Am 20. Februar 2022, wenige Tage vor dem kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine, eröffnete Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in Berlin die Bundesversammlung. In ihrer Rede rief sie aus: „Wir sind zum Frieden verpflichtet … Jeder Krieg kennt nur Verlierer“. Langanhaltender Beifall brandete auf. Drei Monate später werden in fast jedem Interview in geradezu penetranter Weise vor allem Regierungspolitiker*innen danach gefragt, ob sie zustimmen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Manche Journalisten versteigen sich dazu, das Sieg-Ziel zu einer Art Bekenntnis zu erheben. Sie fordern die Gesprächspartner*innen unverhohlen dazu auf, sie sollen doch bitte nachsprechen, was sie mit ihrer Frage als Antwort vorgeben: Die Ukraine muss den Krieg gewinnen (so auch heute Morgen im Deutschlandfunk Verteidigungsministerin zu Waffenlieferungen – Lambrecht (SPD): „Immer in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten“ (deutschlandfunk.de). Das ist schon mehr als peinlich – vor allem aber politisch abwegig und gefährlich. Denn an der Richtigkeit der Aussage von Bärbel Bas hat sich durch den gegenwärtigen Angriffskrieg Russlands nichts geändert. Auch dieser Krieg bringt nur Verlierer hervor. Es sind die Millionen Menschen, denen alles genommen wurde und wird: ihr Zuhause, ihre Angehörigen, ihr Leben, ihre Freiheit, ihr Menschenrecht, ihre Würde. Verlierer sind aber auch die Bürgerinnen und Bürger Russlands, die Putin sich über Jahre zu propagandistischen Geiseln gemacht hat und nun im Vernichtungskrieg gegen die Ukraine verheizt.
Wer sich das Schicksal der Ukrainer*innen vergegenwärtigt (soweit das überhaupt möglich ist), der bekommt eine Ahnung davon, dass Menschen nach fast jedem Krieg flehentlich ausrufen: „Nie wieder!“. Jeder getötete Soldat, jeder ermordete Zivilist, jedes zerbombte Haus macht die Sinnlosigkeit des Krieges offenbar. Insofern ist das Hecheln nach dem Satz „Die Ukraine muss gewinnen“ in Interviews und Bundestagsdebatten in höchstem Maße politisch wie moralisch verwerflich. Es ist nicht Aufgabe der europäischen Politik, im Vorhinein den Sieger und Verlierer eines Krieges zu bestimmen – einmal ganz abgesehen davon, dass sich Putin-Russland unter den gegebenen Umständen aller Voraussicht nach nicht als Verlierer vorführen lässt. Solange dieser Krieg nicht atomar geführt wird, können die NATO-Staaten noch so viele Waffen an die Ukraine liefern. Am Ende stehen ein zerstörtes Land, traumatisierte Menschen, zerrüttete politische Verhältnisse – und ein wie auch immer gearteter (Verhandlungs-)„Frieden“. Auf diesem Hintergrund ist es unsere menschliche, politische, moralische Pflicht, alles dafür zu tun, den Krieg, also das Töten, Morden, Zerstören, so schnell wie möglich zu beenden. Von den europäischen (Regierungs-)Politiker*innen müssen wir erwarten, dass sie dafür Sorge tragen, die militärische Gewalt auf das absolut notwendige Maß zu minimieren. Dadurch wird nichts an der mörderischen Aggression Russlands gerechtfertigt, verharmlost oder verdrängt. Aber wie soll dem Verbrechen des Krieges ein Ende bereitet werden, wenn wir ihn täglich füttern? Wie halten wir es mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Artikel 1 GG), wenn wir bedenken, dass mit all den Waffen, die jetzt geliefert werden und zum Einsatz kommen, Menschen – und das sind Russen wie Ukrainer – getötet werden, sie ihrer Würde beraubt werden?
Es hat schon seinen tiefen Sinn, wenn wir am Pfingstsonntag mit dem biblischen Gedanken konfrontiert werden: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Die Bibel: Sacharja 4,6b)
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“ Von den europäischen (Regierungs-)Politiker*innen müssen wir erwarten, dass sie dafür Sorge tragen, die militärische Gewalt auf das absolut notwendige Maß zu minimieren.
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Aber wie soll dem Verbrechen des Krieges ein Ende bereitet werden, wenn wir ihn täglich füttern?“
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Hier kommt der Theologe in Ihnen durch, lieber Herr Wolff. Auf diesem Gebiet eröffnen sich für die Gedanken völlig freie Räume. Nichts muss bewiesen werden, weil auch das Gegenteil nicht bewiesen werden kann. Argumente, die die Realität betreffen, müssen jedoch stichhaltig sein. Also: Die Ukraine steht im Osten mit dem Rücken zur Wand, hat bereits 20 % ihres Territoriums verloren. Ein Präsident Selenskyi wäre gar nicht befugt, auf dieses Gebiet zu verzichten; das dürfte nur das Parlament, in dem es dafür auf absehbare Zeit keine Mehrheit gibt. Und wer sagt denn, dass die Russen sich mit einem solchen Angebot zufriedengäben? Mal abgesehen von der Frage wie schwere Waffen mit der Eisenbahn 1000 km von Polen an die ukrainische Ostfront kommen sollen – die Russen haben auch ihre Aufklärung und die Lufthoheit. Der Landweg von Rumänien ist durch die Sprengung einer wichtigen Brücke versperrt. Die Ukraine befindet sich in einer sehr prekären militärischen Lage; da zählt jede gelieferte Patrone.
SPD-Fraktionschef im Bundestag Dr. Mützenich ohne Empathie für die Ukraine in einem FAZ-Interview vom 22. 5. 22:
„Ich hoffe, dass es bald zu einem Waffenstillstand kommen kann. Dann können wir uns endlich auf andere Fragen konzentrieren.“
In der heutigen WELT äußert der Militärtheoretiker Edward Luttwak interessante Gedanken:
So sei der einzige Weg zum Frieden eine Volksabstimmung in den Regionen Donezk und Luhansk unter einem funktionalen Waffenstillstand. Leider beschreibt er keinen Weg, der dahin führt. Da das Interview sich hinter einer Bezahlschranke befindet, hier der Link zu einer Zusammenfassung: https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/edward-luttwak-strategie-experte-ueber-ein-kriegsende-loesung-muss-eine-volksabstimmung-sein_id_107944055.html
Sehr geehrter, lieber Pfarrer Wolff!
Aufschlussreich, dass Ihre Blog-Beiträge und deren Spin in dem Moment zunehmen, in dem die Ukraine gerade in der Ostukraine nicht nur zum Opfer der Angriffskrieger Russlands wird, sondern auch zum Opfer der Länder, die die Selbstverteidigungsfähigkeiten der Ukraine massiv beschränken.
Die zunehmende Bedrängnis der Ukraine ist vermeintlich ein guter Zeitpunkt, der Ukraine zwar de jure ein Selbstverteidigungsrecht nicht unmittelbar abzusprechen (das würde auch zu sehr argumentativ in Schwierigkeiten führen…), aber doch mittelbar, indem man (und Sie) weiterer Militärhilfe den Stempel „sinnlos“ und „unethisch“ mitgibt. Frei nach dem Motto „Ihr dürft natürlich weiter ins Verderben laufen, liebe Ukrainer, aber viel vernünftiger wäre es doch, dass Ihr Euch den imperialen Ansprüchen Russlands zur Aufgabe eigener Staatlichkeit beugt.“
Ich bin gespannt, wie Ihre weiteren Blogs ausfallen, wenn die Ukraine weiterkämpft bis zu dem Tag, an dem die territoriale Integrität wiederhergestellt ist und bis dahin genügend Länder verbleiben, die die Ukraine in ihrem Überlebenskampf weiter unterstützen.
Sicher werden Sie am Ende begrüßen, dass das Recht des Stärkeren in Europa nicht obsiegt hat. Kein Zweifel! Die notwendigen Wege, um dorthin zu kommen und der notwendige Preis dafür, wird gewiss aber nicht im Vordergrund Ihrer künftigen Blogs stehen.
Fakt für mich bleibt, dass (parallel zu hoffentlich maximal schmerzhaften Wirtschaftssanktionen für Russland) die Lieferung ALLER notwendigen Waffen, damit die Ukraine sich hinreichend selbstverteidigen kann, die beste Voraussetzung ist, um zu einem baldigen Frieden zu kommen. Ich ehre Ihr ethisch für mich ebenso zwingend gebotenes Friedenspostulat, allein die Vorstellungen über den zielführende Weg klaffen maximal auseinander. Bitte halten Sie es aber in Ihren weiteren Reflexionen für möglich, dass die, die sich maximal auch für militärische Unterstützung der Ukraine einsetzen, keine Militaristen sind, sondern Friedenssehnsüchtige. Und sogar am Ende auch möglicherweise diejenigen sind, die für einen zielführenderen Weg eintreten als die, die Ihren maximalpazifistischen Weg gutheißen.
All die, die Verantwortung tragen, sollten sich ernstlich der vermeintlichen Paradoxie gewahr bleiben, dass nicht der schnellstmögliche Frieden der beste Frieden sein kann (und im Allgemeinen auch nach meiner innersten Überzeugung nicht ist, wenn man es mit einem teuflischen Unterwerfer zu tun hat).
Auch im Dissens von Herzen verbunden,
Ihr Jost Brüggenwirth
Lieber Herr Brüggenwirth, Ihre Beobachtung täuscht nicht. Nur Ihre Schlussfolgerung trifft nicht zu. Von „beugen“ oder unterwerfen habe ich mit keinem Wort gesprochen. Im Gegenteil! Nur: Der bisherige, grauenhafte Verlauf dieses schrecklichen Krieges bestärkt mich darin, dass es politisch und ethisch für die europäischen Staaten nur ein Ziel geben kann: den Krieg, also das Töten, Morden, Zerstören möglichst schnell zu beenden. Alle anderen Ziele (Putin darf nicht gewinnen, die Ukraine darf nicht verlieren, die Ukraine muss gewinnen etc.) verkennen mE, dass am Ende des Krieges eine wie auch immer geartete Verhandlungslösung stehen wird. Die ethische Frage ist doch: Wie viel Tod, Elend, Zerstörung wollen wir bis dahin zulassen/inkauf nehmen/fördern? Ebenso müssen sich alle, die den Krieg verlängern, mit dem Problem auseinandersetzen: Putin wird immer eine Waffe mehr, immer einen Soldaten mehr haben – will sagen: Auf dem Weg der Waffenlieferungen lässt sich Putin nicht besiegen – es sei denn, dass die NATO in den Krieg aktiv eingreift und dieser atomar geführt wird. Wofür ich also plädiere: Es müssen jetzt (!) dringend politische Wege gefunden werden, um das Töten, Morden, Zerstören zu beenden – so schwer das ist. Aber wir werden dafür nicht nur die staatliche Integrität der Ukraine brauchen, wir benötigen dafür auch einen modus vivendi mit Russland. Sie merken hoffentlich: Ich versuche die Lage sehr realistisch einzuschätzen und möchte dabei ethische Grundprinzipien nicht außerachtlassen. Beste Grüße Christian Wolff
„Putin wird immer eine Waffe mehr, immer einen Soldaten mehr haben…“
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Aber nur, wenn er eine Generalmobilmachung verfügt, wenn also nicht nur Berufssoldaten aus entlegenen Teilen Rußlands sterben müssen, sondern auch welche aus Petersburg und Moskau. Dann kann Putin den Krieg nicht mehr als „Spezialoperation“ deklarieren. Nicht nur die Vereinigung der Soldatenmütter wird dann aufbegehren.
Wenn keine Organisation und kein Land nach einem Friedensschluss die Sicherheit der Ukraine garantieren wird, bleibt nur eine Möglichkeit: Der Westen muss die Ukraine so hochrüsten, dass sie sich selbst verteidigen kann. Dann werden die Ukrainer fragen, warum nicht gleich so.
Ihre Antwort, Herr Wolff, auf den Beitrag von Herrn Brüggemann zeigt, dass Sie nicht in der Lage sind, logische Zusammenhänge zu akzeptieren.
Die Waffenlieferungen dienen allein der Beendigung und gerade nicht der Ausweitung der russischen Grausamkeiten, dem Schutz vor russischen Gräueltaten. Dieser Wahrheit stellen Sie sich nicht.
Dass militärische Mittel hier einen höchst notwendigen Schutz bedeuten, möchten Sie partout nicht wahrhaben.
Nichts anderes tut die Ukraine mit militärischen Mitteln, als sich gegenüber dem Vernichtungsfeldzug eines Agressors zu verteidigen. Oder hat sie etwa Russland überfallen?
Mir graut vor Leuten, die auf dem Altar ihrer Ideologie Menschenleben preiszugeben bereit sind: (Waffen sind immer und überall böse, böse, böse. Lieber Entwicklungshilfe im Angesicht mordender Kohorten, oder: Wenn ein Russe eine Deiner Töchter vergewaltigt hat, dann gib ihm auch die andere ..).
Wie naiv in der Bewertung der Zusammenhänge und verantwortungslos im Urteil kann man sein?
M. Haberland
Lesen Sie bitte die Antwort von Herrn Brüggenwirth. Dann bekommen Sie vielleicht eine Ahung davon, wie Kontroversen respektvoll ausgetragen werden können.
Lieber Pfarrer Wolff!
Von Herzen sage ich Dank für Ihre der Sache angemessene, ernstliche und respektvolle Antwort.
Das tragische Dilemma bleibt aus meiner Sicht, dass Ihre -mit ehrenwerten ethischen Intentionen vorgetragenen – Positionen (-> WER SOLCHE VERBRECHEN VERHINDERN WILL, KANN SICH NUR DEM KRIEG UND DER HOCHRÜSTUNG GRUNDSÄTZLICH VERWEIGERN) längst dazu geführt hätten, dass die Ukraine sich bereits hätte beugen müssen und unterworfen wäre! Mit unabsehbaren Folgen für ganz Europa und die Welt! Es beruhigt mich insoweit, dass Biden, Johnson u.a. bis heute maximal entfernt sind, Ihrem Politikberatungsangebot Aufmerksamkeit zu widmen.
Nicht der schnellste Frieden ggü. einem teuflischen Unterwerfer bleibt das, für das ich bete, sondern für einen Frieden, der am nachhaltigsten für die Menschen in Europa wirkt und Leid in der diesseitigen Welt auf möglichst lange Frist zu lindern hilft.
Im Ziel ganz sehr vereint,
in Hinblick auf den Weg im maximalen Widerspruch,
Ihr Jost Brüggenwirth
Sagt uns die liberalkonservative und leider auch linksliberalee Besserwisserei, dass Europa wie ein Mann gegen Scholz und seinen Kurs eingestellt ist, so dies falsch. Europa besteht nicht nur aus Balten und Polen, bei allem Respekt.
Italien, Frankreich, Spanien, Portugiesen, Griechen, Ungarn, Österreicher zählen hoffentlich auch!
Ich habe mir das verlinkte Interview mit der Verteidigungsministerin angehört: Sie sagte, die Ukraine müsse „bestehen“. Wie eine Fahrprüfung? Es ist immer dasselbe mit SPD-Politikern: Klartext reden sie erst unter maximalem Druck. Nordstream-2-Stop: Scholz nimmt es wochenlang nicht in den Mund, Lieferungen schwerer Waffen – das gleiche usw..
Am Donnerstag bei „Markus Lanz“ die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot:
Die Ukraine hätte Rußland provoziert, es gäbe einen „ukrainischen Bürgerkrieg“,
Über die Runde im Studio sagte sie, sie allein trete
für einen sofortigen Waffenstillstand ein.
„Die Verhandlungslösung bin ich.“ © FAZ
Die heutige FAZ weist nach, dass sie in ihrem neuen Buch massiv plagiiert hat.
In der Zürcher „Weltwoche“ vom 2. 6. 22 behauptet Frau Prof. Guérot, die Ukraine sei noch immer gespalten. “ Ich hätte nichts dagegen, wenn man dem westlichen Teil einen EU-Beitritt in Aussicht stellt.“ In welcher Zeit lebt die Dame? Selbst im russischsprachigen Teil der Bevölkerung ist das Nationalbewusstsein seit Kriegsbeginn deutlich gewachsen.
Da gefällt mir Grünen-Chef Nouripour besser: „Wir werden keinen Quadratzentimeter okkupierten ukrainischen Bodens anerkennen.“ Er hat auch keine Probleme, von einem Sieg der Ukraine zu sprechen.
https://www.n-tv.de/politik/Gruenen-Chef-Nouripour-will-Sieg-der-Ukraine-article23378531.html
„Es ist immer dasselbe mit SPD-Politikern: Klartext reden sie erst unter maximalem Druck“
Ich füge hinzu: Das Wischiwaschi um Schröder/Schwesig. Keine klare Position der SPD-Führung und Durchsetzung des Parteiausschlusses von Schröder. Kann man ganz klar benennen und umsetzen. Für mich ist das unglaubwürdig.
Ich empfand Frau Ulrike Guérot als sehr arrogant „Die Verhandlungslösung bin ich.“, als wenn Sie allein für einen Waffenstilstand eintritt. Natürlich hat die Nato und der Westen eine große Aktie an der jetzigen Situation, den Krieg begonnen hat aber Putins Russland und ist durch nichts zu rechtfertigen. Gestern lief auf Phoenix eine sehr interessante Dokumentation über Putin.
https://www.phoenix.de/sendungen/dokumentationen/putin-a-2814669.html
Fazit: Der Mann war schon immer so und ist ein eiskalter Diktator und wenn er nicht gestoppt wird, wird er sich nicht mit der Ukraine zufrieden geben.
Wenn die Kraft des Geistes die Befriedung nicht erreichen kann (oder will), frage ich mich, was sich dieser Geist dabei denkt?
Ich bin schon ein (recht) gläubiger Christ, aber zur Zeit überfordert er mich!
Im neuen ZEIT-Magazin (Nr. 23 vom 2.6.2022) ist ein hervorragender Artikel von Johanna Haberer und Sabine Rückert „Woher kommt der Mut?“ zu lesen. Kann ich nur empfehlen.
„Von den europäischen (Regierungs-)Politiker*innen müssen wir erwarten, dass sie dafür Sorge tragen, die militärische Gewalt auf das absolut notwendige Maß zu minimieren.“
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Was soll das heißen? Werden zu wenige Waffen geliefert, wird die Ukraine immer mehr Menschenleben und Territorium verlieren. Es wird so kommen wie von mir hier schon skizziert: Der Westen wird die Ukraine zu einem Waffenstillstand drängen, bei dem sie erhebliche territoriale Zugeständnisse im Donbass machen wird. Der Knackpunkt wird sein, ob Odessa an die Russen fällt. Denn dann wäre die Ukraine vom Meer abgeschnitten, und das kann sie keinesfalls hinnehmen.
Das heißt: Die europäischen Regierungen sollten als Ziel ihrer Politik formulieren, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, natürlich unter Berücksichtigung dessen, dass Russland seine Kriegsziele nicht erreicht.
Die Frage ist nur, was für Schritte der europäischen Politik dazu geeignet sind . „Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht.“ sagt die Außenministerin tadelnd. „Für das Furchtbare, was jetzt im Donbass geschieht, brauchen sie vor allen Dingen Unterstützung, um das, was aus der Luft kommt, abwehren zu können – das bedeutet Artillerie, das bedeutet Luftabwehr und das bedeutet Drohnen.“
Für Zögerlichkeit, so Baerbock, sei keine Zeit: „Dieses Zeitspiel ist brandgefährlich“, erklärte die Außenministerin. Selbst wenn dann die Waffen schwiegen, würde dies nicht bedeuten, dass dann Frieden herrsche. „Der Kreml würde seine Truppen in dieser Situation neu sortieren.“ Es sei unabdingbar, die Ukraine weiter zu unterstützen, um dieses Szenario zu verhindern.
https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/baerbock-zu-waffenlieferungen-an-die-ukraine-zeitspiel-ist-brandgefaehrlich-80267640.bild.html
Ich sehe das auch so. Man kann seitens der Europäer jetzt nicht die Waffenlieferungen drosseln.
Mich beschäftigt noch die Frage, wer einen Waffenstillstand garantieren soll. Die UNO sicher nicht, denn da wird Rußland von seinem Vetorecht im Sicherheitsrat Gebrauch mache, um Blauhelme zu verhindern. Die NATO würde auch von Rußland nicht akzeptiert werden. China wird sich auch nicht engagieren.
Und wie soll die Sicherheit der Ukraine langfristig garantiert werden? Diese völlig offenen Fragen zu beantworten, gehört unmittelbar dazu, zu einem Friedensschluss zu kommen.
Werter Christian
Russland wird Beute machen, es müssen
Ist nicht moralisch, sondern Politik
Lieber Christian, ich sehe darin ein Anknüpfen an die Weisheit von Hans-Dietrich Genscher, danke Dir sehr dafür und wünsche Dir frohe Pfingsten.
Ihren neuesten Beitrag, Herr Wolff, unterschreibe ich. Ich unterscheide mich dadurch von anderen hier, die weniger in der Lage sind, Argumente nach Ihrem Gewicht zu bewerten und nicht nach der Person, die sie vorträgt. Ich unterscheide mich dadurch auch von den Menschen hier, die Ihre Erkenntnis, Herr Wolff, nur dann berücksichtigen, wenn sie ihnen in den Kram passt: „Wer Verantwortlichkeiten benennt, beschimpft niemanden, sondern klärt die Verhältnisse“ (Wolff, 1. Juni 2021) – und dies gilt wohl auch, wenn man mit klarer Sprache argumentiert und zB zwischen religiösen Leitlinien und politischen Entscheidungsnotwendigkeiten unterscheidet. Und was Herrn Käfers „Zitatenkatalog“ angeht, für den Sie, Herr Wolff, sich artig bedanken (haben Sie bei mir nicht gemacht, als ich mit dem gleichen Recht solche Kataloge auflistete), so verweise ich auf die harten Bandagen, mit denen Sie selbst, von Käfer ausdrücklich unterstützt, sich hier geäußert haben: „Wer so … redet, … der geht – wenn’s drauf ankommt – über Leichen und will dabei nicht gestört werden.“ (Wolff, um die Jahreswende 2020/21).
Ihr jetziger Beitrag zum Ukraine-Krieg zeigt auf, was ich hier schon einmal angedeutet habe: Die Diskussion über diesen Krieg hat inzwischen längst den Charakter einer öffentlichen Gehirnwäsche angenommen: Schlagworte, Ausschließungen, Emotionen, Ideologien – alles vorhanden. Was fehlt, ist nüchterne Analyse und häufig auch ein Minimum an Sachkenntnis. Das Problem Ihrer Argumentation bleibt allerdings, daß Sie immer wieder Forderungen aufstellen, die zwar abstrakt richtig sind, aber eben mangels Definition politisch inhaltslos: „Von den europäischen (Regierungs-)Politiker*innen müssen wir erwarten, dass sie dafür Sorge tragen, die militärische Gewalt auf das absolut notwendige Maß zu minimieren“. Was heißt denn das? Was ist denn das „absolut notwendige Maß“? Die Erkenntnis als solche ist wohlfeil, das „Maß“ ist entscheidend – und genau da bleiben Sie im Schwammigen und weichen einer klaren Festlegung aus. Sind Sie also für Verteidigung oder dagegen – und wenn dafür: Sind Sie kompetent, das „absolut notwendige Maß“ zu definieren oder nur in der Lage, jedes Maß post-faktum zu kritisieren?
Ihr Argument ist richtig: Die Ukraine und ihre Menschen gehören bereits jetzt zu den Verlierern dieses schrecklichen Krieges und daran wird sich auch nichts ändern, egal wie es am Schluß ausgeht. Ihre Schlußfolgerung aber? „ … wie soll dem Verbrechen des Krieges ein Ende bereitet werden, wenn wir ihn täglich füttern?“ Ich halte in der Tat nicht sehr viel von Waffenlieferungen an die Ukraine – diese Erkenntnis allerdings hätte man VOR dem Kriege schon haben können und müssen und deshalb VORHER eine andere Politik machen müssen, insbesondere gegenüber Rußland und seinem Präsidenten – eine Politik der Anerkennung von Einflußsphären, eine Politik der Stärkung der UNO anstelle ihrer Ausgrenzung, eine Politik der Einbeziehung Rußlands und seines Präsidenten und nicht seiner moralischen Verdammung, eine Politik der Verantwortungsethik und nicht der Gesinnungsschwärmerei – vor allem hätte die NATO schon seit Jahren die Ukraine nicht ermutigen dürfen. Jetzt ist es zu spät: Die westliche Welt steht unter dem Einfluß einiger verwirrter „Wahrheiten“, die sich jetzt kaum noch bekämpfen lassen.
– Die Ukraine verteidige auch die Demokratie und Freiheit des Westens. Unsinn natürlich! NATO-Territorium und NATO-Werte sind durch Rußland überhaupt nicht (militärisch) angegriffen und ein solcher Angriff ist auch nicht absehbar. Vorbereitung durch Präsenz von Streitkräften ist also geboten; politische Unterstützung der Ukraine auch; militärisches Eingreifen durch Waffenlieferungen (schon vor Kriegsbeginn begonnen) dagegen macht die NATO zum de facto Teilnehmer an diesem Kriege und das ist außerhalb seines Territoriums zumindestens zweifelhaft. Aber wer dem zustimmt, darf dann natürlich nicht dauernd hingehen und fordern, man müsse doch „was“ tun oder „was soll denn noch geschehen, damit …“.
– Rußland dürfe den Krieg nicht gewinnen: Unsinn natürlich. Denn dazu müßte man erstmal definieren, was „gewinnen“ bedeutet“. Wenn Rußland – was absehbar ist – die Krim behält und in der bisherigen Ost-Ukraine entscheidenden Einfluß behält, hat es dann gewonnen? Politisch hat Rußland bereits verloren – denn eine geographische Ausdehnung der NATO ist wahrscheinlich, eine stärkere NATO-Präsenz in Mitteleuropa bereits Tatsache und eine wirtschaftliche Schwächung des Landes sehr wahrscheinlich. Aber wenn Putin den Erwerb der Krim und des Donbas als „Erfolg“ ansieht?
– Man müsse jetzt den Krieg beenden (siehe Ihr Titel) und gleichzeitig müsse man eben dafür sorgen, daß Rußland nicht gewinne und auch dafür, daß man nicht mit Putin rede – da sind Meister der Widersprüche unterwegs, die diese dadurch tarnen, daß sie andere über Stil und Höflichkeit belehren und selbst in der Deckung des Zweifels und der gespielten Demut bleiben, um sich nicht festlegen zu müssen darauf, was nun eigentlich ihre Meinung, ihr Ziel ist.
Was könnte das Ziel sein? Ein Angebot an Rußland seitens der Ukraine und vom Westen unterstützt, daß für den Frieden eine Politik der politischen und wirtschaftlichen Neutralität der Ukraine festgeschrieben wird – einer Neutralität, die auf den EU- und NATO-Beitritt verzichtet und dafür auf trilateralen Verträgen beruht, in die Rußland EINbezogen ist, ohne diskriminiert zu werden, und die ein hohes Maß an Freizügigkeit für Gedanken, Personen, Waren, etc., über ALLE Grenzen festschreibt. Eine solche Politik würde ebenfalls das westliche Ziel fördern, Chinas Einfluß nicht noch dadurch zu vergrössern, daß Putin sich dorthin wendet, und sie könnte als Modell für Georgien, theoretisch auch Belarus, vielleicht sogar weitere mittelasiatische Länder dienen. Daß diese Politik schon VOR Beginn des Krieges, ja sogar VOR der Krim-Annexion möglich gewesen wäre und viel Leid und Schaden verhindert hätte, ist die Tragik der jetzigen Lage und beruht auf der westlichen Moralarroganz.
Ein schönes Pfingstfest wünsche ich.
Andreas Schwerdtfeger
Ihrer messerscharfen Analyse, Herr Schwerdtfeger, stimme ich vollkommen zu. In der letzten „Markus Lanz“ Sendung war zu besichtigen, wie der Charakter einer Gehirnwäscher konkret aussieht: Argumente, hier von Frau Guerot, werden schlicht nicht mehr zur Kenntnis genommen. Der fortgesetzte Wille, nicht zuhören zu wollen, ist das Ende jedes demokratischen Diskurses. Sachkenntnis wird zum Störfaktor.
Die westliche Welt sehe ich, wie Sie in Verwirrung. Die Illusion vom Ende der Geschichte und vom Sieg westlicher Werte hat sich in Luft ausgelöst. Die Finanzkrise, 9/11,der nicht vorgesehene wirtschaftliche Aufstieg Chinas, die Debakel der Weltordnungskriege hinterlassen Ratlosigkeit. Auch die jetzt folgende Unterordnung Europas unter die USA wird nicht dazu führen, dass die US-dominerte Weltordnung Bestand haben kann. Sie wird das Ende des Projekts „Europa“ zur Folge haben, das nur zwischen Ost und West eine nachhaltige Existenzberechtigung haben kann. Den wirtschaftlichen Aufstieg Asiens kann auch der vereinte „Westen“ mit ökonomischen Mitteln nicht verhindern. Militärische Mittel sind dazu untauglich.
Ihre und Christian Wolfs Schlussfolgerungen teile ich und verzichte auf Wiederholung.
Machen wir aus einem Krieg innerhalb der Familie keinen europäischen Krieg
Dortmund oder gar Neapel sind nicht gefährdet
Natürlich entscheiden die anderen Europäer, ich baue auf die BRD, Italien, Frankreich usw., wie weit sie gehen wollen
Bestimmte Fernsesendungen und die Kommentarspalten der Onlineausgaben von Medienproduktien tun der Debatte nicht gut
Liberalkonservative und linksliberale Moral leugnen nationale und internationale Interessen