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Die Tonlage muss sich ändern (2): „kriegstüchtig“ werden? Das ganz sicher nicht!

Heute, am 11. November, ist der Tag des Heiligen Martin (316-397). Im Jahr 356 verweigerte er kurz vor einem kriegrischen Feldzug gegenüber dem römischen Kaiser Julian den Kriegsdienst. Leider spielt dieses Ereignis bei den Martinsumzügen kaum eine Rolle. Dabei zeigt der Heilige Martin gerade durch seinen mutigen Schritt, was Aufgabe von Christ:innen und der Kirche in einer kriegerischen Welt ist: ein deutliches Zeichen für den Frieden zu setzen, anstatt Krieg und Kriegsdienst zu rechtfertigen. Die ökumenische Friedensdekade, die am morgigen Sonntag, 12. November 2023, beginnt und bis zum Buß- und Bettag am 22. November 2023 andauert, will in der Tradition des Heiligen Martin Krieg und Terror als Mittel der politischen Interessensauseinandersetzung zwischen Mächten und Völkern zumindest religiös delegitimieren. In der ökumenischen Friedensdekade werden zumindest Christ:innen daran erinnert, was ihre vornehmste Aufgabe ist und wofür sie einzutreten haben: für eine strikte Gewaltminimierung. Das muss die Überschrift auch für alles kirchliche Handeln sein und werden. Denn es gehört nicht zum Auftrag der Kirchen, über Krieg, Gewalt und Terror noch eine religiöse Schokoladensauce zu gießen. Vielmehr hat sie alles, was Kriege befördert, grundsätzlich infrage zu stellen. Denn nur so kann sie – abseits aller politischen Opportunitätsüberlegungen – den Grundanliegen der biblischen Botschaft folgen und ihre Glaubwürdigkeit bewahren. Darin liegt der fundamentale Unterschied zwischen politischen Parteien, Parlamenten, Regierungen auf der einen und dem kirchlichen Wirken unter den Menschen auf der anderen Seite begründet. Für Kirche müssen der Frieden und Gewaltminimierung absolute Priorität behalten. Krieg bleibt in dem Bewusstsein eines Christenmenschen auch in einer kriegerischen Welt eine Unmöglichkeit oder religiös ausgedrückt: ein Sündenfall des Menschen.

Dieses haben wir in den nächsten 10 Tagen immer wieder durchzubuchstabieren und in die gesellschaftspolitische Debatte einzubringen. Diese ist seit Monaten davon geprägt, dass kriegerische Auseinandersetzungen wieder zu einer politischen Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit erklärt werden. Damit aber gerät der unbedingte Friedensauftrag, der sich auch aus der Präambel des Grundgesetzes ergibt, immer mehr in den Hintergrund. Nach 54 Jahren hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius einen verhängnisvollen Paradigmenwechsel vollzogen. Am 29. Oktober 2023 sagte er in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“: „Wir müssen kriegstüchtig werden.“ Damit meint er ausdrücklich nicht nur die Bundeswehr. Pistorius klagt in seinen neuen Richtlinien für die Bundeswehr auch die Kriegstüchtigkeit der Gesellschaft ein. Damit versucht Pistorius ganz offensichtlich, einen ideologischen Unterbau zu schaffen für das gigantische Aufrüstungsprogramm und für eine neue Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung. Fatal an diesen Äußerungen ist, dass damit der Paradigmenwechsel, den 1969 der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann in seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969 eingeleitet hatte, einkassiert wird. Heinemann führte damals aus: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“ Er lieferte damit eine Grundlage für die Friedens- und Ostpolitik, die durch Willy Brandt und die sozial-liberale Koalition in Gang gesetzt wurde. Alles sollte ausgerichtet sein auf Friedenssicherung und damit auf die Verhinderung von kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa.

Wenn nun seit Ausbruch des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 so getan wird, als sei dadurch in Europa eine neue Situation entstanden, in der man sich verabschieden müsse von einer sog. Friedensdividende, dann wird dabei einfach ignoriert, dass es in den vergangenen 30 Jahren keine europäische Friedenspolitik gab, die ausgerichtet war auf Gewaltminimierung. Nie hat man aus dem Mund von Regierungspolitiker:innen gehört: Wir müssen friedenstüchtig (so Heribert Prantl in seiner trefflichen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung vom 09.11.2023) werden – und darum legen wir ein Sondervermögen auf, um nichtmilitärische Konfliktlösungsstrategien zu fördern. Stattdessen verfallen wir mit einer neuen Kriegsrhetorik in eine gefährliche Tonlage, um Kriegführenkönnen wieder zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Das ist nicht nur ein fatales Signal, das sich kaum mit den Grundwerten unserer Verfassung vereinbaren lässt. Dahinter verbirgt sich vor allem eine Schein-Rationalisierung all dessen, was Kriege hinterlassen: verbrannte Erde in den Seelen der Menschen und auf den Schlachtfeldern verfeindeter Länder. Denn eines lehren uns die vergangenen Jahrzehnte: Durch Kriegsrhetorik und tatsächlich geführte Kriege können auf Dauer keine Bedingungen des Friedens geschaffen werden. Beides zerstört Gesellschaften im Innern und hinterlässt nach Außen ausschließlich innere und äußere Verwüstung. Jeden Tag werden wir davon Zeuge.  Das darf keine Zukunft haben.

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Hier geht es zur Ansprache im Friedensgebet am 13. November 2023 in der Nikolaikirche zum Thema „kriegstüchtig …“?

 

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