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Politik jenseits vom Fall Edathy

Es ist schon grotesk: Ein bekannter und sehr geachteter Bundestagsabgeordneter gerät in den Verdacht, mit Kinderpornografie zu tun zu haben. Die Ermittlungsbehörden lassen durch ihr mehr als merkwürdiges Verhalten den Fall zum Justizskandal anwachsen. Spitzenpolitiker versuchen, durch vertrauliche Hinweise die Folgen einzugrenzen. Doch das gelingt nicht. Stattdessen wird ein angeblicher Geheimnisverrat zur Staatskrise aufgeblasen, während man die NSA-Schnüffelei in der Regierung als naturgegeben hinnimmt. Also scheint es seit drei Wochen in der politischen Welt nichts Wichtigeres zu geben, als die berühmten Fragen zu stellen, wer was wann wo und zu wem gesagt hat. Und natürlich reichen die diversen Auskünfte nicht aus, weil ja jede Antwort neue Fragen auslöst – welch eine Überraschung! Hinzu kommt, dass die politischen Eruptionen denen sehr in den Kram passen, die seit Beginn der Großen Koalition nichts anderes im Sinn haben, als sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Und das sind nicht die parlamentarische Opposition, sondern die CSU, der kleinste Partner in der Koalition, insbesondere ihr Vorsitzender Horst Seehofer. Nach dem Maut-Getöse nun die verkrampft-aufgeplusterte Erregung über den sog. Vertrauensbruch eines Thomas Oppermann (SPD) und die merkwürdige Forderung, der Fraktionsvorsitzende der SPD müsse Vertrauen wiederherstellen – besonders lautstark vorgebracht vom Generalsekretär der CSU Andreas Scheuer. Das ist insofern bemerkenswert, als dieser gerade einen mehr als zweifelhaften Doktortitel hat ablegen müssen. Aber so sind sie, die bayerischen Provinzpolitiker: Glaubwürdigkeit hat für sie weniger etwas mit der eigenen persönlichen Integrität zu tun. Vielmehr stellt sie sich für CSU-Granden dann ein, wenn sich für den Passauer Aschermittwoch-Auftritt ausreichend Erregungspotential anhäufen lässt: Ausländer beschädigen unsere Straßen; Sozialdemokraten haben unseren Minister Friedrich verraten (der aber von Seehofer wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen wurde); wir verweigern die Planung von Stromtrassen und fordern mal schnell die Wende von der Energie-Wende.

Da wirkt es schon fast eigentümlich, dass jenseits der Edathy-Affäre einer unbeirrt seiner Arbeit nachgeht: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Statt sich in den Endlos-Talkshows herumzudrücken, hat er sich zusammen mit den Außenministern Polens und Frankreichs vergangene Woche auf den Majdan in Kiew begeben, um in letzter Minute und durchaus erfolgreich das Ende der Janukowytsch Ära einzuläuten und den Übergang zu moderieren – eine Meisterleistung, zumal es ihm gelungen ist, diese Aktion mit dem russischen Präsidenten Putin abzustimmen. Dass damit der tiefgreifende, konfliktreiche Veränderungsprozess in der Ukraine erst beginnt, ist offensichtlich. Aber der vor ein paar Tagen noch fast unvermeidlich erscheinende Bürgerkrieg konnte vorerst abgewendet werden – ein Erfolg Steinmeiers, der abseits der CSU-Krawallpolitik den Grundsätzen sozialdemokratischer Außen- und Friedenspolitik folgt. Und so ganz nebenbei: Wenn das, was Steinmeier in Kiew vollzogen hat, unter der größer gewordenen Verantwortung Deutschlands verstanden wird – nämlich durch Verhandlungen zu einem friedlichen Transformationsprozess von in sich zerrissenen Gesellschaften beizutragen – dann möchte ich dem von Herzen zustimmen. Es geht eben auch ohne Panzerlieferungen und Androhung von militärischen Interventionen!

Es wäre gut, wenn sich die ganze SPD an Steinmeier ein Beispiel nimmt und abseits der Edathy-Affäre unbeirrt ihre Politik verfolgt. Vor allem sollte sie sich von der CSU nicht auf ein Stammtischniveau ziehen lassen und sich auch nicht länger an dem medialen Wiederkäuen eines zunächst persönlichen Scheiterns eines Menschen beteiligen. Denn in den nächsten Monaten gilt es

–          den Lackmustest der europäischen Friedenspolitik in Sachen Ukraine zu bestehen;

–          der schleichenden rechtskonservativ-nationalen Nabelschau im Windschatten der Europawahl zu widerstehen;

–          der Gerechtigkeitspolitik im Innern das angemessene Gewicht zu geben;

–          und schließlich auch: den Justizskandal um Edathy aufzuklären.

Christian Wolff, Pfarrer i.R.

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