Am 21. Januar 2024 hatte ein breites Bündnis zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz und Demonstration um den Ring unter dem Motto „Zusammen gegen Rechts!“ aufgerufen. Bis zu 70.000 Menschen nahmen daran teil. Auf Kundgebung habe ich die folgende Ansprache gehalten:
Wir sind hier auf dem Marktplatz nicht nur sehr viele, sondern auch sehr verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen und Überzeugungen. Aber eines verbindet uns heute: Niemals darf die AfD, niemals dürfen Rechtsnationalisten und Neonazis in Sachsen, Brandenburg und Thüringen das Sagen haben. Diese Einigkeit sollte uns ermöglichen, unsere unterschiedlichen Sichtweisen zu ertragen. Denn wir müssen Flagge zeigen, auf die Straße gehen und für die Demokratie und für ein offenes Miteinander eintreten.
Ich lebe seit 1992 in der wunderbaren Stadt Leipzig. Am Wochenende 19.- 21. April 1991 war ich das erste Mal in Leipzig. Am Abend des 20. April wurde ich durch ein Feuerwerk aufgeschreckt – ein Feuerwerk zu Hitlers Geburtstag? Wo bin ich gelandet! Ein Jahr später zogen am 21. März 1992 unter dem Fenster meines Arbeitszimmers im Dittrichring ca. 400 Neonazis in Springerstiefeln vom Hauptbahnhof zum Simsonplatz (heutiges Bundesverwaltungsgericht). Da zeichnete sich ab, was in den Folgejahren immer mehr Realität wurde: Die organisierte Neonazi-Szene Westdeutschlands hatte sich Ostdeutschland und insbesondere Sachsen zum Aufmarschgebiet erkoren. Doch davor verschlossen zu Viele systematisch die Augen. Dabei bestimmten schon in den 90er Jahren eine festgefügte rechte Szene und Neonazis in etlichen Ortschaften Sachsens das Geschehen. Da hatte dann die AfD leichtes Spiel. Sie brauchte sich gar nicht mehr zu radikalisieren. Diese Radikalisierung zum ganz alltäglichen Faschismus hatten andere wie die NPD schon längst besorgt.
Ja, viele von uns waren viel zu nachlässig im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Zu viele haben sich beruhigt: Da wird schon nichts anbrennen. Hat sich wirklich in Leipzig jemand darüber aufgeregt, dass der AfD-Stadtrat Siegbert Droese jahrelang mit einem Mercedes Combi herumfuhr mit dem Kennzeichen L-AH 1818? Haben wir uns aufgeregt, dass in seiner Gastwirtschaft am Thomaskirchhof der Leipziger Stadtplan von 1937 hing – warum?, weil dort die Karli als „Adolf-Hitler-Straße“ ausgewiesen ist? Wie war das noch 2019 nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle? Dieses bezeichnete der AfD-Stadtrat und Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich ekelhaft-süffisant als „Sachbeschädigung“ und postete: „Was ist schlimmer, eine beschädigte Synagogentür oder zwei getötete Deutsche?“ Von solchen Nazi-Ganoven wollen die Sachsen regiert werden? Niemals, niemals. Aber dieses Niemals liegt in unserer Hand.
Deswegen müssen wir jetzt aufwachen – aufwachen und Klartext reden mit unseren Nachbarn, Berufskolleg:innen, Vereinskameraden. Überall. Sprecht mit ihnen auf Augenhöhe. Nehmt sie ernst – auch in der Absicht, AfD zu wählen. Bedenkt in allen Gesprächen eines: Ein Wahlsieg der AfD ist kein Selbstläufer. Deswegen muss Schluss sein mit diesen sich quasi selbst erfüllenden Prophezeiungen vor allem in Medien, die AfD würde die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sowieso gewinnen. Wir haben es in der Hand, jede und jeder Einzelne von uns, dass am 9. Juni 2024 und am 1. September die Rechtsextremisten in die Schranken gewiesen werden.
Darum gilt bei allem, was wir an gegenwärtiger Politik, an der Ampelkoalition, an Bürokratie und Ungerechtigkeiten zu kritisieren haben: Beteiligt euch nicht an einer Panikmache, als stünde der Zusammenbruch unseres Landes kurz bevor. Das ist Schwachsinn! Wir leben auch hier in Leipzig in Verhältnissen, die uns Mitwirkung, Freiheit, Vielfalt ermöglichen. Um es etwas banal auszudrücken: Der Strom kommt aus der Steckdose; es ist warm in den Wohnungen; die Mülltonnen werden pünktlich entleert; für meine Sicherheit wird gesorgt; jede und jeder kann sich frei politisch betätigen; wir können teilhaben an einem vielfältigen kulturellen Leben.
Das wollen wir leichtfertigt aufs Spiel setzen? Wollen wir das denen überlassen, die nur eines im Sinn haben: Alles, was störend ist, mit Gewalt auszuschalten – seien es die Migrant:innen, Menschen mit Behinderungen, Menschen, deren Lebensentwürfe uns selbst fremd erscheinen? Wollen wir die Zukunft Europas denen überlassen, die dem Nationalismus frönen und damit den größten Kriegstreiber, nämlich einen Nationalismus mit imperialem Anspruch, befeuern? Wollen wir wirklich Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherheit auf dem Altar völkischer Homogenität opfern?
Jeder, der mit dem Gedanken spielt, AfD zu wählen, soll sich klar machen, dass er sich damit den Metzgern ausliefert, die auf ihrem Hackbrett die demokratischen Rechte zerstückeln. Und jeder, der meint, wählen lohnt sich nicht, soll sich klar machen: Wenn Du nicht wählst, wählst du diejenigen, die Du garantiert nicht willst – und keiner kann wollen, dass die AfD auch nur eine Stimme erhält.
Also, liebe Leute: Nichts ist zufällig, nichts ist gleichgültig! Nehmt eure Verantwortung wahr! Sorgt dafür, dass die Höckes, Weidels, Urbans in die Schranken gewiesen werden. Stärkt unsere Demokratie und tretet ein für Vielfalt, Offenheit und Menschenwürde!
27 Antworten
Lieber Herr Wolff, es gibt eine Sache, die ich nicht verstehe: Warum liegt Ihnen nicht daran, Ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen? Ihre Weggefährten (wie Frau Oltmanns und Herr Jung) sind unbestritten in die Irre gegangen, als sie 2G-Diskriminierungen forderten und friedliche Demonstrationen verunglimpften. Weite Teile der Gesellschaft waren damals in Panik, und der damalige Irrtum ist nicht ehrenrührig, wenn er jetzt zugegeben wird. Aber wie wollen Sie jetzt glaubwürdig gegen die Demokratiefeindlichkeit der AfD auftreten, wenn Sie selbst in der Krise die Demokratie nicht verteidigt haben, und sich nicht einmal im Nachhinein korrigieren? Denn auch wenn jemand absurde Dinge sagt („Plandemie“, „Merkel-Diktatur“), ist das ja von der freiheitlichen Grundordnung gedeckt, die Sie verteidigen wollen. Wenn ich Sie nicht von früher her kennen würde, wären Sie in keiner Weise mehr glaubwürdig. Aufrechte Demokraten (wie Heribert Prantl) erkenne ich daran, dass sie auch die Rechte Ihrer politischen Gegner verteidigen. Bei Ihnen würde ich das auch sehr gerne sehen.
Ich verstehe nicht nur eine Sache nicht, lieber Herr Haspelmath. Vor allem kann ich nicht die Penetranz nachvollziehen, mit der Sie immer den gleichen Unsinn schreiben. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich weder in Panik war noch mir eines Irrtums bewusst bin. Was meine Glaubwürdigkeit angeht, so mache ich mir nur den einen Vorwurf: dass ich in der Pegida-Zeit nicht noch deutlicher gegen die grotesken Verschwörungstheorien aufgetreten bin, mit denen die Rechtsnationalisten versucht haben, die Verunsicherung vieler Menschen schamlos auszunutzen. Wie absurd Ihre Argumentation ist, merkt man spätestens bei dem Satz „Denn auch wenn jemand absurde Dinge sagt …, ist das ja von der freiheitlichen Grundordnung gedeckt“. Nein, es ist nicht gedeckt, sondern der, der Unsinn verbreitet, kann dies aufgrund der garantierten Meinungsfreiheit tun – und gleichzeitig gegen den Geist des Grundgesetzes verstoßen.
Ja, wir sollten auch „Menschen, deren Lebensentwürfe uns selbst fremd erscheinen“ tolerieren, jedefalls wenn wir wirklich Demokratie wollen – also auch Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Es wurde furchtbar gegen sie gehetzt, und sie wurden grundgesetzwidrig monatelang aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Immerhin gibt es jetzt aus der Kirche erste Schuldbekenntnisse, die Hoffnung machen: „Da, wo wir als Kirche Menschen ausgegrenzt haben, sind wir schuldig geworden“, sagt Bischof Tilman Jeremias (https://www.evangelische-zeitung.de/wo-ungeimpfte-diskriminiert-wurden-sind-wir-als-kirche-schuldig-geworden). Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft mehr und mehr diesem Beispiel folgt – vielleicht in Leipzig ausgehend von Ihnen, Herr Wolff? Sie haben sich ja damals mutig gegen die 2G-Diskriminierungen gewandt, haben aber trotzdem einen Aufruf unterzeichnet („Leipziger Erklärung“, Dezember 2021), in dem die Demokratie-Befürworter verunglimpft wurden. Die Entschuldigung dafür steht noch aus – wenn Sie sich dazu durchringen könnten, würde das sicher viele Menschen beeindrucken und der AfD das Wasser abgraben. (Vielleicht auch Frau Taddiken, wo sie jetzt die Bürde des Amtes los ist – wer ein Amt trägt, darf ja nicht anecken und muss dem Mainstream folgen.)
Ich bin froh und dankbar, dass wir auch während der Coronazeit geistesgegenwärtig denen entgegengetreten sind, die scham- und rücksichtslos und unter missbräuchlicher Berufung auf die Friedliche Revolution rechtsextremistische Narrative in der Öffentlichkeit vertreten haben – insbesondere am, 07.11.2020 in Leipzig. Da gibt es nichts zu entschuldigen. Irgendwann werden auch Sie, lieber Herr Haspelmath, das begreifen.
Waren Sie auf der Demo am 7.11.2020 präsent, Herr Wolff? Sie hatten ja schon im Vorfeld zur Blockade aufgerufen, was auch ein undemokratischer Akt war. Die Querdenker-Bewegung war nie „rechtsextrem“, sondern Leute wie Michael Ballweg und Christoph Wonneberger haben sich immer von Extremismus jeder Art distanziert. Extrem war vor allem die Lockdown- und Ausgrenzungspolitik der Regierungen. Wenn Sie Interesse hätten, könnte ich Ihnen mal ein paar Fotos von der Demo am 7.11. schicken – da waren sehr viele Ökos und Christen aus Süddeutschland vom Typ Jürgen Fliege und Stefan Hüneburg anwesend, denen Sie sicher keinen Rechtsextremismus vorwerfen würden. Aber bei den friedlichen (und oft verfassungswidrig unterdrückten) „Spaziergängen“ vom Dezember-Januar 2021/22 ging es ja gar nicht mehr um Lockdowns, sondern um die rechtswidrigen Ausgrenzungen („2G“), denen Sie auch selbst erfreulicherweise widersprochen hatten. Und in der „Leipziger Erklärung“ wurde nicht vorwiegend Rechtsextremismus angesprochen, sondern die Menschenrechtsbefürworter wurden des „Egoismus“ bezichtigt – als ob wir im maoistischen China wären, wo die individuellen („egoistischen“) Rechte der Menschen nichts galten und alle den weisen Entscheidungen der Regierung Folge leisten mussten. Es mag natürlich sein, Herr Wolff, dass ich meine Meinung in Zukunft ändern werde, aber wohl nur wenn ich gute Argumente höre. Ihr Vorwurf des Rechtsextremismus an die Demo von 2020 ist jedenfalls kein Argument für die Verunglimpfung friedlicher Demonstranten ein Jahr später. Ich warte auf weitere Argumente von Ihnen, oder vielleicht doch auf eine Entschuldigung.
Irgendwie traurig-putzig: Immer mehr Bürger:innen erkennen erfreulicherweise die große Gefahr, die vom organisierten Rechtsextremismus ausgeht, und treten deutlich und hoffentlich nachhaltig für die Demokratie ein – und Sie arbeiten sich weiter daran ab, Schuldbekenntnisse einzufordern, rechtsextremistische Umtriebe in der Corona-Zeit schönzureden und die schamlose Vereinnahmung der Friedlichen Revolution durch die AfD zu rechtfertigen.
Aber woher kommt die Gefahr des organisierten Rechtsextremismus? Es reicht ja nicht, zu warnen und zu verdammen, sondern man muss versuchen, die wachsende Beliebtheit des Rechtspopulismus zu verstehen. Viele Menschen (auch ich) haben die Corona-Verbote schon früh als autoritär und undemokratisch empfunden, und inzwischen ist klar, dass die Querdenker in praktisch allem Recht hatten! Das ist genau die große Tragik, und da könnten Sie eine konstruktive Rolle spielen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es ein rechtzeitiges Umdenken bei eigentlich vernünftigen Menschen wie Ihnen geben könnte, und dass die Gesellschaft wieder zusammen kommen könnte. (Das gilt natürlich auch für den hoffnungslosen Ukraine-Krieg, und vielleicht in Zukunft für die hoffnungslose Konfrontation mit China. Wir brauchen eine Rückkehr zur Politik von Willy Brandt, zu Gerechtigkeit und Vernunft.)
„…, dass die Querdenker in fast allem Recht hatten!“ Wie blind und taub muss man gewesen sein (auch am 07.11.2020), um eine solche Aussage zu treffen. Da wurden China wie ein Heilsbringer gelobt, „Putin, rette uns!“ Plakate getragen, Bill Gates als der Erfinder des Corona-Virus ausgemacht, das Deutschland 2020 zur Diktatur erklärt (schlimmer als Honnecker, wahrscheinlich auch als Hitler) – aber keinem fiel offensichtlich auf, dass in dieser „Diktatur“ eine Massendemo möglich war. Na ja, verharren Sie weiter in Ihrem Turm und genießen Sie dort weiter den geistigen Freiraum der Querdenker.
Man sollte meines Erachtens nicht gering schätzen, dass die institutionellen Rahmenbedingungen, die wir dank der Weitsicht der Schöpfer des Grundgesetzes vorfinden, eine Machtübernahme durch Extremisten wie zu Weimarer Zeiten praktisch unmöglich macht. Wieso darf das kein Grund zu (relativer) Beruhigung sein? Außerdem gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Machtorgane der Exekutive (Polizei, Armee, Geheimdienste) nicht bereit sind, die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. Letztendlich geschah das auch in Washington im Januar 2021. Von einer Putschgefahr zu reden, wäre absurd (die Reichsbürgerposse kann man vergessen). Wenn man nicht Antifa-Rollkommandos das Wort reden will, bleibt es dabei, dass über die Machtbeteiligung im Lande an der Wahlurne entschieden wird. Und nur so können die Bürger etwas „zulassen bzw. verhindern“.
Die Demonstrationen der letzten Tage haben noch einmal unterstrichen, dass die AfD nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. Damit das so bleibt, oder noch besser, damit der Zuspruch zur AfD wieder abnimmt, bedarf es einigen Engagements. Inwieweit die Demos diesbezüglich etwas bewirkt haben, wird man sehen. Neuerliche Umfrageergebnisse deuten nicht darauf hin. Fakt ist auch, dass die „Geheimtreffen“-Affäre der AfD eine Flut neuer Mitgliedsanträge beschert hat.
Der Aufruf, mit Freunden, Bekannten, Vereinskollegen Klartext zu reden und mit ihnen über die AfD ins Gespräch zu kommen, ist in Ordnung. Mich würde sehr interessieren, welche Erfahrungen die hier an der Diskussion Beteiligten dabei machen bzw. bisher gemacht haben. Ich selbst habe seit Jahren mit offensichtlich AfD-affinen Leuten zu tun. Mein erster umfangreicherer Text zum Thema stammt von 2016, damals geschrieben für unseren Nachdenkseiten-Gesprächskreis („Zur Kritik der AfD“, 0.7.07.2016, https://www.directupload.net/file/d/7175/vksvxm6t_pdf.htm ). Anfangs ging auch ich ziemlich konfrontativ zu Werke. Dann ist mir bald klar geworden, dass mit schrillen Tönen nichts zu gewinnen ist. Um weiterhin ernst genommen zu werden, käme ich z. B. auch nicht auf die Idee, diesen törichten „Wannseekonferenz“-Vergleich anzubringen, zumal die Seriosität von Vereinen wie „Correctiv“ sowieso etwas in Frage steht. Ich höre mir also die Kritiken an Staat und Regierung an, bestätige diese, wo angebracht, und versuche Denkanstöße zu geben, wo aussichtsreich. Ansonsten lebe ich vor, dass man die Verhältnisse in unserer Gesellschaft sehr wohl fundamental und engagiert kritisieren kann, ohne sich mit dieser obskuren AfD-Truppe gemein machen zu müssen. Automatisch landet man dann bei Wagenknecht, die meistens überschwänglich gelobt, ihr Projekt dann aber doch kritisch betrachtet wird, weil viele dahinter eine Spaltung der Opposition sehen. Wie wichtig menschliches Feingefühl bei all den Auseinandersetzungen ist, soll zum Abschluss folgende Story illustrieren: Eines Tages, es ist nun schon ein paar Jahre her, besuchte uns auf unser Datsche im Leipziger Umland ein enger Verwandter gemeinsam mit drei syrischen Flüchtlingen, die er damals betreute. Der erste, der angerannt kam und fragte, was diese Leute eventuell an Hausrat benötigen und der drauf und dran war, jedem von ihnen fünfzig Euro in die Hand zu drücken, war unser AfD-freundlicher Nachbar! Von letzterem haben wir ihn abgehalten, da er selber ein armer Hund war.
Keine Frage: Das Leben ist voller Widersprüche. Insofern konterkarieren persönliche Erlebnisse immer wieder politische Überzeugungen bzw. Beurteilungen bestimmter Situationen. Da könnte ich auch viele Geschichten erzählen. Außerdem stimme ich Herrn Lerchner zu, dass die analoge Kommunikation, sprich: das direkte Gespräch, eine große Bedeutung hat in der Auseinandersetzung mit denen, die dazu neigen, AfD zu wählen. Ob man aber deswegen „automatisch“ bei Wagenknecht landet, wage ich doch zu bezweifeln. Ebenso halte ich wenig davon, die Gefahr, die von den Rechtsnationalisten und Rechtsextremisten der AfD, in irgendeiner Weise zu relativieren. Insofern bin ich froh und dankbar, dass sehr aufmerksame Journalist:innen von „Correctiv“ ans Tageslicht gebracht haben, was leider dutzendfach geschieht: ideologische Anknüpfungsseminare zum Nationalsozialismus. Darum werde ich weiter und mit Nachdruck im Blick auf das Potsdam-Treffen der Rechtsextremisten von einer „Wannseekonferenz 2.0“ sprechen und werde mich auch nicht von FAZ, NZZ u.a. eiunlullen lassen, bei uns könne in Sachen demokratischer Rechtsstaat nichts anbrennen. Nein, es sind eben nicht die formalen Strukturen der demokratischen Institutionen, die sie sichern – es sind die Bürger:innen, die dafür Sorge tragen müssen, dass Antidemokraten a la Höcke niemals das Sagen bekommen.
„Darum werde ich weiter und mit Nachdruck im Blick auf das Potsdam-Treffen der Rechtsextremisten von einer „Wannseekonferenz 2.0“ sprechen“
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Nach Berichten über ein Treffen Rechtsextremer mit Politikern von AfD und CDU in Potsdam mahnt der Zentralrat der Juden zu größter Vorsicht bei Vergleichen mit der sogenannten Wannsee-Konferenz der Nazis. »Der industrielle Massenmord an den europäischen Juden ist in seiner Kaltblütigkeit und Wahnhaftigkeit singulär in der Geschichte«, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur.
Doch fügte Schuster hinzu: »Das Treffen in Potsdam von AfD-Funktionären mit der Identitären Bewegung zeugt aber ohne Frage von einer Brutalität im Denken, das sich gegen die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft richtet.«
© Jüdische Allgemeine 22.01.2024 https://ogy.de/s2ot
„unseren Nachdenkseiten-Gesprächskreis“
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Der „Focus“ vom 27. 1. 24 ordnet die NachDenkSeiten (128.000 Abonnenten bei YouTube, knapp 56.000 bei X) als prorussisch ein. Er mache Verschwörungstheorien hoffähig.
Sie sollten doch meine Ausarbeitung lesen!
Käfer gibt also die Hoffnung nicht auf – das ist schön und es eint uns, wie auch die Bewertung der Protestmärsche als „ermutigend“. Daß er ansonsten auf keine Argumente eingeht, sondern nur seine Komplexschleife bedient, ist eher traurig. Es lohnt nicht so recht, auf diese einzugehen, aber vielleicht ist doch der Hinweis angebracht, daß 80% der Öffentlichkeit Merz in seiner Bewertung der augenblicklichen Regierung zustimmen – und das sollte auch ihm zu denken geben. Es stimmt: Die Schwäche der Regierung bringt die Opposition nicht voran. Aber die Tatsache bleibt, daß die Union in den heutigen Zeiten der parteilichen Aufsplitterung ihre Prozentzahl halten kann, während alle anderen demokratischen Parteien erschreckend verlieren. Das alleine schon macht sie, noch jedenfalls, zum Anker der Stabilität.
Aber die Frage der AfD-Bekämpfung geht darüber ja hinaus. Ich bleibe bei meinem Vorschlag, den Käfer in seinem Eifer nicht erkannt hat: Bei allem Respekt vor den Demonstranten müssen wir in DEU aufhören, uns in der Öffentlichkeit GEGEN etwas aufzustellen und stattdessen beschreiben, WOFÜR wir sind. Und deshalb erneut mein Petitum: Lassen Sie uns in den nächsten Monaten aufhören, über die AfD zu reden (auch übrigens über die anderen Splitterparteien neu und alt) und lassen Sie uns stattdessen darstellen und diskutieren, welche Ideen wir haben, um die Zukunft zu gestalten – insbesondere in den so aktuellen Gebieten der Migration, Europas, der Sicherheit und Verteidigung im Inneren und Äußeren, des Klimas und der Wirtschaft, des Sozialen. Leider, so fürchte ich, wird ein solcher Versuch eben zeigen, daß die Einigkeit der Demonstranten GEGEN etwas im Versuch des FÜR-etwas-Seins schnell zerbrechen wird. Dennoch aber hielte ich einen solchen Versuch nicht nur für konstruktiver im Inhaltlichen, sondern auch für eine erfolgversprechendere Strategie im Kampf gegen die Rechten und gegen die Zersplitterer.
Andreas Schwerdtfeger
In seinem neuen Buch („Triggerpunkte“) argumentiert Steffen Mau, dass die Gesellschaft in Deutschland gar nicht so sehr gespalten ist, wie oft behauptet wird. Die Verwendung von „Triggerbegriffen“ wie z. B. Gendersternchen, Kosten des Klimawandels usw. heizt dagegen die gesellschaftliche Diskussion deutlich an und beeinflusst die Gesprächsatmosphäre negativ.
Als Beispiele aus diesem Blog fallen mir spontan „Wolff/AfD, BSW, Corona“, oder kritische Worte zu Merz bzw. Kretschmer ein. Da haben dann „DIE“ keine Ahnung, sind „hirnlos“, argumentieren mit persönlichen Beleidigungen, während „MAN SELBST“ doch Universalgenie ist und stets sachlich argumentiert.
Merz, der sich ja u.a. mit dem Argument zur Wahl als CDU-Parteivorsitzender beworben hatte, er traue sich zu, die Stimmanteile der AfD zu halbieren, sieht die alleinige Schuld dafür, dass dies bislang nicht gelungen ist, bei der Ampel („Schlechteste Regierung, die D je hatte“).
Vielleicht lässt die Vorfreude auf künftige Wahlerfolge der BSW Manchem die AfD in einem milden Lichte erscheinen („sie wäre durch die Mechanismen der streitbaren Demokratie … an einer Machtübernahme … gehindert“); das steht ja auch schließlich in einer Zeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt!
Und die Wiederherstellung des Friedens in Europa wird sicher „nicht durch Ventilieren von Kriegshysterie“ herbeigeführt werden können; da stimme ich Herrn Lerchner ausdrücklich zu. Ich vermute aber stark, dass er damit primär die Einstellung der Unterstützung für die Ukraine mit Waffen, Munition und Kapital meint, sowie die Aufhebung der Sanktionen gegenüber Russland; da wäre ich dann allerdings zu 100% gegenteiliger Meinung!
Schließlich gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass die ermutigenden Protestaufmärsche der letzten Tage gegen die AfD die Themen „Corona-Diktatur“, „Wir sind das Volk“ und „massenweise illegale Immigration“ zumindest bei einigen Hardcore-Bloggern relativieren.
Es ist wohltuend, dass in der gegenwärtig aufgewühlten und aufgeheizten Atmosphäre sachliche und besonnene Stimmen zu vernehmen sind. In der heutigen Ausgabe der FAZ analysiert Prof. Friedhelm Hufen, seinerzeit Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, welche Auswirkungen unterschiedliche Formen von Machtausübung- bzw. -beteiligung durch die AfD auf die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland haben könnten (Friedhelm Hufen, „Keine wirkliche Gefahr für die Verfassung“, FAZ 25.01.2024. Der Aufsatz kann im FAZ-Archiv erworben werden). Er unterscheidet die folgenden Szenarien: (1) Vereinbarte Duldung oder Zusammenarbeit, (2) Beteiligung an einer Landesregierung, (3) AfD-geführte Landesregierung, (4) verfassungsändernde Mehrheit auf Landesebene, (5) mehr als ein Drittel Mitglieder im Bundestag, (6) AfD-Minderheitsregierung auf Bundesebene, (7) „Kanzlermehrheit“ für die AfD, (8) Zweidrittelmehrheit im Bund für die AfD, (9) rechtsextremer Bundespräsident. Weiterhin diskutiert er eine mögliche Einflussnahme der AfD auf das Bundesverfassungsgericht. Sein Fazit lautet: „Eine extremistische Partei könnte auf allen Ebenen der Staatlichkeit viel Unheil anrichten, sie wäre aber durch die Mechanismen der streitbaren Demokratie und der horizontalen wie vertikalen Gewaltenteilung im Grundgesetz an einer scheinlegalen „Machtübernahme“ oder einer Beseitigung wesentlicher Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehindert.“ Zudem sei es wesentlich zu akzeptieren, und da fühle ich mich in meiner hier oft vertretenen Meinung bestätigt, dass institutionelle Sicherungen nicht ausreichen, wenn es nicht gelingt, einen offenen Diskurs zu den brennenden Problemen der Gesellschaft zu führen. Wenn scheinbar die AfD ein Monopol für bestimmte Themen innehat, dann nur deshalb, weil diese tabuisiert oder einfach und bequemerweise zum AfD-Narrativ erklärt werden, wie es ja auch hier im Forum festzustellen war. In diesem Sinne und in der gleichen Zeitung („Gehört die AfD zu Deutschland?“, FAZ 25.01.2024, https://www.directupload.net/file/d/7173/5o3wyazt_pdf.htm ) stellt sich Peter Voß (ehem. Intendant des Südwestfunks und stellvertretender Chefredakteur im ZDF) auf die Seite der „Zeitgenossen, die mit den Zielen der Demonstranten grundsätzlich übereinstimmen, aber die Lösung der Probleme eines vom wirtschaftlichen Niederganges bedrohten Landes für den einzigen gangbaren Weg halten, mit der AfD auf Dauer fertig zu werden.“ So verstehe ich übrigens auch Andreas Schwerdtfeger.
Ich möchte gern den Kopf frei bekommen für die Fragen, die uns tatsächlich weiterbringen: Was kann D. tun, damit der Frieden in Europa wieder hergestellt und der fortschreitenden, neuerlichen Blockbildung in der Welt entgegengewirkt wird? Sicherlich nicht durch Ventilieren von Kriegshysterie! D. ist einer der Hauptleidtragenden des Ukrainekrieges und wird mit noch schlimmeren Folgen konfrontiert werden, falls durch den Welthegemon eine wirtschaftliche Entkopplung vom „Systemrivalen“ erzwungen werden sollte (https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/wirtschaftliche-risiken-fuer-deutschland-aus-der-verflechtung-mit-china-922432). Welche wirtschaftspolitischen Dogmen (z. B. bezüglich Industriepolitik und Staatsfinanzierung) müssen beiseite geräumt werden, damit D. wirtschaftlich nicht weiter abgehängt, die deutsche Industrie nicht zunehmend an Konkurrenzfähigkeit einbüßt und unser Land sich nicht weiterhin dem Gespött der Welt aussetzt, weil es seine, für eine Industrienation in blamabler Weise verfallende Infrastruktur nicht in den Griff bekommt?
Apropos „Narrativ“: Hier wird das Narrativ bedient, dass Deutschland kurz vor dem Abgrund steht (was ziemlich absurd ist), um von da aus die Bedrohung der freiheitlichen Demokratie durch die AfD und den organisierten Rechtsestremismus zu relativieren (alles nicht so schlimm). Dabei wird verkannt, dass der Rechtsextremismus sich in einer Zeit verfestigt hat, als es weder nennenswerte Migration noch einen Ukrainekrieg gab. Das ist eben der große Trugschluss aller so rational daherkommenden Leute wie ein Prof. Hufen: Sie gehen davon aus, dass sich Rechtsextremisten – wenn sie die Möglichkeit haben – sich noch an irgendwelche Verfassungsgrundsätze halten. Wir haben am 06. Januar 2021 in Washington gesehen, wie schnell eine Demokratie zerstört werden kann. Trump und sein Heritage Fund planen derzeit, so „schwach“ nie mehr aufzutreten. Entscheidend für mögliche Entwicklungen ist nicht, was auf dem Papier steht, sondern was die Bürger:innen zulassen bzw. verhindern. Darum ist es so wichtig und so erfreulich, dass jetzt endlich die Leute aufgewacht sind und erkennen, dass es von ihrem Engagement abhängt, wie sich Demokratie und Rechtsstaat entwickeln. Niemand sollte sich aber wieder einlullen lassen von denen, die – aus welchen Gründen auch immer – die Menschen wieder einlullen nach dem Motto „Alles nicht so schlimm“.
Hier verharrt einer in seiner Tonlage (Wolff, 16. Nov 2023, 14.25h) – und das erinnert so fatal an Trump. In Sachen Meinung trennt vieles Lerchner und mich und dennoch suchen wir nach Lösungen. Wolff dagegen hat ein paar Vorurteile, die hier wieder deutlich hervortreten, und das ist es dann. Und mit seinen ewig gleichen angstgeprägten und einseitigen Murmeltier-AfD-Thematisierungen treibt er die Leute in deren Arme – zumal er ja jede konkrete inhaltliche Argumentation verweigert.
Die AfD bekämpft man nicht durch ewig gleiche Beschimpfung, so berechtigt diese sein mag. Man bekämpft sie auch nicht durch zweifelhafte persönliche Geschichtsinterpretationen darüber, ob und wann der Rechtsradikalismus wo begonnen hat. Man bekämpft sie schließlich nicht durch Angst.
Man bekämpft sie stattdessen durch drei Taktiken:
– Anerkennung von Problemen, die die politischen Diskussionen beherrschen, anstatt eine solche Position immer als „Relativierung“ oder „radikal“ zu bezeichnen. Nur der, der die Existenz von Problemen sieht, kann sie lösen. Wer stattdessen diese Anerkennung zu persönlicher Diffamierung nutzt, verstärkt das Problem.
– Anerkennung der Tatsache, daß Probleme durch begrenzte Ressourcen zu ihrer Lösung – Finanzen, Raum, Mentalität – immer priorisiert werden müssen und nur zu Teilen erreichbar sind. Eine sture Haltung à la Wolff ist schädlich.
– Anerkennung anderer Meinungen als gleichberechtigter Versuch, zur Lösung beizutragen, und Suche von Kompromissen, also Verzicht aufs Beharren in seiner Tonlage und ausweichen ins Persönliche.
Im Ziel, die AfD zu reduzieren, stimmen wir überein. Dazu gehört:
– Aufhören, diese Partei ständig zu thematisieren, stattdessen ihre Themen besetzen und positive, überzeugende Politikansätze zu präsentieren (aber konkret und nicht mit Schlagworten).
– Kompromisse zwischen konkurrierenden Zielen zu entwickeln und mitzutragen, auch wenn es weh tut.
– Optimismus statt Angst – wer folgt schon jemandem, der sich dauernd krümmt.
Und auch ich freue mich darüber, „dass jetzt endlich die Leute aufgewacht sind“ – nur ist es eben ein Irrtum zu glauben, daß dies „Engagement“ sei. „Engagement“ (aus dem französischen) bedeuten soviel wie „in Verbindung treten“ und ist also eine Zweibahnstraße. Unter sich zu bleiben mit ein paar Plakaten ist was anderes. Dies ist ja auch der Irrtum einiger Mitblogger hier: Persönliche Beschimpfung und argumentationslose Insistenz auf der eigenen Meinung ist nicht Engagement, sondern eben Rechthaberei. Ihre Tonlage muß sich halt ändern, Herr Wolff.
Andreas Schwerdtfeger
Tja, lieber Herr Schwerdtfeger, Ihre Spiegelstriche sind für sich genommen ziemlich unstrittig. Ihr letzter Absatz zeugt davon, dass Sie offensichtlich keine Ahnung bzw. persönliche Anschauung haben von denen, die sich derzeit stark engagieren. Das sind alles Leute, die nicht unter sich bleiben wollen (dann würden sie weiter zu Hause hocken und still vor sich hin brummeln). Sie wollen mit allen in Verbindung treten, die sich – bei aller sonstigen Unterschiedlichkeit – darin einig sind, den Angriff der Rechtsnationalisten von der AfD auf Demokratie und Menschenrechte abzuwehren und sich deswegen neu in den demokratischen Diskurs einzubringen. Insofern ist Ihr letzter Satz nur als ein Gegrummel eines Menschen zu werten, der offensichtlich alles besser weiß, aber nie seine vier Wände verlässt und sich unter die Leute begibt. Beste Grüße, Christian Wolff
“ Wir haben am 06. Januar 2021 in Washington gesehen, wie schnell eine Demokratie zerstört werden kann.“
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Das Phänomen Trump speist sich aus seiner Bekanntheit als Entertainer und Immobilienmogul (zweifelhaften Erfolgs). Man wählt ihn, weil er nicht zum politischen Ostküsten-Establishment zählt, mehr ein Antipolitiker ist. In kleinerer Ausführung wurde jetzt Javier Milei zum argentinischen Präsidenten gewählt. Glücklichweise existieren bei der AfD solche Typen nicht. Auch nicht ein smarter Typ wie weiland Jörg Haider in Österreich.
Es reicht ein Björn Höcke, der jeden Tag vor dem Spiegel den Hitler/Goebbels übt … Außerdem ist Trumop kein „Phänomen“, sondern ein gefährlicher Zerstörer der Demokratie, unterstützt von zu vielen Milliardären in den USA wie Musk.
Gute Rede,sehr sachlich und nachdenkenswert,danke.
In seinem eher durchschnittlichen und einseitigen Buch über die Deutschen (Originaltitel „Out of the Darkness, deutscher Titel „Aufbruch des Gewissens“ – ein Buch, das Ihnen, lieber Herr Wolff, sicher besser gefallen würde als mir) schreibt der Autor Trentmann den richtigen Satz: „Remembrance of the past cannot avoid responsibility in the present. After decades of knowing what they are against – never again, Hitler and Auschwitz – Germans need to figure out what they are for“. Und genau hier liegt das Problem der augenblicklichen Demonstrationen und insbesondere auch Ihrer Rede: Alles vergangenheitsbezogen, alles schwammig und vage (mit Ausnahme von aggressiven und teils verunglimpfenden Plakaten), keine einzige konkrete Idee, die uns die Zukunft weist – alles also auch ein bißchen jämmerlich:
Sie hätte die Chance gehabt,
– ein Bild unserer Republik als tolerante Gesellschaft über demokratische Parteiengrenzen hinweg zu beschreiben (stattdessen Ihre offene oder versteckte Feindschaft zu Biedenkopf und kein Wort zu den Entgleisungen Eskens);
– das „Bunt“ in unserer Gesellschaft als mehr als nur eine einseitige Rechthaberei (zB Haspelmath und sein Corona-Komplex) zu definieren und die Demonstranten zur Mitte aufzurufen und nicht zur Parteienaufsplitterung an den Rändern;
– die „Zukunft Europas“ zu beschreiben, zB als mehr als nur eine bürokratische Verteilungsorganisation von Geld und Blockadeorganisation gegenüber Flüchtlingen, sondern als Souverän und Akteur in einer globalisierten Welt (wozu es freilich andere Leute als Leyen oder Borrell, aber auch eine andere gesellschaftspolitische Einstellung in den Mitgliedsländern zur EU braucht);
– die Rolle der Bundesrepublik in Europa zwischen Mahner und Antreiber, zwischen aus der Vergangenheit resultierenden Sorgen und Vorbehalten und in die Zukunft weisenden Verantwortungen und Wegen in den entscheidenden Politikfeldern (Verteidigung und Sicherheit, Handel und Fairness, Klima und Wirtschaftsleistung, etc), zwischen Demut und Antreiben kurz darzustellen.
Stattdessen? Phrasen und Schlagworte – zB „den größten Kriegstreiber, nämlich einen Nationalismus mit imperialem Anspruch, befeuern?“ – ja, da wissen die Leute genau, was sie zu tun und anzustreben haben, nämlich das nicht, aber was stattdessen?
Ihre Rede, lieber Herr Wolff, ist populistisch, weil einfach und schlagwort-durchsetzt. Sie beschreibt Ihre Vergangenheitswahrnehmung und vermeidet Ihre oder auch nur eine Zukunftsvorstellung. Sie erklärt uns, was wir NICHT wollen, und enthält nichts zu dem, was wir wollen oder wollen sollten. Der Schlußsatz „Stärkt unsere Demokratie und tretet ein für Vielfalt, Offenheit und Menschenwürde“ ist schön und richtig. Hätten Sie vorher beschrieben, wie das in einer zunehmend zersplitterten Gesellschaft geht, es wäre toll gewesen – denn wir wissen ja, daß die Zehntausende, die sich überall versammeln, sofort intolerant aufeinander losgehen, wenn zB konkret die „soziale Gerechtigkeit“, der Verkehr, die Strompreise, die Autobahngeschwindigkeit, etc, auf den Tisch kommen. Also, lieber Herr Pfarrer, beschreiben Sie mal das Ziel und nicht die Ausgangspunkte – das können Sie doch!
Andreas Schwerdtfeger
Die Verdeutlichung der Hintergründe Ihrer Position sind erhellend und sehr hilfreich.
Tolle Rede, der man folgen kann und muss.
Danke!
Gute Rede. Herr Droese hat mich mal im „Don Giovanni“ bedient, und ich gab ihm Trinkgeld…