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Eine ziemlich verquere Kritik – Bemerkungen zu Ulrich Körtners Kommentar zu den „Elf Leitsätzen“ der EKD

Keine Frage: Die „Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“ des sog. Z-Teams der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind sprachlich wie inhaltlich ein Zeugnis einer horrenden Armseligkeit kirchenleitenden Handelns. Werden diese Leitsätze tatsächlich auf der EKD-Synode verhandelt oder gar verabschiedet, so käme dies einer Bankrotterklärung der evangelischen Kirche gleich. Doch nicht jede Kritik an den „Elf Leitsätzen“ trifft den Kern des Problems – schon gar nicht, wenn sie offensichtlich dazu beitragen will, den theologischen und gesellschaftspolitischen Diskurs weiter nach rechts zu verlagern. So verhält es sich mit den Einlassungen des Wiener Theologen Ulrich Körtner. Er ist schon lange unterwegs mit seiner Polemik gegen die „moralisierende Auslegung des Evangeliums“, gegen die Wahrnehmung des prophetischen Wächteramtes der Kirche bzw. ihre gesellschaftspolitische Positionierung. So warf Körtner der evangelischen Kirche vor, die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel „moralisch überhöht“ zu haben (https://www.evangelisch.de/inhalte/147250/30-11-2017/theologe-koertner-afd-mit-realpolitik-konfrontieren). Das wiederholt er in seinem Gastkommentar in „Christ & Welt“ (https://epaper.zeit.de/article/c54cf3198464e168d7ef8419fb6bfced9126271b5da91e2ad955c6939c79ceb9) Unter der Überschrift „Gott nur als Chiffre“ bemängelt Körtner, dass in den Leitsätzen zentrale Inhalte wie Tod und Auferstehung Jesu und ihre Heilsbedeutung, Sünde und Vergebung, zerrüttete Gottesbeziehung und Gottesferne ausgeklammert werden. Er wirft den Autoren vor, die Kirche zu einer „sozialen Bewegung“ umbauen zu wollen – ganz im Sinne des „kulturprotestantische(n) Liberalismus und eine(r) linksliberale(n) politische(n) Theologie“. Da kann der Vorwurf nicht überraschen, dass die Kirche nur noch als „Hintergrundorganisation der Diakonie“ agiere.

Verdächtig an Körtners Argumentation ist allerdings, dass er die Diakonie lediglich als „Aushängeschild der Kirche“ und nicht etwa als entscheidende Lebensäußerung der Kirche und des Glaubens betrachtet. Spätestens da wird deutlich, dass Körtner wie so viele andere mit falschen Alternativen arbeitet. Letztlich macht er dasselbe, was er vollkommen berechtigt den Autor/innen der „Elf Leitsätze“ vorwirft. Denn er reißt auseinander, was zusammengehört: Glaube und Leben, Kontemplation und Aktion; „Beten und Tun des Gerechten“ (Dietrich Bonhoeffer). Körtner ist zuzustimmen, wenn er in den „Elf Leitsätzen“ biblische Bezüge und zentrale Glaubensaussagen vermisst. Aber daraus zu schließen, dass es den Autor/innen ausschließlich um „sozialpolitisches Handeln“ geht, ist allein schon deswegen vermessen, weil es daran im kirchlichen Alltag eher mangelt, als dass es ein Zuviel gibt. Mit anderen Worten: Mit der Alternative Glaube versus Diakonie kommt keiner weiter. Es geht um die Verbindung, die Einheit von GlaubensBildung und konkretem Handeln vor Ort. Das entspricht der prophetischen Botschaft und der Verkündigung Jesu. Zwei Zitate für viele andere: „Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.“ (Die Bibel: Matthäus 9,12.13) und natürlich das Doppelgebot der Liebe: „Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, 30und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« (5. Mose 6,4-5). Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ (Die Bibel: Markus 12,29-31).  Kirche kann nie genug tun für ein moralisch gebundenes Leben, für ein „ethisches Programm der Humanität“. Wer das kritisiert, muss sagen, was denn an einer human agierenden Kirche schlecht sein soll und wie denn anders Zeugnis vom auferstandenen Christus abgelegt werden kann, als gegen die Todesmächte in dieser Welt aufzustehen oder auf dem Friedhof anzusingen. Wir können doch froh und dankbar dafür sein, dass die Botschaft Jesu zutiefst moralisch, human, den einzelnen Menschen achtend und ihn in seiner Not aufbauend ist. Leider hinkt jede/r von uns diesem Anspruch hinterher.

Allerdings beinhaltet die biblische Botschaft noch sehr viel mehr: sie achtet jeden Menschen als Geschöpf Gottes; sie entlarvt ihn als fehlbares Wesen, das im Widerspruch zu Gott steht; sie stellt einen Zusammenhang zwischen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und mangelndem Gottvertrauen her, sie verbindet Gottes- und Menschendienst als Einheit, sie lässt uns durch die Gute Nachricht von der Auferstehung Jesu nicht abfinden mit den realen Verhältnissen; sie entlastet uns von der tödlichen Versuchung, in einen letzten Entscheidungskampf einzutreten, indem sie die Hoffnung auf Gottes neue Welt eröffnet und uns dadurch die Grenzen der Endlichkeit anerkennen lässt.

Davon ist weder in den „Elf Leitsätzen“ noch in der Kritik von Ulrich Körtner die Rede. Daher rührt dann auch, dass weder die Leitsätze noch Körtner etwas Wesentliches beitragen können zu dem, was Kirche vor allem ausmacht: die sich vor Ort versammelnde Gemeinde und der Gottesdienst als Quelle von Gewissheit, um Glauben im Alltag zu leben. Während die „Elf Leitsätze“ beides zur Disposition stellen, beschränkt sich Körtner auf die saloppe Bemerkung, dass in den Leitsätzen „das traditionelle Gemeinde- und Gottesdienstleben im Geiste moderner Unternehmensberatung einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterzogen“ wird. Da kann ich nur sagen: Wenn wir uns einer solchen (selbst-)kritischen Prüfung wenigstens einmal stellen würden! Wenn wir wenigstens entschlossen daran gingen, die kirchliche Kernarbeit – Gemeindeaufbau und Gottesdienst – zu qualifizieren! Wenn wir endlich unsere Alleinstellungsmarkmale wertschätzen und uns auch durch Zahlen ehrlich machen, wäre schon viel gewonnen! Das aber entbindet niemanden von der Aufgabe, klar zu benennen, was zum Wesen der Kirche unbedingt dazu gehört: Gemeinde vor Ort zu bauen, Gottesdienst zu feiern, Glauben zu bilden und zu stärken und auf diesem Fundament sich den Menschen zuzuwenden. Mögen die Autor/innen der „Elf Leitsätze“ „Gott nur als Chiffre“ gebrauchen – es überzeugt wenig, wenn in Körtners Kommentar Gott als Chiffre für neurechtes, theologisches Denken herhalten muss.

5 Antworten

  1. Für Kommentatoren nachfolgend interessante Verweise auf Podcasts (DLF/Tag für Tag, aus Religion und Gesellschaft / Sendung 03.08.20) zur Auffassung U. Körtner über die Zukunft der protestantischen Kirchen und Möglichkeiten der Besinnung auf DAS FUNDAMENT eben dieser.
    Auch der zweite Beitrag offenbart einiges:
    aufs_diesseits_fixiert_der_theologe_ulrich_koertner_zur_dlf_20200803_0946_f0b6dae2.mp3
    die_verzwergung_der_grosskirchen_zur_zukunft_des_dlf_20200803_0936_88b61ebc.mp3
    Bedauerlich, dass Herr Körtner auf konkret gestellte Fragen weitestgehend unkonkret bleibt.
    Somit ist die Kritik Chr. Wolffs nicht unberechtigt
    Und eigentlich – ich weiderhole es erneut – muss endlich ein umfassendes Podium zu diesem sehr komplexen Thema: „Zukunft unser Kirchen“ initiiert werden; der Gesprächsbedarf, erst recht nach den Thesen der EKD und dem Verharren auf Strukturdebatten wird innerhalb öffentlicher Debatten mehr und mehr nötig. Allein auf synodalen Ebenen sind diese gravierenden Einschnitte, wie wir sie seit Jahren erleben, nicht zu klären.
    Formuliert eine Gastkommentatorin im SONNTAG (Nr.: 28/12.07.20): „Als Kirche täten wir gut daran, den Niedergang aktiv zu verwalten und somit Gestaltungsmöglichkeiten zu haben…“; ja, dann beschreibt es den Zustand einer bedenklichen Ohnmacht und Visionsunfähigkeit.
    Einen Niedergang aktiv gestalten – für mich ein Paradoxon!
    Wie sagte einst ein Bundespräsident? „Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen!“ Das gilt heute auch für unsere Kirche, denn auch sie ist Teil unserer demokratischen Zivil-Gesellschaft !!

  2. Die Leitsätze des Z-Teams wirken auf mich in weiten Teilen wie der Bericht einer Unternehmensberatung zur gegenwärtigen Situation und künftigen Orientierung einer (beliebigen) Organisation. Da werden sinkende Mitgliederzahlen („Umsätze“) festgestellt und die Ausdünnung der Parochien und Gottesdienste empfohlen („Flächenorgansiation“ und „Breite des Produktangebots“), aber auch Synergieeffekte (Ökumene) angesprochen (zu Recht).
    Unpassend scheint mir, dass Kirche dabei nur als x-beliebige Organisation gesehen wird – die sie sicher auch ist, aber eben nicht nur sein sollte!
    Gerade in Zeiten zunehmender Individualisierung, Konzentration auf das Materielle, digitaler Kommunikation und örtlicher Flexibilität („Globalisierung“) wird die Sinn- und Orientierungssuche für Menschen essentiell. Vor allem Kirchen sollten hier doch eigentlich ihre Kernkompetenz haben. Stattdessen überlassen sie dieses „Spielfeld“ vielfach Scharlatanen, Populisten, Menschenfängern…

    Wenn ich nur von mir persönlich ausgehe: 2016 nach Leipzig gezogen, habe ich verschiedene Gottesdienste in der Thomas-, Nikolai-, sowie der katholischen Probsteikirche besucht. Ich habe „normale“ Gottesdienste erlebt, im Sinne von „nichts Besonderes“/ eher Standardangebot („Aufbackbrötchen“ für das sonntägliche Frühstück) und Berührendes, sowohl in Predigten (Britta Taddiken) als auch bei neuen Veranstaltungsreihen („Abendlob“ in der Probsteikirche).
    Ein wirklich persönlicher Kontakt zu einer/meiner Kirchengemeinde ist dabei bislang aber nicht entstanden, was ganz sicher auch (vielleicht sogar primär) an mir liegt.
    So bleibe ich wohl weiter auf der Suche; austreten aus der Kirche werde ich nicht. Ob ich einmal kirchlich bestattet werden möchte, kann ich derzeit nicht sagen.Werbung für eine aktive Rolle in der Kirche mache ich allerdings in meinem persönlichen Umfeld derzeit auch nicht.

  3. Lieber Christian Wolff,
    verdammt, ich kenne die sog. „Elf Leitsätze“ leider nicht, auch nicht den Körtner-Kommentar im Urtext. Es wäre klasse, wenn Sie die entsprechenden Links hier noch mitteilen könnten. Ihr leidenschaftlicher Text jedenfalls macht mich wiss- und kennbegierig..
    Herzl. Gruß
    Th. Weiß

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