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Der ungebremste Fall … – Gastbeitrag von Stefan Hüneburg

Stefan Hüneburg, stellvertretender Vorsitzender der Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Thomas Leipzig, hat mit einem Kommentar auf meinen Blog-Beitrag „Die Basis bröckelt leise …“ reagiert, den ich gerne als Gastbeitrag zur Diskussion stelle. Hüneburg ist gelernter Krankenpfleger und hat u.a. das Hospiz „Villa Auguste“ initiiert und 10 Jahre als Geschäftsführer geleitet. Heute ist er als Heilpraktiker in Leipzig selbstständig tätig.

Eine Krise kommt selten allein.
Ohne die „Coronakrise“ würden wir wohl weiter über die massenhaften Austritte aus den beiden noch großen Kirchen orakeln, aber nun haben selbst durch Erziehung und Tradition eng an diese Institutionen gebundene Menschen erlebt: Die Kirchen sind (nur) Spiegel der Gesellschaft. Der einzige Unterschied ist: Trotz der zunehmenden Verwerfungen in unserer Gesellschaft kann ich aus dieser nicht austreten, aus der Kirche aber schon.
Es ist eben nicht allein die antiquierte Sprache, die die Kirche bzw. ihre Botschaft unverständlich oder nicht verstehbar macht (sonst würden z.B. die Bach´schen Kantaten und Lieder von Paul Gerhardt sich nicht einer so hohen Beliebtheit erfreuen), es sind die leeren, will sagen Geist-losen Worte und das fehlende Handeln, die befremdlich nicht nur auf Außenstehende wirken.
In der für alle sichtbaren Abteilungen unseres gesellschaftlichen Lebens, wo Diakonie und Caritas im Wesentlichen nichts anderes verrichten, als DRK, Arbeiterwohlfahrt, Volkssolidarität und zunehmend immer mehr profitorientierte Unternehmen es auch tun, wird es den Kirchen schon lange vorgehalten, dass die kirchlichen Träger nicht anders sind. So war es aus meiner Sicht auch kein Zufall, dass z.B. die Hospizbewegung von den Kirchen erst entdeckt wurde, als sie nicht mehr zu übersehen war. Als Geschäftsführer des Hospizes Villa Auguste in Leipzig musste ich erleben, dass von Sterbenden gerufene PfarrerInnen nicht ins Hospiz kamen. In diesem Teil meines Arbeitslebens habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die allermeisten Menschen spirituelle Bedürfnisse haben, religiösen Beistand wünschen.
Wie oft müssen Menschen in Krisensituationen, am Ende ihres Lebens, in Krankenhäusern, bei Beerdigungen die wortreiche Sprachlosigkeit der kirchlichen Spezialisten erleben. Wo bleiben die glaubwürdigen Zwischenrufe für eine Veränderung des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft, für die die Kirchen auch einstehen?
Und nun Corona! Am Anfang war das Wort…
In der deutschen Sprache gibt es (sicher beabsichtigt) die Worte „Glauben“ und „Wissen“. Umgangssprachlich wird bei der Verwendung der Worte oft kein Unterschied gemacht. In der Kirche auch nicht mehr. Es scheint die Kirchen wolle vom Glauben nichts mehr wissen. Der Wissenschaft (von deren Vertreter viele selbst einräumen, über die aktuelle Situation wenig zu wissen) wurde bedingungslos Vorrang gegeben, Seele und die Ganzheitlichkeit des Menschen können warten, bis alles vorbei ist. Im vorauseilenden Gehorsam wurde für die Kirchen Unverzichtbares aufgegeben: Das Spenden der Sakramente Taufe und Abendmahl (Krankensalbung). Die Sakramente, die den Kirchen angeblich so heilig und wichtig sind, so wichtig, dass der kleine Unterschied in der Dogmatik um die Sakramente das Zusammenkommen der Kirchen sprich die Oekumene verhindert! Wer soll das noch verstehen?
Mit dem Schließen der Kirchen und vor allem dem Einstellen des Ausspendens der Sakramente verkümmerte auch die Seelsorge an den Alten und Kranken, wurden psychisch Belastete in tiefer Isolation alleingelassen. Das Ganze bekam noch eine theologische Dimension und wurde Barmherzigkeit, Schutz von Leben genannt.
Die Sprachlosigkeit der Kirchen im Bezug auf die Grenzbereiche des Lebens fällt selbst Menschen auf, die nicht kirchlich sozialisiert sind. Hier braucht es nicht allein eine neue Sprache, hier braucht es Glauben.
Und so gehe ich davon aus, dass der ungebremste freie Fall der Kirchenaustritte auch in diesem Jahre sich fortsetzen wird.
Das Gute zum Schluss. Es gibt, Gott sei Dank, vielerorts Gemeinden mit regem Leben, emsige, kreative und überzeugende Pfarrerinnen und Pfarrer, Gemeindepädagoginnen und Pädagogen, viele, viele Ehrenamtliche, Einrichtungen von Diakonie und Caritas, die mehr tun, als das, was sie von den Kostenträgern erstattet bekommen, christliche Schulen, in denen engagiert geistiges und geistliches Rüstzeug zur Verfügung gestellt wird. Aber das entspricht nicht dem Gesamtbild der Kirchen. Es braucht Glaube, Liebe, Hoffnung, gut ausgebildete Menschen, die diese in die Gesellschaft tragen.

6 Antworten

  1. Aber lieber Herr Schwerdtfeger – weder bin ich Priester, noch Moralist; ich gönne mir eben einfach nur meine sehr persönliche Empfindung zu dem einen oder anderen Kommentar, was Sie sich ja auch nicht verkneifen könne, wie zu lesen ist; völlig okay! Natürlich – Chr. Wolff und Herr Hüneburg bedürfen meiner Zustimmung respektive Verteidigung nicht. Jedoch tue ich ab und an das, was Sie und andere in diesem digitalen Debattenforum für angebracht halten: sich einmischen, reagieren und ggf. auch werten – wo liegt das Problem?
    Sie schreiben ja: einstufen. Dies tue ich in diesem Ihrem Falle jetzt nicht, weil es eben gerade das provozieren würde, was Ihnen missfällt und dem sachlichen Dialog widersprechen würde und uns nicht weiter brächte.
    Aber zuletzt: Den Beitrag Prof. Wischnah finde ich immer noch als deplaziert; Sie reklamieren sachliche Auseinandersetzung, und genau das erwarte ich von einem Theologen seines Ranges! Und zu aller Letzt: Einige, die diesen Kommentar wie ich lasen, waren entsetzt, was mit Moralisieren so gar nichts zu tun haben dürfte.
    Im übrigen ist es doch gar nicht verkehrt, solidarisiert man sich mit einem, der sich zu Wort meldet, womit man sich zu Inhalt und Würde desjenigen positioniert.
    Grüße an Sie – Jo.Flade

  2. Die richtige Übersetzung lautet: „Hauptsächlich (oder überwiegend) eine Religion der Gegenströmung (oder „im Unglück“, „in schlechten Zeiten“) war sie (die christliche Religion) nie wirklich gut (im Sinne von „erfolgreich“) in Zeiten des Wohlstandes“ und deshalb habe ich dieses Zitat gebracht. Wir leben hat in Zeiten des Wohlstandes und das macht es den Kirchen hierzulande schwer.
    Ich freue mich, LIEBER Her Flade, daß Sie seit einiger Zeit im persönlichen von mir abgelassen haben, was sicherlich auch viele Andere sehr zufriedenstellen wird, und wir nun auf sachlicher Ebene diskutieren. Wenn Sie das – ich beziehe mich auf Ihr PS – nun auch noch generell und bei ALLEN schaffen, dann haben wir den Durchbruch. Weder, so scheint mir, braucht Herr Wolff Ihre Unterstützung in Sachen Herrn Hünemann, noch dieser Ihre Verteidigung. Die Aussagen von Herrn Wischnah muß man nicht teilen, seine Kritik aber bezieht sich auf Sachaussagen („gönnerhaft“, „peinlich“, etc). Warum also dann sich wieder aufschwingen zum Moralprediger und Volkserzieher. Sie werden erst dann ernst genommen werden, wenn Sie aufhören zu glauben, Sie müßten die Mitdiskutanten über Maßstäbe belehren.
    Und ich weiß natürlich, daß Sie diesen meinen Kommentar in dergleichen Weise einstufen werden – und Sie haben Recht, weswegen ich das auch nur einmal schreiben werde – im Interesse des blogs, der sachliche Meinungen, auch polemisch, formuliert, gut verträgt (so meine ich), ewiges priesterliches Moralisieren über andere eines Einzelnen aber wohl weniger.
    Andreas Schwerdtfeger

  3. „Es ist eine Religion der Widrigkeiten und hat nie den besten Wohlstand erlangt…“
    Wohlstand ? ist es das, was Kirche erlangen muss, um heutigen Tags erhört, angenommen, verinnerlicht zu werden? Frage!
    Denn, wenn Sie, lieber Herr Schwerdtfeger, konstatieren, dass der innere Zustand der Kirche unserer Zeit wohl Opfer unseres Wohlstandes sein wird, wäre es weniger gut, würde bester Wohlstand angestrebt. Ganz sicher soll es um den immateriellen Wohlstand gehen; da haben wir Konzens!
    Dass es uns allen heute zu gut, offensichtlich viel zu gut geht, könnte eine Erklärung dafür sein, dass alles in elendige Beliebigkeit verfällt und genau das abhanden kommt, worüber sich Chr. Wolff, Sie und andere Gedanken machen.
    Aber was tun ?
    Wie Sie (und nicht nur Sie, wie nachzulesen im Blog) völlig richtig immer neu betonen, hilft kein Jammern, sondern es muss etwas getan werden – Frage: WAS ?
    Gern gebe ich zu, dass ich zunehmend ratlos bin, womit ich nicht allein dastehe.
    Guten Abend – Jo.Flade
    PS/ der heftige Anwurf Herrn Prof.Dr. Wischnah irritiert mich sehr; man kann einen Beitrag annehmen, ablehnen oder kommentieren, aber mit dem Text den Urheber derartig zu verunglimpfen halte ich weder für angebracht noch hilfreich, erst recht nicht würdig eines anerkannten Theologie-Experten!.
    Herr Hüneburg hat meinen vollen Respekt!

  4. „Supremely a religion of adversity, it has never been at its best in prosperity“ schreibt Karen Armstrong über den christlichen Glauben in ihrem hervorragenden Buch „A History of God“ (S. 129) – vielleicht liegt hier die Erklärung. Jedenfalls scheint es tatsächlich so zu sein, daß die Menschen sich heute lieber in den „Wohlstandsthemen“ und in „Einzelrechthabereien“ engagieren und also allen möglichen realpolitischen Vereinen und Gruppierungen anschließen. Und da die evangelische Kirche in Deutschland dies auch tut, wird sie halt auch auf diesem Niveau gesehen: Nicht übergreifend, langfristig und ganzheitlich sondern als Teil täglicher Auseinandersetzung. Das „Bröckeln“ scheint eine logische Wohlstandsfolge zu sein.
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Ein schrecklicher Artikel, der nur dann befolgt werden kann, wenn sich die kirchlichen Mitarbeiter noch mehr anstrengen und noch mehr Aktivitäten anleiern. Wer gibt diesem Autor das Recht über richtige und falsche, wahre und unwahre, seelsorgerliche und unpersönliche Worte „der Kirche“ zu entscheiden. Wer ist eigentlich „die Kirche“.bei diesem Ratgeber? Man stelle sich vor, ein Gottesdienst der Ev.luth. Kirche Sachsen wäre zum Hotspot der Corona-Epedemie geworden? Einhellige Frage: „Wie konntet ihr nur?- Das „Lob“ zum Schluss ist unerträglich gönnerhaft. Von diesem Mitchristen möchte ich nicht gelobt werden. – Schade, Bruder Wolff, dass Sie diesen peinlichen Text in Ihren Blog genommen haben.Durch ihn und seinen Autor bekommt die Selbstbezeichnung „Heil-praktiker“ einen besonderen Sinn. – Und IhrText „Die Basis bröckelt leise“ ist hervorragend – vor allem in der Ermutigung zum Elementaren. Danke.
    R Wischnath

    1. Lieber Bruder Wischnath, dieser „Ratgeber“ ist ein sehr engagiertes Gemeindeglied der Kirchgemeinde St. Thomas. Jede Kirchgemeinde kann sich glücklich schätzen, solch ehrenamtlich tätige Mitarbeiter zu haben. Stefan Hüneburg ist darüber hinaus ein sehr sensibler, wacher, kritischer Zeitgenosse, dessen Rat ich selbst sehr viel verdanke. Niemand muss allem zustimmen, was er kritisch anmerkt. Er verlangt übrigens mit keinem Wort noch mehr Anstrengung. Aber unsere Aufgabe als Pfarrer/innen – und dazu gehört der Krankenbesuch, wenn wir gerufen werden – müssen wir schon erfüllen. Ich jedenfalls kann nichts Peinliches an dem Text erkennen, dafür sehr viel Anregendes. Beste Grüße Christian Wolff

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