schluss, die Ansicht, der Westen habe Russlands Interessen vielleicht nicht ausreichend berücksichtigt, „rechtfertigt keineswegs den Überfall auf die Ukraine“, als hätte ich das je behauptet. Es ist ein Unterschied, lieber Herr Plätzsch, ob eine Anmerkung den Überfall „rechtfertigt“ oder ob sie andeutet, dass auch die weitgehend unschuldige Seite Fehler gemacht hat und mehr hätte tun können, sprich: anders hätte handeln sollen, um das Unglück zu vermeiden. „Nichts rechtfertigt den russischen Angriff. Ihn aber AUCH mit politischen Fehlern und Fehleinschätzungen des Westens zu erklären, die unzweifelhaft sind, ist schon deshalb notwendig, damit man solche Fehler künftig vermeiden kann und damit diplomatische Ansätze zum Frieden endlich wieder möglich werden“, schrieb ich, aber das blendet Plätzsch aus, weil es ihm seine belehrerische „Wie bitte“-Formulierung kaputt gemacht hätte.
    Also empfehle ich wieder einmal die verbale Abrüstung. Der Beitrag steht unter dem Titel der Rationalisierung des Krieges als Verbrechen und ist sowieso schon durch die Widersprüche in sich unglaubwürdig, denn er rechtfertigt ja (richtigerweise) die ukrainische Verteidigung gegen den Angriff, die aber auch Krieg und dennoch nicht Verbrechen ist, was ja die ganze Problematik dieses Themas aufzeigt.
    Schon vorher hat es Plätzsch „geärgert“, wenn auf die Möglichkeit diplomatischer Lösungen angesichts der Persönlichkeit Putins verwiesen wird und er bezweifelt die Intelligenz solcher Leute. Ich dagegen bezweifele die Intelligenz von Leuten, die glauben, in schwieriger Lage auf das Wort verzichten zu können und ausschließlich auf die Macht der Waffen setzen. Der Vergleich der beiden augenblicklichen Kriege – Ukraine und Gaza – zeigt die ganze Komplexität des Problems:
    – Es lässt sich nicht mit simplen Formulierungen – Krieg ist Verbrechen – lösen, denn in beiden Fällen VERTEIDIGT sich eine angegriffene Nation, in einem Fall gegen einen Feind (RUS), der völkerrechtlich mindestens zweifelhaft handelt, im anderen sogar gegen einen Feind (Hamas), der sich an keine einzige völkerrechtliche Norm hält.
    – Im einen Fall stehen wir hinter dem Verteidiger, unterstützen diesen militärisch (allerdings aus Angst nicht ausreichend) und lehnen Politik mit dem unsinnigen Argument ab, der Aggressor wolle diese nicht. Hier sehen wir NUR die Fortsetzung – ich sage: Verlängerung – des Krieges als Lösung. Im anderen Falle verführen uns die Bilder und Emotionen zum Nachlassen der Unterstützung des Verteidigers und zur immer stärkeren Verwischung der Verantwortung für das Elend: Hamas ist verantwortlich für die humanitäre Lage in Gaza. Hier sehen wir NUR die Politik und den sofortigen Waffenstillstand als Lösung, obwohl ja Hamas – im Gegensatz zu RUS – für den Angegriffenen in der Tat kein Partner sein kann und die palästinensische Seite keinen Ansprechpartner für politische Initiativen anbietet.
    Also: Krieg mittels verbaler Ablehnung („Verbrechen“) verhindern/beenden/aus der Welt schaffen zu wollen, ist naiv und unpolitisch, dazu auch zu einfach, denn er ist janus-gesichtig. Er ist nun mal historische reale Tatsache in einer unvollkommenen Welt. Wer ihn wenigstens nach Ausbruch beenden will – egal ob endgültig oder durch Waffenruhe – , der wird wohl POLITISCH und DIPLOMATISCH agieren müssen: Streitkräfte sind Mittel zum Zweck (und nur eines!), nicht der Zweck selbst. Und Diskussion darüber, Herr Plätzsch, ist nur sinnvoll, wenn man mehr will als nur ein bisschen Polemik verstreuen.
    Andreas Schwerdtfeger

  2. Wie versprochen hier Fakten zum Donbass-Konflikt (Quelle: Nicolai N. Petro, The Tragedy of the Ukraine):
    Im Gegensatz zu den Sezessionsbestrebungen auf der Krim ging es im Donbass vorrangig um eine größere lokale Autonomie.
    1993: Donezker Regionalsowjet beschließt die Gründung einer regionalen Wirtschaftsselbstverwaltung.
    27. März 1994: Referendum über Föderalismus und den Status der russischen Sprache. Krawtschuk erklärt beide Referenden für illegal.
    Dezember 2004: Der Kongress von Sewerodonezk. Treffen von 4.000 lokalen und regionalen Beamten aus 17 Regionen. Forderungen: (1) offizieller Status für die russische Sprache; (2) maximale regionale Autonomie.
    Die Ablehnung der EU- und NATO-Mitgliedschaft, die Ablehnung der Ukrainisierung und der Darstellung von Nazi-Kollaborateuren als ukrainische Helden ist viel entschiedener als anderswo in der Ukraine.
    Die Regionalregierungen unterstützten im Februar 2014 Janukowitsch nachdrücklich; Zehntausende von Anhängern auf den Anti-Maidan-Versammlungen; Bildung von Selbstverteidigungskräften nach dem Vorbild derjenigen, die auf dem Maidan in Kiew aufgestellt wurden.
    2. März 2014: Der amtierende Präsident Turtschynow versucht, den Gouverneur von Donezk, Andrej Schischatski, abzusetzen.
    Nächster Tag: Die Regionalverwaltung von Donezk stimmte für seine Bestätigung und rief zu einem lokalen Referendum über die Stärkung der lokalen Selbstverwaltung und den Ausbau der „strategischen Partnerschaft mit der Russischen Föderation“ auf.
    Am 6. März wurde der Gubarew (Stadtrat Donezk) verhaftet. Die lokalen Regierungsbeamten wandten sich jedoch zunehmend gegen Kiew. Die ukrainischen Streitkräfte weigerten sich, sich mit der lokalen Bevölkerung auseinanderzusetzen.
    Am 6. und 7. April nahmen die Rebellen gleichzeitig Regierungsgebäude in Donezk, Lugansk und Charkow ein.
    Am 14. April kündigte Turtschynow den Beginn einer Anti-Terror-Operation (ATO) an.
    Angriff von Kräften des Rechten Sektors unter der Leitung von Dmitry Yarosh gegen die Rebellen.
    Die ukrainischen Streitkräfte bestanden größtenteils aus rechtsextremen Freiwilligen, die von Oligarchen finanziert wurden, da die ukrainische Regierung noch immer nicht von der Zuverlässigkeit der regulären Armee überzeugt war.
    Ende April fielen die meisten Verwaltungszentren in der Region Lugansk an die Rebellen. Am 27. April wurde die Lugansker Volksrepublik ausgerufen.
    Verhandlungen zwischen ukrainischen Unterhändlern (Wiktor Medwedtschuk und Nestor Schufrisch) und den Rebellenführern im Donbass: Drei Forderungen: (1) Verwendung der russischen Sprache in offiziellen Dokumenten; (2) Anhörung bei der Ernennung des örtlichen Staatsanwalts; (3) Anhörung bei der Ernennung des Regionalgouverneurs.
    Am 30. Juni startete Poroschenko einen Blitzkrieg zur Rückeroberung des gesamten Donbass. Die Militäroffensive der Ukraine ist Ende August gescheitert. Das erste Minsker Waffenstillstandsabkommen wurde am 5. September 2014 unterzeichnet.
    Eine zweite Niederlage bei Debalzewo im Januar 2015 zwang Poroschenko, am 12. Februar das zweite Minsker Protokoll zu vereinbaren. Kiew wurde von Frankreich, Deutschland und Russland gezwungen, im Gegenzug für die Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität über die Region die lokale Selbstverwaltung und lokale Sprachrechte für den Donbass zu akzeptieren.
    Ergebnisse einer Umfrage in acht russischsprachigen Regionen, die noch während der Rebellion durchgeführt wurde (8. bis 16. April 2014):
    · Zwei Drittel der Bewohner des Donbass sehen den Rechten Sektor als „prominente militärische Formation, die politisch einflussreich ist und eine Bedrohung für die Bürger und die nationale Einheit darstellt“.
    · In Donezk und Lugansk stimmten 60 % bzw. 52 % nicht der Ansicht zu, dass Russland die Rebellen organisiert und ihre Aktionen steuert.
    · 70 % lehnten eine Abspaltung ab, nur 25 % wollten in die EU eintreten, 47 % bevorzugten die von Russland geführte Zollunion.
    Antwort auf die Frage, ob Russland für das Blutvergießen und den Tod von Menschen in der Ostukraine verantwortlich ist: 19,1% ja (definitiv oder wahrscheinlich); 62,8% nein. In der Westukraine 81,6 % bzw. 15,8 %.
    Antworten auf identische Fragen nach sechs Monaten Kampfhandlungen: Weniger Menschen als zu Beginn der Feindseligkeiten glaubten, dass es sich um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine handelt (19,4 % gegenüber 28,2 %). Mehr Menschen waren der Ansicht, dass Russland berechtigt war, die Interessen der russischsprachigen Bürger in der Ostukraine zu verteidigen (50,9 % im Vergleich zu 47 % stimmten zu; 8,1 % im Vergleich zu 33,4 % stimmten nicht zu).
    Der Prozentsatz der Befürworter einer Trennung von der Ukraine stieg sprunghaft von 27,5 % auf 42,1 %.
    Segiy Kudelia (ukr. Politikwissenschaftler): Die Separatistenbewegung entstand als Reaktion auf den gewaltsamen Regimewechsel in Kiew. Die Bevölkerung des Donbass fürchtete die Ausbreitung der Gewalt in ihrer Region und betrachtete die Entwaffnung der extremen Rechten als wesentlich für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung.
    Westliche Regierungsquellen deuten darauf hin, dass russische Kommandeure die Verteidigungskräfte der Rebellen leiten. Offizielle ukrainische Quellen: 3.000 – 3.500 russische Truppen unter einem Gesamtkontingent von 30 – 35.000 Rebellen. Die psychologische Wahrnehmung der russischen Unterstützung war entscheidend.
    Nach Petro lässt sich die Komplexität der Krise am besten mit dem Begriff „internationalisierter Bürgerkrieg“ beschreiben.

    1. Vielen Dank für die Fleißarbeit. Und das alles soll nun dazu dienen, den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit der Absicht, die Ukraine als Staat und Nation zu vernichten und sie als Teil eines Großrussischen Reiches einzuverleiben, zu rechtfertigen? Mir kommt das so vor wie die Rechtfertigung der Naziverbrechen mit dem Hinweis auf die Versailler Verträge, den Autobahnbau und dass sich Frau unter Hitler bei Dunkelheit auf die Straße trauen konnten. Ich kann in Ihrem Beitrag nichts anderes erkennen als eine Rationalisierung von Krieg, Tod, Verderben, Verbrechen. Das liegt auf der Linie dessen, was Sie in einem vorherigen Kommentar geschrieben haben: „… dass ich von einem Christenmenschen erwarte, dass bei ihm Schonung von Menschenleben allem anderen übergeordnet ist, z. B. auch dem zeitweiligen (!) Verlust von Staatsterritorium (01.03.2024).“ Damit sollen dann auch noch die letzten Kritiker imperial-kriegerischer Handlungen verstummen. Letztlich alles sehr durchsichtig.

      1. Es ist schon komisch wie ideologische Rechthaberei den Blick trübt und den Menschen – nicht inhaltlich, aber methodisch – in Trump-Nähe treibt: Lerchner bringt – in der Tat in beachtlicher Fleißarbeit – Fakten zur Entwicklung der Lage auf der Krim und im Donbas und Wolff tut sie mit völlig unpassenden und unhistorischen Beispielen quasi als „Hexenjagd“ ab, weil sie nicht in sein Bild passen. Wieso ist es „eine Rationalisierung von Krieg, Tod, Verderben, Verbrechen“, wenn man eine Lageentwicklung beschreibt, die so oder ähnlich stattgefunden hat und die nachweist, dass die „Kriegsschuldfrage“ eben nicht so einfach gelagert ist, wie uns das gerne weisgemacht wird? Und den Wunsch nach „Schonung von Menschenleben“ auch vielleicht unter Inkaufnahme von territorialen Verlusten mit dem Schluss zu beschreiben, „damit sollen dann auch noch die letzten Kritiker imperial-kriegerischer Handlungen verstummen“, ist nicht nur eine abenteuerliche Volte, sondern auch noch Widerspruch zum Obigen: Schutz von Menschenleben sei dann unangebracht, wenn er nur unter Territorialverlust möglich ist – DAS ist Kriegsrationalisierung!. Wolff entpuppt sich hier plötzlich als einseitig Kriegsbegeisterter.
        Richtig ist, dass die Krimbevölkerung keineswegs so einseitig pro-ukrainisch war und ist, wie uns das eingeredet wird. Tatsache ist, dass in der östlichen Ukraine erhebliche Bevölkerungsanteile russische Wurzeln haben und mehr Autonomie verlangten. Tatsache ist schließlich auch, dass VOR dem russischen Angriff 2022 die Ukraine mit ihren jeweils recht radikalen Regierungswechseln mit westlicher oder östlicher Orientierung auf die jeweiligen Minderheiten kaum Rücksicht genommen hat und wenig demokratisch, dafür aber sehr zerstritten und korrupt war.
        Natürlich rechtfertigt dies alles keinen militärischen Angriff von außen. Es rechtfertigt aber eben auch nicht Unterstellungen über russische Kriegsziele, die ziemlich sicher Unsinn sind (Vernichtung/Einverleibung der Ukraine) und die auch noch nur die westlichen Zielsetzungen spiegeln – denn auch die EU / Nato wollen doch die Ukraine „einverleiben“, wie wir es doch täglich von unserer feministischen Außenministerin hören können (das genau ist ja aus russischer Sicht ganz wesentlich Kriegsgrund).
        Nichts rechtfertigt den russischen Angriff. Ihn aber AUCH mit politischen Fehlern und Fehleinschätzungen des Westens zu erklären, die unzweifelhaft sind, ist schon deshalb notwendig, damit man solche Fehler künftig vermeiden kann und damit diplomatische Ansätze zum Frieden endlich wieder möglich werden. Und jeder, der Russlands politische Ansprüche zurückweist und trotzdem politische Initiativen zum Frieden verlangt und befürwortet, ist deswegen weder „Putin-Versteher“ noch „Appeaser“ noch gar Rechtfertiger von Naziverbrechen (oder ähnlicher Unsinn), sondern er ist Realist und Friedensbeweger – im Gegensatz zu den ganzen Menschen heutzutage, die noch vor wenigen Jahren sich mit Verteufelungen von Waffen, Streitkräften und der bösen Industrie hervortaten und jetzt plötzlich zu Experten des Krieges und der Kriegsführung“ mutieren und sich gerne mit Rheinmetall fotografieren lassen – und plötzlich die „Schonung von Menschenleben“ als „Rationalisierung von Krieg“ bezeichnen.
        Und nicht mal die Tatsache, dass AfD und Wagenknecht für Verhandlungen sind, macht diese falsch. AfD und Wagenknecht beschreiben eine richtige politische Forderung mit völlig falschen Zielvorstellungen, „Werten“ und Motiven – darin liegt ihr Fehler.
        Andreas Schwerdtfeger

        1. „Und nicht mal die Tatsache, dass AfD und Wagenknecht für Verhandlungen sind, macht diese falsch. AfD und Wagenknecht beschreiben eine richtige politische Forderung mit völlig falschen Zielvorstellungen, „Werten“ und Motiven – darin liegt ihr Fehler.“
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          Diese beiden Parteien wollen nur Wählerstimmen generieren. Bei der AfD kommt hinzu, dass sie grundsätzlich Sympathien für Autokratien bzw. Diktaturen wie im Fall Rußlands hat. Mich ärgert, dass es immer wieder verantwortliche Politiker wie Dr. Mützenich gibt, die dem Wahlvolk einreden wollen, es gäbe diplomatische Möglichkeiten, auf Dr. Putin einzuwirken, damit der verhandlungsbereit würde, und dann könne man den Krieg „einfrieren“. Das höhnische Gelächter Dr. Putins entlarvt die geringe Intelligenz dieser Leute.

          1. So richtig Ihre Einschätzung von der AfD ist, eine Partei, die sich ideologisch am Autokratismus eines Putin oder Trump ausrichtet, so daneben liegen Sie mit Ihrer Bewertung von Rolf Mützenich. Es handelt sich bei ihm nicht nur um eine absolut integre und höchst intelligente Persönlichkeit – Rolf Mützenich hat das Verdienst, die Debatte um die politischen Möglichkeiten, den Ukraine-Krieg wie auch immer zu beenden, aus der Engführung des rein Militärischen zu befreien. Alle Unterstellungen, er habe das Einfrieren des Krieges bzw. eine Unterwerfung der Ukraine gefordert, sind böswillige Unterstellungen.

        2. „nachweist, dass die „Kriegsschuldfrage“ eben nicht so einfach gelagert ist, wie uns das gerne weisgemacht wird?“
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          Wie bitte, Herr Schwerdtfeger? Der Ermordete trägt Schuld. Man kann der Auffassung sein, dass die Interessen Rußlands von der Ukraine oder dem Westen nicht genügend berücksichtigt worden sind. Aber das rechtfertigt keineswegs den Überfall auf die Ukraine.

          1. „so daneben liegen Sie mit Ihrer Bewertung von Rolf Mützenich. Es handelt sich bei ihm nicht nur um eine absolut integre und höchst intelligente Persönlichkeit“
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            Der 85-jährige bekannte Historiker Prof. Heinrich August Winkler, seit 62 Jahren SPD-Mitglied, und vier weitere SPD-Historiker haben in einem Brief an die Parteiführung scharfe Kritik an deren Ukraine-Politik geübt.

            Dass Fraktionschef Rolf Mützenich von „Einfrieren“ des Kriegs spricht, sei „besonders fatal“. Die „unter dem Schlagwort Friedenspartei“ verfolgte Politik ignoriere das Geschehen in den russisch besetzten Gebieten und Moskaus Drohungen, „weitere europäische Länder anzugreifen“. Risiken würden nicht durch Zurückhaltung minimiert, stattdessen steige die Eskalationsgefahr, „wenn Putin keine Grenzen gesetzt werden“, schreiben die Historiker, die ihrer Partei „Realitätsverweigerung“ attestieren.

            © FOCUS https://ogy.de/rfha

      2. Lieber Herr Wollf,
        ich finde nicht, dass Sie auf den Beitrag des Herrn Lechner konstruktiv geantwortet haben. Aber in Deutschland scheint es Schule zu machen. Man beginnt beim eindeutigen Fehler des Anderen. Dann ist die Folge klar. Das Recht wieder herstellen. Ist da keine Autorität, schwingt man sich selbst zur unlegitimierten Autorität und landet bei Gewalt. Das alleine wird uns nicht zum Frieden führen.

        Wenn ich es theologisch richtig sehe, schaut Gotte bei der Beurteilung von Sünde tiefer. Er braucht keine Ursachenforschung zu betreiben, er kennt sie und urteilt danach.
        Wenn wir auch nur einigermaßen diesen Weg gingen, und den müssen Sie als Christ gehen, dann befassten Sie sich auch nach Kräften nach der Ursachenforschung und unterließen Vorverurteilungen und Ausblenden von Ursachen. Nicht umsonst ist nach dem Matthäusevangelium zumindest Judas das Ewige Leben sicher, obwohl der Jesus verraten hat.

        Wenn Herr Lerchner, den ich nicht kenne, in seinem Beitrag die Inner-Ukrainische Entwicklung in einer gewissen Periode darlegt, dann rundet dass zumindest das Bild zur Beurteilung ab. Es wirft Fragen auf, die zu abzuwägen sind im Hinblick darauf, was zu tun ist. Vielleicht, lieber Herr Wolff, denken auch Sie mal über Ihre feste Meinung nach, erlauben zumindest ein Fragezeichen.
        Wollen wir den Frieden, müssen wir uns ehrlich machen, relativieren, das Nicht – Richten der Bibel ernst nehmen und „fair“ und offen nach allen Seiten sein, nicht voreingenommen.
        Das gilt auch hinsichtlich der Ukraine und deren Menschen vor Ort. Ich persönlich kann das nicht beurteilen. Wenn aber ein Nina Rümelin in der Freitag vom 21.3.24 schreibt:
        .. die Stilisierung der Ukraine, zu einer europäischen, freiheitlichen Demokratie, die sich gegen die russische Autokratie verteidigt, führt in die Irre….Das gilt sowohl zum Thema „Aufnahme in die Nato“ als auch „Ursache des Krieges in der Ukraine“. Gleichwohl haben wir ihr zu helfen.
        Nehmen wir das in Verbindung mit den Darlegungen von Herrn Lerchner, dann seien wir offen für eine Vorverurteilung Russlands hinsichtlich ihrer Ziele. Folge ich Ihnen, dann folgte der Angriff mit der Absicht die Ukraine als Staat und Nation zu vernichten und sie als Teil eines Großrussischen Reiches einzuverleiben. Ähnliches lese ich an anderer Stelle. Wie wissen Sie in Leipzig was Putin denkt? Wäre es nicht fairer und besser zu fordern: Finden wir es raus. Reden wir mit ihm?
        Ich persönlich kann mir viele Dinge vorstellen, auch die , die Sie beschreiben. Aber reden wir mit Putin, finden wir es raus. Rüsten wir verbal ab. Nehmen wir den Satz: Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes und vor Gott gleich“ ernst. Setzen wir es um.
        Das heißt auch: Meinen wir nicht, nur unsere Meinung ist die Richtige. Gott fordert uns zum Miteinander auf, nicht zum Kampf gegeneinander, ein Interessenausgleich muss her.
        Im Übrigen: Sie verteidigen Mützenich. Okay. Aber warum verteidigen Sie nicht Stegner: Verteidigung der Ukraine je Plus Diplomatie? Mützenichs Approach war nichts als ein intellektueller Luftballon. Ich sehe und höre nicht, wer ihn ausfüllt.

        1. Nur so viel: Was Putin denkt, wissen wir durch ihn selbst. Seine Reden sind – was die Ukraine und seine Phantasien von einem großrussischen Reich angeht – unmissverständlich. Putin ist – völlig unabhängig von meiner Überzeugung, dass jetzt diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges dringend erforderlich sind – ein Kriegsverbrecher. Das bedeutet: Es geht nicht um ein „Miteinander“, sondern um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit. Das bedeutet: alles, was mit der Ukraine geschieht, muss von der Bevölkerung der Ukraine getragen sein. Da bin ich mir mit Rolf Mützenich und Ralf Stegner absolut einig.

          1. Und wer fragt die Bürger von Krim und Donbass? Oder haben Sie diese abgeschrieben, wie es seinerzeit bereits Poroschenko und Danilow (ehm. Chef des ukr. Sicherheitsrates) haben durchblicken lassen? Haben Sie eigentlich mal eine der viel gescholtenen Reden Putins gelesen, z. B. die vom Vorabend des russischen Einmarsches in der Ukraine? (https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/putin-rede-21.2.2022/)

          2. Genau diese Rede habe ich gelesen: ein Zeugnis eines imperial-militaristischen Nationalisten, der sich quasi zur Tarnung auch noch als Opfer der NATO geriert.

          3. Zweifellos referieren Sie mit dieser Antwort die offizielle Meinung der demokratischen Parteien, untheologisch.
            Sie und Teile der SPD wollen ja mehr: Raus aus der Gewaltspirale, eine diplomatische Lösung zumindest andenken, damit man letztlich zu einem Frieden kommen kann.

            Haben Sie eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, wie man dazu kommen will, wenn man gleichzeitig solche Pflöcke einschlägt wie Sie/sie es mit Ihrer kurzen Antwort tun und den Blick so einengen und die Geschichte verkürzen?
            • Putins Ziel ist klar und eindeutig: Siehe Reden. Man muss nicht weiter schauen
            • Putin ist ein Kriegsverbrecher
            • Es geht nicht um ein Miteinander (ich denke gemeint ist: mit Russland unter Putin), sondern um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit durch
            • Akzeptanz einer Lösung in der Ukrainischen Bevölkerung

            Offenbar haben Sie diese Frage nicht gestellt, auch Gleichgesinnte in der SPD nicht. Sonst würden Sie sehr schnell zum Ergebnis kommen, dass die Forderung nach einer diplomatischen Lösung bei dieser Sichtweise und Herangehensweise eine Leerformel bleiben muss. Insofern wundert es nicht, wenn dem inhaltlich nichts folgt.

            Sie werden den Blick weiten müssen über das Bild vom Volk im Freiheitskampf, das angegriffen wurde, hinaus. Es waren und sind Interessen und Ideologien im Spiel:

            Die ukrainische Bevölkerung in der Breite wurden bis dato wenig gefragt. Sie musste nur leiden. Es geschah nicht beim Ende der Steinmeier-Formel, nicht beim Ende von Minsk II, nicht bei der Revolution am 21.2.2014 in dunkler Nacht, nicht bei dem dann schmerzhaften Integrationsprozess in den Westen.
            Man lese nur https://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine_und_die_Europ%C3%A4ische_Union. Dann versteht man eines Teils des Ringens um Einfluss durch die Großmächte. Der Krieg ist eine Folgeerscheinung mit Hilfe oder auf Kosten der Bevölkerung in der Ukraine.

            Auch aktuell wird die Bevölkerung wenig gefragt. Sie erlebt aber die tiefen Taschen des Westens. Ohne diese wäre die Ukraine selbst nicht überlebensfähig.
            Der Termin für die nächste Präsidentenwahl ist offen. Zelensky Ende Mai nicht mehr eigentlich legitimiert. Die Ukraine ist seit Jahrzehnten zum Spielball von Machtinteressen von Ost und West geworden. Unsere Interessen sind nicht identisch mit der der Ukraine, noch der USA und vielleicht einigen anderen EU/Nato-Staaten. Das macht es sehr schwierig. Dieser Knoten muss aber durchschlagen werden.

            Nina Rümelin schrieb in dem Artikel, den ich zitierte und indem er einen Waffenstillstand einfordert:

            Ziel muss eine Sicherheitsarchitektur in Europa sein, die das realisiert, was Theoretiker der Sicherheitspolitik seit Jahrzehnten konzipiert haben, nämlich strukturelle nicht Angriffsfähigkeit. Das zentrale Prinzip der Friedenssicherung, dass niemand sicher ist, wenn nicht alle sich sicher sind, muss wieder zur Richtschnur werden. Ausgangspunkt sind die Interessenlagen aller Beteiligten. Das überragende, ethische Ziel ist, einen gerechten Frieden so zu sichern, dass Interessenlagen berücksichtigt werden und Stabilität auf Dauer gesichert ist. Wer jetzt noch an einen umfassenden Sieg der Ukraine glaubt, leidet an Realitätsverlust und ist bereit, einen dritten Weltkrieg zu riskieren.

            Des Realitätsverlustes bezichtige ich auch diejenigen, die dieses Ziel des Miteinander nicht anerkennen aber inhaltsleer aufgrund zu enger Sicht auch die Diplomatie ins Spiel bringen. Vielleicht nimmt man das Schreiben Putins von Ende 2021 doch mal zur Hand
            https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/ukraine-konflikt-russland-nato-sicherheitspakt

          4. Ich sehe ja ein, dass es mühsam ist. Wenn man aber nicht einmal versucht, die russischen Kriegsziele und die Verhältnisse in der Ukraine seriös zu analysieren, artet jede Diskussion über eine Waffenruhe in der Ukraine letztendlich in oberflächliches Geschwätz aus und am Ende ist man hilflos der sich derzeit ins Hysterische steigernden Kriegspropaganda ausgeliefert.

          5. Damit keine Missverständnisse auftreten: Die Rede von Putin zu verstehen, ist alles andere als mühsam. Putin formuliert im Blick auf die Ukraine seine Ziele sehr klar – und seit zwei Jahren wissen, wie er sie zu erreichen sucht: durch kriegerische Gewalt.

  3. Der Ukraine-Krieg ist ein schlimmes Verbrechen, aber unsere Gesellschaft macht einen gravierenden Fehler – sie denkt, man könne alle Verbrechen ahnden. Wenn es einen Staat gibt, können Verbrechen einzelner Menschen auf seinem Staatsgebiet geahndet werden – aber Staatsverbrechen könnten nur durch eine geeinte Weltgemeinschaft geahndet werden. Das hat 2001 einigermaßen geklappt, als die Taliban-Regierung in Afghanistan (die offenbar den Großverbrecher Osama Bin Laden geschützt hatte) durch die NATO mit Unterstützung der UNO gestürzt wurde. Aber gegen Großmächte wie USA, Russland oder China kann man nichts machen – sie können jederzeit ungestraft verbrecherische Kriege beginnen (wie 1999 gegen Jugoslawien, und 2003 gegen Irak). Es ist eine schlimme Illusion, wenn man glaubt, Russland isolieren zu können. Deshalb hätten wir bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs neutral bleiben müssen, um die Spannungen zu minimieren. Moralisch hätte die Ukraine sicher unsere Unterstützung verdient (so wie moralisch auch Jugoslawien und Irak im Recht waren, als sie angegriffen wurden), aber politisch ist sie wertlos und hochgefährlich, weil das Risiko eines NATO-Russland-Kriegs besteht. Deshalb muss der Krieg so schnell wie möglich eingefroren werden, und Deutschland sollte eine neutrale Position einnehmen (so wie die Schweiz, Österreich und die Türkei).

    1. Vielleicht steckt auch taktisches Kalkül in Bezug auf seine Partei hinter den Aussagen Dr. Mützenichs. So gibt es da nach wie vor eine relevante Größe von Pazifisten, denen der Kurs des Kanzlers mißfällt und die versucht Herr Dr. Mützenich anzusprechen. Schade, dass der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Michael Roth, zum Ende der Legislaturperiode aus der Politik aussteigen will.

      „Er sei leidenschaftlicher Sozialdemokrat, sagte er. „Aber im letzten Jahr habe ich gemerkt, dass ich mit unseren Sitzungen immer mehr fremdele, dass mich die Gremien stören, die Stimmung darin. Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank.“ Roth sagt auch: „Manchmal fühlte ich mich wie ein Fremdkörper.““

      © RTL https://ogy.de/68cb

  4. Oft schon stellte sich die Frage: ist da EIN Geisterfahrer unterwegs, oder sind es Tausende?

    Ist es Einer, oder sind es Tausende, die nicht verstehen wollen/können, dass
    – die Bevölkerung im Donbas und auf der Krim eigentlich nur sehnsüchtig auf die Befreiung durch Russland gewartet hat ,
    – es in Wirklichkeit die (aggressiven) Expansionsbestrebungen der NATO waren, die den Krieg zwischen der Ukraine und Russland ausgelöst haben,
    – es nur deshalb noch zu keinem tragfähigen Friedensschluss zwischen Putin und Selenskyj kommen konnte, weil der Westen (alternativ die Rüstungs-Lobby) ebendies verboten hat?
    Einzig Sarah Wagenknecht verspricht da angeblich noch Halt und Orientierung in kritischen Zeiten gegen die substanzlosen Sprüche von Lang, Baerbock und Göring-Eckardt…..

    All das kann natürlich wissenschaftlich (sprich: mit Artikeln aus den Sozialen Medien) belegt werden; Andere mit gegenteiliger Meinung, machen entweder ihren Job nicht ordentlich (Journalist:innen in den sog. Leitmedien), oder sind halt wenig vertrauenswürdige, bloß „sogenannte“ Wissenschaftler deutscher Osteuropa-Forschungsinstitute…

    Mein Dank an Christian Wolff für den aktuellen Blog-Text. Wie wichtig und richtig er gerade jetzt ist, zeigen verschiedene Diskussionsbeiträge von anderen als den üblichen Laut- und Vielsprechern…

    1. Das war wieder eine wahre Offenbarung, Herr Käfer! Eines muss man Ihnen aber lassen, ehrlich und offenherzig sind Sie.

      Für diejenigen, die nicht willens, zu ignorant oder schlicht und einfach nicht die Voraussetzungen dafür haben, seriöse Quellen gebührend zu würdigen, anbei eine kurze Zusammenfassung der Vorgeschichte und der Begleitumstände der russischen „Okkupation“ der Krim und des Donbass im Jahre 2014.

      Hier erst einmal die Abläufe auf der Krim, eine Übersicht zu den Ereignissen im Donbass erfolgt demnächst (Quelle: Nicolai N. Petro, The Tragedy of the Ukraine“):
      Januar 1991: Die Regierung der Krim beschließt, ein eigenes Referendum über die Wiederherstellung der 1946 aufgegebenen Autonomie abzuhalten.
      Die Krim wird als unabhängiger Teilnehmer des Unionsvertrags anerkannt (84 % der Wähler nahmen teil, 93 % stimmten für die Autonomie).
      4. September 1991: Der Oberste Sowjet der nunmehrigen Autonomen Republik Krim (ACR) proklamiert die Souveränität der Region und beabsichtigt die Schaffung eines separaten, demokratischen Staates innerhalb der Ukraine.
      Anfang 1992: 10 % der Bevölkerung unterzeichneten eine Petition, in der ein Referendum über die Trennung von der Ukraine gefordert wurde. Leonid Krawtschuk weigerte sich, es abzuhalten.
      5. Mai 1992: „Gesetz zur Proklamation der staatlichen Souveränität der Republik Krim“, mit dem die vollständige Unabhängigkeit von der Ukraine erklärt wird. Das ukrainische Parlament erklärte die Unabhängigkeit für illegal.
      20. Mai 1992: Das Krim-Parlament hebt die Erklärung auf und setzt das Referendum aus, im Austausch für eine ausgehandelte Übertragung der Macht von Kiew auf Simferopol.
      Ein großer Teil der Krim-Bevölkerung wünscht sich jedoch nach wie vor, nicht zur Ukraine, sondern zu Russland zu gehören.
      1994: Juri Meschkow Präsident (73 % in der Stichwahl). Er beschloss, eine unverbindliche Abstimmung über den Status der Krim als ersten Schritt zum Anschluss an Russland durchzuführen.
      Referendum vom März 1994: 82,2 % sprachen sich für die doppelte Staatsbürgerschaft mit Russland aus; 78,4 % befürworteten eine größere Autonomie; 77,9 % sprachen sich dafür aus, die Dekrete des Präsidenten der Krim zum Gesetz zu erheben (Erlasse mit Gesetzeskraft).
      1. Juli 1994: Das Parlament beschließt die Übernahme aller Befugnisse auf der Krim.
      23. August 1994: Der Stadtrat von Sewastopol erklärt sich selbst zu einer russischen Stadt, die nur dem russischen Recht unterliegt.
      In der Nacht vom 16. auf den 17. März 1995: Leonid Kutschma schickte Spezialeinheiten (nach Rücksprache mit Boris Jelzin), um Regierungsgebäude zu beschlagnahmen und die Regierung der Krim zu verhaften. Meschkow wurde nach Russland deportiert.
      4. Februar 1998: Das Krim-Parlament stimmt erneut für ein Referendum darüber, ob die Region in die Zuständigkeit Russlands zurückkehren soll, um die Krim-Verfassung von 1992 wiederherzustellen und Russisch als offizielle Sprache der Region einzuführen.
      21. Oktober 1998: Das Parlament der Krim gibt dem starken Druck nach und bringt schließlich genügend Stimmen auf, um eine neue Verfassung zu ratifizieren, in der Ukrainisch zur alleinigen Amtssprache erklärt wird, die Krim als unveräußerlicher Teil der Ukraine gilt und ihre regionale Macht von der ukrainischen Verfassung abgeleitet wird.
      Dreißig Umfragen zwischen 1994 und 2016: 25 zeigen eine russophile Stimmung von über 70 %, in fünf 55%. Umfragen des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) aus den Jahren 2009 und 2011 zeigen ebenfalls, dass eine Mehrheit der Krimbewohner eine Wiedervereinigung mit Russland befürwortet.

      12. Februar 2014: Das Krim-Parlament hat die Leiter aller Regionalparlamente zu einem Treffen in Jalta eingeladen, um eine Lösung zu finden. Kein einziges Parlament aus der Westukraine ist der Einladung gefolgt.
      23. Februar: Massiver Protest in Sewastopol gegen den Putsch in Kiew.
      25. Februar: Mehrere hundert Demonstranten blockieren das Parlament der Krim und fordern ein Referendum über die Unabhängigkeit der Krim.
      27. Februar: Bewaffnete Männer besetzen mehrere Regierungsgebäude auf der Krim und hissen die russische Flagge. Das Parlament entließ die Regierung und ersetzte den von Kiew ernannten Premierminister durch Sergej Aksjonow.
      Der 25. Mai wurde als Termin für ein Referendum über die Wiederherstellung der Krim-Verfassung von 1992 festgelegt, wobei die Krim Teil der Ukraine sein sollte. Die Sprecherin des Parlaments, Olga Sulnikova: Das Parlament hatte die Zustimmung von Präsident Janukowitsch zu diesem Referendum und handelte daher im Einklang mit dem ukrainischen Recht.
      Die ukrainischen Streitkräfte auf der Krim hatten die Autorität des Maidan abgelehnt und sich geweigert, dessen Befehl auszuführen.
      2. März: Der Chef der ukrainischen Marine, der Chef des Innenministeriums und der amtierende Chef des ukrainischen Grenzschutzes wechseln von Kiew zur Republik Krim. 189 ukrainische Militäreinheiten hissten die russische Flagge.
      Igor Tenyukh, Ukr. Verteidigungsminister: 70-80% der ukrainischen Armee sind „sofort auf die andere Seite übergelaufen“.
      1. März 2014: Der neue Krim-Premierminister Aksjonow appelliert an Wladimir Putin, „Hilfe bei der Sicherung des Friedens zu leisten“.
      Schreiben von Präsident Janukowitsch an den UN-Sicherheitsrat (1. März), in dem er darum bittet, dass die russischen Streitkräfte in sein Land eindringen, um „Recht und Ordnung und Stabilität wiederherzustellen und die Bevölkerung der Ukraine zu schützen“.
      Am 6. März stimmt das Parlament der Krim für den Anschluss der Krim an Russland. Referendum am 16. März, Wahlbeteiligung von 83 %, 97 % stimmen für den Anschluss an Russland. Gwendolyn Sasse: Es spiegelt den Willen der Mehrheit der Krim-Bevölkerung zu dieser Zeit wider.

      Hätte sich das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Sezessionisten entwickelt, wäre es sicherlich zum Eingreifen der Kräfte der russischen Schwarzmeerflotte gekommen. So aber blieb es weitgehend gewaltlos. Klar ist, dass die Unterstützung einer Sezession von außen völkerrechtswidrig ist und man den Anschluss der Krim an Russland insofern auch als Annexion bezeichnen kann.

      1. Das nenne ich wissenschaftlich sauber hergeleitet: ich bin zu ignorant und nicht willens, die Wahrheit zu erkennen; ich besitze wohl auch nicht die Voraussetzungen dafür, seriöse Quellen gebührend zu würdigen!
        Chapeau, Herr Lerchner!
        Dem kann ich auch überhaupt nicht widersprechen; (nur) Sie selbst legen ja fest, was „seriöse Quellen“ sind, wer ignorant/im Besitz der Wahrheit, bzw. wer willens/intellektuell in der Lage ist, Zusammenhänge zu erkennen.
        Also bin ich der „Geisterfahrer“ – wie gut, dass ich seit vier Jahren kein Auto mehr besitze, geschweige denn fahre…

  5. Vielen Dank, Herr Wolff, für diesen Text – aber leider ist es zu spät, denn die Gesellschaft ist schon längst abgedriftet. Wenn Habeck eine Vorbereitung auf einen „Landkrieg“ anmahnt, gibt es nirgends mehr einen Aufschrei der Empörung. Wir leben in einer Vorkriegszeit, und auch die Kirchen setzen dem nichts mehr entgegen. Menschen wie Sie, die sich jahrzehntelang für Frieden eingesetzt haben, stehen vor einem Scherbenhaufen. Das tut mir auch für Sie persönlich sehr leid.

    1. Nein, lieber Herr Haspelmath, ich stehe nicht vor einem Scherbenhaufen und Sie sitzen auch nicht auf dem Hochsitz, von dem aus Sie Trostpflästerchen verteilen können. Wir alle leben in derselben Welt, in der wir uns immer in einer Nach- wie Vorkriegszeit bewegen. In dieser Welt bleibt uns eine Aufgabe: verantwortlich leben. Beste Grüße, Christian Wolff

      1. Danke, Herr Wolff, und ich möchte Sie um Verzeihung für meine Formulierung bitten. Tatsächlich ist niemand auf einem Hochsitz, und Sie haben recht, dass es nicht leicht ist, verantwortlich zu leben. Wir machen immer wieder Fehler, und dieser Kommentar von mir war ein Fehler.

  6. Es ist erstaunlich, wie wir kämpfen um vergangenheitliche Interpretationen von Fakten und Aussagen: Richtig ist, was Lerchner (22.3., 1031h) schreibt, dass nämlich die Ukraine und die westlichen Demokratien an vielen Entscheidungspunkten – post faktum gesehen – mit beigetragen haben zum Desaster und dies nun mit nachträglichen Korrekturen, die überwiegend unnütze (wenn auch vielleicht richtige) Charakterdarstellungen von Putin sind, sowie mit unentschlossenen militärischen und angeblich nicht möglichen diplomatischen Maßnahmen die westliche Mitschuld fortsetzen: Alles wohl unglückliche Folge westlicher Moralisiererei nach dem abstrakt zwar richtigen, aber politisch untauglichen Motto, (Menschen-)Rechte seien nicht verhandelbar“, das ja jeden Fortschritt nach seiner Definition ausschließt.
    In Gaza ist es ähnlich, nur die Bewertung ist gegenläufig: Der UKR (Opfer) empfehlen wir, auf keine Fall einen Waffenstillstand zu akzeptieren, weil das Böse erst besiegt werden muss (und sicherlich gibt es in der UKR inzwischen auch mindestens 30.000 Tote). Von den Israelis (auch Opfer) dagegen fordern wir zunehmend einen Waffenstillstand, obwohl das Böse dort nicht besiegt ist. Ja, die Palästinenser leiden unter Hunger und Krankheit, aber sie tun dies, weil ihre eigenen Brüder – Hamas – sie nach wie vor als Schutzschild missbrauchen und aus ihren Wohnstätten den Krieg fortsetzen, den sie mit einem konkreten Verbrechen begonnen haben – wie doch auch Putin!
    Und niemand redet mehr über den Sudan, wo weit mehr Menschen hungern als in Gaza … etc, etc.
    Jana Wolf hat ihre Meinung und fragt: Tun wir das, um zu siegen? Sie begreift nicht, dass wir es wohl eher tun, um zu überleben – oder besser eben, um dieses Überleben vorbeugend sicher zu stellen.
    Wolff stellt die falschen Fragen (wenn auch glücklicherweise nur hypothetisch), darf FRA im Saarland einmarschieren? Was, wenn es das täte (wie Putin in der UKR)? Denn DAS ist ja die Lage in diesen beiden Kriegen.
    Und deshalb immer wieder mein Appell: Nicht beschränken auf Interpretationen der Vergangenheit, sondern Beschreibung von realpolitischen und machbaren Lösungen unter Nutzung ALLER Instrumente und Berücksichtigung des Primats der Politik. Es können sich dann später die Historiker über Recht und Unrecht, Moralisches und Realistisches, Schuld und Unschuld streiten. Und in Gaza heißt dies. ERST Herausgabe ALLER Geiseln (eigentlich auch ohne israelische Gegenleistung), dann Waffenstillstand und Hilfe, dann Verhandlung über die Ordnung der Region, natürlich auch über „2-Staaten“, obwohl ich daran nicht mehr glaube. Und was die UKR betrifft sehe ich jedenfalls es ähnlich: Ein Siegfriede unseres Schützlings ist derart unwahrscheinlich, dass allein schon deswegen verhandelt werden muss. Zusätzlich aber bedarf es über die UKR hinaus einer Konzeption über die Ordnung unseres Kontinents – und ob diese ohne RUS möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Man sollte, angesichts der zu erwartenden Länge der Umsetzung eines solchen Verhandlungsansatzes auch zu Putins Zeiten damit beginnen – bis der Prozess beendet ist, wird sich das Problem biologisch gelöst haben. Und dass Putin nicht verhandlungsbereit ist, ist natürlich westliche Ausrede – er lässt sich nur nicht, wie der Westen ja auch nicht, mit Vorbedingungen konfrontieren. Verhandlungsbeginn bei gegenseitigen Maximalforderungen ist doch nichts Neues in der Geschichte!
    Andreas Schwerdtfeger

  7. Lieber Herr Wolff,

    es ist sehr zu begrüßen, wie Sie Ihrem Parteigenossen Rolf Mützenich beispringen und sich energisch gegen die Diffamierung derjenigen wenden, die nach realistischen Wegen für einen Frieden in der Ukraine suchen. Dankenswerterweise gibt es auch in Ihrem Blog Gelegenheiten, für derartige Ideen und Gedanken zu werben. Ich erinnere z. B. an das Papier von Teltschik, Kujat und Funke, welches hier seinerzeit zur Diskussion gestellt worden war, leider ohne große Resonanz.

    Allerding berauben Sie sich mit Ihren tiefen Verbeugungen vor den allerorts ausgestellten Gesslerhüten in hohem Maße der Wirksamkeit Ihres Bemühens. Es sollte klar sein, dass die weitgehend gewaltfreie Sezession/Annexion der Krim ohne die jahrelangen und letztendlich durchgesetzten Autonomiebestrebungen der dortigen Bevölkerung nicht gedacht werden kann. Und auch, dass dem militärischen Eingreifen Russlands im Donbass blutige Attacken rechtsradikaler ukrainischer Freischärler und überaus opferreiche Angriffe der ukrainischen Armee auf die Rebellen im Donbass vorausgingen. Auch Ihre Behauptung, Rolf Mützenich hätte sich der Leerformel „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“ bedient, ist wohl ein Zugeständnis an den Mainstream. Derartiges ist nämlich in seinem Redetext nicht zu finden [1].

    Das ständige Wiederholen der oben genannten, gut dokumentierten Fakten ist m.E. deshalb notwendig, weil die gängigen Begründungen für die Angriffe gegen Friedensbemühungen in der Ukraine mit der permanenten Verfälschungen dieser Fakten zu tun haben. Wenn z. B. die Grünen-Chefin Ricarda Lang in einer Reaktion auf die Mützenich-Rede dem Sender Welt-TV erklärt „Es ist klar, dass ein Einfrieren dieses Konfliktes am Ende zu unfassbarem Leid der vielen Menschen in diesen besetzten Territorien führen würde” [1], ignoriert Sie komplett die Historie der innerstaatlichen Konflikte in der Ukraine und wohl auch die daraus resultierende tatsächliche Lage der Mehrheit der Bevölkerung in diesen Gebieten. Ob im Rahmen einer Waffenstillstandslösung ein zeitweiliges Hinnehmen einer russischen Besatzung zugunsten des Lebens Zehntausender, die nicht mehr auf dem Schlachtfeld geopfert werden müssen, akzeptabel ist, hängt somit von einer möglichst genauen Einsicht in die Verhältnisse ab. Das Interesse, der Bevölkerung hier im Lande solche Einsichten zu vermitteln, ist aber offensichtlich nicht sehr groß. Leider ließen sich noch viele weitere Beispiele für reine Propaganda-Attacken gegen die Mützenich-Rede anführen [2].

    Beste Grüße,

    Johannes Lerchner

    [1] https://www.nachdenkseiten.de/?p=112592
    [2] https://www.nachdenkseiten.de/?p=112634

    1. Das ist schon sehr merkwürdig, lieber Herr Lerchner: Seit wann rechtfertigen politisch unliebsame Vorgänge in einem Land die Okkupation durch ein Nachbarland? Darf Frankreich in Deutschland einmarschieren, weil die AfD im Saarland die absolute Mehrheit bei Wahlen erringt oder eine Terrorgruppe Rheinland-Pfalz unsicher macht? Was ist denn das für eine Argumentation? Ähnliches ist zur Krim zu sagen. Damit also keine Missverständnisse aufkommen: Für mich ist unzweifelhaft Russland der Aggressor und in diesem Sinn ein Kriegsverbrecher! Es gibt für mich kein, nicht ein einziges Argument, das den Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2024 mit der Absicht, die Ukraine als selbstständigen Staat auszulöschen, rechtfertigen kann – so wie es für Mord nie eine Rechtfertigung (wohl aber eine Erklärung) geben kann. das ändert aber nichts daran, dass der jetzige Krieg, das Morden und Zerstören, so schnell wie möglich beendet werden muss.

      1. „Seit wann rechtfertigen politisch unliebsame Vorgänge in einem Land die Okkupation durch ein Nachbarland?“
        ___________________________________________________________________

        Nach Putin ist Rußland überall da, wo Russen leben. Er betrachtet die Ukraine wie eine vergewaltigte Frau, die selber schuld ist, weil sie einen kurzen Rock trug. Dazu passt Putins Vergewaltigungsfantasie in Bezug zur Ukraine im Kreml gegenüber dem französischen Präsidenten Macron kurz vor dem Überfall am 7. 2. 2022:

        Dann schloss er in grober Manier: „Ob’s dir gefällt oder nicht, du wirst dich fügen müssen, meine Schöne!“ Macron fasste sich an sein Ohr, als zweifele er an der Übersetzung.

        © FAZ 9. 2. 2022 https://ogy.de/x53f

      2. Es geht darum, ob eine Waffenruhe in der Ukraine unterhalb eines Siegfriedens (Selenski‘scher „Friedensplan“) gerechtfertigt und anzustreben ist. Diese Frage lässt sich nicht ohne weiteres beantworten. Ist man der Ansicht, dass die Alternative zu einem Siegfrieden für viele in der Ukraine ein Leben „unter dem Knüppel russischer Folterknechte“ (Melnyk) bedeuten würde, bei einem Einfrieren des Krieges die Gefahr der Auslöschung der ukrainischen Nation fortbestünde und die Russen dann weiter einen Genozid betreiben könnten, bliebe nur eines übrig: zu kämpfen ohne Rücksicht auf Verluste. So wie vor achtzig Jahren nur ein Kampf bis zur bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Frage kam. Erwiesen sich dagegen die diesbezüglichen Sprüche von Lang, Baerbock und Göring-Eckardt als substanzlos und sieht man ernstzunehmende Gründe für die Annahme, dass signifikante Teile der Bevölkerung in den besetzten Gebieten einen Anschluss an Russland begrüßen würden, ist dem, Völkerrecht hin oder her, Rechnung zu tragen. Weitere Menschenopfer wären dann nicht zu rechtfertigen und es gäbe auf jeden Fall Gründe, umgehend einen Waffenstillstand zu fordern, notfalls unter Ausübung von Druck auf die ukrainische Regierung, so wie es u. a. Frau Wagenknecht vorgeschlagen hat.

        Um die Frage „Waffenstillstand ja oder nein“ verantwortungsvoll beantworten zu können, bedarf es also einiges Wissen über die komplexe Konfliktlage in der Ukraine und die Genese des dortigen Krieges. Oberflächliche Situationsbeschreibungen helfen nicht weiter. Insbesondere sind halbwegs objektive Einblicke in die soziale und Sicherheitslage der Bevölkerung in den besetzten Gebieten unabdingbar. Wie hat sich z. B. das Lebensniveau für die Menschen im Donbass und auf der Krim im Vergleich dem in der Kernukraine seit 2014 entwickelt (Entwicklung der Löhne, Renten und Sozialleistung)? Wie beurteilt die Krimbevölkerung die Ankündigung von Säuberungsaktionen durch die Kiewer Regierung nach einer eventuellen Rückeroberung der Krim [1]? Warum leisten in den besetzten Gebieten über 50.000 ukrainische Sicherheitskräfte Kriegsdienst auf russischer Seite [2]? Wie sind die russischen Wiederaufbaumaßnahmen in der Südukraine zu beurteilen? Hat Mariupol ähnliche Chancen für einen Wiederaufbau wie seinerzeit Grosny, die ebenfalls bei Kämpfen der russischen Armee stark zerstörte Metropole Tschetscheniens [3]? Oder sind das potemkinsche Fassaden?

        Eine Meinungsbildung zu den hier diskutierten Fragen ist jedoch extrem manipulationsgefährdet. Wie schon mehrfach beklagt, machen die meisten Journalisten der Leitmedien ihren Job nicht ordentlich. Auch die sogenannten Wissenschaftler der deutschen Osteuropa-Forschungsinstitute sind in meinen Augen wenig vertrauenswürdig. Mit ihren Propagandaauftritten erinnern sie mich eher an die Inhaber der Lehrstühle für Marxismus-Leninismus, wie ich sie zu DDR-Zeiten erlebt habe. Ansatzweise sachliche Berichte aus den russisch besetzten Gebieten werden skandalisiert (ZDF-Bericht über Mariupol). Und recherchieren Journalisten wie Patrick Baab ausnahmsweise auf eigene Faust, wird versucht sie mundtot zu machen [4]. Es bleibt einem nichts anderes übrige als die Suche nach brauchbaren Informationen auf dem risikoreichen Weg durch den Dschungel der alternativen Medien.

        [1] https://www.telepolis.de/features/Rueckeroberung-der-Krim-Aengste-unter-Zivilisten-8964716.html
        [2] https://library.fes.de/pdf-files/bueros/wien/20886.pdf
        [3] https://www.mdr.de/heute-im-osten/tschetschenien-grozny-im-wandel-100.html
        [4] https://www.nachdenkseiten.de/?p=106362

        1. Die entscheidende Frage ist: Was sollte das Ziel der deutschen/europäischen Politik im Blick auf die Ukraine sein? Meine derzeitige Antwort: Die Ukraine muss in ihrer Staatlichkeit (Souveränität und Integrität) erhalten bleiben. Ich möchte damit wegkommen von den „Zielen“: Russland darf nicht gewinnen/muss verlieren bzw. die Ukraine muss siegen, darf nicht verlieren. Die „Ziele“ beziehen sich ausschließlich auf die kriegerische Auseinandersetzung, ausgelöst durch die Okkupation seit 2014 und den Überfall am 24.02.2024. Ob die Ukraine das Ziel, dass die Ukraine in ihrer Staatlichkeit erhalten werden muss, selbst mitträgt, muss die Bevölkerung entscheiden, wie überhaupt sie es ist, die darüber bestimmen wird, welchen Weg die Ukraine gehen will. Insofern sind Aussagen wie die, dass 50.000 ukrainische Sicherheitskräfte Kriegsdienst auf russischer Seite leisten, von nur geringer Bedeutung – oder repräsentierten die Zehntaudende Stasi-Beamte die Bevölkerung der DDR? MaW: Ihre Argumentation, lieber Herr Lerchner, ist insofern verräterisch, weil für Sie offensichtlich die Bevölkerung der Ukraine wie auch das Existenzrecht eines eigenständigen Staates Ukraine überhaupt keine Rolle zu spielen scheint. Wenn ich aber die Staatlichkeit der Urkaine zum politischen Ziel erhebe, dann fokussiere ich mich nicht mehr auf die militärische Auseinandersetzung und reduziere den Beitrag Deutschlands auf Waffenlieferungen und Kriegsbeteiligung. Dann komme ich sehr schnell dahin, dass die vordringliche Aufgabe Deutschlands/Europas darin besteht, Bedingungen für faire Verhandlungen zu schaffen. Zu diesen Bedingungen kann (muss wahrscheinlich) das Einfrieren der Kriegshandlungen gehören. In diesen Verhandlungen müssen aber vor allem die Interessen der Ukraine Beachtung finden.

          1. Verräterisch ist an meinem Text gar nichts. Erst neulich habe ich hier geschrieben, dass ich von einem Christenmenschen erwarte, dass bei ihm Schonung von Menschenleben allem anderen übergeordnet ist, z. B. auch dem zeitweiligen (!) Verlust von Staatsterritorium (01.03.2024). Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass die territoriale Integrität der Ukraine für mich nicht oberste Priorität hat, sondern vorrangig das Wohl der ukrainischen Bevölkerung in all ihren Teilen zu berücksichtigen ist. Und über nichts anderes habe ich auch in meinem letzten Text geschrieben. Mir zu unterstellen, die Bevölkerung der Ukraine würde für mich keine Rolle spielen, ist also völlig abwegig. Das Gegenteil ist der Fall. Lesen Sie nochmal in Ruhe nach! Auf Grund meines Wissens über die inneren Konflikte in der Ukraine gehe ich allerdings davon aus, dass von „der“ ukrainischen Bevölkerung nicht gesprochen werden kann. Die Interessen der unterschiedlichen Bevölkerungsteile müssen also gegeneinander abgewogen werden. Den Vorschlag, dass international überwachte Wahlen oder Referenden in den besetzten Gebieten wesentlicher Gegenstand von Friedensverhandlungen sein sollten (u.a. Wagenknecht), finde ich deshalb gut. Und wenn z. B. die Mehrheit der Krim-Bevölkerung oder die des Donbass ihren Willen nach Unabhängigkeit von Kiew bekräftigen sollte, muss das berücksichtigt werden.

            Und wie wollen Sie eigentlich die olivgrünen Bellizisten in unserem Lande davon überzeugen, dass die von Ihnen als vordergründig wichtig angesehene staatliche Integrität auch mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden kann? Was verstehen Sie unter fairen Bedingungen für Verhandlungen und wie sollen diese erreicht werden? Das, was Sie Ihnen als Ziel deutscher bzw. europäischer Politik vorschwebt, ist in meinen Augen ziemlich nebulös.

          2. Ich erhebe nicht den Anspruch, jetzt zu wissen, wie eine europäische Friedensordnung aussehen soll, die kriegerische Auseinandersetzungen wie den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erstickt. Insofern bekenne ich mich dazu, „nebulös“ zu schreiben. Alles andere ist derzeit anmaßend (das gilt vor allem auch für die, die nur in Waffenlieferungen das Heil sehen). Für mich steht auch nicht im Vordergrund, was Putin „besänftigt“, sondern wie die Ukraine (und damit meine ich die Menschen, die auf dem Staatsgebiet der Ukraine leben) zu ihrem Recht kommt und ihre Staatlichkeit erhalten kann. Davon ist bei Ihnen und Sahra Wagenknecht wenn überhaupt sehr wenig die Rede.

  8. „Warum können wir Menschen nicht vorher, also „vor“ dem Frieden zu dieser Einsicht gelangen bzw. uns sie nicht ausreden lassen durch die, die unsere Gesellschaft auf Krieg trimmen wollen?“
    _______________________________________________________________________

    Müsste es nicht heißen „vor dem Krieg“? Und wer will unsere Gesellschaft auf Krieg trimmen? Fragen über Fragen. Da fällt mir ein Bonmot aus dem Jahr 1989 ein: Wir hatten ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen – die Antworten hatten wir nicht.

  9. Ich bin Lehrerin und engagiere mich dafür, dass Militär und Bundeswehr nicht in die Schulen kommen, um für militarisierung zu werben. Und wenn ja, dann sollten dort auch Vertreterinnen der Friedensbewegung auftreten dürfen.
    Ich beobachte seit geraumer Zeit immer härtere Töne Richtung militarisierung:“ wir müssen ktiegstüchtig „werden, auf Werbeplakaten:“ wir müssen wieder Stärke zeigen“. Und Journalisten treiben Politiker Richtung kriegspropaganda an, nun auch schon im kinderfernsehen Logo Kika, wo sich vermenschlichte marschflugkörper unterhalten und sich über den zögernden Scholz aufregen.
    Wo sind wir hingeraten? Das alles, um zu „ SIEGEN“? Und warum senden wir dann Kriegsmaterial nach Saudi arabien? Dort können wir nicht unsere Demokratie verteidigen?!? Wir sollten viel mehr hinterfragen ( vor allem diejenigen, die hier nach mehr Kriegsgerät für die Ukraine schreien), denn das minsk 2 Abkommen ist vom Westen nicht kontrolliert und eingehalten worden und der Friedensvertrag , der im April 2022 zwischen Russland und Ukraine existierte , wurde vom Westen abgelehnt- jetzt offiziell nachlesbar im wallstreet Journal . Diese Doppelmoral schreit zum Himmel.

    1. Das ist keine sachliche Diskussion: Wenn Sie behaupten, das minsk 2 Abkommen sei vom Westen nicht kontrolliert und eingehalten worden und der Friedensvertrag , der angeblich im April 2022 zwischen Russland und Ukraine existierte , sei vom Westen abgelehnt worden, dann sind Sie entweder ein Opfer von „Russia Today“ oder unterstützen willentlich Putins Propaganda!

      1. Langsam, langsam, Herr Doktor! Frau Jana Wolff mag sich unpräzise ausgedrückt haben. Es ist aber Fakt, dass Kiew zu keinem Zeitpunkt vorhatte, Minks 2 (vollständig) umzusetzen (Nicolai N. Pedro, The Tragedy of the Ukraine), auch nicht nach dessen Schärfung und Präzisierung (Steinmeier-Formel). Letztendlich wurde das von den Vermittlerstaaten Deutschland und Frankreich hingenommen, und zwar bewusst, folgt man der verbreiteten Interpretation des berühmten Merkel-Interviews in der Zeit vom letzten Jahr. Es stimmt natürlich, dass das Istanbuler Kommunique noch kein Friedensvertrag war, aber vielleicht die Grundlage für einen solchen hätte sein können. Beide Seiten hatten substantielle Zugeständnisse gemacht. Kein Zweifel besteht daran, dass der Westen Kiew davon abgehalten hat, die Verhandlungen weiterzuführen. Spätestens seitdem ist der Ukrainekrieg auch ein Stellvertreterkrieg. Später wurden die Butscha-Vorkommnisse als Grund für den Verhandlungsabbruch vorgeschoben. Der zeitliche Verlauf der Ereignisse widerspricht dem aber. Und übrigens: Diffamierungen sind ein schlechter Ersatz für eine Sachargumentation.

  10. Lieber Christian! Ich habe deinen Text mit großer Zustimmung gelesen, weil mir derzeit ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen. Was sind das für Zeiten, in denen die Aufforderung, nicht nur über den Einsatz weiterer Waffensysteme und Bodentruppen sondern auch einmal über mögliche Wege zur Beendigung eines Krieges nachzudenken, bereits unter Argwohn und Verdacht gestellt werden. Bei Caren Miosga ging’s mir’s genauso, ich hab’s mir irgendwann dann nicht weiter angetan. – Über das Thema „Kriege beenden“ habe ich unlängst mit dem Freiburger (emeritierten) Alt-Historiker Joachim Gehrke eine Talkrunde im Rahmen der Evangelischen Erwachsenenbildung hier in Freiburg geführt. Er hat dabei auf das Buch seines Fakultätskollegen für Neuere und Neueste Geschichte Jörn Leonhard hingewiesen, das eben den Titel trägt: „Über Kriege und wie man sie beendet. Zehn Thesen“ (CH Beck). Ich nehme (zum Glück) wahr, dass die Gesprächsoffenheit in der Bevölkerung und mit meinen Mitmenschen weitaus größer ist als die etwas monokulturmäßige Gestimmtheit vieler Medien (wobei ich die Frankfurter Rundschau, die ich immer noch lese, hier ausdrücklich ausnehmen möchte).

  11. Lieber Christian,
    ich danke Dir für Deinen Beitrag. Es ist auch meine Wahrnehmung, dass der Redebeitrag von Herrn Mützenich nur auf den einen Satz, fast nur des Wortes vom Einfrieren reduziert wird, als wollte er sagen: es sollte jetzt einen irgendwie gearteten „Diktatwaffenstillstand“ geben. Es geht in der Tat doch darum, diesen unmenschlichen Krieg zu beenden und es werden in dieser Sache ja auch Verhandlungen geführt. Das „verächtlich-triumphierende Lächeln“ von Caren Miosga fiel mir auch auf. Sie verhinderte damit eine sachliche Diskussion, wie wir zu einem Ende dieses schrecklichen Krieges kommen können. Und da ist doch jede Initiative, die ehrlich und zielorientiert ist, wichtig. Auch Dein Beitrag ist eine sehr gute Unterstützung nachzudenken und mitzuwirken, damit ein Waffenstillstand unter realistischen und ehrlichen Bedingungen geschlossen werden kann.
    Herzliche Grüße
    Hans Scheffel

  12. Es ist eben ein Problem, wenn man sich aus ideologischen und gutmenschlichen Gründen sozusagen in EINEM Satz selbst widersprechen muss: Der Krieg ist ein Verbrechen, schreibt uns Wolff, aber es „muss natürlich unterschieden werden zwischen Tätern und Opfern, zwischen Angreifern und Angegriffenen. Letztere haben das Recht, sich zu wehren“ – also einen Krieg zu führen, der offensichtlich („natürlich“) nicht Verbrechen ist. Dieser grundsätzliche Widerspruch liegt diesem Beitrag zugrunde und er wird auch nicht aufgelöst, indem man dann zu Lasten des Angegriffenen ergänzt: „wenn es nur noch um Sieg oder Niederlage geht, dann droht die große Gefahr, Teil des Verbrechens des Täters zu werden“. In anderen Worten: Der Vergewaltigte wird Teil des Verbrechens, wenn er sich dagegen mit dem Ziel wehrt, die Vergewaltigung VOLLSTÄNDIG zurückzuweisen.
    Lieber Herr Wolff, wir haben, so scheint es, Übereinstimmung erzielt darüber, dass es politische Verantwortung ist, der militärischen Komponente in einer Krise eine politisch-diplomatische Vorgehensweise nicht nur hinzuzufügen, sondern überzuordnen – eine Verantwortung, der nach meiner hier mehrfach geäußerten Überzeugung augenblicklich nicht gerecht geworden wird; weder durch die EU, noch durch die Bundesregierung. Ihr Beitrag bestätigt auch meine hier mehrfach geäußerte Meinung, dass es unterschiedliche Perspektiven auf eine Krisenregion/Krisenlage aus der Sicht des Betroffenen (Ukraine) und der Helfenden (EU/DEU) geben sollte: Die UKR kämpft um ihr Überleben und hat einen räumlich/zeitlich begrenzten Horizont bezüglich des Zieles. Die EU/DEU dagegen kämpft um eine künftige europäische Ordnung, die räumlich/zeitlich über den Friedensschluss an der ukr/russ Grenze hinausgehen muss. Ich freue mich, dass Sie indirekt – so verstehe ich Ihren Beitrag – meinen Aussagen zustimmen.
    Die Frage bleibt dann also: Wie verbessern wir die Chancen, in einer Welt, in der der Krieg – egal nun ob Verbrechen oder Folge menschlicher Unzulänglichkeiten – nun mal vorhanden ist, den Frieden zu sichern und zu stärken. Sie hängen Ihrem Helden Heinemann an, der mit einer politischen Plattitüde einen schönen populistischen Imperativ formuliert hat, der an der Realität vorbeigeht und als politische Strategie die Antwort auf die entscheidende Frage vermeidet, WIE der Friede gesichert werden kann. Und da hilft uns das von Ihnen zitierte GG: Dem Frieden dient man (Präambel), indem man Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt (Art 87a); indem man politisch definiert, was zunächst Abschreckung und sodann, wenn nötig, Verteidigung ist (das macht das Parlament); indem man neben der Schaffung von materiellen Voraussetzungen (Ausbildung/Ausrüstung/Planung/Sicherung der Infrastruktur und Versorgung/etc) die Bevölkerung auch mental auf eine mögliche Verteidigungslage vorbereitet (dafür ist die Exekutive verantwortlich und das nennt man „Kriegstüchtigkeit“ und das macht man, indem man auch der Jugend verdeutlicht, dass „Friede“ verteidigt werden muss und dass dies klare Sicht und eventuell auch Opfer fordert). Das alles ist eben genau NICHT „Rationalisierung des Krieges“, sondern konkrete Kriegsvermeidung durch klare Signale an mögliche Gegner, es nicht zu versuchen.
    Unsere Jugend, die in der Tat scheinbar mehr Gewaltbereitschaft erkennen lässt, zum Frieden zu erziehen, ist ein richtiges Ziel. Aber man tut dies eben nicht, indem man mit martialischen Worten (Beschimpfung des Gegers) und ohne Realitätsbezug Heinemann’sche Nullsätze zitiert, sondern indem man die Gefahren realistisch und nüchtern beschreibt – im gesellschafts-innenpolitischen Bereich ebenso wie in außenpolitischen Fragen – und die Notwendigkeit der Vorbeugung unter Einsatz ALLER betont.
    Mützenich hat sich bisher nicht als Realist in der Außen- und Verteidigungspolitik dargestellt. Im augenblicklichen „Streit“ aber stehe ich auf seiner Seite, die er allerdings bezüglich strategischer Zieloptionen erstmal definieren müsste. Das „Einfrieren“ – ein schlechterer Begriff für „Waffenstillstand“ – macht ja nur dann Sinn, wenn man politisch beschreiben kann, was die dann nachfolgende Diplomatie erreichen soll – keine Anerkennung des militärischen Status Quo, Verhandlungen über die umstrittenen Gebiete und deren Status, zeitliche und räumliche Vorstellungen über die künftige Ordnung der Region und Vereinbarungen über die Rechte/Pflichten der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, etc. Dies müsste Mützenich definieren, anstatt ein bisschen emotional zu spekulieren.
    Eines steht fest: „Es ist schon lang ins Fabelbuch geschrieben, allein die Menschen sind nicht besser dran, den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben“, sagt Mephisto in Goethes „Faust 1“ (Hexenküche) – sprich: Auch nach Putin werden wir es mit anderen Putins zu tun haben – Verteidigung tut also not und sie als „Verbrechen“ zu qualifizieren und aus der öffentlichen Diskussion gutmenschlich zu verbannen ist Unsinn.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Es ist schon ziemlich vermessen, einen Gedanken eines durch zwei Weltkriege geprägten Menschen wie Gustav Heinemann als „Nullsatz“ bzw. als „politische Plattitüde“ zu bezeichnen und das ganz wieder als „gutmenschlich“ (ein Begriff, der signalisiert, dass sich derjenige, der ihn gebraucht, sich jeder moralischen Diskussion entziehen will) ins Jenseits der Gedankenwelt zu befördern. Aber das zeigt mir nur auf, wie die Rationalisierung eines Verbrechens funktioniert: indem man jeden moralischen Einspruch einfach beiseiteschiebt.

      1. Und wo bleiben Ihre Antworten auf die Frage der Widersprüche in Ihrem Text, auf das Krieg-Frieden-Dilemma, das sich nicht durch Negieren auflösen lässt, auf die Suche nach praktischen Verbesserungen und konkreten politischen Zukunftsvorstellungen?
        Und ist es wirklich ein Anlass zu blindem Glauben, nur weil ein Satz von Jemandem stammt, der durch zwei Weltkriege gegangen ist? Wie steht es dann mit Zitaten (zB) deutscher Feldmarschälle („Verlorene Siege“), die auch durch zwei Kriege gegangen sind?
        Und zur Vokabel „Gutmenschentum“ wiederhole ich, dass es unmoralisch ist, was diese Menschen tun: Von hohem ethischem Ross aus Moral zu fordern, mit weißer Weste zu kritisieren, keinen eigenen Vorschlag zur Auflösung von Dilemmata zu machen, anderen die Verantwortung für die praktische und durch Unterlassung, Zuvieltun oder auch Fehler (meist erst nachträglich feststellbar) immer schuldbelastete Handlung zuzuweisen und sich selbst mit – eben – Nullsätzen wie „man muss doch WAS tun“ oder „der Friede ist die Bewährung“ zu exkulpieren. Es sind die Gutmenschen, die „jeden moralischen Einspruch einfach beiseite schieben“, weil sie sich vor der Realität drücken – wie Heinemann – und dann die Schuld immer bei anderen verorten.
        Andreas Schwerdtfeger

          1. Da fällt einem eigentlich nur noch – ironisch – Goethes Feststellung aus seiner Jugendschrift (1773) „Brief des Pastors *** …“ ein: Es sei „auch kein Vorteil für die Herde, wenn der Schäfer ein Schaf ist“.
            Andreas Schwerdtfeger

  13. „der Krieg in Gaza zwischen Israel und Palästina nach dem Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023.“
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    Ein Krieg zwischen Israel und Palästina? Letzeres existiert als Staat gar nicht, kann also auch kein Kriegssubjekt sein – die Hamas sehr wohl. Nach den Verheerungen auf dem Gazastreifen werden arabische Terrororganisationen sich um Nachwuchs nicht sorgen müssen. Die schwerreichen Bosse der Hamas sitzen unbehelligt in Katar, vor dessen Emir deutsche Minister einen Bückling machen…

  14. Ein hilfreicher Text. Auf der Waage bleiben Argumente, die als Gegensätze kaum auszuhalten sind. Doch weil Verteidigung und Verhandlung, Frieden und Gerechtigkeit in Beziehung gesetzt werden, schützt dies vor einfachen Antworten.

  15. Lieber Herr Wolff, Ihr Beitrag ist leider eine einzige Enttäuschung. Als Pazifist hätten Sie doch zumindest versuchen sollen zu erklären, wie denn das von Ihnen befürwortete „Einfrieren“ des Krieges praktisch aussehen könnte. Sie verkünden die Binsenweisheit, dass Opfer das Recht haben sich zu wehren, tadeln aber, wenn das ausschließlich mit militärischen Mitteln geschieht. Erstens stimmt das nicht, denn die Ukraine wehrt sich auch mit politischen Mitteln, indem sie einen Großteil der westlichen Welt erfolgreich auch zu wirtschaftlicher und finanzieller Hilfe aufgerufen hat. Zweitens hat die Ukraine schon nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Minsk-Verträge immer wieder versucht, zu einer friedlichen Lösung zu kommen und drittens hat sie sich nach dem Überfall vom 24. Februare 2022 mehrfach zu Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen bereit erklärt und sogar auf Gegenangriffe auf russisches Territorium verzichtet. Wenn man sie jetzt zum „Einfrieren“ des Konflikts aufruft, so kann das doch nur bedeuten, die Waffen zu strecken und die von Russland erzielten Geländegewinne anzuerkennen. Ähnliches hat ja auch schon der Papst mit seiner Forderung nach weißen Fahnen der Ukraine gefordert, wobei er wenigstens hinterher nachgeschoben hat, dass die weißen Fahnen keine Kapitulation, sondern nur Verhandlungsbereitschaft von Parlamentären bedeuten sollten. Eine ähnliche Erklärung, dass „Einfrieren“ keine Kapitulation gegenüber dem Angreifer bedeuten darf, hätte ich mir auch von Herrn Mützenich und von Ihnen als seinem Fürsprecher gewünscht.

    1. Niemand hat die Ukraine zum „Einfrieren“ des Krieges, zum Waffenstrecken, zur Anerkennung der von Russland okkupierten Gebiete als russische Republiken aufgefordert – außer Papst Franziskus. Aber dieser hat sich ja schon mit seinem Lobgesang auf den russischen Nationalismus und seinem Schweigen gegenüber der Kriegsrechtfertigung durch die russisch-orthodoxe Kirche ins Abseits begeben. Es ist eine mit Verlaub böswillige Unterstellung und ein Abwürgen jeder kontroversen Debatte, wenn allein die Aufforderung, neben der militärischen Unterstützung der Ukraine auch endlich die friedenspolitischen Perspektiven in konkrete Politik zu gießen und darüber zu debattieren, als Aufruf zur Kapitulation verstanden wird. das wird auf Dauer nicht mehr verfangen.

      1. Papst Franziskus hat in naiver Offenheit die Alternative zum bewaffneten Kampf der Ukraine aufgezeigt: das Hissen der weißen Fahne, die Kapitulation. Dann allerdings hätte das Töten ein Ende, es herrschte Friedhofsruhe. Dr. Putin ist ein eiskalter Machthaber, der nur militärischen Druck versteht. Zumal sich in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, dass Rußland in der Welt keineswegs überall geächtet ist, und die Sanktionen es nicht in die Knie zwingen können. Das Gefasel eines Dr. Mützenich (und des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer) vom „Einfrieren“ des Kriegs wird von Rußlands Diktator nur als Zeichen der Schwäche Deutschlands gewertet, und ist deshalb nicht hilfreich.

      2. Einverstanden: natürlich braucht man auch in einem reinen Verteidigungskrieg eine „friedenspolitische Perspektive“, also ein Ziel, das man mit der militärischen Unterstützung erreichen möchte. Aber dazu muss doch auch die Vorstellung gehören, dass der völkerrechtswidrige Angriff letztlich abgewehrt, also dass dieser Krieg gewonnen werden kann. Eine wichtige „friedenspolitische Perspektive“ scheint mir z. B. die heute in den Nachrichten gemeldete Absicht der EU, zumindest die aufgelaufenen Zinsen der seit Kriegsbeginn beschlagnahmten russischen Devisenguthaben der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Ich würde sogar noch weiter gehen und ihr auch die Guthaben selbst zur Verfügung stellen. Aber das hat Mützenich sicher nicht mit dem Begriff „Einfrieren“ gemeint.

        1. Mützenich hat mit seiner Frage, ob es nicht an der Zeit ist, darüber nachzudenken …, gemeint: Wir müssen über unterschiedliche Möglichkeiten, das Töten, Morden und Zerstören zu beenden, debattieren. Ich frage mich (auch nach der Illner-Sendung): Was ist daran verwerflich?

  16. “ Man könnte ja auch danach fragen, wie denn ein mögliches Einfrieren oder ein Verhandlungsfrieden aussehen kann, was für Anheizen des Krieges und was für Einfrieren spricht …“
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    Am 13. 3. 24 sagte Putin: „Sollen wir verhandeln, nur weil denen jetzt die Munition ausgeht?“, fragte der Kreml-Herrscher. Das wäre „lächerlich“.
    © Der Westen 20. 3. 24 https://ogy.de/i0tr

    Dieser Kriegsherr wird erst dann verhandlungsbereit sein, wenn er der Auffassung ist, dass er militärisch nicht voran kommt. Deshalb ist die militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen existentiell wichtig für sie.

    1. Ich bestreite keinen Moment, dass die militärische Unterstützung der Ukraine notwendig ist. Aber die Politik darauf zu beschränken und damit die Vorstellung zu nähren, dass dieser Krieg gewonnen werden kann, das kritisiere ich. Deswegen benötigen wir die friedenpolitische Perspektive, ohne dass mit dem Anspruch aufzutreten, das allein würde den Krieg so beenden, dass die Ukraine weiter als Staat und Nation existiert.

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