Eigentlich müsste ein Sturm der Entrüstung durch Deutschland gehen angesichts dessen, was sich im kleinen sächsischen Ort Clausnitz zugetragen hat. Denn das gewaltsame Umzingeln eines Busses mit Geflüchteten ist ein weiterer Höhepunkt von brutalisiertem Hass. Da war aber kein „Mob“ am Werke – das wäre eine Beschönigung des Geschehens. Es ist viel schlimmer: Ganz normale Bürgerinnen und Bürger hatten sich zusammengerottet, um die Ankunft der Geflüchteten zu verhindern. 100 sollen es gewesen sein in einer Ortschaft mit gerade einmal gut 1.000 Einwohner/innen, die die Geflüchteten mit Rufen „empfingen“ wie „Mal sehen, was hier für Ungeziefer heraussteigt“. Doch statt eines Sturmes ist medial und politisch nur ein Säuseln zu verspüren. Zu alltäglich sind die Gewaltakte gegen Geflüchtete gerade in Sachsen geworden. Schließlich vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo in Deutschland ein Asylheim mit Hakenkreuzen beschmiert wird, Geflüchtete angepöbelt und Unterkünfte angegriffen werden. Und die öffentliche Reaktion: ein verbales Verurteilen, das eher einem Achselzucken gleichkommt … und kaum eine Aufklärung der Straftaten. Dabei ist das, was sich in den Abendstunden des 18. Februar 2016 in Clausnitz zugetragen hat, kein weiterer bedauerlicher Einzelfall. Nein – auch dieser schändliche Gewaltausbruch ist das Ergebnis von über einem Jahr systematischer Hetze durch Pegida und AfD gegen Geflüchtete und Menschen islamischen Glaubens. Gleichzeitig ist er aber auch Folge der fatalen Reduzierung der Flüchtlingspolitik auf die Frage: Was können wir tun, um möglichst keine Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen? Damit aber wird der Geflüchtete zum gesellschaftlichen Störfaktor stilisiert, also zu jemandem, den wir eigentlich nicht dulden sollten. Gleichzeitig gerät das eigentlich Notwendige in den Hintergrund: eine intensive, den Menschen zugewandte Integrationspolitik. Diese beiden verhängnisvollen politischen Entwicklungen haben dazu geführt, dass sich diejenigen, die sich gegen alle/s Fremde/n abschotten wollen und sich zunehmend in eine krude, zumeist rechtsradikale Gedankenwelt begeben, jeden Tag in ihrem Ansinnen ermutigt sehen, selbst Hand anzulegen, Geflüchtete zu vertreiben und sich damit ganz bewusst gegen die Grundwerte unserer Verfassung stellen. Diejenige, die diese menschenverachtende Propaganda von Anfang an systematisch betrieben hat, ist die Hamburger AfD-Gründerin und Pegida-Dauerrednerin Tatjana Festerling. In ihren letzten Einlassungen hat sie den bemerkenswerten Satz gesagt: „In Zeiten wie diesen: Scheiß auf den Anstand“; in Hooligans, also in den gewaltbereiten Rechtsradikalen, sieht sie die „Rebellion gegen unsere feminisierte Kultur, die Frauen und Muslime fördert und weißen Männern den Krieg erklärt“. Diese anstandslosen „weißen Männer“ (und Frauen) sind in Clausnitz und zuvor an vielen anderen Orten zur Tat geschritten, um die „blonden, weißen Frauen“ (Landessprecher der AfD Thüringen Björn Höcke) zu verteidigen. Und wie reagiert die politische Öffentlichkeit? Dafür ist das Verhalten der Polizei in Clausnitz geradezu symptomatisch: Zunächst ist sie nicht da, dann rückt sie an, hindert die 100 Bürger/innen aber nicht an verbalen und körperlichen Drohgebärden gegen die Flüchtlinge, geht im Bus brutal gegen einen Geflüchteten im Kindesalter vor und erklärt hinterher über Facebook, man müsse sich „neutral“ verhalten. Wie bitte: neutral in einer Situation, da Bürger/innen Geflüchtete wüst beleidigen und bedrohen? Da kommt die ganze gefährliche Brisanz zum Vorschein: der alltägliche Faschismus, der keine „Nazis“ benötigt, sondern mit Szenen wie der in Clausnitz beginnt, mit einer Polizei, die sich „neutral“ verhält in einer Situation, in der sie Geflüchtete vor gewaltbereiten Bürger/innen und damit unsere Verfassung zu schützen hat, und mit Politikern, die weiter die Entmenschlichung ihres Geschäftes betreiben, indem sie nicht die Integration in den Mittelpunkt stellen, sondern die Frage: Wie verhindern wir den Zutritt von Flüchtlingen in unser Land und wie werden wir sie am schnellsten wieder los? Der alltägliche Faschismus ist aber auch dort präsent, wo eine Asylunterkunft wie die in Clausnitz nach ZDF-Informationen von einem Mitglied der AfD geleitet wird (und die Frage naheliegt, wer von der Ankunft des Busses wusste und die Information in Clausnitz gestreut hat), wo der für Clausnitz zuständige Bürgermeister meint, dass der Großteil der 100 Bürger/innen „nicht auf Krawall gebürstet“ gewesen sei, denen ginge es nur „um die große Politik und nicht um die Menschen an sich“ und wo Pegida und Legida mit ihren Parolen Montag für Montag und Hand in Hand die tatsächlichen Brandstifter auf den Weg schicken und reinwaschen. Seien wir wachsam! Lieber jetzt einen Sturm der Entrüstung und ein Aufschrei für die Grundwerte, als das Säuseln des ganz alltäglichen Faschismus einfach hinnehmen.
Nachtrag 1: Eine Ironie der Geschichte ist, dass das Busunternehmen, das die 15 Geflüchteten nach Clausnitz transportiert hat, unter dem Motto „Reisegenuss“ fährt und der Leiter der Asylunterkunft, bekennendes AfD-Mitglied, den bezeichnenden Namen „Hetze“ trägt. Für seinen Namen kann er nichts, doch er muss ihm nicht durch seine AfD-Mitgliedschaft eine Kontur verleihen. Keine Ironie ist es, dass die Polizei an ihrem Einsatz keine Fehler erkennen kann. Da entpuupen sich wieder einmal diejenigen, die Probleme lösen sollen, als Teil des Problems des ganz alltäglichen Faschismus.
Nachtrag 2: Heute (21.02.16) wird Ministerpräsident Stanislaw Tillich mit den Worten zitiert: „Das sind keine Menschen, die so etwas tun. Das sind Verbrecher.“ Nein, die, die in Clausnitz gepöbelt haben sind genauso Menschen wie die Brandstifter von Bautzen, ganz normale Menschen – wie übrigens auch jeder Verbrecher ein Mensch ist und bleibt. Und das ist das Erschreckende und Schlimme. Es zeigt zweierlei: wozu wir Menschen fähig sind und: wie normal rechtsextremistisches Denken und die zur Tat gewordene Gewalt inzwischen in viel zu vielen Ortschaften sind – so normal und alltäglich, dass es gar nicht mehr als eine Unmöglichkeit auffällt. Erst wenn wir das begriffen haben, erkennen wir das Ausmaß des Skandals und vermögen auch dem zu begegnen.
8 Antworten
Lieber Christian Wolff,
Wenn Du schreibst:
„Gleichzeitig ist er aber auch Folge der fatalen Reduzierung der Flüchtlingspolitik auf die Frage: Was können wir tun, um möglichst keine Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen? Damit aber wird der Geflüchtete zum gesellschaftlichen Störfaktor stilisiert, also zu jemandem, den wir eigentlich nicht dulden sollten. Gleichzeitig gerät das eigentlich Notwendige in den Hintergrund: eine intensive, den Menschen zugewandte Integrationspolitik. Diese beiden verhängnisvollen politischen Entwicklungen…“
lese ich immer zugleich mit: Diese Politik wird von unserer Partei, der SPD, nicht verhindert, sondern in Regierungsverantwortung mitgetragen. Was können wir tun, dass die Genossen an der Spitze sich mehr für eine dem Menschen zugewandte Integrationspollitik stark machen?
JoLehnert
Ja, genau das ist das Problem. Wo ist das Gesicht, das eine sozialdemokratische Flüchtlings- und Integrationspolitik repräsentiert und in der Öffentlichkeit vertritt? Wo sind die SPD-Ministerpräsidenten, die einem Horst Seehofer entgegentreten? Wo??? Es ist ein Trauerspiel, was die SPD derzeit abgibt. Und dafür wird sie am 13.03.16 eine deutliche Quittung bekommen. Leider! Umso so erfreulicher ist, dass wenigstens die Leipziger SPD nun ein eigenes Integrationsprogramm entwickelt.
Soeben gepostet auf der Facebookseite des Innenministers Ulbig nach der unwirklichen Pressekonferenz der sächsischcen Polizei: „Dem vom menschenverachtenden, hasserfüllten Mob in Rechenberg-Bienenmühle verursachten Ansehensverlust für unser Land folgt nun die totale Selbstdemontage des Ansehens der Polizei in Sachsen: Die Einsatzkräfte haben in Rechenberg-Bienenmühle alles richtig gemacht, Businsassen tragen eine wesentliche Mitverantwortung an der Eskalation vor Ort und erhalten ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung? Wenn das das Fazit der heutigen PK der Polizei ist, dann geht dieser Tag ein in die Geschichte unseres Landes, in dem die Polizei nicht länger ein Teil der Lösung ist, sondern zu einem Teil des Problems ausländerfeindlicher Übergriffe in Sachsen geworden ist. Der heutige Tag sendet somit Erschütterungswellen aus in die Grundfesten des demokratischen Gemeinwesens in Sachsen, deren Folgen vollkommen unübersehbar sind. Nun haben Sie, sehr geehrter Minister Ulbig, es in der Hand, ob auch die Staatsregierung noch von der an diesem Wochenende entstandenen massiven Legitimitätskrise der sächsischen Polizei erfasst wird. Ziehen Sie die notwendigen politischen Konsequenzen aus den Geschehnissen in Rechenberg-Bienenmühle, zu denen die Polizei selbst aufgrund eigener Befangenheit offenkundig nicht in der Lage ist!“
Ja, das war schrecklich in Clausnitz, aber würde ein Sturm der Entrüstung wirklich helfen? Kann man davon ausgehen, dass Deutschland auf Dauer so viel anders tickt als Tschechien, Polen, Großbritannien, und die USA? Man könnte auch argumentieren, dass gerade die Ausgrenzung der AfD und anderer Migrationsgegner aus dem akzeptierten Diskurs zur Brutalisierung beiträgt. Mit Verfassungsfeinden und Gewaltverfechtern (z.B. Kriegshetzern) kann man in der Tat schwer reden, aber „Weltoffenheit“ steht nicht in der Verfassung. Niemand schlägt vor, dass wir alle Kriegsflüchtlinge (und Armutsflüchtlinge) der Welt aufnehmen, also müssen wir darüber diskutieren, wievielen und welchen wir helfen. Und wenn man denjenigen bei uns, die (so wie die meisten unserer osteuropäischen Nachbarn) nur sehr wenigen Flüchtlingen helfen wollen, zumindest eine Beteiligung an der öffentlichen Diskussion (in Talkshows und in den Parlamenten) zugesteht, kann das vielleicht dazu beitragen, dass sich ihr Fußvolk wieder anständig verhält und darauf hofft, seine Ansichten auf demokratische Weise durchzusetzen. Respekt vor der Demokratie und den Meinungen anderer ist ein Grundwert, der auf allen Seiten höher angesetzt werden sollte, als „Weltoffenheit“ oder „Bewahrung der Traditionen“.
Lieber Herr Haspelmath, nichts ist zufällig, nichts ist zwangsläufig, nichts ist gleichgültig. Darum sind auch politische Prozesse beeinfluss- und gestaltbar – durch jede/n einzelne/n Bürger/in. Das ist meine tiefste Überzeugung. Und darum erwarte ich schon einen Aufschrei all derer, die in Zukunft die Politik nicht bestimmen lassen wollen durch eine AfD oder sonstige rechtsradikale Gruppierungen. Auch sehe ich nicht, dass Orban, Zeman oder Kaszynski ihre jeweilige Bevölkerung sanft an die Aufnahme von Geflüchteten heranführen wollen. Vielmehr bedienen sie mit aggressiven Rethorik und ihrer menschenverachtenden Politik nahezu alle fremdenfeindlichen und islamfeindlichen Vorurteile. Gegen diese in Europa um sich greifende rechte Gesinnung möchte ich gerne die Grundwerte unserer Demokratie stellen und für diese streiten – und hoffe, dass Sie auf meiner Seite sind. Ihr Christian Wolff
Ich möchte auch für linke Politik und gegen rechte Politik und Gesinnung angehen, aber nicht mit einem „Aufschrei“ oder mit Verunglimpfungen („menschenverachtend“). Wer es mit Demokratie und freiheitlicher Grundordung ernst meint, muss respektieren, dass es auch andere Meinungen gibt, die sich noch auf dem Boden der Grundordnung bewegen. – Nicht mehr auf dem Boden unserer Grundordnung bewegt sich dagegen z.B. Donald Trump, der für alle Muslime ein Einreiseverbot verhängen will, die Foltermethoden verschärfen und in Syrien Zivilisten bombardieren will wie im Zweiten Weltkrieg. Mir wäre eine AfD-Regierung in Deutschland allemal lieber als ein Trump-Präsident in den USA, und dieses Schreckensszenario ist mittlerweile leider gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Trump wäre wohl kaum besser als Putin und Erdogan. Angesichts dieser Bedrohungen im Rest der Welt ist die Lage bei uns doch fast noch idyllisch…
Das ist doch hoffentlich nicht Ihr Ernst, lieber Herr Haspelmath. Das Attribut „menschenverachtend“ benutze ich im Zusammenhang mit den Vorgängen in Clausnitz und an anderen Orten, in Zusammenhang mit den schrecklichen Äußerungen von Tatjana Festerling auf jeder Pegida-Kundgebung und im Zusammenhang mit Höcke, Gauland, Petry von der AfD. Da sehe ich keine Verunglimpfung, sondern eine eher euphemistische Umschreibung von deren Hetzreden. Über Trump müssen wir nicht streiten, aber dieser Komperativ zur AfD? Das sind eher zwei Seiten ein und derselben braun eingefärbten Medaille. Und zu dieser gehört ebenso ein Zeman, Orban und Kaszynski.
Beschämend, erschreckend und abstoßend, wie Bürger von Rechenberg-Bienenmühle das Ansehen Sachsens und Deutschlands neuerdings besudeln. Beschämend und erschreckend vor allem auch, welch wachsweichen Worte der Bürgermeister für das findet, was am Donnerstagabend passiert ist. Der Großteil der Menge war „nicht auf Krawall gebürstet“? Bei den Pöbeleien ging es „um die große Politik und nicht um die Menschen an sich“? Das zeugt von einer schizophrenen Trübung der Wahrnehmungsfähigkeit, die dem Reputationsschaden für unser Bundesland gar die Krone aufsetzt. Herr Funke soll die Kraft finden, ohne Wenn und Aber das zu verurteilen, was sich in seinem Ort abgespielt hat oder noch an diesem Wochenende seinen Hut als Bürgermeister nehmen! Und selbstverständlich müssen die Hintergründe für diesen vollkommen fehlgeleiteten Polizeieinsatz restlos aufgeklärt werden und das individuelle Fehlverhalten von Polizisten geahndet werden.
Gott sei Dank ist Deutschland aber gänzlich anders als dies die selbsternannten Retter von Rechenberg-Bienenmühle und ihre Sympathisanten gerne hätten. Retten wir uns mit einer Koalition aller Demokraten, die breiter denn je sein muss, vor dieser Art von „Volk“ mit seiner Fratze, das die Straßen von Rechenberg-Bienenmühle und anderswo in Sachsen pöbelnd, menschenverachtend und hasserfüllt heimsucht!