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Von wegen „Staatsaffäre“ – zwei Fragen zum Fall Edathy

In diesen Tagen muss man den Eindruck gewinnen, als entscheide sich das Wohl und Wehe der deutschen Politik und der Großen Koalition an der Frage, wer wann mit wem über was telefoniert oder konspirativ gesprochen hat. Dabei geht es zunächst um ein unangenehmes, aber sehr menschliches Problem: ein angesehener Bundestagsabgeordneter wird einer möglichen Straftat, zumindest aber eines moralisch verwerflichen Verhaltens bezichtigt. Das hat mit Politik und Parteizugehörigkeit wenig, aber mit der menschlichen Fehlbarkeit sehr viel zu tun.  Darum stellen sich mir im sog. „Fall Edathy“ vor allem zwei Fragen:

  1. Wenn der ehemalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy (SPD) seit Oktober 2013 im Verdacht steht, Material mit kinderpornografischen Inhalt zu besitzen, und wenn die ermittelnden Behörden davon ausgehen, dass bei Personen, die sich mit diesem unappetitlichen Bildmaterial versorgt haben, das aber noch nicht den Straftatbestand der Kinderpornografie erfüllt, weiteres, strafrechtlich relevantes Material vermutet werden muss – warum wurde dann nicht sofort eine Hausdurchsuchung bei Edathy vorgenommen? Was sollte die Hausdurchsuchung im Februar 2014, nachdem man wusste, dass Edathy aufgrund von Presseartikeln schon im November 2013 vermutete, dass gegen ihn möglicherweise ermittelt wird und deswegen einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt hat? Wenn es etwas zu kritisieren gibt – dann nicht die Information vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, sondern es sind die offensichtlich weit gestreuten Informationen der ermittelnden Behörden im Oktober und November 2013 und das Versäumnis einer Hausdurchsuchung in diesem Zeitraum.
  2. Wie kann es sein, dass man vom Besitz der Fotos, die sich Edathy in Kanada besorgt hat und die laut Staatsanwaltschaft keine strafrechtliche Relevanz haben, darauf schließt, dass ein solcher Mensch wahrscheinlich strafrechtlich relevantes, kinderpornografisches Material sein eigen nennt? Wenn solche Kausalketten konstruiert werden können und greifen, dann kann in Zukunft jeder Bürger aufgrund eines nicht strafrechtlich relevanten Verhaltens ganz schnell verdächtigt werden: Irgendwann wird der einmal eine strafbare Handlung vollziehen und deswegen müssen wir gegen ihn ermitteln. Das ist rechtsstaatlich mehr als bedenklich und öffnet der Willkür Tür und Tor.

Was schließe ich daraus? Nicht das anhebende Hick-Hack auf der politischen Ebene in Berlin und München sollte allzu große Beachtung finden. Beunruhigt müssen wir sein über das bisherige, skandalöse Verfahren und Auftreten der ermittelnden Behörden im Fall Edathy – und zwar unabhängig davon, ob sich vielleicht doch herausstellt, dass Edathy sich des Besitzes von kinderpornografischen Materials schuldig gemacht hat. Denn erstens wurde eine rechtzeitige Sicherung möglicher Beweismittel versäumt und zweitens wurde und wird äußerst fahrlässig mit der Unschuldsvermutung umgegangen. Die weiteren Vorgänge auf der politischen Ebene sind eher schlechtes Theater. Und die öffentliche, mediale Reaktion gibt wieder einmal Einblick in einen Richtigkeitsfanatismus und moralischen Rigorismus, die sich nun in den Talkrunden mit kräftigem Tremolo ergießen. Und da wir immer weniger ertragen können, dass Menschen, die ein öffentliches Amt innehaben, auch Fehler machen, müssen Köpfe rollen – möglichst im Proporz. Weder hätte Minister Friedrich zurücktreten müssen, noch stellt sich diese Frage für Gabriel, Steinmeier oder Oppermann. Denn diese wollten nicht einen möglichen Straftäter begünstigen oder eine Strafverfolgung vereiteln, sondern einen Menschen von Regierungsämtern fernhalten – und zwar bevor es zu einem Verfahren kommt. Also sollten wir uns darüber Gedanken machen, wie wir herstellen können, was derzeit auf der Strecke bleibt: ein einigermaßen anständiger und rechtsstaatlich sauberer Umgang mit Menschen, die schuldig geworden sind und Fehler gemacht haben.

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