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Aufbruch aus der Normalität – ein paar weihnachtliche Gedanken

Ich gebe es unumwunden zu: In diesem Jahr ist es mir sehr schwer gefallen, einen Zugang zum Weihnachtsfest zu finden. Zum einen ist da die Wucht der Säkularisierung. Sie drängt in immer schnellerem Tempo die christlich geprägte Weihnacht aus dem öffentlichen Bewusstsein. Hatten wir uns in den Kirchen vor Jahren und Jahrzehnten darüber echauffiert, dass spätestens ab dem 1. Advent die christlichen Weihnachtslieder in die Dauerschleife der Kaufhausbeschallung gerieten, so wäre man heute froh, wenn wenigstens noch ein paar kirchliche Weihnachtslieder beim Einkaufen zu hören wären. Zum andern scheint aus den Hoffnungs- und Zuversichtsappellen vom evangelischen Bundespräsidenten bis zu den Bischöf*innen der Kirchen die Luft heraus zu sein. Sie wirken blass und kraftlos. So rumort seit Tagen die Frage in mir: Bewegt sich noch etwas in unseren Herzen und Sinnen, wenn die Geschichte von Geburt Jesu (https://www.bibleserver.com/LUT/Lukas2%2C1-20), die der Evangelist Lukas vor 2000 Jahren ins Weltgeschehen eingebettet hat, auf die politische, gesellschaftliche, persönliche Wirklichkeit 2021 trifft? Bei mir hat es erst heute Morgen beim Aufwachen „Klick“ gemacht, nachdem ich am Heiligen Abend trotz Gottesdienstbesuch ziemlich leer ins Bett gegangen bin.

Dass Maria und Josef auf Geheiß des römischen Kaisers Augustus ihren Lebensmittelpunkt in Nazareth verlassen müssen, kommt einer Vertreibung aus der Normalität gleich. Ab jetzt ist für die beiden nichts mehr normal – weder ihr Verhältnis zueinander noch die Suche nach einer Herberge noch die bevorstehende Geburt. Heimatlos geworden irren sie durch Bethlehem auf der Suche nach alter Normalität und neuer Sicherheit. Das alles geschieht nicht, weil sie es wollen. Es kommt über sie – so wie sich durch die Pandemie plötzlich Sicherheiten in Nichts aufgelöst haben; so wie bei denen, die ihren Mann, ihre Frau, den Vater, die Mutter, das eigene Kind verloren haben oder deren Leben durch Krankheit von einem Augenblick zum andern aus den Fugen geraten ist; so wie bei denen, deren Normalität durch die schreckliche Flut im Ahrtal weggespült wurde. Ihre Hoffnung, bald in die alte Normalität zurückkehren zu können, erfüllt sich nicht auf Anhieb. Wie Maria und Josef irren sie umher und müssen zusätzlich zum Verlust des Normalen noch Häme, Abweisung, Bürokratie verkraften. Maria und Josef finden schließlich einen Stall, der ihnen als Notlager dient. Ein Ort, der mit Normalität nichts zu tun hat; den verlassen zu können, wird wohl an erster Stelle auf dem Wunschzettel des jungen Paares gestanden haben; der aber durch die Geburt Jesu zu einem Ausgangspunkt des Aufbruchs wird.

Damit wandelt sich der Stall von Bethlehem von einer Stätte des Unnormalen zu einem Sehnsuchtsort für die, die schon lange aus der Normalität des Lebens herausgefallen sind: die Hirten. Ähnliches gilt für die Weisen aus dem Morgenland. Zunächst folgen sie der Normalität, suchen das durch einen Stern angezeigte besondere Ereignis im Palast des Herodes. Wo auch sonst? Doch das Neue, das Besondere, den Sohn des Höchsten, finden sie im Unnormalen von Krippe und Stall. Dort verharren sie dann mit den Hirten in der Anbetung, d.h. sie kommen ins Nachdenken. Die A-Normalität des Ortes veranlasst sie nicht, schnell einen Ausweg aus diesem zu finden. Das Kind in der Krippe zeigt ihnen an: Jetzt gilt es, das ganze Leben neu zu durchdenken. Diese Unterbrechung des Alltags ist mehr als eine unliebsame Pause. Sie führt zu einer Neujustierung des Lebens. Es gibt also kein einfaches zurück in die alte Normalität – weder für Maria und Josef noch für die Hirten noch für die Weisen – noch für uns. Wer an der Krippe verweilt, für den wird die Rückkehr in die Normalität wenig erstrebenswert. Denn zu ihr gehören ja auch all die Grausamkeiten, vor denen wir erschrecken, die wir nicht wahrhaben wollen, gegen die wir rebellieren müssten. Herodes zettelt den Kindermord an, damit alles wieder so wird, wie es war. Doch die Weisen meiden die Normalität des Machtpokers und gehen einen anderen Weg. Auch die Hirten kehren nicht einfach zu ihren Schafherden zurück. Sie werden zu Botschaftern der guten Nachricht von der Ehrfurcht vor dem Leben. Schließlich wandern auch Maria und Josef nicht einfach nach Nazareth zurück. Fluchtartig machen sie einen riesigen Umweg, um der brutalen Normalität des herrschsüchtigen Herodes zu entgehen.

Der Evangelist Lukas zeigt auf: Auf einer bloßen Rückkehr in die Normalität liegt kein Segen. Wer immer uns diese verspricht – wir sollten solcher Verlockung mit größter Skepsis begegnen. Vielmehr kommt es darauf an zu verstehen, warum es plötzlich zur Vertreibung aus der Normalität gekommen ist. Nur so werden wir erkennen, wo und wie ein neuer Alltag zu finden ist. In diesen gilt es aufzubrechen – nach der Anbetung des Kindes, nach einer gewissenhaften Reflexion, nach einer neuen Gewichtung dessen, worauf es ankommt, was uns das eigene Leben und das des Nächsten wert ist, wie wir in Frieden leben wollen. Wer sich dafür Zeit nimmt, der wird Kraft zum Aufbruch finden.

Jetzt, da wir mitten in der Pandemie Weihnachten feiern, sollten wir in einem gewiss sein: So wichtig für den Aufbruch aus der Normalität das Impfen und die freie Entscheidung eines jeden Menschen sind – es wird uns nicht retten, wenn wir uns in eine vermeintliche Normalität impfen oder für diese ein Ich-bezogenes Freiheitspathos reklamieren. Ohne dass wir uns von dem Kind in der Krippe ansprechen, von Gottes Zuspruch ermutigen, von Jesu Wegweisungen neu ausrichten lassen, ohne die Orientierung an all den Werten, die das Kind in der Krippe verkörpert, werden wir aus der Normalität, in die wir vermeintlich zurückkehren, bei nächster Gelegenheit wieder vertrieben. Davor möchte uns der – manchmal sogar unfreiwillige oder zufällige –  Gang zu Krippe und Stall am Weihnachtsfest bewahren.

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