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Klärung – aber kein Grund zur Überheblichkeit und Betulichkeit

Wie gut, wenn sich Dinge klären. In dieser Woche zweifach: durch die Veröffentlichung einer Langzeitstudie der Universität Leipzig über die AfD-Wähler/innen in Sachsen und durch die beschämenden Vorgänge bei der Pegida/AfD-Demo anlässlich des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden am 16. August 2018 und ihre politischen Folgen.

1. Die Langzeitstudie lässt sich so zusammenfassen lassen:

  • Die AfD ist keine schichtenspezifische Partei. Ihre Wähler/innen rekrutieren sich aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Was sie eint: eine sehr konservative Grundhaltung.
  • „Das zentrale Motiv für AfD-Wähler ist der Wunsch nach einer geschlossenen Gesellschaft und dichten Grenzen sowie die Angst vor Überfremdung“, so Holger Lengfeld, Soziologieprofessor an der Universität Leipzig
  • Daraus folgen Grundhaltungen und Forderungen: Ausgrenzung, Abschottung, Kritik der Demokratie.

Die AfD wird also nicht gewählt, weil Menschen mit ihrer sozialen, wirtschaftlichen Lage unzufrieden sind. Die AfD wird gewählt, weil sich Bürgerinnen und Bürger in ihrer nationalen Identität bedroht fühlen, die soziale Konkurrenz von Ausländer/innen fürchten und mit dem politischen System in Deutschland unzufrieden sind. Überraschen können diese Ergebnisse niemanden. Denn jeder, der die politische Entwicklung in Sachsen seit 1989/90 aufmerksam verfolgt, konnte schon lange spüren: Durch den kurzen Zeitrahmen dessen, was wir Friedliche Revolution nennen (Mai-Dezember 1989), konnten deren langfristige Ziele, wie sie zum Beispiel in den Beschlüssen zum Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung 1988 in Dresden festgehalten wurden, politisch weder in den Einigungsprozess eingebracht geschweige denn durchgesetzt, noch von einer bedeutenden Anzahl von Menschen verinnerlicht werden. Sie wurden überlagert von dem völlig berechtigten und nachvollziehbaren Bestreben der Mehrheit der DDR-Bevölkerung nach schneller Vereinigung der beiden deutschen Staaten und Teilhabe an den wirtschaftlichen Erfolgen und Möglichkeiten einer freiheitlichen Gesellschaft. Das erklärt zwei Phänomene: warum zum einen die gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands das gewachsene Wählerpotential der AfD nicht schmälert; warum zum andern die AfD alle gesellschaftlichen Missstände auf die hohe Anzahl von Geflüchteten zurückführt – nach der einfachen Devise: gäbe es keine Geflüchteten, ginge es den Deutschen besser; dass aber so viele Fremde (Muslime!) unter uns leben, ist Schuld von Angela Merkel; dass sie so lange Bundeskanzlerin ist, liegt an den Verwerfungen des demokratischen Systems und der „Lügenpresse“; diese verdanken wir den etablierten Politikern, die darum „Volksverräter“ sind. Da darf es niemanden verwundern, wenn eingefleischte AfD-Wähler/innen ihr Heil in Putin oder Trump sehen. Diese bedienen ihre Sehnsucht nach Nationalstolz und ihren angstbesessenen Hass auf den Islam und auf Flüchtlinge. Dem opfert man unbesehen Freiheit, Pluralität, Demokratie – Grundwerte für ein Linsengericht.

Eines ist damit klar: Der AfD kann politisch nicht dadurch begegnet werden, dass man ihre Forderungen/Einstellungen übernimmt/kopiert. Diese vom Dresdner Politologen Werner Patzelt seit Jahren propagierte und der CDU anempfohlene Strategie stärkt die AfD und schwächt das Vertrauen in die Grundwerte der Verfassung. Klar ist auch: Soziale Wohltaten werden der AfD nicht das Wasser abgraben. Nötig ist vielmehr eine offensiv geführte, inhaltlich klare Debatte um die Grundwerte unserer Verfassung, um Demokratie, Pluralität und eine europäische Friedensordnung. Dabei gilt es, keinen Millimeter der Errungenschaften einer offenen Gesellschaft preiszugeben.

Transparent auf dem Nikolaikirchhof Leipzig Oktober 1989

2. Sachsen hat nach wie vor ein riesiges Problem mit dem Rechtsradikalismus. Kein Wunder: Denn dieser ist Folge von fast 30 Jahren Verharmlosung rechtsnationalistischen Denkens und Vernachlässigung der Demokratie- und politischen Bildung insbesondere durch die CDU. Sie hat dafür gesorgt, dass sich in Sachsen Fremdenfeindlichkeit, Demokratieverachtung, Deutschtümelei breit gemacht haben (lange vor 2015) und in Pegida/AfD organisieren konnten. Dadurch verlor sich eine der Grundforderungen der Friedlichen Revolution von 1989/90 „Für ein freies Land mit offenen Grenzen“ bzw. „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ im Nebel eines deutschtümelnden Nationalismus. Der provozierende Auftritt eines Pegida-Anhängers (wie sich herausstellte, ist er Angestellter des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsens) am 16. August 2018 in Dresden und die Art und Weise, wie die sich daraus ergebende Behinderung eines ZDF-Teams durch die Polizei von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kommentiert wurden, stehen als „pars pro toto“. Sie zeigen, wie sehr sich in Sachsen das politische Spektrum vom Grundgesetz weg nach rechts verschoben hat. Das unterstreichen auch die merkwürdig „besorgten“ Reaktionen, die sich jetzt gegen ein „Sachsen-Bashing“ wenden (hier tut sich vor allem die ZEIT-im-Osten-Redaktion mit einer ziemlich nervigen Betulichkeit hervor). Von einem solchen Bashing kann sich aber nur der getroffen fühlen, der die Vorgänge als nicht so dramatisch ansieht. Doch dieses fürsorgliche Inschutznehmen der Sachsen ist völlig unangebracht – angesichts der Häufung sog. Einzelfälle. So berichtet der Dresdner Redakteur der „Sächsischen Zeitung (SZ)“ Tobias Wolf, dass ein Polizei-Einsatzleiter ihm gegenüber erklärt habe: ,,Ihr seid doch die Lügenpresse, Pegida hat recht. Ich schütze euch jetzt nur, weil ich eine Uniform anhabe.“ Als Bürger Sachsens fühle ich mich nicht durch den – von mir aus auch überzogenen – Sarkasmus derer verletzt, die jetzt Sachsen durch den Kakao ziehen. Empört bin ich über Ministerpräsident Kretschmer, die sächsische CDU, die nichts begreifen will, und die Art und Weise, wie AfD und Pegida mit ihrer Hassrhetorik nicht nur den Diskurs bestimmen, sondern schon an vielen Schalthebeln sitzen. Dass ich gerne in Sachsen, vor allem in Leipzig lebe, vieles an der sächsischen Mentalität schätze, und mir sehr bewusst bin, auf welch geschichtsträchtigem Boden ich mich bewege – all das wird nicht durch die notwendige Kritik an Vorgängen wie in Dresden beschädigt. Beschädigungen gehen allein von Pegida/AfD, vom organisierten Rechtsradikalismus und ihren Steigbügelhaltern aus. Dennoch: Für Überheblichkeit a la Jakob Augstein https://twitter.com/Augstein/status/1032507044492963841 besteht kein Anlass. Denn das, was sich in Sachsen abspielt, ist die Braunpause für Entwicklungen, die es leider in ganz Deutschland gibt. Darum kann es jetzt nur heißen: Wir müssen nicht nur in Sachsen sondern in ganz Deutschland eine sehr klare Auseinandersetzung führen um die Grundwerte unserer Verfassung, um Demokratie und Pluralität, um ein friedliches Europa – beginnend damit, dass wir Geflüchteten mit Achtung und Respekt begegnen, die Menschenrechte wahren und Integration fördern.

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