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Dilemma

Seit Wochen ist im Blick auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine merkwürdige Debattenlage entstanden. Politisch und medial wird fast ausschließlich darüber diskutiert, welche Waffensysteme die NATO-Staaten, allen voran Deutschland, als nächstes an die Ukraine liefern sollen/müssen. Ist die eine Waffenlieferung freigegeben, kommt die nächste Forderung -begleitet von einer ziemlich absurden Rhetorik: Der Kanzler gerate „unter Druck“, wenn Frau Strack-Zimmermann oder Herr Hofreiter wieder die Lieferung von Waffen der nächsten Gewichtsklasse fordern und entsprechenden „Druck aufbauen“; der Kanzler müsse „Führung übernehmen“ und seine „zögerliche Haltung“ aufgeben. Inzwischen sind wir beim Panzer Leopard 2 gelandet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert wird. Kein Wunder, dass im Zuge des Wechsels im Verteidigungsministerium ständig davon geredet wird „Wir befinden uns im Krieg“?

Dass Forderungen nach Waffen von der Ukraine an die NATO-Staaten gestellt werden, ist nachvollziehbar und absolut legitim. Die Ukraine wurde von Russland überfallen und wird seit dem 24. Februar 2022 durch horrende Kriegsverbrechen drangsaliert. Mehr noch: Russland zerstört mit zunehmender Intensität die Infrastruktur der Ukraine und durch die Bombardements der Städte die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen. Das Bittere daran ist: Russland kommt trotz aller Rückschläge offensichtlich seinem Kriegsziel näher, die Ukraine als souveränen Staat auszulöschen. Das aber soll, ja muss unter allen Umständen verhindert werden. Viele meinen, dass ginge nur durch Waffenlieferungen.

Damit stehen wir vor einem riesigen Dilemma: Bis jetzt hat die massive militärische Aufrüstung der Ukraine nicht dazu geführt, Russland von der Fortführung seines verbrecherischen Angriffskriegs abzuhalten. Die Frage ist: Werden zukünftige Waffenlieferungen an diesem Dilemma etwas ändern? Diese Frage muss genauso gestellt und diskutiert werden wie die nach wie vor offenen Fragen: Welches Ziel verfolgen diejenigen, die Waffen liefern? Was steht eigentlich am Ende dieses Weges? Und: Welche Strategien werden verfolgt, welche Initiativen gestartet, um den Krieg, und das heißt: um das Morden, Vergewaltigen, Foltern, Zerstören so schnell wie möglich zu beenden?

Ich bin nicht so vermessen, zu behaupten, ich könnte einen Weg aufzeigen. Aber eines wird mir immer deutlicher: Die politische Engführung, nach erfolgter Waffenlieferung die nächste zu fordern, weil Russland in der Zwischenzeit wieder drei Schritte in seinem Zerstörungswahn vorangekommen ist, können wir uns nicht länger leisten. Wir benötigen dringend Perspektiven, um aus der jetzigen gefährlichen Sackgasse herauszukommen. Wir benötigen Verhandlungen – Verhandlungen, die nicht bedeuten, die Ukraine fallenzulassen, sondern ihre Souveränität zu erhalten und zu einer europäischen Friedensordnung zurückzukehren. Solange solche Überlegungen mit einem Federstrich vom Diskussionstisch gewischt werden, wie es derzeit leider üblich ist, solange werden wir uns weiter in der Unerbittlichkeit des Krieges verfangen – ohne dass damit der Ukraine wirklich geholfen wird. Wie gesagt: Russland darf seine Ziele nicht erreichen. Niemals! Aber ob der Weg dahin nur über Waffenlieferungen führt – das erscheint mir zunehmend zweifelhaft und gefährlich. Es ist höchste Zeit, dass wir die Debattenlage zu öffnen und aus den Engführungen ausbrechen.

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www.leipzig-leuchtet.de
18.00 Uhr Kundgebung auf dem Marktplatz
19.00 Uhr Der Leipziger Ring leuchtet

 

 

54 Antworten

  1. Wenn ich mir die Summe der Blogeinträge hier nochmal rückblickend anschaue, dann nötigt es mir Respekt ab, mit welcher Ernsthaftigkeit in (fast) allen Beiträgen das Ringen um gute Wege abzulesen war, wie die Ukraine und Europa als Ganzes zu einem Frieden zurückfinden, der das Wort auch verdient. Wie einer teuflischen Macht begegnen, die nicht Halt macht vor fremden Grenzen? Was können wir vor uns, unserem Gewissen, vor Gott verantworten im Tun oder Unterlassen, wenn in unserem Nachbarhaus gerade ein Einbrecher Menschen in seine Gewalt bringt und vor Mord nicht zurückschreckt? Was gebietet die Nächstenliebe? Was gebietet zugleich der Schutz des eigenen Lebens, wenn der Einbrecher von Haus zu Haus zieht? In diesen Gewissensfragen gibt es keine einheitlichen Haltungen entlang von Parteigrenzen, entlang Weltanschauungen und Religionen oder abhängig von der Herkunft. Und das ist gut so!

    Was mich zu einem nochmaligen Blogeintrag an dieser Stelle bewegt ist, dass der MP des Bundeslandes Sachsen, in dem ich lebe, den Anschein erweckt, dass die Frage, wie man es mit Waffenlieferungen in die Ukraine hält, im Wesentlichen abhängig sei davon, ob man in Ostdeutschland oder Westdeutschland großgeworden ist. Und auf dieser steilen These aufbauend schwingt er sich (mal wieder) auf zum Sprecher der missverstandenen und nicht ernstgenommenen Ostdeutschen: Begierig hat Herr Kretschmer diese Woche eine einzelne, aktuelle Meinungsumfrage genutzt, um seine „Logik“ zu verbreiten, warum Ostdeutsche in großer Zahl gegenüber Waffenlieferungen zur Verteidigung der Ukraine skeptisch und ablehnend sind. Der verblüffend simple Kern der Erklärung des MP im aktuellen Politik-Podcast der SZ ist:

    „Die Menschen in den neuen Bundesländern haben natürlich über die Jahrzehnte, die sie mit oder unter den Russen der Sowjetunion gelebt haben, auch eine sehr klare Vorstellung über dieses Land, seine Radikalität und auch Brutalität sowie zur Frage, was ein Menschenleben wert ist.“*

    Ich empfehle dem MP, schon bald eine Reise durch Estland, Lettland, Litauen, Polen und auch durch die Ukraine anzutreten, dort den Logiktest seiner „Wir Ostdeutsche kennen Russland besser, deshalb unsere breitere Ablehnung zu Waffen“ -Kausalkette zu machen. Die atemberaubende Unlogik seines Arguments, demnach historische Gewalt- und Brutalitätserfahrungen mit Russland eine maßgebliche Erklärung für die mehrheitliche Ablehnung von Waffenlieferungen durch Ostdeutsche heute seien, könnte Herr Kretschmer dann unmittelbar auf seiner Reise spüren.
    Aber die Zustimmung der Osteuropäer zu Waffenlieferungen auf einer solchen Reise würde der MP gewiss auch mit dem selbstgewissen Dünkel kritisieren, dass die Osteuropäer Russlands Gewalt und Brutalität halt nicht so gut kennen wie er selbst und „die Ostdeutschen“….

    Was bleibt in Anbetracht meiner Traurigkeit, in Sachsen von einem MP mit wiederkehrender Freude an Scheinargumenten, die an intellektuelle Beleidigung grenzen, regiert zu werden? Es bleibt meine Zufriedenheit, dass – wie in diesem Blog gut abzulesen war in den letzten Wochen – Bürger Sachsens zu differenzierterer und aufrichtigerer Argumentation in der Lage sind als der MP.

    *Link zum SZ-Podcast: https://www.saechsische.de/sachsen/politik-sachsen/politik-in-sachsen-die-morgenlage-5816588.html Die SZ fügt zum tiefen Nachdenken hinzu: „Kretschmer bleibt auch auf eine mehrfach gestellte Frage eine klare Antwort schuldig: Was wird mit der Ukraine, was wird aus den Menschen dort, wenn sie keine militärische Unterstützung des Westens mehr erhalten? Was wird, wenn die russische Armee das Land überrollt, ganz einnimmt und die Ukraine als Staat endgültig vernichtet?“

  2. Einen militärischen Ausweg aus der Eskalation sehe ich nicht, es gibt nur politische und ökonomische Lösungen. Da wir es mit einem (weiteren) Weltordnungskrieg zu tun haben, stellen sich mindestens folgende Fragen: Wie soll eine friedensfähige Weltordnung aussehen? Wer führt sie herbei?

    Weil die heutige Weltordnung der Apartheit in Südafrika ähnelt, ist doch wahrscheinlich, dass der Westen (die Weißen) nicht der entscheidende Akteur ihrer Überwindung ist, sondern die („schwarze“) Mehrheit. Die erste Stufe ist die Verweigerung der Gefolgschaft; wir sind aktuell deren Zeugen.

    Die Verweigerung betrifft zunächst die Sanktionen. Keynes schrieb in „Ökonomische Konsequenzen des Friedens“: „Nationen sind weder durch Religion noch durch Moral dazu autorisiert, den Kindern ihrer Feinde die Missetaten ihrer Eltern oder Herrscher aufzubürden“.
    „Das Leben von Millionen Menschen zu verschlechtern, ist schändlich und verabscheuungswert, …es legt die Saat zum Zerfall des ganzen zivilisierten Lebens in Europa“.
    Der Gegenstand dieser Betrachtungen war Deutschland.

    Der Weg zu einer friedensfähigen Weltordnung begänne auf Seiten der „Weißen“ mit dem bewussten Unterlassen des Versuchs, die Apartheit militärisch aufrecht zu erhalten. Ihm folgten politisch und global die Anerkennung demokratischer Grundprinzipien (one man, one vote) und ökonomisch die Verabschiedung des „Wettbewerbs“ zwischen Staaten zugunsten einer auf globalen sozialen Ausgleich zielenden Vielfalt von Kooperationsformen.

    Nachtrag: „Verbrecherischer Krieg“ ist aus meiner Sicht keine Beleidigung, sondern eine rechtliche Einordnung. Mein erster Satz im Beitrag vom 25.1., 10.30 richtet sich gegen den allzu gedankenlosen Gebrauch derselben in der aktuellen Debatte. Wenn alle darauf verzichteten, wäre das ein erster Schritt zur verbalen Deeskalation.

    1. Ihr Südafrika/Apartheid – Bild macht mir Ihre Argumentation zwar etwas verständlicher – ich würde es mir aber nicht zu Eigen machen wollen, H. Schneider.
      Ich bleibe dabei, dass Ihre – direkt oder als Zitat eingebrachten Äußerungen („… USA erzwingen wirtschaftlichen Abstieg Europas, wie ihr gegen Deutschland geführter militärischer Angriff in der Ostsee belegt“ und „… weil Amerika und NATO weitermachen, handelt es sich um einen Weltkrieg“) – die Debatte eskalieren! Selbstverständlich kann und muss man die Rolle der USA in diesem Krieg kritisch hinterfragen, ebenso wie das Zögern und die Verzagtheit beim Thema Führungsverantwortung übernehmen von Europa UND Deutschland! Mit Ihren Todd-Zitaten begeben Sie sich aber in gefährliche Nähe der „Ami Go Home“ – Protestierer im November letzten Jahres vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig!
      PS: Auf welcher Seite/in welcher Rolle sehen Sie eigentlich Russland in Ihrem Apartheid – Bild, mit dem Sie diesen Krieg vergleichen?

      1. Lieber Herr Käfer, meine Sicht ist sicher unerheblich. Anders verhält es sich mit der Sicht der (Süd)Afrikaner, und die dürfte ihre Gründe haben.
        Allerdings ist mir schon in meiner Jugend aufgefallen, dass die Weißen die Schwarzen meist mit Mercedes – Jeeps jagten.

  3. Bitte erlauben Sie, daß ich hier mal den Versuch mache, in einigen Stichworten zur „Panzerentscheidung“ unter militärischen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen. Vorher ein kurzes Wort an Herrn Schneider: Richtig ist Ihr Hinweis – den ich ja auch schon oft hier gebracht habe –, daß wir, die Demokratien in unserer Welt, die Minderheit darstellen (wenn auch in einigen Aspekten eine sehr attraktive) und daß uns deshalb eine gewisse Bescheidenheit gut anstehen würde. Es ist auch richtig, die Rolle ALLER Weltmächte zu berücksichtigen. Ich halte es nur für falsch, wenn man dies mit beleidigenden Vokabeln („weiterer verbrecherischer Krieg“) dann tut, wenn man selbst gleichzeitig sich nicht am gemeinsamen Projekt der Sicherheit beteiligt: DEU ist sicherheitspolitisch komplett von den USA abhängig. Wenn wir das durch eigene substantielle Beiträge ändern, dann stärken wir auch unseren Einfluß auf die USA.
    Und dann hätten wir es auch nicht nötig, eine Erpressung der USA durch uns als überragenden strategischen Sieg verkaufen zu wollen. Scholz und die SPD übersehen, daß die gemeinsame Solidarität und das partnerschaftliche Handeln NICHT durch jeweilige Lieferungen absolut GLEICHER Waffensysteme hergestellt wird, sondern durch die gemeinsame Lieferung von Waffensystemen schlechthin. Es war also völlig unnötig – auch unter vermuteten Eskalationsgesichtspunkten – eine solche Panzerentscheidung von den USA als Voraussetzung für die eigene zu verlangen (sie war ja auch rein innenpolitischer Natur), und sie wird richtigerweise zu weiteren Vorbehalten der USA gegenüber deutscher Verläßlichkeit führen, allen diplomatischen Präsidentenäußerungen zum Trotz.
    Die Ukraine wird nun also – vermutlich frühestens in etwa 2 – 3 Monaten – drei verschiedene Panzertypen in unterschiedlicher Zahl bekommen, was drei verschiedene Ausbildungen der Bediener und drei verschiedene Logistikketten erzwingt. Die Panzer werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten ankommen – die militärische Lage auf dem Gefechtsfeld wird dann wahrscheinlich die Ukraine dazu verführen, sie schnell je nach Verfügbarkeit auch einzusetzen.
    Es war häufig russische Taktik – Taktik ist der Gebrauch von Streitkräften zum lokalen Sieg; Strategie ist der Gebrauch von taktischen Siegen zum Gewinn des Krieges; dazwischen gibt es die „operative Ebene“, die Taktik und Strategie verbindet –, russische Taktik war es also häufig, Panzer zur Unterstützung von Infanterie einzusetzen. So ist die ukrainische Armee ausgebildet. Dies verstärkt die Infanterie sowohl in Verteidigung (weniger) wie auch im Angriff (mehr, denn die Stärke des Panzers ist seine Beweglichkeit), es verschleißt aber die Panzerkräfte und nutzt nicht deren besondere Vorteile. Diese liegen in seiner Kombination aus Beweglichkeit und Feuer. Wenn nun also die Ukraine ca 100 – 150 Panzer erhält, so müssen zwei Aspekte besonders berücksichtigt werden:
    1. Es ist ein Unterschied in der Ausbildung der Besatzungen (Bedienung des Geräts) und der Führer auf Kompanie- und Bataillonsebene (koordinierter Einsatz der Geräte (Plural!)). Es werden also ZWEI Ausbildungsebenen benötigt.
    2. Panzerverbände erreichen dann ihre höchste taktische oder operative Wirksamkeit, wenn sie geschlossen, überraschend und wuchtig, vor allem auch artillerie-unterstützt eingesetzt werden, was vor allem ein erhebliches Planungs- und Führungsvermögen voraussetzt.
    Sollte die Ukraine, was wahrscheinlich ist, die Panzer jeweils einzeln oder in kleinen Gruppen an vielen verschiedenen Punkten einsetzen, so werden diese keine wesentliche Auswirkung auf den Kriegsverlauf haben. Sie müßte stattdessen die ihr gelieferten Panzer in hochmobile und von Artillerie unterstützte Verbände organisieren, mit denen sie an einer oder maximal zwei Stellen in Form wuchtiger Keile die russische Landverbindung vom Donbass zur Krim bis hin zur Küste des Asowschen Meeres unterbricht und somit die russischen Truppen wieder in „Brückenkopf-Lagen“ zurückbringt, die deutlich schwieriger zu versorgen und zu verteidigen wären. Auf diese für sie gefährlichere Option werden sich wohl die Russen einstellen und daher haben die Ukrainer nur einen Wurf frei. Ob sie dazu in kurzer Zeit planungs- und führungsmäßig in der Lage sind, kann ich nicht beurteilen. Fest steht aber, daß je länger die Vorbereitungen (insbesondere die Ausbildung der Führer) dauern, desto mehr sinken die Erfolgschancen einer solchen Taktik. Und für die Befreiung des Donbass oder der Krim wird selbst ein solcher Einsatz wohl nicht allzu viel bringen.
    Ich bitte um Entschuldigung für diesen militärischen Exkurs. Aber er erscheint mir notwendig angesichts der diffusen und einigermaßen uninformierten, dafür aber hektischen und jeweils sehr überzeugten Diskussion zu einem – immerhin – FACH-Thema.
    Abndreas Schwerdtfeger

    1. Wieso sollten die Demokratien dieses Planeten eine „gewisse Bescheidenheit“ an den Tag legen? Richtig ist, dass sie nicht missionieren sollten. Aber selbstbewusst auftreten sollten sie schon.

    2. Hallo Herr Schwerdtfeger,

      für militärisch interessierte Laien ist es zweifellos interessant, was Sie schreiben. Ich würde aber gern noch etwas konkreter wissen, zu welcher weiteren Eskalation des Ukrainekrieges die neuerlichen Waffenlieferungen möglicherweise führen werden. Angeblich sind die Panzer hauptsächlich für die Abwehr der eventuell zu erwartenden russischen Frühjahrsoffensive vorgesehen. Sie und andere Kommentatoren (z. B. US- und NATO-General Ben Hodges im Interview im Ostner-Blog vom 2. Januar 2023) betonen dagegen die mit den Panzerlieferungen verbundene wachsende Offensivkraft der ukrainischen Streitkräfte und deren zunehmende Fähigkeiten, die russische Landbrücke im Süden zu durchbrechen und die Krim militärisch zu bedrohen. Dass die Russen dagegen wohl Vorkehrungen treffen werden, schreiben Sie auch. Von russischer Seite sind in diesen Tagen Stimmen zu hören, die dafür plädieren, die NATO-Panzer bereits bei Grenzübertritt zu liquidieren und die ukrainische Verkehrsinfrastruktur in Grenznähe zu Polen konsequenter zu zerschlagen. Dass damit der von Selenski herbeigesehnte NATO-Bündnisfall immer wahrscheinlicher wird, kann man sich ausmalen. Kurzum, ich möchte Sie fragen, welche weiteren Stufen der militärischen Eskalation Sie erwarten und ob Sie sich ein Anhalten der Eskalationsspirale vorstellen können.

      Vielen Dank im Voraus und herzliche Grüße,

      Johannes Lerchner

  4. Dem Bundeskanzler ist zwar mit der Einbeziehung der USA in die Panzerlieferungen an die Ukraine eine diplomatische Meisterleistung gelungen, jedoch von zweifelhaftem militärischem und ökonomischem Wert. Um das Jahr 2000 betrug der Stückpreis der Abrams-Panzer rund 6,2 Millionen US-Dollar. Seitdem sollte dieser etwas gesunken sein.
    Dieser Panzer beruht auf einer anderen Technologie (Gasturbine) als der Leopard (Dieselmotor). Es wird schwierig sein, dafür in der Ukraine die nötige Infrastruktur für Ersatzteile, Munition etc. zur Verfügung zu stellen. Auch müssen Soldaten separat von den Leoparden ausgebildet werden. Aber Putin sieht sich nun einem geschlossenen Westen gegenüber. Das ist sicher einiges wert.

  5. Kriege dauern um so länger, je länger Vorurteile und Pauschalverurteilungen lebendig gehalten werden. Vereinfachende Formulierungen wie „die Russen“ ect. sind Fehler in der Diskussion, die es zu vermeiden gilt. Die russischen Staatsbürger, die ich kenne, sind z.B. keine Freunde des Angriffs auf die Ukraine und keine Freunde von Putin und die ihn stützende Oligarchie. Erstaunlich finde ich die Vielzahl der Kommentare in diesem Blog, wo man eigentlich wg. der fehlenden Lösungen nur traurig schweigen kann bis der auch der letzte verstanden hat, dass nur schweigende Waffen helfen können – egal auf welcher Seite er sich fühlt.

  6. Um die sachliche Debatte, wie sie auch Herr Schwerdtfeger als zunehmend angenehm erachtet und neben anderen Bloggern auch ich es als notwendig sehe, hier der Hinweis auf aus meiner Sicht höchst tiefgehende publizierte Betrachtungen, die ggf. auch über Internet abzurufen sind:
    Einführung
    VON JULIAN NIDA-RÜMELIN
    Szenarien nach dem Krieg
    Elemente einer neuen Weltordnung
    Der Ukrainekrieg und die Zukunft der internationalen Rechtsordnung
    VON MATTIAS KUMM
    Krieg und die Struktur internationaler Ordnung
    „Making the World Safe for Democracy“:
    Von Woodrow Wilson zu Franklin Delano Roosevelt

    Drei Grundpfeiler der globalen Nachkriegsordnung
    Die Realität der bestehenden Ordnung internationalen Rechts:
    Der Machtkampf um unipolare oder multipolare Großmachtprärogativen

    Die Reform der internationalen Rechtsordnung:
    Konstitutionalisierung gegen prärogative Macht

    Gelernte Lektionen und strategische Perspektiven
    VON ERICH VAD
    Militärische Lösungen gibt es nicht
    Politische Romantik ist gefährlich
    Strategische Interessenlagen müssen berücksichtigt werden
    Europa handlungsfähig machen!
    Den Primat der Politik zurückgewinnen
    Strukturelle Stabilität für Europa
    VON ALBRECHT VON MÜLLER
    Einleitung
    Ein alter, neuer Denkansatz für die Beendigung des Ukrainekriegs
    Strukturelle Sicherheit und die Weiterentwicklung Europas
    Schlussbemerkung
    Der Kontinent der Fragezeichen: Europapolitische Aspekte
    VON WERNER WEIDENFELD
    Arbeit an der europäischen Identität
    Europa als Strategiegemeinschaft
    Schritte in die Zukunft
    Eine ethisch fundierte Realpolitik der Friedenssicherung
    Eine philosophische Perspektive
    VON JULIAN NIDA-RÜMELIN
    Im Kern ein geopolitischer Konflikt
    Idealismus und Realismus in den internationalen Beziehungen
    Auf dem Weg zu einem demokratischen Frieden
    Den Krieg verhindern – ein ungehörter früher Weckruf
    VON ANTJE VOLLMER
    Diese weitreichenden Darlegungen zum Ukrainekrieg und der Lage nach Ende dieses Krieges (!) sind es wert zu verinnerlichen.
    Über die Kommunikationsweise des derzeitigen Bundeskanzlers sollte nur tangential gesprochen werden, es bringt nicht viel. Mehr doch die Auswirkungen seiner Politik, die er freilich nie solitär betreiben kann. Jo.Flade

  7. Die Debattenlage „zu öffnen und aus den bisherigen Engführungen auszubrechen, ist wohl schwieriger als gedacht. Dass mir in diesem Forum nun vorgeworfen wird, ich „trage zur Eskalation bei“ (Michael Käfer) oder meine „merkwürdigen Beiträge..verunglimpfen.. unserer Führungsmacht (Andreas Schwerdtfeger; verzeihen Sie mir die Verkürzung), hatte ich nicht unbedingt erwartet. Allerdings einkalkuliert, deshalb habe ich die Form des Zitats gewählt.
    Ich nehme Ihnen das nicht übel und schätze Ihre Beiträge sehr.

    Dennoch ist eine um Frieden bemühte ernsthafte Debatte nicht möglich, wenn die Rolle der Führungsmacht USA ausgeblendet bleibt. Es mag sein, dass Sie diese Rolle nicht in Frage stellen möchten. Sie könnte sich dabei sogar auf den Marxisten Hobsbawm berufen, der am Ende des letzten Jahrhunderts diese noch für längere Zeit als kleinstes Übel ansah.
    Gleichwohl wird das heute außerhalb des Westens nicht so gesehen.
    Wieder wähle ich das Zitat: „Aber der generelle Trend ist klar: Asiens Macht und Einfluss werden stark zunehmen. Dabei muss man bedenken, dass die Dominanz des Westens in den letzten 200 Jahren nur eine Ausnahme in der Geschichte war. Bis 1820 waren China und Indien die größten Volkswirtschaften der Welt. Was im Moment passiert, ist eigentlich nichts Neues. Es wird lediglich die historische Normalität wiederhergestellt.“

    „Es ist doch besser, wenn die Geschicke der Welt von einer Region gelenkt werden, die die Mehrheit der Weltbevölkerung stellt. Nur zwölf Prozent der Weltbevölkerung lebt im Westen, dagegen mehr als die Hälfte in Asien. Die heutige Weltordnung ähnelt der einstigen Apartheid in Südafrika. Eine Minderheit kontrolliert die Mehrheit. Das muss sich ändern.“ (Kishore Mahbubani, Wirtschaftswoche, 5. März 2010).
    Mir geht es um die Frage, wie dieser unvermeidliche Prozess friedlich gestaltet werden kann. Und warum das bisher trotz engagierte Bemühungen nicht gelungen ist.

  8. Schön, daß es jetzt sachliche Beiträge gibt – danke, Herr Breuer!
    Die Vorstellung, der Status quo ante 24. Februar 2022 müsse Grundlage für Waffenstillstand und dann Verhandlungen sein, erscheint mir etwas naiv. Man vergesse nicht: Dieser Status schließt einen binnen-ukrainischen Bürgerkrieg im Donbass ein. Insofern erscheint es mir logischer – wenn man einen Waffenstillstand vorschlägt –, die Ukraine und Rußland dazu zu drängen, egal wo augenblicks die Linien sind. Das allerdings ist wohl zu viel von der Ukraine verlangt.
    Flade hat meine Aussage „ich habe keine Lösung“ falsch interpretiert, denn sie bezog sich offensichtlich NICHT auf den Krieg insgesamt, sondern auf die Frage der Neugestaltung und Reform des internationalen Kriegsvölkerrechts. Für den Krieg gibt es schon Lösungsansätze und ich habe einige Voraussetzungen dafür am Ende meines Beitrags 19.01. 15:17h beschrieben. Es ist klar, daß es keine schnelle politische Lösung gibt. Klingbeils Ansatz ist der Wechsel von „Sicherheit MIT Rußland“ zu „Sicherheit VOR Rußland“ – und dies IST ein Ansatz! Persönlich allerdings glaube ich nicht, daß dies der EU und dem Westen nützlich ist, denn, wie erwähnt, er vergrößert die Zahl der westlichen Gegner, er vergrößert die Ressourcen, die gegen uns stehen, er vermindert unsere Fähigkeiten, unsere Werte als Erfolgsmodell in die Welt zu tragen (wenn wir allerdings so dumm sind wie jetzt einige in Schweden, die ihre Freiheit mißbrauchen, um unsere Gegner, diesmal die Blockade der Türkei, in Wallung zu bringen, dann wird der Westen wohl irgendwann an seiner eigenen falsch verstandenen „Freiheit“ untergehen).
    Es freut mich an Käfers Argument, daß er wie ich Unterstützung der UKR an Bedingungen knüpfen will, die sie erfüllen müßte. Die Unterordnung der deutschen, EU- und NATO-Politik unter ukrainische Postulate war von Anfang an falsch und sie wird immer zweifelhafter. Erst wenn wir wieder eine EIGENE und auch für Rußland nachvollziehbare „Ostpolitik“ machen, wird es gelingen, Rußland zurück in den Orbit von Verhandlungen zu bringen. Bei allem Respekt: Die ukrainischen Interessen – teilweise selbstverschuldet unter die Hufe geraten – sind in unsere Politik einzubeziehen; sie dürfen jedoch nicht dominant sein (wie sie es jetzt sind). Deshalb schrieb ich, daß mich augenblicks die „Beton-Politik“ der CDU oder das martialische Geschwätz von Frau Strack-Zimmermann ärgert.
    Waffenlieferungen haben inzwischen in der öffentlichen Diskussion jede vernünftige Dimension gesprengt. Sie sind falsch, wenn man sie nicht an westliche Ziele bindet. Sie sind insbesondere falsch, wenn man – wie Scholz – den Eindruck erweckt, er habe Angst und müsse sich hinter gleichen Aktionen des großen Bruders verstecken. Eine solche „Politik“ wird – man sieht es – vom Gegner zum Schüren von Unsicherheiten genutzt, was Putin vor allem im traditionell ängstlichen DEU geschickt tut. Sie sind richtig, wenn man erklären kann, wie sie im militärischen Feld zur Erreichung eines definierten und nachvollziehbaren politischen Zieles beitragen. DAS kann im Augenblick weder die Bundesregierung noch, so scheint es, die EU oder die NATO.
    Ich danke Ihnen, Herr Käfer, für die Zurückweisung der Merkwürdigkeiten der Schneider’schen Beiträge, der sich auf Todd beruft. Die Tendenz, die gleich im ersten Satz zum Ausdruck kommt – „Für mich (Schneider) stellt sich die Frage, ob wir ‚Russland von einem verbrecherischen Angriffskrieg abhalten müssen‘ – oder die USA von einem weiteren?“ – diese Tendenz ist billige Propaganda und nicht angemessen gegenüber einem Verbündeten, von dem wir dank eigener Entscheidung sicherheitspolitisch vollständig abhängen. Die USA machen wahrlich (aus europäischer Sicht) nicht alles richtig, aber daß sie unsere Überlebensgarantie bleiben, ist unstrittig. Und daß man, wenn man freiwillig oder erzwungen in eine Führungsrolle kommt, der Gefahr ausgesetzt ist, Fehler zu machen, eigene Interessen mit allgemeinen zu vermischen, von allen Seiten nachträgliche Besserwisserkritik zu erhalten oder, wie hier von Schneider, verunglimpft zu werden – das ist wohl unvermeidliches Schicksal eines Führenden.
    Andreas Schwerdtfeger

  9. Ja, es wird uns zunehmend bewusst, dass es keine, zumindest keine einfachen oder schnellen Lösungen zur Befriedung des Kriegs in der Ukraine gibt und wir in einem großen Dilemma stecken:
    Nimmt man, wenn man GEGEN Waffenlieferungen ist, demnächst den Untergang des ukrainischen Staates in Kauf, der einer möglichen Frühjahrsoffensive von Putins Russland dann nicht mehr standhalten kann?
    Oder plädiert man lieber FÜR die weitere militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung der Ukraine, obwohl nicht auszuschließen ist, dass damit Leiden und Verluste auf allen Seiten nur verlängert/vergrößert werden?
    Ich persönlich bin für diese Unterstützung, nicht weil ich die Ukraine als „Prinzessin“ sehe, sondern weil sie Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffs wurde, obwohl sie vor wenigen Jahren dem Verzicht auf eigene Atomwaffen gegen Sicherheitsversprechen zugestimmt hatte.
    Auch möchte ich die Unterstützung an die Bedingung knüpfen, dass die Ukraine spätestens bei Erreichen des Status Quo ante 24.2. Friedensgespräche mit Russland aufnimmt und die Rückgewinnung des Donbass und der Krim danach in Verhandlungen/Abstimmungen regelt. Den Druck auf Putins Russland, Friedensgesprächen zuzustimmen, kann m.E. nur ein geschlossen auftretender Westen oder China/Indien erhöhen; alle diplomatischen Bemühungen, die diesem Zweck dienen, sind entsprechend willkommen.
    Sorge bereitet mir, wie die Rolle Deutschlands, speziell die von Bundeskanzler Scholz national und international gesehen wird; eine endgültige Beurteilung will ich mir nicht anmaßen, kritisiere aber auf alle Fälle sein Kommunikationsverhalten! Und sein „wer bei mir Führung bestellt, bekommt Führung“ sehe ich nur selten erfüllt! Für den Zusammenhalt Europas und die Allianz mit den USA scheint mir das momentan wenig förderlich.
    Aussagen, wie im Beitrag von Heinz Schneider vom 22.1., 22:30 Uhr, der sich dabei auf Todd beruft:
    • „die USA … erzwingen den wirtschaftlichen Abstieg Europas, wie ihr gegen Deutschland geführter militärischer Angriff in der Ostsee belegt“, oder
    • „wenn Russland überlebt … und seine Handelsbeziehungen … neu gestalten kann, dann hat Amerika den Krieg verloren … Deshalb werden Amerika und die NATO weitermachen. Und darum handelt es sich um einen Weltkrieg, der andauern wird“
    tragen m.E. vor allem zur Eskalation bei und heizen die Stimmung/Verunsicherung in der Bevölkerung zusätzlich an.

  10. „Ich habe keine Lösungen, sehe aber das Problem. Und dies relativiert die ewig gleiche, moralisierende und am Problem vorbeigehende Kommentierung unserer Medien und Öffentlichkeit – auch, leider, im augenblicklichen Ukrainekrieg.“ ZItat Andreas Schwerdtfeger.
    Und damit beschreiben auch Sie wie eben Joh. Lerchner und Chr. Wolff das komplexe DILEMMA, was derzeit und zunehmend uns allesamt umtreibt – Lösungen sind nicht in Sicht, weil es eben hochproblematisch ist, diese zu finden. Eines wird aus den Blogkommentaren als Reaktion auf Chr. Wolff überdeutlich: Krieg und/oder Frieden; was ist zu tun und was ist zu lassen. Alle hier aufgezeigten klugen Analysen offenbaren neben detaillierter Kenntnis der Weltlage (der Krieg, von Putin losgetreten) ist längst nicht mehr nur ein Konflikt zwischen Moskau und Kiew – alles, was derzeit getan oder gelassen wird, ist ein weltpolitisches Desaster. Und Herr Schwerdtfeger, als militärischer Insider, signalisiert wiederholt, er kenne keine Lösung. Welch klare und ehrliche Haltung. Offensichtlich kennt momentan wohl keiner eine Lösung für diesen hochgefährlichen Konflikt – und das verbreitet Unsicherheit, Angst, innere Immigration. Lieber Jost Brüggenwirth – wir treffen uns demnächst, vorab jedoch schon meinerseits: Joh. Lerchner bringt es auf den Punkt: Imme rmehr Waffen schaffen keinen Frieden – das ist durch die Menschheitsgeschichte bewiesen. Aber auch aus Ihrem Kommentar wird deutlich, dass die Dinge komplexer sind und militärischer Unterstützung ein Kriegsende wohl kaum zu schaffen ist. Aber dann sogleich die Dauerfrage: Wie soll es gehen? Ich passe wie andere: ich weiß es nicht. Aus all den Gedanken, pro + kontra, hier im Blog wird immer deutlicher, wie ohnmächtig wir sind und mehr Fragen entstehen denn Antworten. Eines entnehme ich: aus den Haltungen und Ansichten kann ich lernen und auch Hoffnung finden, etwas jedenfalls. Allen eine gute Zeit! Jo.Flade

  11. Für mich stellt sich die Frage, ob wir „Russland von einem verbrecherischen Angriffskrieg abhalten müssen“ – oder die USA von einem weiteren?
    Die westliche Führungsmacht entscheidet, ob sie ihre Vorherrschaft militärisch zu sichern versucht und den Krieg weiter eskaliert oder ob sie sich den ökonomischen Realitäten stellt und sich in eine kooperative und multipolare Weltordnung einfügt, deren ökonomisches Schicksal von den asiatischen Ländern abhängt.
    Die jedenfalls wollen sich dem „Westen“ nicht weiter unterordnen, wie die von Herrn Lerchner verlinkte Sicht aus Indien prägnant zeigt.
    Europa hat seinen Anspruch auf eine eigenständige geopolitische Rolle aufgeben, ordnet sich den USA unter und zahlt den wirtschaftlichen Preis. Russland orientiert sich um. „Inzwischen stellt sich nicht mehr die Frage, ob die russische Wirtschaft widerstehen kann. Sondern die europäische“ (Todd).
    Deren Abstieg aber nehmen die USA nicht nur billigend in Kauf, wie ihr gegen Deutschland geführter militärischer Angriff in der Ostsee belegt. Sie erzwingen ihn.
    Vernünftig und nachvollziehbar argumentieren vor allem Johannes Lerchner und Andreas Schwerdtfeger in diesem Blog. Lars Klingbeil lässt im zitierten Interview einerseits eine vorsichtige Distanzierung erkennen, anderseits soll es für ihn „keine roten Linien geben“.
    Nicht zu vergessen: Den fürchterlichsten Preis dieser geopolitischen Auseinandersetzung, nämlich Menschenleben, zahlen Ukrainer, Russen und Menschen in den armen Ländern. Das sollte reichen um sie sofort zu beenden.

    In bin allerdings wenig optimistisch und schließe mit Todd: „Wenn Russland überlebt, den Donbass und die Krim behält und seine Handelsbeziehungen neu gestalten kann, mit China und Indien, dann hat Amerika den Krieg verloren. Und in der Folge wird es seine Alliierten verlieren. Deshalb werden Amerika und die NATO weitermachen. Und darum handelt es sich um einen Weltkrieg, der andauern wird. Seine hauptsächlichste Ursache ist die Krise des Westens“.

    Ein fruchtbare politischen Diskussion setzt die Kunst der Zuspitzung voraus.

  12. Hallo Herr Brüggenwirth,

    Sie präsentieren die üblichen Argumente, die für die Begründung herhalten sollen, den Ukrainekrieg durch intensivere westliche Waffenlieferungen zu forcieren. Die Kosten einer Eskalation kommen bei Ihnen leider nicht vor: Weitere Zehntausende Tote, noch mehr Kriegsverbrechen, zunehmende Verwüstung des Landes, massive Schädigung der Weltwirtschaft auch zu Lasten Dritter (man lese die Sicht des indischen Außenministers, https://orf.at/stories/3299894/ ) und das Risiko eines nuklearen Schlagabtauschs. Es ist schon seltsam. Einerseits machen die Grünen ein Trara wegen des Restrisikos laufender Kernkraftwerke und andererseits wird die greifbare Gefahr einer Verstrahlung großer Gebiete der Ukraine mit Nonchalance ignoriert.

    Es ist richtig, ein Verhandlungsfrieden, der nicht von einer Kapitulation Russlands ausginge, hätte seinen Preis. Das Völkerrecht wäre desavouiert und Millionen ukrainische Staatsbürger blieben auf unabsehbare Zeit unter russischem Regime. Ersteres wäre schmerzlich. Zweites ist differenziert zu betrachten. Es ist zumindest fraglich, ob die Mehrheit der 2,4 Millionen Krimbewohner scharf darauf ist, von ukrainischen Bandera-Verehrern de-russifiziert zu werden. Die zahlreichen Opfer der ukrainischen „Antiterrormaßnahmen“ im Donbass haben sicherlich auch Spuren hinterlassen. Übrigens ist ein Verhandlungsfrieden nicht gleichzusetzen mit einer Niederlage der Ukraine im Sinne einer Beendigung ihrer Eigenstaatlichkeit oder eines prorussischen Regime-Changes, so wie es auch von Ihnen suggeriert wird.

    Der Verweis auf vermeintlich nützliche Lehren aus dem Münchener Abkommen von 1938 wird durch ständiges Wiederholen nicht einleuchtender. Damals bestand möglicherweise die Option, Nazideutschland eine militärische Niederlage beizubringen, um es von weiteren Aggressionen abzuhalten. Heute ist es eindeutig, dass die NATO Russland konventionell haushoch überlegen ist, die Schwächen der russischen Armee haben es jüngst gezeigt. Vor einer grundlegenden Niederlage, die erlaubt, Russland Bedingungen zu diktieren, ist es aber letztendlich durch sein atomares Potential geschützt. Die konventionelle Überlegenheit der NATO lassen Spekulationen über mögliche Aggressionen Russlands gegen das Baltikum oder Polen nach Beilegung des Ukraine-Konflikts als ziemlich absurd erscheinen. Das ganze Gerede, die Ukraine würde auch für unsere Freiheit kämpfen, wird damit zur hohlen Phrase. Mir hat noch niemand schlüssig erklären können, wieso ich mich in meiner Freiheit bedroht fühlen sollte.

    Wenn der Ukraine-Krieg nicht dazu genutzt werden kann (z. B. wegen der Vereinbarung eines Waffenstillstandes) Russland entscheidend in die Knie zu zwingen und nachhaltig als globalen Gegner auszuschalten, mag das von manchen als Niederlage empfunden werden. Nur wessen Interessen tangiert das? Die Kosten müssen hauptsächlich von den Ukrainern getragen werden. Gegen das weitere Anheizen des Krieges und für einen Verhandlungsfrieden zu sein, der das reale Kräfteverhältnis der Kriegsparteien berücksichtigt und dadurch weitere Opfer vermeidet, halte ich deshalb für ein Gebot der Stunde.

    Beste Grüße,

    Johannes Lerchner

  13. Der neue Verteidigungsminister ist zu bedauern. Wenige Stunden nach Amtsantritt musste er vor Vertretern von 50 Staaten in Ramstein die Unentschiedenheit des Kanzlers bezgl. Leopard-Lieferung mit der Ausrede stützen, er müsse erst einmal einen Prüfauftrag seinem Haus erteilen, um zu erfahren, wieviele Leopards vorhanden und einsatz-, bzw abgabefähig sind. Selbstverständlich verfügt sein Ministerium schon lange über eine derartige Aufstellung. Damit wird auch die zurückgetretene Verteidigungsministerin düpiert – als ob sie es versäumt habe, eine derartige Liste anzufertigen. Spielt aber für Scholz alles keine Rolle.

  14. Ja, Herr Brüggenwirth, den Vorwurf, ich lebte im politischen Wolkenkuckucksheim könnte man mir wohl machen, denn in der Tat baut meine Argumentation auf bestimmten, vielleicht unrealistischen Prämissen auf:
    1. Rußland und Putin sind nicht langfristig politisch identisch. Rußland im westlichen Lager zu halten, bzw es dorthin zurück zu bringen, ist in der jetzigen Lage natürlich eine Langzeitaufgabe.
    2. Die Zukunft ist politisch gestaltbar, weswegen ich mit Argumenten wie „es ist nunmal so“ nichts anfangen kann. Das glänzende Phoenix-Interview „persönlich“ heute mit Lars Klingbeil (den ich für sehr gut halte, auch wenn ich nicht mit allem übereinstimme, was er denkt und sagt), zeigt, wie sich Lagen, Bewertungen und eigene Einstellungen ändern können. Und mich ärgert derzeit die phantasielose Beton-Reaktion der Opposition – CDU, CSU und FDP sowie die Abwesenheit der Außenministerin.
    3. Vokabeln sind ebenso nur Schlagworte wie historische Vergleiche nur dann was taugen, wenn die Umstände vergleichbar sind. „Appeasement“ ist eine politische Vokabel, die auf den Umgang mit Putin kaum mehr zutrifft, weil sich die Umstände zu 1938/39 so fundamental geändert haben, daß auch eine Appeasement-Politik etwas völlig anderes wäre, als daß man Verhandlungen sucht und dabei Zugeständnisse einkalkuliert. Wir betreiben derzeit eine Appeasement-Politik gegenüber China, denn dort sind wir (noch) frei in unserer Wahl. Aber wir suchen eine Rußland-Politik, die langfristig den Frieden und die Weltbalance – eben eher GEGEN China – wiederherstellt, und da sind wir auf Zusammenarbeit mit Rußland angewiesen.
    4. Ich freue mich, daß Sie Putin-Versteher sind, wie ich auch (und Einigkeit besteht sicherlich darüber, daß „verstehen“ und „Verständnis haben“ ein Unterschied ist). Denn nur so ist ja erklärbar, daß Sie (2. Absatz) mir die Absichten Putins erklären. Ich glaube allerdings, daß Putins Ziel eben NICHT „die Auslöschung der eigenstaatlichen Existenz der Ukraine“ ist, sondern daß er – sehr kurz gefasst – dies als WEG zu seinem Ziel ansieht, sich die NATO vom Leibe zu halten, sowohl in der Ukraine, als auch in Georgien, Azerbaidjan, etc. Daß er mit diesem Weg wohl eher scheitert, ist eine andere Frage.
    5. Historische Rückgriffe sind allemal kompliziert: Die Weltlage heute ist so anders als 1938/39 (keine Nuklearwaffen, keine oder weniger Globalisierung, eine andere Sicht auf Zweck und „Chancen“ von Kriegen), daß sie kaum noch taugen (außer zum Angst machen). Die Wolff’sche Aussage, im Krieg gebe es nur Verlierer, ist in politischem Sinne polemisch und falsch (und wir diskutieren hier ja Politik!) – so richtig sie gleichzeitig im „individuellen“, menschlichen Sinne ist. Aber richtig ist, daß heute Konflikte militärischer Art gerade durch die globale Interessenlage an ihnen und damit auch die globale „Einmischung“ sowohl durch staatliche als auch durch an Einzelinteressen orientierte Organe (NGOs zB, aber auch Medien, etc) andere Voraussetzungen für ihre Lösung erzwingen. Appeasement ist ein Begriff der Vergangenheit – Multilaterismus, „Weltinnenpolitik“, „Heksinki-Prozess“ und OSZE sowie verifizierbare Rüstungskontrolle sind die Imperative der Gegenwart; freilich zwingend untermauert durch starke und präsente Streitkräfte, die der Politik als ultima ratio die notwendige „Wehrhaftigkeit“ und Durchsetzungsfähigkeit geben, und ich leugne nicht, daß der Begriff „ratio“ in diesem Zusammenhang schmerzlich ist (aber eben richtig). DAS ist Pazifismus – nicht die Ablehnung von Waffen und Geschwätz von der Gutmütigkeit des Menschen als Spezies.
    6. Jedem Vergangenheitsbezug kann man einen anderen gegenüberstellen: In unserem Falle die Jahre 1989/90. Innerhalb eines Minimalzeitraums führte die erfolgreiche politische Doppelstrategie des Westens und der NATO zu einer vollständigen Wandlung der Lage auf unserem Kontinent. Warum sollte es uns nicht gelingen, wieder eine solche Strategie zu entwickeln, wenn wir nur ein klares Ziel definieren? Wir müssen dazu nur unsere ewige moralische Besserwisserei beenden: Helsinki wurde ZUSAMMEN mit einem Diktator à la Putin, nämlich Breshnev, erreicht, der kurz zuvor die Tschechoslowakei militärisch überfallen hatte!
    7. Waffenlieferungen sind immer WEGE, niemals Ziele, Deshalb ist auch die gegenwärtige Panzerdiskussion ein Zeichen von mangelndem Verständnis für das eigentliche Problem. Aber die Diskussion zeigt natürlich grundsätzliche Probleme auf und ich verweise in diesem Zusammenhang auf die heutige Presseschau des DLF und die Zitierung der immer so hervorragenden NZZ: „Warum tun sich der deutsche Kanzler und weite Teile seiner sozialdemokratischen Partei so schwer mit dem Verteidigungskampf der Ukrainer? Wahrscheinlich wäre den Genossen geholfen, wenn sie endlich das Ziel des Ukraine-Krieges für sich definierten (sic!): Was sollen die Ukrainer mit den Waffen erreichen, die ihnen geliefert werden? Den Vormarsch der Russen aufhalten, die Lage an der Front stabilisieren und dann an den Verhandlungstisch gehen? Oder aber ihr Land von den Invasoren befreien, den Donbass und die Krim inbegriffen? Olaf Scholz und seine SPD scheuen sich vor einer öffentlichen Festlegung. Doch man darf annehmen, dass sie den Ukrainern eher eine ‚Stabilisierung‘ verordnen und weniger einen umfassenden Sieg erlauben wollen. Scholz und die SPD leben im Entspannungs- und Stabilitätsdenken der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Schon der Freiheitskampf der Dissidenten und der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen war den Sozialdemokraten damals lästig. Ihre ‚Stabilität‘ kommt ohne Freiheit aus. Darum braucht die ukrainische Armee aus ihrer Sicht auch keine Leopard-Panzer. Doch dies einzugestehen, ist Scholz und der SPD unmöglich“. Klingbeil beschreibt es als Vorsicht und Abwägen; ich beschreibe es als Diskussion über Wege anstelle von Zielen. Das Ergebnis ist das gleiche: Unklarheit.
    Der Unterschied zwischen uns, Herr Brüggenwirth, besteht in der Frage, ob Politik gestaltbar ist durch eigene langfristige Vorstellungen und Initiativen oder ob man bestimmte bisherige Ergebnisse als unwiderruflich und endgültig hinnimmt. Tut man letzteres, so engt man die eigenen Handlungsoptionen ein; tut man ersteres, so läuft man Gefahr, an der Realität vorbei zu denken. Voilà – ich neige mich optimistisch denen zu, die an die eigenen Möglichkeiten glauben.
    Andreas Schwerdtfeger

  15. Ich beteilige mich an enggeführten Debatten, auch in unserer Partei, lieber Christian Wolff, schon seit längerem nicht mehr. Wenn nämlich z.b. die Formel vom „ Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine“ nicht mehr hinterfragt werden soll, ist ein konstruktiver Dialog unmöglich. Ihr letzter Satz macht mir aber Hoffnung.
    Die gegenteilige Ansicht vertritt aktuell der französische Historiker Emmanuel Todd: „Zwischen der offensiven Strategie der Amerikaner und der defensiven Strategie der Russen befinden sich die Europäer in einem atemberaubenden Zustand geistiger Verwirrung. Das gilt ganz besonders für Deutschland“ schreibt er unter Berufung auf John Mearsheimer. Der habe „nüchtern festgehalten, dass die Zusammenarbeit der Briten und Amerikaner mit seiner (der ukrainischen) Armee die Ukraine faktisch zum NATO-Mitglied machte. Sie wurde aufgerüstet, um Russland anzugreffen. Putins Angriff war eine defensive Invasion“.“
    Todd hat in der letzten Woche ausführliche Interviews im „Figaro“ und der Schweizer „Weltwoche“ gegeben, die Zitate stammen aus Letzterem (13.1.2023).
    Eine nicht mehr enggeführte Debatte begänne damit, beide Positionen auf ihre Schlüssigkeit prüfen.
    Wir haben aus 2 Weltkriegen mühsam gelernt, die Ursachen der Kriege aus ihrer Vorgeschichte abzuleiten. Die Frage wäre also: „wann beginnt der Vorkrieg“ (Christa Wolf, Kassandra).
    Eine offene Debatte könnte sich zunächst den folgenden Fragen zuwenden: Welche Interessen stehen hinter der Zerstörung einer Gaspipeline und deren Folgen? Gegen welche Menschen und welche Infrastruktur werden die an die Ukraine gelieferten Waffen eingesetzt? Ist es legitim, dass die Ukrainer russischer Abstammung benachteiligt werden? Ist es nicht legitim, wenn sie zu Russland gehören möchten?

  16. Sehr geehrter Herr Schwerdtfeger!

    Ich schätze den kultivierten Austausch von Sichtweisen und Streit um richtige Wege in bedrängnisvollen Zeiten, der sich dem „Dilemma“-Post von Christian Wolff entsponnen hat, und will in diesem Sinne auch ihren Eckpunkt 3 + 4 aus Ihrem Blogeintrag vom 19. Januar aufgreifen. Ihm kommt aus meiner Sicht eine zentrale Bedeutung zu. Wenn man in einem fiktiven Gedankenspiel unterstellt, dass der Frieden in Europa tatsächlich dauerhaft wiederherstellbar ist, wenn die von Russland 2022 für annektiert erklärten Gebiete durch die Ukraine abgetreten werden und zudem auch die Annexion der Krim aus 2014 völkerrechtlich bindend wird, ja dann werden alle anderen Überlegungen Ihrerseits für mich bestens nachvollziehbar und unterstützenswert! Ja, wenn dann alle Menschen in neuen Grenzen bis ans Ende aller Zeiten in friedlicher Nachbarschaft nebeneinander leben könnten, wenn es ein Frieden nicht nur im Sinne eines kurzfristigen Schweigens der Waffen bis zum nächsten Waffengang wäre, ja wunderbar! Dann sollte noch heute jede Unterstützung, die die Ukraine benötigt, um sich des Aggressors zu erwehren, eingestellt werden. Und dann müsste der Ukraine auch ganz praktischerweise gar nicht mehr „klar gemacht werden“, dass sie ihrer territorialen Amputation zuzustimmen habe. Sie würde von den Russen in kurzer Zeit sowieso zu dieser Lösung gebracht werden durch Fakten auf dem Schlachtfeld.

    Die entscheidende Crux an Ihrer Friedensvision freilich ist, dass sie LEIDER von Prämissen ausgeht, die schlicht nicht gedeckt sind von den Zielen dessen, der in der Ukraine eingefallen ist. Es geht Putin um die Auslöschung der eigenstaatlichen Existenz der Ukraine, um den Sturz der demokratisch gewählten Regierung, die man „Nazis“ nennt und um Unterwerfung des ukrainischen Volkes unter russische Hegemonie. Mehr noch – ihm geht es um die Rückabwicklung der Schmach des Auseinanderfallens der Sowjetunion und ihrer Einflusssphären. Wenn sich also Putin nach einer kurzen Atempause – nach einem Frieden gemäß Ihrer Vision – daranmacht, Kiew selbst und den Rest des Landes ins Visier zu nehmen, soll man Russland gewähren lassen? Dies wäre für mich jedenfalls die unweigerliche Folge Ihres Eckpunktes 4. Und wenn dann Putin anschließend motiviert und berauscht von den erlangten Siegen das Baltikum und weitere Länder Osteuropas in seinen Einflussbereich zurückzieht, auch mit militärischen Drohungen und Handlungen – betonen Sie dann ebenso wieder, dass die Interessen dieser Länder nicht unsere Interessen sein können?

    Das was Sie schreiben, steht für mich letztlich in einer Denklinie derer, die nach dem Einmarsch Hitlers in Polen und der Tschechoslowakei in bester Absicht gedacht hatten: „Lassen wir Hitler gewähren, das verhindert nur großes, weiteres Blutvergießen und Krieg auf dem ganzen europäischen Kontinent.“ Das war eine Hoffnung, die allzu verständlich war und der man sich allzu gerne angeschlossen hätte. Aber an dieser Hoffnung festgehalten zu haben, hat am Ende die Summe des Leids bekanntlich nur unermesslich steigen lassen.

    Ich bin dankbar, dass die überwältigende Mehrheit der Regierenden Europas und vor allem auch der USA sich heute keiner Illusion mehr hingeben. Sie haben inzwischen die Tragweite für das Schicksal ihrer eigenen Länder erkannt, wenn Russland mit der Unterwerfung der Ukraine Erfolg hätte! Auch ein großer Teil der Menschen in diesen Ländern erkennt, dass die Ukraine eben nicht nur für ihr eigenes Schicksal kämpft, sondern im Falle ihrer Niederlage Krieg und Verderben auch in andere Teile Europas und der Welt getragen würden.

    Diese Länder handeln anders als es Ihnen vorschwebt, weil sie halt anders als Sie davon ausgehen, dass eben doch weitgehende aktuelle Deckungsgleichheit der eigenen Interessen mit den Interessen der Ukraine besteht! Viele Regierung handeln, wie sie jetzt handeln, weil sie sehen, dass Putin erst aus seiner eigenen Perspektive wahrnehmbar das Risiko seines militärischen Scheiterns vor Augen gehalten werden muss, bevor er überhaupt beginnen wird zu erwägen, mit nicht-militärischen Mitteln seine Ziele weiterzuverfolgen. Sie liefern Waffen, die Putin die Unterwerfung der Ukraine verunmöglichen sollen und den von ihm auch mit Blick auf die Stabilität seines Machtapparats in Russland selbst zu zahlenden Preis immer weiter in die Höhe treiben, weil sie damit den besten Weg zu Verhandlungen mit Ergebnissen sehen, die Europa tatsächlich zu einem tragfähigen Frieden kommen lässt.

    Den Frieden, den die Ukrainer bekämen, wenn sie jetzt nicht auch weiter militärisch mit allem Notwendigen unterstützt werden, um den Angriff Russlands abzuwehren, wünsche ich weder den Ukrainern noch uns allen!

    1. „Das was Sie schreiben, steht für mich letztlich in einer Denklinie derer, die nach dem Einmarsch Hitlers in Polen und der Tschechoslowakei in bester Absicht gedacht hatten: „Lassen wir Hitler gewähren, das verhindert nur großes, weiteres Blutvergießen und Krieg auf dem ganzen europäischen Kontinent.“ “
      ________________________________________________________________

      Grundlage für den deutschen Einmarsch in die CSR am 1. 10. 1938 war das Münchner Abkommen vom 29. 9. 1938, das tatsächlich von der Appeasement-Politik Großbritanniens und Frankreichs geprägt war. Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen am 1. 9. 1939 standen Großbritannien und Frankreich jedoch sofort zu ihren Bündnisverpflichtungen und erklärten Deutschland noch am 3. 9. 1939 den Krieg.

  17. Zum FAZ-Artikel Prof. Reinhard Merkels: Er schränkt das Recht des Angegriffenen, sich militärisch zu verteidigen und Friedensverhandlungen abzulehnen, moralisch ein, wenn das Risiko eines Atomkriegs drohe. Das hieße, dass eine Atommacht nur eine atomare Drohung ausstoßen müsste (wie von Putin jetzt mehrfach geschehen), dann wäre der angegriffene Staat verpflichtet, Verhandlungen zuzustimmen. Das würde bedeuten, das Recht des Stärkeren setzte sich durch.

    Merkel verweist auf die Bestimmungen der UN-Charta, wonach der Sicherheitsrat die Regelung eines Konflikts an sich ziehen könne.

    „…so endet die Freiheit des angegriffenen Staates, über Fortsetzung oder Beendigung seines Kampfes zu entscheiden. Erließe der Rat eine Resolution, die beide Kriegsgegner
    zum Waffenstillstand verpflichtete, entfiele auch für den Angegriffenen das Recht auf
    weitere Gewaltanwendung.“

    Merkel äußer sich in seinem Artikel ausdrücklich zum Ukrainekrieg, also ist dieser Hinweis deplatziert, denn der UN-Sicherheitsrat hat einen solchen Beschluss nicht gefasst und wird ihn nie fassen, weil Rußland dort ein Vetorecht hat.

    Die Bewohner der Krim fühlten sich mehrheitlich als Russen und wollten schon vor 2014 den staatsrechtlichen Wechsel nach Rußland. Woher weiß Herr Merkel das?
    Im Unabhängigkeitsreferendum von 1991 votierten immerhin 54 % der Bevölkerung der Krim für die Ukraine, nur 42 % waren dagegen (In der gesamten Ukraine stimmten 90 % der Bevölkerung für die Selbstständigkeit.).

    1. Auch wenn es nicht jeder Person gefällt, noch werden deutsche Minister und Ministerinnen nicht auf die Ukraine vereidigt. Ich kann ebenfalls nicht gezwungen werden, auf einen Sieg der Ukraine zu setzen/ hoffen

        1. Die Ukraine ist keine Mischung aus den Niederlanden und Schweden, sondern ein hoch korrupter und problematischer Oligarchenstaat. Bin von der Partei Adenauers und Kohls enttäuscht, welche Italen und Frankreich heute für GB, Polen , Balten und Ukraine opfern würden!

        2. Das ist zwar grundsätzlich richtig, doch ein Allgemeinplatz. Z. B. sollte man den Sieg der Alliierten über Nazideutschland wertschätzen, zumal er unter ungeheueren Opfern errungen wurde.

    2. Es war absehbar, dass der Merkel-Artikel vom 28.12.2022 viel Staub aufwirbeln wird. Neben dem üblichen Propagandamüll gibt es aber auch sehr interessante und (für mich) lehrreiche Repliken. Für diejenigen, die die Diskussion in der FAZ nachverfolgen möchten, hier eine Übersicht der bisherigen Beiträge (im FAZ-Archiv für jeweils 3 EUR erhältlich):

      Helmut Philipp Aust, „Russland hat jedes Vertrauen verspielt“, FAZ 02.01.2023
      Gwendoly Sasse, „Die Krim . annektiert, nicht befriedet“, FAZ 05.01.2023
      Darrell Moellendorf, „Das Opfer hat keine Mitschuld an Kriegsverbrechen“, FAZ 17.01.2023
      Matthias Goldmann, „Wer nimmt die Abwägungen vor?“, FAZ 19.01.2023

      Übrigens, Herr Plätzsch, das zustimmende Votum der Krim zur Unabhängigkeit der Ukraine 1991 in Zusammenhang mit der Haltung der Mehrheit der Krimbevölkerung gegenüber den sich ab 2014 in der Ukraine entwickelnden politischen Verhältnissen zu bringen, halte ich für gewagt. Bis auf die Umfrage vom auch im Westen i. a. respektierten Lewada-Zentrum von 2019, nach der sich eine Mehrheit für die Zugehörigkeit zu Russland ausgesprochen hat (Andriy Zagorodnyuk, Foreign Affairs, 02.01.2023), gibt es in der Tat keine präzisen Daten zum Meinungsbild unter der Krim-Bevölkerung. Umso dringlicher sollte man sich um diese kümmern, bevor man zu einem neuerlichen Blutbad ansetzt. Ein faires Referendum unter internationaler Kontrolle ist dringend erforderlich.

      1. Ein solch faires Referendum der Krimbevölkerung, zu welchem Staat sie gehören will, wird nicht kommen. Rußland würde dies niemals zulassen, da es sich auf den Standpunkt stellte, dass dies in seine Souverenität eingriffe. Mit dem gleichen Argument wäre auch die Ukraine dagegen, zumal sie mit gewisser Wahrscheinlichkeit befürchten muss, dass es zu ihren Lasten ausginge.

  18. Eine besondere Zustimmung an die Herrn A. Schwerdtfeger, Joh. Lerchner und Chr. Wolff. Sehr wohltuend die angebrachte Ruhe, klaren Darstellungen der derzeitigen Situation, welch aus meiner bescheidenen Kenntnis der Dinge höchst problematisch ist und eine friedenslösende Klärung anbetrachts der extrem komplexen Kriegsrealität mehr und mehr abhanden zu kommen scheint. Wer geht den ersten und vernehmbar überzeugenden Schritt, mit Putin in Moskau zu debattieren? Warum reisen ein O. Scholz, oder v.d. Leyen oder E. Macron oder der UN-Sekretär António Guterres nicht in den Kreml und bieten die Verhandlungshand an?
    Selbst ein General der Bundeswehr (a.d.) warnte vor den Kampfpanzer-Lieferungen – wie seit Wochen diskutiert ohne Ergebnis für ja oder nein – und überhaupt vor weiteren Waffenlieferungen in die Ukraine; er sei besorgt und sähe die weitere Entwicklung als gefährlich. Erstaunlich und vermutlich aus wohlüberlegtem Analysefazit, im Hintergrund seine militärischen Erfahrungen einfließen lassend.
    Werter Herr Schwerdtfeger: Ihre Analytik tangiert pazifistische Überlegungen und lieber Herr Lerchner: ich kann Ihnen folgen, sehr wohl.
    Und ob die Ukraine nun historisch unumkehrbar zum russischen reich gehört oder eben nicht, wird aus den differenzierten Interpretationen zum Kiewer Rus überaus deutlich. Putins absoluter Herrschaftsanspruch ist eben seine Sichtweise, es gibt aber auch andere. Dort liegt ein weiteres Problem, was seine Okkupation seit dem 24.02.2022 rechtfertigen soll.
    Ja, ein Dilemma – es muss endlich etwas passieren, ansonsten bricht die Weltordnung noch weiter auseinander.
    Die oben genannten drei Blogger brachten es auf den Punkt; danke.
    Und die von Wolff geforderte Debatte zu all den benannten Aspekten muss losgehen – mit Ruhe und mit gegenseitigem respekt!
    Gutes Wochenende aus DD

  19. Vielleicht interpretiere ich ja Käfers Beitrag falsch, aber mir scheint schon ein Widerspruch zu bestehen zwischen der Aussage, „Inhalt und Umfang unserer Hilfe sollte grundsätzlich die Ukraine definieren“, und dann dem Schluß, „von der deutschen Regierung wünschte ich, oft schnellere Entscheidungen zu treffen und vor allem die Bereitschaft, echte Führungsverantwortung in Europa zu übernehmen“. Man kann, so sehe ich es, nicht gleichzeitig die eigene Außenpolitik einer fremden Innenpolitik unterordnen und trotzdem Führungsverantwortung tragen und ausüben. Aber wie gesagt: Falsch verstanden? Auf jeden Fall aber halte ich es für sehr unglücklich, wenn wir bei unterschiedlichen politischen Zielsetzungen der beiden Seiten (siehe mein vorheriger Beitrag) uns von der Ukraine diktieren liessen, was wir wann liefern oder sonstwie tun. So nachvollziehbar ukrainische Politik derzeit ist und so sehr die ukrainische Lage unsere Herzen anspricht – wir sollten sachlich und mit verstandesmäßiger Analyse unser Politik formulieren – und dazu gehört auch (leider hierzulande und bei Partnern übersehen) daß die Ukraine eine Menge Hausaufgaben machen müßte, um glaubwürdig und ein Bündnisaspirant zu sein bzw zu werden.
    Denn mir, Herr Lerchner, sind die ukrainischen Zielsetzungen nicht so klar – dies nicht, weil die Ukraine nicht klar formuierte, was sie wollte: Territorialer Status quo ante 2014 (Käfer fordert da deutlich weniger), Schadenbeseitigung, völkerrechtliches Tribunal, etc., sondern weil diese Zielsetzungen sozusagen alle mit dem Kriegsende (oder vielleicht einem Waffenstillstand?) enden. Es ist ja derzeit nicht ausgeschlossen, daß es irgendwann eine Art koreanischer Lösung geben wird: Waffenstillstand – und dann das große Vergessen oder Sich-Einrichten. Will die Ukraine zB Mitglied der EU / NATO auch dann werden, wenn sie die Krim und Teile des Donbass mit einem längeren Waffenstillstand ohne vertraglichen Friedensschluß nicht zurückerhält. Wollen wir sie dann trotzdem in diese Bündnisse aufnehmen? Hier, so glaube ich, liegen Fragen, die man vielleicht nicht öffentlich diskutieren will, die aber dennoch einer ukrainischen (und westlichen) Definition bereits jetzt unterliegen müßten.
    Und was das Kriegsvölkerrecht angeht: Lieber Herr Lerchner – ich habe keine Lösung und dennoch ist dies doch ein offensichtliches Problem, das von internationalen Juristen- und Diplomatenkreisen wenigstens angegangen werden müßte. Einige offensichtlichen Defizite des jetzt gültigen Kriegsvölkerrechts:
    – Es baut auf auf dem Kriegsbild „Streitkräfte gegen Streitkräfte“. Heute aber kämpfen Streitkräfte überwiegend gegen Organisationen, die die Merkmale von Streitkräften nicht erkennen lassen (Uniformen, Strukturen, „Fronten“, etc.), also Freischärler – und dies sowohl in bilateralen als auch in Binnenkonflikten (siehe Ukraine VOR Feb 2022). Diese Freischärler verlangen die Sicherheit des Völkerrechts für sich selbst, lehnen aber die Einhaltung des Völkerrechts bei ihren eigenen Aktionen ab. Ein Beispiel hierfür ist, daß der Schutz von Nichtkombattanten dann diskutabel wird, wenn Zivilisten (darunter auch Frauen und Kinder) für militärische Aktionen bewußt eingesetzt werden (zB Hamas).
    – Es baut auf einer klaren Trennung des Kriegsvölker- vom Strafrecht auf. Wenn sich aber „feindliche Kommandeure“ (wie zB iranische Generale, die Terrororganisationen in fremden Ländern steuern) weit hinter Fronten frei bewegen können ohne der Gefahr ausgeliefert zu sein, durch weitreichende Präzisionswaffen ausgeschaltet zu werden, weil dies als strafrechtliches Vergehen angesehen wird, so sind sie quasi geschützt unter Mißbrauch völkerrechtlicher Garantien für sich selbst. Im 2.WK mußten die Amerikaner noch mit einem Flugzeug den feindlichen japanischen Oberbefehlshaber ausschalten (ich glaube, es war 1943 auf Mindanao); heute eben ist dies mit cruise missiles über große Entfernungen möglich. Es bleibt aber eine legitime Kriegshandlung gegen einen feindlichen Befehlshaber, der sich selbst auch so sieht – und unterliegt also nicht dem Strafrecht.
    – Die Ächtung von Waffenkategorien, die jedes Kriegsvölkerrecht anstreben muß, ist richtig. Sie darf aber nicht – vielleicht besser: Sie kann aber nicht – die technische Entwicklung von Waffen stoppen oder verhindern. Kriegsvölkerrecht muß also besser bestimmte Kompromisse in Kauf nehmen, so schmerzlich sie sind, als „absolute“ Regeln formulieren, die von Staaten unterschrieben werden, deren Vertragstreue zweifelhaft ist – oder gar nicht erst unterschrieben werden. Einseitige vertragliche Bindungen sind nicht viel wert oder ungerechte Benachteiligung.
    – Und – der Kriegsverlauf in der Ukraine zeigt es bitterlich: Kriege wurden immer AUCH geführt, indem man die gegnerischen Kriegsressourcen angriff und den Gegner von seiner Versorgung abschnitt, in anderen Worten: Indem man indirekt oder direkt die Zivilbevölkerung angriff. Je mehr Infrastruktur, Transportwege, Versorgung sowohl mit militärischen als auch mit lebensnotwendigen Grundlagen, etc., Einfluß auf die Erfolgsaussichten der kriegführenden Parteien haben, desto stärker werden diese Einrichtungen zu militärischen Zielen. Hinter jedem Soldaten an der Front (also dem Kämpfer) steht heute eine riesige Zahl von Soldaten in der Versorgung, in der Zielaufklärung, an den systemrelevanten Computern und Rechenanlagen und zusätzlich eine riesige Zahl von Zivilisten in den Versorgungsdepots, in der Produktion, in technischen Versorgungsanlagen (Kraftwerke, Bahnlinien/-höfe, Wasserwege und Strassen, Rechenzentren, etc). Wo ist der Unterschied zwischen legitimen und nicht legitimen Zielen und wie definiert man ihn? Jedenfalls ist dies schwieriger geworden.
    – Und schließlich: Der Mißbrauch völkerrechtlich geschützter Einrichtungen: Im Vietnamkrieg und im Irakkrieg (und sicher bei vielen anderen Gelegenheiten) wurden militärische Hauptquartiere und ihre wichtigen elektronischen Verbindungen in Räumen UNTER Hospitälern eingerichtet und so durch das Rote Kreuz geschützt. Hebt das den Schutz auf? Welche Sanktionen (auch nachträglich) gibt es? Ist das irrelevant?
    Ich habe keine Lösungen, sehe aber das Problem. Und dies relativiert die ewig gleiche, moralisierende und am Problem vorbeigehende Kommentierung unserer Medien und Öffentlichkeit – auch, leider, im augenblicklichen Ukrainekrieg.
    Andreas Schwerdtfeger

  20. Ihr Beitrag, lieber Herr Wolff, deutet die richtige Richtung an und es gibt wohl im Augenblick niemanden, der so vermessen sein sollte, einen konkreten Weg zu zeigen. Aber eine Problemanalyse kann man schon versuchen:
    1. USA, NATO und EU haben bisher versucht, einen Konflikt zu lösen und gleichzeitig einer militärischen Einbeziehung in diesen zu vermeiden, indem sie den einen Kontrahenten mit Sanktionen überzogen, den anderen mit Waffen beliefert haben. Beides sind „Strategien“, die, wenn überhaupt, erst, mit erheblichem Zeitverzug wirken. Wir haben also den Krieg eher gefüttert, als zu seiner Beendigung beizutragen – und die ganzen fehlgeleiteten Diskussionen über Waffenlieferungen in genau dosierten kleinen Chargen belegen dies ebenso wie die stotternde Sanktionspolitik.
    2. Der Westen hat sich von der unterlegenen Kriegspartei Ukraine einspannen lassen in deren Politik. Dies wird in fast allen Politikeräußerungen deutlich, deren Aussage sinngemäß immer die ist: Die Ukraine gibt vor, ob und mit wem verhandelt werden darf; sie fordert Waffensysteme, verweigert aber (so weit ich weiß) eine Aussage, wozu sie diese braucht im Sinne einer klar erkennbaren militärischen oder gar politischen Zielsetzung. Nicht nur aus westlicher Sicht sind die Waffenlieferungen daher „Stückwerk“, sondern auch die Ukraine selbst kann nicht sagen, was sie eigentlich will – dies jedenfalls, solange man wie ich nicht daran glaubt, daß das rein militärische Ziel der Wiedergewinnung des gesamten Territoriums einschl der Krim ein realistisches ist.
    3. Der Westen erkennt scheinbar nicht, daß ein politisches Ziel und eine daraus abgeleitete Strategie (und das ist weit mehr als nur ihr militärischer Anteil) sehr unterschiedlich sein muß (geradezu), ob dieses von ihm, dem Westen, oder der Ukraine formuliert wird.
    a. Die Ukraine ist ein überfallener Staat im Verteidigungskampf – die Überlegungen ihrer Führung richten sich auf geographisch lokale Ergebnisse: Befreiung des Territoriums, militärisches zurückwerfen des Gegners, dokumentieren der Opfer und Schäden und deren Klassifizierung in rechtlichem Sinne, Schutz und Versorgung der Bevölkerung, aufrechterhalten der Bedingungen für einen Wiederaufbau und über allem: Sicherstellung der weiteren Versorgung durch die Unterstützer (Verbündeten?) und vielleicht Planung der künftigen Sicherheit durch Garantien und Eintritte in Bündnisse.
    b. Die USA, NATO und EU aber sind nicht überfallen und werden es auch nicht sein. Ihre Interessen sind geographisch weiter gespannt, haben (oder sollten haben) einen weit größeren zeitlichen Horizont und sind (oder sollten sein) weit weniger auf den Zeitpunkt eines möglichen militärischen Sieges, sondern auf die Zeit danach fixiert.
    Kurz gefasst könnte man sagen: Die Frage für die Ukraine lautet: Wie gewinnen wir den Krieg und befreien unser Territorium und wie sorgen für im Anschluß für politischen Schutz vor Wiederholung? Für den Westen dagegen lautet die Frage: Wie muß im Sinne einer globalen Sicherheitspolitik die Welt aussehen, damit unsere territoriale und rechtliche Souveränität, unsere Wertematrix, unsere Sicherheit im weitesten, also auch logistischen (freier Handel, Sicherheit der Verkehrswege auf Land und See, etc) Sinne gewährleistet bleiben? Ein Teilaspekt dieser Frage ist dann auch das Ukraine-Problem. Im Grunde aber betrifft diese Frage genauso den Nahen und Mittleren Osten, den afrikanischen Kontinent und den indo-pazifischen Raum. Und wenn man ganz weit denkt, dann müßten noch Überlegungen hinzu kommen zur Frage der Neugestaltung der UNO (wozu man insbesondere die fünf Veto-Mächte braucht), zu Möglichkeiten von Rüstungskontrollvereinbarungen und zu einer Anpassung und Reform des internationalen Rechts, insbesondere des Kriegsvölkerrechts, and die heutigen, in jeder Hinsicht unübersichtlichen Formen der Gewaltanwendung in zwischen- und binnenstaatlichen Bereichen.
    Es ist also falsch, wenn der Westen sich nur mit Fragen aktueller Waffenlieferungen beschäftigt, wenn er sich der ukrainischen Politik komplett unterordnet, wenn er so tut, als gäbe es Identität der Ziele.
    Auch ich will nicht so vermessen sein, Wege vorzuschlagen. Aber einige Eckpunkte kann man wohl mindestens zur Diskussion stellen:
    1. Die Person Putins ist ohne Zweifel ein Problem. Dennoch hielte ich es für falsch, Rußland als gemeinsamen Bewohner des europäischen Kontinents in die Arme der asiatischen Welt zu schieben. Der Westen braucht Rußland und muß deswegen Türen offenhalten. Das ist nicht die Position der LINKEn oder der AfD, das ist geopolitische Vernunft.
    2. Rußland ist Vetomacht in der UNO. Der Westen braucht die russische Kooperation in diesem Gremium – jedenfalls solange wir die UNO bei allen offensichtlichen Schwächen dennoch für ein notwendiges Instrument der Weltpolitik halten.
    3. Wie immer die Ukraine (und mit ihr der Westen) in die jetzige mißliche Lage gekommen ist – jetzt geht es darum, den Frieden wiederherzustellen. Dazu muß der Ukraine klar sein (oder gemacht werden), daß Krim und insbesondere Donbass schon vor dem Krieg Konfliktgebiete ukrainischer Innenpolitik gewesen sind und ein militärischer Sieg daran nichts änderte, wenn nicht die Ukraine selbst dort eine andere Politik ankündigen würde.
    4. Die internationalen Garantien für die Ukraine, die zu verhandeln sind, sollten so weit wie möglich im diplomatisch multilateralen Raum und in der Einbindung sowohl der Ukraine als auch Rußlands in Handels- und Wirtschaftsverträge, und so wenig wie möglich in militärischen Verpflichtungen gesucht werden.
    5. Wenngleich es kaum noch rückgängig zu machen ist: Die Aufnahme der Ukraine in die EU wird ein Fehler sein und die EU weiter schwächen. Und ihre Aufnahme in die NATO wäre ein noch schwerere Fehler, denn er weckte Begehrlichkeiten zB in Georgien und Armenien / Azerbaidjan. Beide Bündnisse, so unterschiedlich sie sind, können sich den Import von Konflikten kaum leisten.
    Ich plädiere daher für
    – ein Ende der unnötigen Verschärfung der Lage durch verbale Überbietungsrhetorik gegen Putin und sachliche Sprache;
    – Verdeutlichung gegenüber der Ukraine, daß unsere Ziele und ihre nicht deckungsgleich sind und unsere Außenpolitik bei Berücksichtigung ukrainischer Belange weiter gefasst ist;
    – eine Zielorientierung der gemeinsamen westlichen Rußlandpolitik in Richtung auf langfristige europäisch-atlantische Partnerschaft, Rüstungskontrolle, gemeinsamen Wirtschaftsraum, etc, unter Einschluß der Ukraine – wenn diese glaubhaft macht, daß ihre eigene Innenpolitik nicht an die Zustände VOR Kriegsbeginn anschließt.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Hallo Herr Schwerdtfeger,

      mein Kompliment für die wohltuend differenzierte Analyse des Ukraine-Problems. Eine derartige Einschätzung aus doch eher konservativer Ecke hätte ich nicht erwartet. Vielleicht kann ich mich aber nur nicht mehr so richtig an relevante, frühere Beiträge von Ihnen erinnern.

      Viele der von Ihnen behandelten Punkte kann ich gut bis sehr gut nachvollziehen. Nur an einer Stelle war ich überrascht und an einer anderen habe ich Aufklärungsbedarf. Ich dachte, das ukrainische Kriegsziel ist klar: Vertreibung der Russen aus allen besetzten Gebieten einschließlich Krim und Donbass, Verpflichtung Russlands zu Reparationen bzw. zur Beseitigung von Kriegsschäden, Installierung eines internationalen Strafgerichts. Dann wäre es schön, wenn Sie bei Gelegenheit mal ausführlicher Ihre Bemerkung zur angemahnten Anpassung und Reform des Kriegsvölkerrechts erläutern könnten.

      Beste Grüße,

      Johannes Lerchner

  21. Demnächst jährt sich der Tag der „Zeitenwende“. Hätte ich am 24.2. und in den Tagen danach meine persönlichen Einschätzungen zur Entwicklung dieses Überfalls Russlands auf die Ukraine schriftlich festgehalten, so gut wie nichts hätte heute noch Bestand.
    Aus heutiger Sicht gilt für mich:
    • Putins Russland ist ein Verbrecherstaat, der der Ukraine die Existenzberechtigung abspricht
    • Russland begeht täglich gravierende Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine
    • Zusammenhalt der Bevölkerung und nationale Identitätsgefühle haben in der Ukraine massiv zugenommen
    • Die Bereitschaft der Ukrainer:innen, den Kampf fortzusetzen, scheint auch nach fast einem Jahr ungebrochen
    Daraus ergibt sich für mich:
    • Deutschland muss die Ukraine weiter politisch, wirtschaftlich und militärisch unterstützen
    • Inhalt und Umfang unserer Hilfe sollte grundsätzlich die Ukraine definieren
    „Rote Linien“ bei der Unterstützung sind für mich:
    • Deutschland darf nicht Kriegspartei im Sinne des Völkerrechts werden
    • Ziel des ukrainischen Kampfes ist die Rückgewinnung des Status quo ante 24.2.2022
    Darüber hinausgehende (durchaus auch berechtigte) Ziele der Ukraine können mittel- bis langfristig über Verhandlungen, Verträge, Abstimmungen angestrebt werden.
    Mir ist bewusst, dass ich damit mehr und auch schwerere Waffenlieferungen an die Ukraine befürworte. Trotzdem wird die Ukraine Russland niemals militärisch bezwingen können, egal wie umfangreich diese sein mögen; sie ermöglichen lediglich die weitere Existenz (z.T. mehr schlecht als recht) des ukrainischen Staates.
    Erfolgversprechende Ansätze, mit diplomatischen Offensiven einem Frieden näher zu kommen, kann ich gegenüber Russland und Putin nicht erkennen. Sehr wohl aber in Bezug auf die chinesische, die indische oder andere Regierungen, die den wirtschaftlichen Druck auf Putin weiter erhöhen könnten, sodass dieser Friedensverhandlungen schneller zustimmt.
    Von der deutschen Regierung wünschte ich, oft schnellere Entscheidungen zu treffen und vor allem die Bereitschaft, echte Führungsverantwortung in Europa zu übernehmen, natürlich in enger Abstimmung vor allem mit der französischen Regierung (daran hapert es derzeit nach meinem Eindruck).

    1. Die Ukraine ist nicht die Prinzessin,sondern der Bauer. Russland wird nicht verschwinden, wir müssen, danke an den Offizier A.S., mit ihm auskommen. Es wird keine dauerhafte Ordnung in Europa für Frieden, Freiheit und Sicherheit ohne Russland geben, einem Kohl war es klar. Nicht die Ukraine definiert, was wir zu tun haben, sondern unsernRealismus, bleibt jedenfalls zu hoffen.

  22. Der Beitrag „Dilemma“ bringt sehr gut auf den Punkt, was mich seit Wochen und Monaten bewegt und nicht zur Ruhe kommen lässt. Danke dafür! Ja, es ist wahrlich angebracht, mehr Klarheit über die Ziele deutscher Politik und der diese vor sich hertreibenden „Leitmedien“ bezüglich des Ukraine-Krieges zu schaffen. In einer anzustrebenden, stärker demokratisierten Debatte über Sinn und Zweck deutschen Engagements in der Ukraine sollten folgende Grundsätze und Aspekte berücksichtigt werden:

    1. Oberste Priorität muss m. E. das physische Überleben der ukrainischen Bevölkerung haben und zwar eines unter menschenwürdigen, selbstbestimmten Bedingungen. Dazu zählt zumindest die Verfügbarkeit nicht geschädigten Wohnraumes, die Versorgung mit den notwendigen Mitteln zum Leben und Arbeitsmöglichkeiten zum eigenständigen Broterwerb. All dieses wird bei einer Fortführung des Krieges und der damit einhergehenden weiteren Verwüstung des Landes zunehmend gefährdet. Russland hat nach wie vor die Eskalationsdominanz und wird bei einer sich abzeichnenden militärischen Niederlage diese rigoros nutzen. Jedes Drehen an der Eskalationsspirale, von welcher Seite auch immer, wird zur eigentlichen Gefahr für das Überleben der Ukraine als eigenständiger Staat, weil es dessen Existenzgrundlagen vernichtet. Das Gerede, mehr Waffen würden Leben retten (Baerbock), hat sich als Unsinn erwiesen.

    2. Die Kriegsparteien und die sie unterstützenden Staaten sind dafür verantwortlich, dass Europa nicht infolge von militärischem Kontrollverlust ins Chaos abgleitet und der Rest der Welt, insbesondere der globale Süden, als Folge des parallel geführten Wirtschaftskrieges mit/gegen Russland langanhaltend geschädigt wird. Auch der von manchen angestrebte bzw. erhoffte Zerfall der russischen Föderation wäre eine globale Katastrophe. Christian Hacke: „Ordnung ist ein höheres Gut in der Weltpolitik als Gerechtigkeit“ [1].

    3. Die Bedeutung der territorialen Integrität der Ukraine (deren Wiederherstellung in den Grenzen von 2014) ist der Sicherung des elementaren Überlebens der Ukrainer untergeordnet. Auch wenn das nicht im Einklang mit internationalem Recht steht und das Gerechtigkeitsempfinden sich dagegen sträuben mag. Reinhard Merkel, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie der Uni Hamburg formuliert das in einem Aufsehen erregenden, sehr kontrovers diskutierten Beitrag für die FAZ („Verhandeln heißt nicht kapitulieren“, 28.12.2022) so [2]: „Regierungen haben Schutzpflichten gegenüber den Bürgern ihrer Länder. Dazu gehört auch die Verteidigung des Staates gegen Aggressoren, aber der Schutz von Leib und Leben und Zukunft seiner Bürger ebenfalls.“ Und weiter in Hinblick auf die kompromisslose Verfolgung von Maximalzielen durch die ukrainischen Regierung (vollständige Kapitulation Russlands): „…noch immer allein auf die Fortsetzung der Gewalt zu dringen und jede Verhandlung über deren Ende abzulehnen ist nicht tapfer, sondern verwerflich.“

    4. Die Berücksichtigung des sträflich vernachlässigten Selbstbestimmungsrechts russophiler Minderheiten in der Ukraine (Donbass, Krim) kann bei den strittigen territorialen Fragen nicht ausgeklammert werden (bemerkenswert Merkel auch zur Krim-Frage, [2]).

    5. Unbedingt zurückzuweisen sind alle Bestrebungen, den Ukraine-Krieg zunehmend zu einem Stellvertreterkrieg Russland-USA werden zu lassen (Michael von der Schulenburg, deutscher Diplomat bei der UN und OSZE [3]). Ein Verständigungsfrieden (statt eines Siegfriedens) würde dadurch blockiert. Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov jüngst im Interview: „Wir führen heute die Mission der NATO aus. Sie vergießen nicht ihr Blut. Wir vergießen das unsere. Deshalb sind sie verpflichtet, uns mit Waffen zu versorgen.“ [4]. Condoleezza Rice, ehemalige Außenministerin unter G. W. Bush, und Robert Gates warnen aktuell, dass ausbleibende militärische Erfolge der Ukraine die globale Stellung der USA gefährden würden.

    [1] https://www.telepolis.de/features/Plaedoyer-fuer-Friedensverhandlungen-im-Ukraine-Krieg-7458632.html?seite=all
    [2] https://www.directupload.net/file/d/6799/3wviftkf_pdf.htm
    [3] https://www.directupload.net/file/d/6799/xfvg2t4c_pdf.htm
    [4] https://seniora.org/politik-wirtschaft/bidens-existenzangst-in-der-ukraine-biden-s-existential-angst-in-ukraine

    1. „Das Gerede, mehr Waffen würden Leben retten (Baerbock), hat sich als Unsinn erwiesen.“
      _________________________________________________________________

      Ihre Äußerungen muss man im Zusammenhang mit Ihren früheren Äußerungen sehen, z. B. dass Gorbatschow das Sowjetimperium verspielte oder dass die Maidan-Revolution in der Ukraine ein Staatssreich war oder dass wertebasierte Außenpolitik dem Klimaschutz schadet. Sie sind ein erklärter Russenfreund und Antiamerikaner! Mit letzerem treffen Sie sich mit dem Betreiber dieses Blogs – typisch für die Kongruenz von Rechts-, und Linksaußen. Sie wollen in Wahrheit die Kapitulation der Ukraine.

      1. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen, lieber Herr Plätzsch. Der „Betreiber dieses Blogs“ ist weder ein sog. „Russenfreund“ (gemeint ist damit jemand, der dem Putin-Regime mit Sympathien begegnet) noch ein „Antiamerikaner“ (was immer man darunter auch zu verstehen vermag) und schon gar nicht bin jemand, der einer „Kongruenz von Rechts- und Linksaußen“ das Wort redet. Ich hoffe sehr, dass im Blick auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine Politik-Ansätze jenseits von Waffenlieferungen nicht mit dem sich abnutzenden Argument, damit plädiere man für die Unterwerfung der Ukraine, vom Tisch gewischt werden. Darum noch einmal die Frage: Dienen die sich steigernden Waffenlieferungen tatsächlich dem Ziel, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und die Souveränität und nationale Integrität der Ukraine zu bewahren bzw. wieder herzustellen, angesichts der andauernden und sich steigernden zerstörerischen Kriegführung Russlands? Welche Alternativen kann man dazu entwickeln? Christian Wolff

        1. Okay, lieber Herr Wolff, da war ich polemisch. Aber ich hatte Ihren Einwurf in einem früheren Thread zu diesem Thema, die USA hätten auch Kriege in ihrer Einflussshäre angezettelt, als Whataboutism aufgefasst.
          Leider kann ich Ihre Fragen nicht beantworten. Ich bin aber offen für alle Optionen (nicht Alternativen, denn eine Alternative ist stets die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten), um den Krieg zu beenden. Der frühere General Hans-Lothar Domröse sagte jetzt, er sehe keine Möglichkeit, dass die Ukraine mit militärischen Mitteln ihre Kriegsziele erreichen könne. Ihre Armee hätte höchstens noch 120.000 Mann Stärke. So bleibt wohl der Ukraine nur die Alternative zwischen dem Eintritt eines militärischen Wunders oder die Annahme der russischen Bedingungen:

          Aus dem Tagesspiegel vom 27.12.2022 über Äußerungen des russischen Außenministers:

          „Lawrow bekräftigte dabei altbekannte Forderungen wie die Anerkennung der besetzten Gebiete, die rund ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets ausmachen, die „Demilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der übrigen Ukraine und Sicherheitsgarantien.

          „Die Sache ist ganz einfach: Erfüllen Sie sie zu Ihrem eigenen Besten. Andernfalls wird die Angelegenheit von der russischen Armee entschieden.““

          https://www.tagesspiegel.de/internationales/lawrow-droht-ukraine-erfullt-forderungen-sonst-wird-dies-von-der-russischen-armee-entschieden-9093031.html

      2. Hallo Herr Plätzsch,

        Ihre Vorliebe für Denkschablonen macht eine inhaltliche Würdigung Ihrer Einlassungen nicht sehr attraktiv. Sie geben mir aber ein schönes Stichwort.

        Es stimmt, ich hatte mich seinerzeit mit der Interpretation der Putin’schen Rede vom Zerfall der Sowjetunion als der „Jahrhundertkatastrophe“ der Russen befasst. Es geht dabei aber weniger um die Rolle Gorbatschows. Im Fokus der Kritik russischer Nationalisten steht zunehmend die damalige Nationalitätenpolitik Lenins. Sie greifen Lenin an, „weil er der Ukraine den Donbas schenkte, Stalin, weil er den östlichen Teil Polens an die Ukraine gab, und Chruschtschow, weil er die Krim von Russland an die Ukraine übertrug.“ (Branko Milanovic, City University of New York, in Makronom, 9. Januar 2023, https://www.directupload.net/file/d/6801/zee92sn6_pdf.htm ). Kritisiert wird, dass den verschiedenen Ethnien unter dem Dach der UdSSR zu viel Eigenständigkeit gegeben wurde, was letztendlich den Zerfall der Föderation begünstigte. Ich finde das interessant im Zusammenhang mit der Sowjetunion-Revival-These und dem Vorwurf, Putin wolle die Ukraine vernichten.

        Und noch eins: Wenn Sie mich als Russenfreund bezeichnen, kann ich dem nicht hundertprozentig widersprechen. Das hat mit meiner Vita zu tun. Es schmerzt mich, die Kultivierung eines antirussischen Chauvinismus auch bei uns im Lande zu erleben (Eugen Ruge, „Gibt es einen nützlichen Völkerhass?“, FAZ 03.11.2022, https://www.directupload.net/file/d/6769/74ufvfhl_pdf.htm). Und natürlich finde ich Sprüche vom „Verbrecherstaat“ Russland niveaulos. Übrigens ist das alles ein weiteres starkes Motiv für mich, einen alsbaldigen Frieden in der Ukraine herbeizusehnen.

        Beste Grüße,

        Johannes Lerchner

        1. Niveauvolle Urteile lassen sich leichter fällen, wenn man aus Aussagen zu PUTINS Russland solche zu Russland im Allgemeinen macht. Analog könnte man das mit Erdogans Türkei, Orbans Ungarn , Trumps Amerika, Bolsonaros Brasilien usw. so machen, um „niveaulose Sprüche“ zu beklagen.
          Im Umkehrschluss dürfen Sie gerne weiter PUTINS Russland lieben, H. Lerchner.

    2. Danke für die Literatur-Links. Vor allem der FAZ-Artikel von Prof. Merkel erscheint mir interessant, erhellend und weitgehend neutral gefasst. Dies gilt für mich nur eingeschränkt bei den Einlassungen von Prof. Hacke und H. Schulenburg, die auch bereits bekannte Argumente von z.B. Fr. Wagenknecht oder Fr. Weidel aufgreifen (NATO-Aggression gegen Russland, Stellvertreterkrieg der USA, Hegemoniestreben der USA).
      Wenn ich mehr und schwerere Waffenlieferungen befürwortet habe (19.1., 13:12 Uhr), sollte ich das zusätzlich mit der Bedingung der Aufnahme von Verhandlungen zwischen Ukraine, Russland und anderen Staaten/Organisationen verknüpfen, um den Status quo ante 24.2.2022 wieder herzustellen.
      Damit könnte der Westen zumindest die Ukraine direkt zu Verhandlungen (im Sinne des ius ex bello) zwingen, Russland vielleicht über die Aussicht der Lockerung (westlicher) Wirtschaftssanktionen, oder der Erhöhung des wirtschaftlichen Drucks durch Einbeziehung Chinas/Indiens.

  23. Die Ukraine EINERSEITS in die Lage von effektiven Verhandlungen mit Russland zu versetzen, in denen die Voraussetzungen für einen vollständigen Abzug der Invasoren aus dem völkerrechtlich anerkannten Landesgebiet zu regeln wären und ANDERERSEITS der Ukraine alle notwendigen Mittel bereitzustellen, die für Putin aus seiner eigenen Perspektive wahrnehmbar das Risiko seines militärischen Scheiterns in der Ukraine markant steigen lassen – dies beides sind keine Gegensätze, sondern aus meiner Sicht ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE!

    Nicht zu erkennen, dass das eine das andere bedingt, wenn man es mit einem Gewaltherrscher im „Format“ eines Herrn Putin zu tun hat, ist das, was für mich im Blick auf das Regierungshandeln im Kanzleramt und Verteidigungsministerium seit dem 24.2.2022 vollkommen unerträglich war und bleibt. Indem man sich zunächst mit 5000 Helmen gebrüstet hatte als starkes Zeichen der Unterstützung der Ukraine, indem man anschließend Panzerabwehrwaffen aus DDR-Beständen als maximal große Tat dargestellt hat vor dem Hintergrund, dass Deutschland damit ja eine Tradition gebrochen hat, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, indem man dann in der Folge ein Patriot-Luftabwehrsystem Polen angeboten hat, der Ukraine hingegen verweigert hat und indem man schließlich die Ukraine um zur Verteidigung erforderliche Schützenpanzer und Kampfpanzer monatelang vergeblich hat betteln lassen, mit alledem hat die Bundesregierung leider unentwegt gegenüber Putin das ungewollte Signal gesendet, dass Russland keineswegs über Modalitäten eines Rückzugs aus der Ukraine verhandeln müsse, da dieses Land ja ohnehin über die Zeit hinweg besiegt werden könne.

    Es bleibt zu hoffen, dass die Beschlüsse der Ramstein-Kontaktgruppe an diesem Wochenende endlich gegenüber Putin eine so klare, unzweideutige und abschreckende Botschaft aussenden, dass er beginnt zu erkennen, dass Verhandlungen über die Art und Weise eines vollständigen Rückzugs aus der Ukraine für ihn am Ende besser sind als weiter die Ukraine militärisch unterwerfen zu versuchen. Der Rollenwechsel des Kanzlers vom wiederkehrenden Bremser notwendiger militärischer Unterstützung der Ukraine hin zum Anschieber innerhalb Europas WÄRE ein wichtiger Teil einer solchen klaren, unzweideutigen, abschreckenden Botschaft gegenüber Putin. Aber man muss realistisch bleiben müssen – dieser Bundeskanzler wird von Putin auch nach diesem Wochenende tragischerweise weiter als ein Faktor angesehen, der dafür spricht, so weiter zu machen wie bisher.

    „Wie kann ich auf Verhandlungen setzen und gleichzeitig einen Verhandlungspartner, nämlich den überfallenen und schwächeren, dadurch schwächen, dass ich ihm nicht weiter aufhelfe?“ Joachim Gauck, zitiert aus https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gauck-lanz-waffen-ukraine-krieg-russland-100.html

  24. Putins Krieg in der Ukraine ist ein Kampf von Mystik (Russland) gegen Logos (westliche liberale Demokratie).

    Mystiker des RuZZismus meinen ihre Probleme durch Vertreibung, Folter und Auslöschung lösen zu können … im Stil des Iwan der Schreckliche und einer Brutalität, die an das Mittelalter erinnert.

    Wenn die Antwort der NATO und der EU jetzt „Verhandlungsbereitschaft“ wäre, wäre Putin seinem Ziel, die Zerstörung der EU und der Wiederherstellung des Sowjetimperiums, von einem großen Schritt näher gekommen. Wer kann das wollen?

  25. Dreh- und Angelpunkt zur Lösung des Konflikts ist Putin. Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Donbas-Gebiete und ihrer Eingliederung in die Russische Föderation hat er sich selbst den Zwang auferlegt, diese Territorien nicht wieder an die Ukraine abzugeben. Diese beansprucht sie jedoch, und es wird ja auch vom Westen immer wieder betont, dass die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden muss. Dabei ist das Minimalziel, den Grenzverlauf vor Beginn des Kriegs wiederherzustellen. Dass die ukrainische Führung in ihren Forderungen auch Anspruch auf die Krim erhebt, ist m. E. nur als Verhandlungsmasse für künftige Abmachungen zu sehen.
    Putin nun steht auch innenpolitisch vor allem durch Hardliner wie den Tschetschenen-Präsidenten und den Chef der Wagner-Söldner unter Druck. Sie fordern, den Krieg noch brutaler zu führen. Die russische Führung wird erst zu (Geheim-)Verhandlungen bereit sein, wenn sie einsieht, dass weitere militärisch erringbare Gewinne für sie nicht möglich sind. Zu befürchten ist eine weitere Eskalation des Kriegs durch Putin im Frühjahr, wenn die neu einberufenen Soldaten ausgebildet sind und das Waffenarsenal aufgefüllt ist.
    Für mich ist entscheidend wie das ukrainische Volk denkt. Wenn es – so wie es gegenwärtig aussieht – einen erbitterten Abwehrkampf weiterhin führen will, muss der Westen es militärisch und natürlich auch humanitär unterstützen.
    Gleichzeitig müssen Verhandlungen wie z. B. über Gefangenenaustausch, Getreidelieferungen usw. weitergehen.

  26. Leider nur zu wahr. Ich erinnere mich an die Demos zum Natodoppelbeschluß in Bonn gegen die Pershing 2. Ich war sicher Waffen helfen nicht – aber sie haben dann doch durch ihre Anwesenheit zu Verhandlungen geführt. Nun das aktuelle Dilemma – ein Angriffskrieg in unserer Nachbarschaft. Helfen Waffen? Sie haben schon mal geholfen am Ende zu Abrüstung zu führen – indem sie nicht verwendet wurden. Nun werden sie verwendet – helfen Waffen? Ich hoffe es für die Menschen in der Ukraine. Ein Dilemma für jemanden der Waffen nicht mag.

  27. Vielleicht liegt ein Dilemma darin, dass „der Westen“ immer zu zaghaft reagiert hat. Deutschland geht keineswegs voran. Man erinnere sich an die 5000 Helme anfangs. Hätte man gleich mit voller Wucht gedroht, wäre Putin möglicherweise nicht eingefallen. Und die lückenhaften Sanktionen werden laufend verstärkt. Warum nicht gleich umfassend?

      1. Wie kommt man auf die Idee, dass Deutschland, Italien, Belgien, Frankreich, Niederlande, Spanien, Ungarn, Griechen usw die selben Ziele im Ukraine Konflikt haben müssen wie die raumfremde Supermacht, Polen, Balten, Engländer und Kanadier? Von den Ukrainern, die ja über Wasser gehen können, ganz abgesehen.

        1. Bei aller unterschiedlichen Einschätzung und Beurteilung des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der angemessenen Strategie, diesen Krieg zu beenden – es liegt völlig daneben, die Menschen, die derzeit dem Bombenterror der russischen Armee ausgeliefert und deren Opfer sind, in einer infamen Weise zu beleidigen. Christian Wolff

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