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Ordination

Am 1. Advent 1976 wurde ich in Reilingen, einem kleinen nordbadischen Ort neben Hockenheim gelegen, in der dortigen Evangelischen Kirche ordiniert. Ordination bedeutet: für den Dienst zur öffentlichen Verkündigung des Wortes Gottes, so wie es in der Bibel bezeugt ist, sowie für die sog. Sakramentsverwaltung (ein schrecklich bürokratisches Wort für das Wichtigste des Glaubens: Taufe und Abendmahl) beauftragt zu werden und sich zu verpflichten, die Ordnung der Kirche auf der Grundlage der Bekenntnisse zu wahren. Dazu gehört vor allem das Beichtgeheimnis, die Verpflichtung zur Verschwiegenheit in der Seelsorge und das Zeugnisverweigerungsrecht. Vollzogen wird die Ordination in einem Gottesdienst durch Sendung und Segnung. Dadurch wird der/die Ordinierte in die Dienstgemeinschaft der Pfarrerinnen und Pfarrer aufgenommen – mit allen Rechten und Pflichten. Diese bleiben auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst als Gemeindepfarrer/in bestehen.

Dass ich 1976 in den Dienst der Badischen Landeskirche aufgenommen wurde, war zunächst völlig offen. Denn parallel zu meinem Vikariat 1975/76 und zum 2. Examen hatte ich den Wahlkampf des damaligen Bundestagskandidaten der SPD für den Wahlkreis Heidelberg, Prof. Dr. Rolf Rendtorff (Alttestamentler an der Universität Heidelberg), geleitet. Im Falle seiner Wahl wäre ich als sein Assistent mit nach Bonn gegangen. Es kam aber anders. Rendtorff errang nicht das Direktmandat und war auch auf der Landesliste nicht abgesichert. Von heute her gesehen: Gott sei Dank, auch wenn damals die Niederlage sehr schmerzte. So trat ich dann im November 1976 mit der Ordination meinen Dienst als Pfarrvikar in Reilingen an. Allerdings habe ich meinen Beruf als Pfarrer in Predigt, Unterricht und Seelsorge immer auch politisch verstanden: als öffentliches Wirken der Christengemeinde in der Bürgergemeinde, um diese immer wieder zu erinnern an „Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten“ (Barmer Bekenntnis von 1934, These V). Eine solche Erinnerung ist aber nur möglich, wenn Christengemeinde und Bürgergemeinde, also Staat und Kirche, klar voneinander unterschieden sind.

Nach wie vor sehe ich es als dringend geboten an, dass Pfarrer/innen ihre Tätigkeit als öffentliches Wirken in einer demokratischen Gesellschaft verstehen und sich darum auch politisch bilden. Leider wird dieser Aspekt in der Ausbildung der Pfarrer/innen völlig vernachlässigt – sowohl an den Theologischen Fakultäten wie in der 2. Ausbildungsphase. Leitbild ist für mich das, was der Sozialethiker Rudolf Todt Ende des 19. Jahrhunderts gesagt haben soll: Auf den Schreibtisch eines Pfarrers gehört in die Mitte die Bibel, links ein Buch über die Nationalökonomie und rechts die Tageszeitung.* Auf heute übertragen heißt das nichts anderes: jede/r Pfarrer/in hat sich auf dem Hintergrund der biblischen Botschaft mit gesellschaftspolitischen Fragen, mit den ökonomischen Bedingungen von Kirche und Gesellschaft und natürlich mit dem Tagesgeschehen zu beschäftigen. Nebenbei: Die Reformatoren einschließlich Martin Luther haben im 16. Jahrhundert nichts anderes gemacht und dadurch die Rundum-Erneuerung von Gesellschaft und Kirche in Gang gesetzt. Nur so werden wir die Menschen, die wir in Freude und Leid begleiten und denen wir beistehen und den Rücken stärken sollen, verstehen können. Nicht zuletzt verfügen wir Pfarrer/innen über das Privileg, dies alles intensiv zu reflektieren, die sich daraus ergebenden Überlegungen in die Wortverkündigung/Predigt einzubeziehen und für die Zeit, die wir dafür einsetzen, bezahlt zu werden. Meine Aufgabe habe ich immer darin gesehen, im säkularen Umfeld einer Stadtgesellschaft den christlichen Glauben und seine biblischen Grundlagen elementar und fundamental zu vertreten und zu vermitteln. So können den Menschen die Anknüpfungsmöglichkeiten in der Tradition und die Quellen der Grundwerte offengelegt werden, ohne die wir uns weder ein inneres Krisenmanagement aneignen können, noch den Brüchen und Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Leben gewachsen sein werden.

Zum Reformationsfest sollte ich für die Wochenzeitung DIE ZEIT eine von „95 Thesen“ zur Frage „Was ist heute christlich?“ formulieren. Die Langfassung (die Vorgabe war: maximal 400 Zeichen) meiner als 49. These veröffentlichten Antwort lautete: „Christlicher Glaube befreit aus selbst verschuldeter Unmündigkeit. Er ist das Fenster der Vernunft. Wer es öffnet, atmet den Geist der Hoffnung. Zynismus hat keinen Platz. Die Welt bleibt Schöpfung Gottes: Nichts ist gleichgültig. Nächsten- und Feindesliebe bleiben auf der Tagesordnung. Darum jetzt die klare Option für Menschenrechte, Demokratie, Pluralismus. Wir können leben, was wir an Weihnachten feiern: Gott die Ehre, der Erde Frieden, den Menschen Gerechtigkeit.“ In diesem Sinn ist die Ordination auch nach 40 Jahren eine wunderbare Herausforderung und Aufgabe.

* Mein Bruder Martin Wolff, Mitherausgeber des gerade erschienenen „Diakonie-Lexikon“ und Autor des Artikels „Todt, Rudolf“ macht mich gerade darauf aufmerksam, dass das Originalzitat von Rudolf Todt so lautet: „Wer die Soziale Frage verstehen und zu ihrer Lösung beitragen will, muss in der Rechten die Nationalökonomie, in der Linken die wissenschaftliche Literatur der Sozialisten und vor sich aufgeschlagen das neue Testament haben.“ Mit diesem Satz beginnt sein Buch „Der radikale Sozialismus und die christliche Gesellschaft“ (1877). Meine Version stammt von Karl Barth. Allerdings kann ich die Quelle nicht finden.

Am Sonntag, 27.11.2016 (1.Advent), predige ich aus Anlass meines 40-jährigen Ordinationsjubiläums im Vormittags- und Abendgottesdienst (09.30 Uhr und 18.00 Uhr) in der Thomaskirche.

5 Antworten

  1. Lieber Christian, besser kann man unsere Aufgaben als Pfarrer/Innen nicht beschreiben. Das sollte uns immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Und ich erinnere mich an die gemeinsame Petersstiftzeit in Heidelberg( dem Ausbildungszentrum der Badischen Landeskirche) mit Dir gern. Wir waren ja beide Sprecher/Innen unserer jeweiligen Kurse. Wir verstanden uns wirklich als Interessenvertretung unserer Mitstudent/Innen gegenüber unserer Badischen Kirchenleitung. Es war immer leicht mit Dir sich zu verständigen und zusammenzuarbeiten für gemeinsame Ziele. Das war keine Selbstverständlichkeit in den Zeiten, da an der Heidelberger Uni der KBW eine wichtige Rolle spielte und das SPK ( sozialistsiche Patientenkollektiv) in Heidelberg spürbar und prasent waren, politsche Differenzen oft mit Gewalt und Verunglimpfung der Gegner ausgetragen wurden. Ich erinnere mich daran wie entsetzt ich war, als Du bei einer UNI- Vollversammlung das Wort ergriffen hast und man Dich mit Gewalt daran hinderte.
    Für Deinen Mut und Deine Unbeirrbarkeit habe ich Dich schon damals bewundert- obwohl ich nicht immer mit Dir einer Meinung war.
    Ich freue mich auch über diesen Blog, und ich freue mich darüber, dass es zwischen DIR und Herrn SCHWERDTFEGER nach wie vor erhebliche Diskussionen und Differenzen gibt. Jedoch ich freue mich sehr, dass der Ton sich geändeert hat. CHAPEAU- euch beiden! Und für uns gilt als Pfarrer/Innen, deren Ordinationsgelübde nicht mit dem Ruhestand ändert: Wir bleiben weiter unserer guten evanglischen Tradition, der Botschaft des Meisters aus Galiläa, seiner Option für die Armen, seiner Seelsorge unterschiedslos für Reiche und Arme, verpflichtet. Wir freuen uns an dem Gottesbild, das er uns gezeigt hat.Wir freuen uns, dass wir als bedingugnslos geliebte Kinder Gottes, frei sind . So können wir- wenn es notwendig ist- auch öffentlich gegen den Strom schwimmen- allein unserem Gegenüber: Jesus- Gott, unserem Schöpfer und unserem Gewissen verpflichtet.

  2. Lieber Christian,
    danke für Deine Mitteilung, dass Du am 27.11.16 in Deiner (ehemaligen) Thomasgemeinde anlässlich Deiner vierzigjährigen Ordination predigst.
    Bei unserem gemeinsamen Ordinationsjubiläum im Oktober in Pforzheim saß Dein ehemaliger Lehrpfarrer und dessen Frau beim Festakt an meinem Tisch. Sie erzählten, dass Sie damals der Badischen Kirchleitung den Hinweis gegeben haben, dass Sie sich um Dich bemühen sollten. Denn Du seist ein besonderer Vikar. Das hat man seinerzeit wohl nicht erkannt und so hast Du Deine Aufgabe in einer Stadtkirche in der Nachwendezeit im Osten angenommen. Ich habe Dein Engagement in Leipzig bei meinem Besuchen mitbekommen und schätzen gelernt. Du hast Dich profiliert als Pfarrer in der Stadtgesellschaft mit Deinem Kollegen Führer eingebracht. Ich habe Dich auch als Vermittler zwischen den unterscheidlichen Positionen in der Universität in Heidelberg in den siebziger Jahren erlebt und Deinen Mut bestaunt.
    Doch bei Deiner „Karriere“ haben Dir auch viele Leute zur Seite gestanden und Dir auch wieder Ideen, Hinweise und Kraft gegeben. Ich denke, dass dies in den letzten Jahren besonders auch Deine Frau Zlata getan hat. Ich würde mich freuen, wenn Du an diesem Tag auch an Sie und an alle anderen Mitstreitern dankst. Jetzt in Deiner neuen Lebensphase könntest Du Deine „Karriere“ gelassen in einer demütigen, selbskritischen Haltung erfolgreich fortsetzen.
    Ich freue mich, auch Dich als einem Mitbruder zu haben, der das Evangelium so profiliert verkündet und auch im politischen Diskurs vertritt.
    Herzliche Grüße auch an Zlata
    Klaus (Reuter)

  3. Lieber Herr Wolf,
    Vielen Dank für Ihren Blog und herzliche Gratulation zu dem, was Sie geschrieben haben. So wünsche ich mir einen Pfarrer, so wünsche ich mir die Kirche. Ich habe immer nur das Lehrbuch der Nationalökonomie und die Tageszeitung zur Hand, es fehlt dabei aber die ethische Fundierung in der Mitte.
    Schöne Grüße,
    Ihr Martin Hüfner

  4. Lieber Herr Wolff,
    zu Ihrem 40. Berufsjubiläum gratuliere ich Ihnen herzlich und ich hoffe, daß Sie dies nicht als Floskel sondern als aufrichtig ansehen können. Ich habe Sie 2009 persönlich kennen gelernt, vorher schon einige Male in der Thomaskirche predigen hören, und ich habe immer bewundert, mit welcher klaren Sprache, welcher Standfestigkeit in der Sache und mit welcher positiven Streitbereitschaft Sie Ihren Beruf interpretiert und ausgeführt haben. Schon damals war klar, daß wir in der Sache nur selten übereinstimmen; aber das Wichtige war eben dies nicht, sondern es war vielmehr – und ist bis heute – die respektvolle Diskussion gerade anderen Standpunkten gegenüber und die Toleranz, diese als möglich anzuerkennen.
    Unsere zT scharfen Diskussionen und Kontroversen handeln fast immer von diesem Letzteren, denn die sachlichen Unterschiede sind natürlich und normal, eben Teil einer funktionierenden Demokratie. Ihre Predigten, soweit ich das beurteilen kann, haben immer Ihre klaren Standpunkte aufgezeigt, aber das Tor zu anderen Meinungen – auch stilistisch – nicht zugemacht. Auf Ihrem blog allerdings habe ich Sie – ich sage: leider – anders kennengelernt, denn da vertreten Sie Ihre politische Meinung mit einer Intoleranz, Aggressivität und persönlichen Beleidigung gegenüber anderen Meinungen und Personen im politischen und demokratischen Spektrum, die mich erschreckt hat – „elementar und fundamental“ eben, wie Sie es selbst schreiben.
    Sie haben Ihre Aufgabe als „Privileg“ bezeichnet und beschrieben – und da stimmen wir überein. Jeder Beruf, der seinem Träger als Pflicht und Recht die Möglichkeit zugesteht, öffentlich seine Stimme zu Anleitung und Nachdenken zu erheben, legt ihm zugleich die Verantwortung auf, bei aller Standfestigkeit und Klarheit dies doch so gemäßigt und so abstrakt zu tun, daß niemand ausgeschlossen wird und die eigene Aussage über den Tag hinaus Bedeutung hat.
    Wenn Pfarrer Ihre Autorität gerade im Geistigen und Moralischen nicht zu vorbildhafter Umarmung aller ihrer Mitmenschen auch und gerade bei unterschiedlichen Entwürfen zur Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft, auch im politischen Sinne, nutzen – wer soll es dann tun? Ich wünsche Ihnen deshalb aus Anlaß Ihres stolzen Berufsjubiläums für Ihre künftige Arbeit die Ruhe und Weisheit zu dieser Form der Zurückhaltung.
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

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