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Geht uns das noch etwas an, das schroffe Nein des Vatikan zum „Synodalen Weg“?

Man ist als evangelischer Christ hin- und hergerissen. Sollen wir die katholische Kirche ob ihres Machtapparates Vatikan und seiner dort produzierten päpstlich-klerikalen Betonmischung still bedauern und die vatikanische „Rote Karte“ für den Synodalen Weg mit Schweigen „bestrafen“? Sollen wir – wie im Blick auf die Verweigerung eines gemeinsamen Abendmahls/Eucharistie unter den christlichen Kirchen – die vatikanischen Machenschaften einfach ignorieren und an der Basis ökumenisches Zusammenleben praktizieren, so als herrsche unter Christinnen und Christen gleich welcher Konfession ein Einvernehmen über das „Priestertum aller Gläubigen“? Oder sind wir nicht doch gezwungen, uns im ökumenischen Dialog mit dem Fakt sehr kritisch auseinanderzusetzen, dass die katholische Kirche jetzt massiv mit dem seit über 500 Jahren währenden Versäumnis konfrontiert wird, ihren autoritären Machtapparat und die damit verbundenen menschenverachtenden Gehorsamsstrukturen der römischen Kurie rechtzeitig in den Orkus der Geschichte zu verfrachten?

Wenn es denn so einfach wäre. Als christliche Kirche sind wir – gerade in Zeiten des horrenden Missbrauchsskandals – in einer säkularen Gesellschaft von den Vorgängen gerade in der katholischen Weltkirche unmittelbar betroffen – allein schon deswegen, weil viele derjenigen, die keiner christlichen Kirche und keiner Religionsgemeinschaft angehören überhaupt nicht mehr differenzieren zwischen Evangelisch oder Katholisch, Orthodox oder Evangelikal. Insofern müssen wir uns als Protestanten auch mit den Vorgängen in der katholischen Weltkirche befassen (und natürlich auch mit der Kriegsverherrlichung in der russisch-orthodoxen Kirche) – zumal es sich bei dem jetzt aufgebrochenem Konflikt zwischen dem „Synodalen Weg“ und dem Vatikan exakt um die Dinge handelt, die vor 500 Jahren zur Reformation in Mitteleuropa und davor schon zu Zerwürfnissen zwischen unterschiedlichen Reformgruppen und dem Machtapparat des Papstes in Rom geführt haben. Denn damals wie heute geht es der römischen Kurie mit dem Papst an der Spitze nicht um das Christsein als solches, also wie einzelne Christ*innen und Kirchgemeinden vor Ort den Glauben leben und die Grundwerte der biblischen Botschaft praktizieren. Vielmehr soll die Macht des Papstes, der Absolutismus des Vatikanstaates und eine Gewalt fördernde, durch nichts zu rechtfertigenden Gehorsamsstruktur der Hierarchie gegen alle Bestrebungen, das „Priestertum aller Gläubigen“ [1] zur Grundlage des Kirchseins zu machen, abgesichert werden.

Genauso liest sich auch die „Erklärung des heiligen Stuhls“ aus der vergangenen Woche. Sie reagiert auf das völlig angemessene und überfällige Ansinnen vieler Katholik*innen in Deutschland, endlich gleichberechtigt das Geschehen in ihrer Kirche mitbestimmen zu können und den Macht- und Gewaltapparat einer weltweit agierenden, priesterlichen Männerdynastie aufzubrechen. Dieser ist – neben der verqueeren Sexualmoral und dem Zölibat – eine wesentliche Bedingung für das Ausmaß des Missbrauchsskandals und seiner jahrzehntelangen, aktiv betriebenen Vertuschung.[2] Sie ist aber vor allem Zeichen dafür, dass der Vatikan keine Reformen zulassen wird, die in Richtung „Priestertum aller Gläubigen“ geht. Da hilft es auch wenig, wenn jetzt aufrechte Katholiken wie Heribert Prantl oder Thomas Sternberg versuchen, zwischen Kurie und Papst Franziskus zu unterscheiden und damit die Hoffnung zu nähren, dass unter Beibehaltung der Machtstrukturen in der katholischen Kirche Reformen möglich wären, und die Erklärung des Vatikans als „irrelevant“ bezeichnen. So sehr ich nachvollziehen kann, dass der „Synodale Weg“ seine Reformen im Konsens mit der Weltkirche vollziehen will – diese werden aber nur möglich sein, wenn sich die katholischen Christ*innen vom machtbesessenen römischen Apparat und seinem Gehorsamskult lossagen. Martin Luther verbrannte am 10. Dezember (heute Tag der Menschenrechte!) 1520 die Bannandrohungsbulle, damals die Antwort Roms auf die Leipziger Disputation, und kündigte damit den Gehorsam auf. Niemand verlangt vom „Synodalen Weg“, die Erklärung des Vatikans zu verbrennen. Aber man sollte sie auch nicht ignorieren. Vielmehr gilt es jetzt deutliche Signale zu setzen, dass der „Synodale Weg“ das Tor zum „Priestertum aller Gläubigen“ weit öffnen will und damit zum Vorbild für eine freiheitliche ökumenische Kirche werden kann.

Nachtrag: Ich schreibe diesen Blog-Beitrag im vollen Wissen darum, dass es unter den katholischen Priestern hervorragende Seelsorger gibt, dass viele katholische Christ*innen in den Pfarrgemeinden in vielen Bereichen segensreich wirken und lebendiges Christsein praktizieren, dass – wenn ich nur an die sächsische Landeskirche denke – wir in den evangelischen Kirchen noch über manche Macht- und Gehorsamsstrukturen verfügen, die dringend überwunden werden müssen, und dass der sexuelle Missbrauch leider auch in der evangelischen Kirche eine Realität ist. Aber es ist meine feste Überzeugung: Ohne die radikale Beseitigung von absolutistischem Amtsgehabe werden weder die katholische Kirche noch die Kirchen als Ganzes einen Ausweg aus dem derzeitigen rapiden Niedergang der Kirchen finden. Mit Kosmetik ist es nicht getan. Oder wollen wir weiter den gerade im säkularen Umfeld grassierenden Generalverdacht gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften fördern: sie würden Kriege verherrlichen, Waffen segnen, Wissenschaft verleugnen, Kindesmissbrauch betreiben? Die bestfunktionierende Diktatur dieser Welt, den Vatikanstaat, zu unterhalten, in der es weder Gleichberechtigung noch Gewaltenteilung gibt, und gleichzeitig als moralische Instanz, als Anwalt für Menschenrechte und christliche Werte auftreten zu wollen, das kann nicht funktionieren! Es steht einem glaubwürdigen Christsein entgegen. Darum gehört es zum ökumenischen Miteinander, dass wir endlich offen die Fragen debattieren, die schon vor 500 Jahren auf der Tagesordnung standen.

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[1] Es lohnt sich immer, sich den Wortlaut Martin Luthers in Erinnerung zu rufen: „Denn alle Christen sind wahrhaft geistliches Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein. … Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweihet. … Und daß ich’s noch klarer sage: wenn ein Häuflein frommer Christenlaien würden gefangen und in eine Wüstenei gesetzt, die nicht bei sich hätten einen von einem Bischof geweihten Priester, und würden allda der Sache eins, erwählten einen unter sich, er wäre ehrlich oder nicht, und beföhlen ihm das Amt, zu taufen, Messe zu halten, zu absolvieren und predigen, der wäre wahrhaftig ein Priester, als ob ihn alle Bischöfe und Päpste hätten geweihet. … So folget aus diesem, daß Laien, Priester, Fürsten, Bischöfe und, wie sie sagen, ‚Geistliche‘ und ‚Weltliche‘ keinen andern Unterschied im Grunde wahrlich haben, denn des Amtes oder Werkes halben und nicht des Standes halben, denn sie sind alle geistlichen Standes, wahrhaftige Priester, Bischöfe und Päpste, aber nicht einerlei gleiches Werkes … Christus hat nicht zwei, noch zweierlei Art Körper, einen weltlich, den andern geistlich: ein Haupt ist, und einen Körper hat er.“ Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. 1520, in: Martin Luther, Schriften des Jahres 1520, München 19623, S. 87ff. Natürlich kann man sich fragen, warum es dann überhaupt noch das herausgehobene Amt eines*r Pfarrer*in oder des Priesters geben soll. Richtig ist, dass es Kirchen gibt, die nur den*die Laienprediger*in kennen und sich ansonsten demokratisch bzw. im Sinne von Markus 10,42 ff verwalten. Richtig ist auch, dass es auch in der evangelischen Kirche ein Spannungsverhältnis zwischen dem „Priestertum aller Gläubigen“ und der durch die Ordination herausgehobenen Stellung des*der Pfarrer*in gibt. Dieses vergleiche ich gerne mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem*der mündigen Bürger*in und den gewählten politischen Mandatsträger*innen, die kontrolliert und auf Zeit Macht ausüben. Dieses Spannungsverhältnis kann nur funktionieren durch konsequente Öffentlichkeit und demokratische Entscheidungsprozesse – wenn wir uns im Sinne Luthers als „ein Körper“ verstehen.

[2] Der Historiker Thomas Großbölting ließ bei der Vorstellung eines Gutachtens über den Umgang mit dem sexuellen Missbrauch im Bistum Münster zwischen 1946 und 2020 keinen Zweifel daran, dass ein „kirchliches Selbstverständnis und insbesondere die besondere Stellung des ‚heiligen Mannes“, der Priester, mit einer besonders ausgestatteten Pastoralmacht, eben auch Missbrauch ermöglicht und Vertuschungen begünstigt hat.“ (https://www.youtube.com/watch?v=JD2X93o6UZw)

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