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Der 9. Oktober: Aufbruch zur Demokratie – und zwei wichtige Demos

Mit diesem Blog-Beitrag möchte ich gleichzeitig zu zwei Demonstrationen einladen, die im Geist des 9. Oktober 1989 einen wichtigen Beitrag leisten für „ein offenes Land mit freien Menschen“:

  • Erinnern heißt Handeln – Mahn- und Solidaritäts-Demonstration  am 9. Oktober 2020 (1. Jahrestag des Attentats auf die Synagoge in Halle); Treffpunkt ab 15:00 Uhr beim Leipziger Synagogen-Denkmal in der Gottschedstraße.
  • Für ein offenes Belarus mit freien Menschen – Demo am 10.10.20
    Die „Stiftung Friedliche Revolution“ ruft zu einer Demonstration und Kundgebung am Samstag, 10.10.20, um 17.00 Uhr auf den Nikolaikirchhof auf.

Es gehört zu den unappetitlichen Begleiterscheinungen der politischen Erinnerungskultur, dass diese vor allem von rechtsnationalistischen Bewegungen konterkariert werden. Das Schlagwort der AfD vom „Kriegsschuldkult“, von dem sich Deutschland befreien müsse, macht dies überdeutlich. Man versucht auf diesem Weg, den Nationalsozialismus und seine Verbrechen anschlussfähig zu machen. Ähnliches geschieht, wenn diffuse politische „Bewegungen“ die Tradition des 9. Oktober 1989 für ihre Interessen zu kapern versuchen. So versahen die Rechtnationalisten von Pegida/AfD ihre Landtagswahlkampagnen in Ostdeutschland 2019 mit dem Slogan „Vollende die Wende“ bzw. „Wende 2.0“. Auch träumen die „Bewegung Leipzig“ und die „Querdenken 341“ davon, bald mit Zehntausenden Menschen um den Ring ziehen zu können, um so die während der Coronakrise angeblich ausgehebelten Grundrechte zurückzuerobern. Ebenso wird im öffentlichen Diskurs von einflussreichen Menschen, denen alle Medien zur Verfügung stehen, mantraartig beklagt, dass man nicht mehr frei seine Meinung sagen könne und der öffentliche Diskurs von einem Mainstream beherrscht werde – so zuletzt wieder der CDU Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz (CDU) am 3. Oktober 2020 im Landtag von Sachsen unter frenetischem Beifall insbesondere der AfD. Merkwürdig an den Aktionen ist und bleibt: da werden angeblich ganz ähnliche Verhältnisse wie in der Endphase der DDR behauptet – allerdings in einem gesellschaftlichen Umfeld, das mit der DDR nichts mehr gemein hat. Da fahren weder Wasserwerfer auf, noch wird der Strom abgedreht, noch werden Gruppierungen wie „Bewegung Leipzig“ daran gehindert, eine Kundgebung abzuhalten, eine Homepage einzurichten, Texte zu veröffentlichen oder eine Partei wie „Widerstand 2020“ zu unterstützen. Kurios, wenn sich Leute auf den Marktplatz stellen und behaupten, man dürfe in diesem Land nicht mehr das sagen, was man denkt und anschließend ihre Verschwörungsgeschichten erzählen – und es passiert nichts. Kurios, wenn die Pflicht, in bestimmten Situationen die Maske zu tragen, mit Einschränkungen in Diktaturen verglichen wird.

Doch die Situation der Bürgerinnen und Bürger, die sich 1989 von den Friedensgebeten auf die Straße wagten, war eine ganz andere. Dort fuhren Panzer auf, standen die Betriebskampfgruppen in den Nebenstraßen einsatzbereit, wurden Internierungslager für Oppositionelle im Agra-Gelände eingerichtet, konnte keiner der Demonstrant/innen sicher sein, am Abend wieder nach Hause gehen zu können. Freie Wahlen wurden vom SED-Regime verhindert, Menschen wurden wegen ihrer politischen Haltung verhaftet und eingesperrt – ohne Aussicht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Der Kampf für ein offenes Land mit freien Menschen hatte die freiheitliche Demokratie, die gesellschaftliche Vielfalt, die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung, Einkommen, Arbeit, Wohnen im Blick. Darum war der 9. Oktober 1989 ein Aufbruch zur Demokratie, ein Anfang, der heute an jedem neuen Tag eine Fortsetzung durch die erfordert, die jetzt das gesellschaftliche Leben gestalten. Dabei ist zum einen wichtig, dass wir gemeinsam mehr Demokratie wagen. Das kann aber nur gelingen, wenn wir auch die gesellschaftspolitischen Ziele, für die wir eintreten benennen, über sie streiten und jeweils zu einem Konsens kommen. Zum andern ist entscheidend, dass niemand sich anmaßt, er und seinesgleichen seien „das Volk“. Nein, das Volk ist die Summe aller Bürgerinnen, die in großer Unterschiedlichkeit an einem Ort, in einem Land leben. Nach dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 2) wird der Volkswille durch Abstimmungen, Wahlen und die Rechtsprechung festgelegt – und nicht durch die Behauptung einer Gruppe „Wir sind das Volk“. 1989 markierte dieser Ruf, dass Menschen die Beachtung ihrer Interessen und freie, geheime Wahlen einklagten. Wenn heute Rechtsnationalisten den Ruf missbrauchen, dann schreien sie vor allem den anderen entgegen: Ihr seid nicht das Volk; ihr gehört nicht dazu. Doch die Friedliche Revolution von 1989 ging einen anderen Weg: Sie ermöglichte durch die Runden Tische, dass an ihnen auch die saßen, die einstmals zum System der Demütigung und Entmündigung gehörten. Damit ist deutlich: Demokratie ist nur möglich, wenn alle daran beteiligt sind und sich daran beteiligen. Das in Erinnerung zu rufen und sich dies als Handlungsmaxime neu anzueignen, ist Aufgabe einer lebendigen Erinnerungskultur am 9. Oktober.

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Hinweis: Am 3. Oktober 2020 habe ich anlässlich der Landkreisfeier des Bodenseekreises zum Tag der Deutschen Einheit den Festvortrag gehalten zum Thema „Osterweiterung – 30 Jahre Leben im neuen Deutschland. Erfahrungen und Perspektiven“.

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