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Zäsur – die SPD nach dem Debakel und vor der Bundestagswahl

Dass der 14. Mai im Wahljahr 2017 eine Zäsur darstellen wird, war vorhersehbar. Dass diese nun mit einem Debakel für die SPD verbunden ist, muss von jedem Mitglied der SPD erst einmal verkraftet werden. Mit einigen Tagen Abstand zum desaströsen Wahlergebnis für die SPD in Nordrhein-Westfalen möchte ich folgende Überlegungen zur Diskussion stellen:

  1. Selten wurde eine amtierende Landesregierung so eindeutig abgewählt, wie dies am vergangenen Sonntag in Nordrhein-Westfalen geschehen ist. Knapp 12 % haben SPD und Bündnis 90 / Die Grünen gegenüber 2012 verloren. Ein solches Debakel ist nur dadurch zu erklären, dass beide Regierungsparteien eine Politik betrieben haben, die in ihrem Ergebnis viele Bürgerinnen und Bürger als schlecht bewerten. Mehr noch: Geweckte Erwartungen bzw. politische Ziele (Keiner bleibt zurück, Inklusion, Erneuerung der Infrastruktur, Sicherheit) wurden durch die Wirklichkeit konterkariert. Davor über lange Zeit die Augen zu verschließen, im Selbstrettungsversuch die Ziele zur Wirklichkeit zu erklären und damit so zu tun, als sei alles in Ordnung und NRW auf einem guten Weg, kennzeichnet das eigentliche Versagen der verantwortliche Politiker/innen von SPD und Grünen.
  2. Im Gegensatz dazu hält sich der Stimmenzuwachs der CDU durchaus in Grenzen (6,7 %). Auch ist der Abstand zur SPD mit 1,8 % relativ gering. Das heißt: In NRW wurde vor allem eine Regierung abgewählt, nicht aber für eine bestimmte neue Koalition votiert. Dazu ist die schlechte Politik der CDU/FDP-Koalition zwischen 2005-2010 bei zu vielen Bürgerinnen und Bürgern noch in zu unguter Erinnerung. Deswegen hält sich Begeisterung über einen Ministerpräsidenten Laschet (CDU) sehr in Grenzen.
  3. Ganz offensichtlich hat die Bundespolitik bei der NRW-Landtagswahl nur eine geringe Rolle gespielt – mit zwei Folgen: 1. Die Wähler/innen haben vor allem das bewertet, was im Land vor sich geht, und damit der Politik der bisherigen Regierungsparteien eine Absage erteilt. 2. Die Bundespolitik erschien gegenüber den Defiziten der Landespolitik als gediegen und gut. Der letztere Aspekt wurde dadurch verstärkt, dass die SPD seit Mitte März keine bundespolitische Debatte geführt hat und überhaupt nicht kommunizieren konnte, warum Martin Schulz Angela Merkel als Bundeskanzler ablösen will. Das Fehlen dieser Auseinandersetzung kam der CDU zugute und hat die SPD strategisch ins Hintertreffen gebracht.
  4. Es ist unbegreiflich, dass die SPD den Aufschwung, den die Partei mit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden seit Januar 2017 erfahren hat, nach der Wahl von Martin Schulz zum Parteivorsitzenden am 19. März 2017 selbst faktisch auf Null gestellt hat. Martin Schulz und sein Anspruch, die Bundestagswahl im Herbst zu gewinnen, und für dieses Ziel auch die Landtagswahlen zu nutzen, kamen über Wochen nicht mehr vor. In diesem Vakuum war viel Platz, die Defizite der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ins Bewusstsein der Wählerinnen und Wähler zu bringen. Es wurden aber auch 16.000 neue SPD-Mitglieder vor den Kopf gestoßen und letztlich allein gelassen. Die SPD und Martin Schulz haben die Themen, die im Januar/Februar neu aufgebrochen sind, nicht aufgegriffen und für sich genutzt: 1. Europa. Da hat Martin Schulz nicht nur eine unbestrittene Kompetenz. Mit der Bewegung „Pulse of Europe“ wurde deutlich, dass sich Menschen für die europäische Einigung begeistern lassen und nicht bereit sind, dieses Thema den Rechtspopulisten zu überlassen. 2. Friedenspolitik. Warum wurde nicht das Thema „Aufrüstung“ zum Anlass genommen, die friedenspolitischen Grundsätze der SPD neu ins Bewusstsein zu rufen angesichts der realen Kriegsgefahr, die durch Aufrüstungspolitik der Trump-Administration forciert wird. 3. Die Gerechtigkeitsfrage. Hier hat die SPD es versäumt, sich in der Kommunikation dieses Themas klar und unmissverständlich von allem Glaubwürdigkeits-Ballast zu befreien. Solange der politischen Gegner die richtigen Forderungen von Martin Schulz nach mehr Gerechtigkeit mit dem Hinweis auf 12 Millionen Euro „Abfindung“ einer Ex-SPD-Landesministerin nach einem Jahr Vorstandstätigkeit bei VW konterkarieren kann; solange der VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende, gleichzeitig prominentes SPD-Mitglied, Teil des VW-Skandals ist, tut sich eine riesige Glaubwürdigkeitslücke auf. Diese wird zusätzlich vertieft, wenn politische Versprechungen und Forderungen vor Ort nicht eingelöst werden. Wenn in Nordrhein-Westfalen über Jahre Schulen in den Stadtteilen verrotten, in denen die sozialen Schieflagen besonders krass sind, dann wird diese Ungerechtigkeit denen angelastet, die sie beheben wollen, es aber nicht vermögen. Wenn die SPD hier nicht umsteuert und vor Ort die Menschen beteiligt, um ihre Ziele umzusetzen und dabei einen bürgernahen Pragmatismus, vor allem einen hohen Qualitätsmaßstab bei der Umsetzung ihrer Ziele an den Tag legt, wird sie keine Mehrheiten gewinnen.
  5. Das eigentlich Dramatische an der Entwicklung der letzten Wochen ist: Es gibt durchaus eine Wechselstimmung in der Bevölkerung. Es ist eine Empfangsbereitschaft für die Grundziele der SPD vorhanden. Die bisher bekannten programmtischen Eckpunkte von Martin Schulz sind mehrheitsfähig. Aber die SPD steht sich mit einem erschreckend schlecht disponierten Führungspersonal und noch schlechter konzipierten Kampagnen selbst im Wege. Was sich ein Torsten Albig bis zum gestrigen Morgen geleistet hat, ist eine ziemliche Katastrophe: angefangen vom unterirdischen BUNTE-Interview bis dahin, dass er 10 Tage brauchte, um den Schritt zu tun, der schon am 7. Mai 2017 überfällig war: zurückzutreten und die Verantwortung für das Wahlergebnis zu übernehmen. Auch ist es unbegreiflich, dass die SPD in NRW offensichtlich nicht erkannt hat, dass sie schon lange die Zustimmung zu ihrer Politik verloren hatte. Wie war/ist es möglich, dass die Wirklichkeit so verleugnet werden kann? Diese Frage muss beantwortet werden – nicht von außen, sondern von innen.
  6. Offensichtlich ist im Willy-Brandt-Haus in Berlin nicht klar, worauf es vor allem ankommt: auf Glaubwürdigkeit und auf eine transparente, nachprüfbare Umsetzung der politischen Ziele. Anders ist das stümperhafte Agieren des Parteiapparates in den letzten Wochen nicht erklärbar. Die SPD muss aber neben den tagespolitischen Themen wieder grundlegende, programmatische Perspektiven/Visionen entwickeln, die über mindestens zwei Jahrzehnte Bestand haben. Dies gilt vor allem im Blick auf Europa und auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Hier muss die SPD mit Visionen, Leitbildern agieren, die sich nicht schon morgen abgenutzt haben. Ich denke vor allem an das Projekt der vereinigten Staaten von Europa. Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Europa! Davon sollte die SPD der Zukunft zugewandt offensiv reden. Wer könnte dies besser als ein Martin Schulz! Ebenso denke ich an ein sozialdemokratisches Gesellschaftsbild, dass die Gerechtigkeitsfrage nicht allein fiskalisch angeht, sondern in dem der einzelne Mensch mit seinen Entwicklungsmöglichkeiten im Vordergrund steht.
  7. Trotz der für die SPD bitteren Zäsur am 14. Mai 2017 sehe ich die große Chance, dass Martin Schulz das Potential aufbringt, die SPD zu einem guten Ergebnis bei der Bundestagswahl zu führen. Da möchte ich an das Jahr 1972 erinnern. Im April errang die CDU die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg – und deklassierte die SPD. Das schien das Ende der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) einzuläuten. Doch im November 1972 gewann die SPD die Bundestagswahl triumphal. Grund: Es gab ein großes Thema, die Ostpolitik, und eine charismatische Persönlichkeit Willy Brandt. Auf heute übertragen bedeutet dies: zunächst muss sich die Partei um Themen scharen, die Kontroversen und Begeisterung auslösen und die dazu beitragen, dass sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger auf eine streitige Auseinandersetzung einlassen. Dabei wird es darauf ankommen, dass wir Sozialdemokraten uns immer bewusst sind: ohne Glaubwürdigkeit, ohne eigene Überzeugungskraft, ohne an uns ablesbare Grundwerte geht es nicht. Martin Schulz ist eine Persönlichkeit, die darüber verfügt. Sorge jeder Sozialdemokrat mit dafür, diese nicht zu konterkarieren.

Hinweis:

  • Am 22. Mai 2017 um 17.00 Uhr gestaltet die Arbeitsgemeinschaft „Christen in der SPD“ das Friedensgebet in der Nikolaikirche
  • Am 23. Mai 2017, dem 154. Gründungstag der SPD und dem 68. Geburtstag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, lädt die SPD Leipzig um 18.00 Uhr zu einer Veranstaltung unter dem Motto „Deutschland in guter Verfassung?“ in die Alte Handelsbörse ein.

7 Antworten

  1. Wie kann man sich denn, lieber Herr Wolff, selbst so klein schreiben, wie Sie es in Ihrem Absatz 2 tun. Besser wäre es doch gewesen, Sie wären Ihren politischen Vorbildern Kraft und Schulz gefolgt, die anständig, wie es sich gehört, dem Wahlsieger gratuliert haben. Stattdessen kommen Sie verbissen zu dem Schluß, die SPD habe zwar verloren, der Wähler habe jedoch eine andere Koalition nicht gewählt. Aber natürlich wurde in NRW für eine neue Koalition unter CDU-Führung votiert. Wenn ein Rückstand CDU zu SPD von rund 13% aus der Wahl 2012 in einen Vorsprung von 1,5% in dieser Wahl verwandelt wird, dann ist es wohl Selbsttäuschung bei Ihnen, wenn Sie den Wunsch nach Führungswechsel und neuer, anderer Koalition nicht anerkennen. Und die von Ihnen, lieber Herr Wolff, so locker festgestellte “schlechte Politik” der vorherigen CDU/FDP Koalition erscheint angesichts der sieben katastrophalen Jahre der Kraft/Lührmann-Regierung längst als goldenes Zeitalter. Es war, wie öffentlich zur Genüge festgestellt wurde, nicht das Problem der bisherigen Regierung, ihre Politik nicht “rübergebracht” zu haben im Wahlkampf; es war vielmehr die miserable Politik dieser Regierung, die den Wechselwunsch ausgelöst hat: Kaum je ein verfassungsgemäßer Haushalt in diesen sieben Jahren; NRW als führendes Land beim Schuldenmachen und Verschwenden von Geldern aus dem Länderfinanzausgleich (d.h. Geschenken von anderen Ländern); Bundesland mit der schlechtesten Integrationsbilanz von Ausländern und der höchsten Kriminalitätsrate in DEU; ideologische Bildungspolitik zum Nachteil der nächsten Generation(en), Blockade vernünftiger politischer Ansätze der Bundesregierung in fast allen Politikfeldern (zB “sichere Herkunftsländer”). Dazu im personellen Bereich: eine Ministerpräsidentin, deren Arroganz und Unkenntnis der Stimmung im Lande erschreckt; ein Innenminister, der trotz sichtbarer Überforderung nicht seinen Hut nimmt; eine Bildungsministerin, die Ideologie statt Bildungspolitik betreibt. Es ging hier nicht um CDU oder SPD, es ging um die Abwahl einer vollständig unfähigen Riege.
    Und es ist auch nur Illusion zu behaupten, dies sei eine auf Landesthemen basierende verlorene Wahl gewesen (Punkt 3). Es ist klar, daß die SPD dies jetzt behaupten muß, aber die Bedeutung dieser Wahl für die Bundespolitik ist doch dem “mündigen Bürger” in NRW nur allzu bekannt gewesen. Natürlich wurde hier neben Kraft auch Schulz in seinem Heimatland (zu Recht) entzaubert. Zutreffend ist allerdings, daß diese Wahl noch lange kein Signal für die Bundestagswahl ist.
    “Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Europa! Davon sollte die SPD der Zukunft zugewandt offensiv reden. Wer könnte dies besser als ein Martin Schulz!” – schreiben Sie in Punkt 6. Ihre rhetorische Frage läßt sich leicht beantworten: Angela Merkel! Sie ist europapolitisch – hier geht es ja nur darum – ungleich kenntnisreicher, gewandter, kompromißbereiter wo es möglich ist (also nicht bei Eurobonds zB) und anerkannter als Schulz, der als Parlamentspräsident wenig bewegt hat (bewegen konnte?), aber dafür unangenehm belehrerisch, laut und dogmatisch auftrat und allzu nachgiebig da war, wo Vertragstreue und Eigenverantwortung der Staaten gefordert gewesen wäre.
    Es wird sich wohl auch bis zur Bundestagswahl nichts daran ändern, daß man einem Land, daß mehr als 50% seines Sozialprodukts in Umverteilung von oben nach unten steckt, in dem insgesamt Wohlstand und wirtschaftliche Sicherheit vorherrschen, in dem die Kauflust der Menschen wesentlicher Motor der Konjunktur ist, um die uns alle Nachbarn beneiden – daß man den Menschen in einem solchen Land keine Gerechtigkeitslücke einreden kann (Ausnahmen selbstverständlich vorhanden, aber eben nicht kennzeichnend). Deutschland hat Probleme auf den Feldern der Inneren Sicherheit (Terrorismus und Kriminalität), der Zuwanderung und Integration, des Verhältnisses zwischen Schuldenabbau und notwendigen staatlichen Investitionen in Infrastruktur und Bildung (diese aber nicht als Experimentierfeld für ideologische Schwärmer verstanden), schließlich auf dem Gebiet des Erhalts der Demokratie und der Einheit unseres Kontinents unter den Prämissen unserer (!) Wertevorstellungen und Überzeugungen und deren Gestaltung nicht von außen und von außen Zuwandernden sondern im innergesellschaftlichen und binnen-EU-staatlichen Konsens (was die Meinungen der Polen und Ungarn einschließt). Ein Gerechtigswahlkampf in Deutschland ist opportunistischer und populistischer Unsinn – die SPD sollte das erkennen und nicht der wenig überzeugenden extremen Linken folgen.
    Und sie müßte eben auch einsehen – im Gegensatz zu den Anmerkungen einiger Ihrer Kommentatoren hier –, daß keine Koalitionsaussage nur dumme Wähler überzeugen kann. Der mündige Wähler will schon wissen, wenn er SPD wählt, ob er dann eine Regierung der Mitte – also Koalition mit der CDU, der FDP oder von mir aus auch mit den schwächelnden Grünen, oder eine Linksregierung unter Beteiligung der “Linke”-Radikalen bekommt. Und er wird sich wohl auch überlegen, ob er tatsächlich den rechten Radikalismus (AfD) ablehnt, den linken Radikalismus (Die Linke) aber in Kauf nimmt. Man sollte nicht vergessen, daß die gutsituierten Führerpersönlichkeiten der “Die Linke” außer dem Verteilen von Geld, das ihnen nicht gehört, und einer geradezu erbärmlichen aussenpolitischen Unkenntnis kein einziges Politikkonzept anbieten – und das als Koalitionspartner der stolzen Traditionspartei SPD mit Namen wie Ebert, Wels und Reuter?
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

  2. “ (Das eigentlich bedauerliche in NRW ist, dass die Linke nicht im Landtag ist, dann wäre noch sichtbarer, dass die Mehrheit in NRW doch links gewählt hat!)“
    BY MARTIN WOLFF 18. MAI 2017 – 16:45
    _______________________________________________________

    Die Mehrheit ??

    Bei oben angenommenen bzw. gewünschten 5,0 % für die Nachfolgepartei der SED, über deren verschwundenes Parteivermögen* so nichts, aber auch gar nichts mehr zu hören ist, wäre „noch deutlicher“, daß „die Mehrheit in NRW doch links gewählt hat“.

    „Noch deutlicher“ ??

    Werden jetzt schon Stimmen von CDU/F.D.P./AfD der Linken zugerechnet ?

    SPD: 31,2 %
    BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: 6,4 %
    LInke: 4,9 %

    dagegen:

    CDU: 33,0 %
    F.D.P.: 12,6 %
    AfD: 7,4 %

    * Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Putnik-Deal

  3. Lieber Herr Wolff, noch zwei weitere Dinge haben Sie nicht erwähnt:
    1. Die Landtagswahlen – nicht nur die drei letzten, sondern auch vorher die in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz – haben gezeigt, dass es dem Wähler heute wieder viel mehr darauf ankommt, überzeugende Persönlichkeiten zu wählen, als spezifische Parteiprogramme, die sich ohnehin nicht sehr von einander unterscheiden. So erklärt sich das gute Abschneiden Ihrer Parteigenossin Marilu Dreyer, des Grünen Kretschmann und der überzeugenden CDU-Kandidaten im Saarland, NRW und Schleswig-Holstein, aber auch die starke Verbesserung der FDP mit den Namen Kubicki und Lindner. Mit dem Wechsel von Gabriel zu Schulz zu Beginn dieses Superwahljahres wollte die SPD offensichtlich auch auf Bundesebene eine solche überzeugende Persönlichkeit als Kanzlerkandidaten aufstellen, und dieser Eindruck war ihr ja nach den Umfragen zunächst auch gelungen. Ihnen ist es nun unbegreiflich, dass Ihre Partei diesen Aufschwung so schnell verspielt hat, so dass er in den drei letzten Landtagswahlen keine Rolle mehr spielte. Ich fürchte, es war nicht die SPD, die ihn, wie Sie schreiben „selbst faktisch auf Null gestellt“ hat, sondern viel mehr Martin Schulz selbst, der die von Partei und Presse zunächst viel zu hoch geschraubten Erwartungen nicht erfüllen konnte. In der Zwischenzeit hatten bekanntlich die Medien den Lebenslauf dieses bisher als Europa-Politiker wenig bekannten Mannes in allen Einzelheiten verbreitet, und Schulz hatte durch einige unbedachte Äußerungen den Eindruck verstärkt, dass man bei ihm nicht recht wisse, woran man sei.
    2. Besonders die drei letzten Landtagswahlen haben gezeigt, und das wird bei der Bundestagswahl bestimmt eine noch größere Rolle spielen, dass der überwiegend in Lohn und Brot befindliche, sozial versorgte und gut informierte Wähler sich nicht mit Allgemeinplätzen wie „mehr Gerechtigkeit“ abspeisen lassen, sondern ganz konkrete Ziele sehen will. So kommt es ihm bei der Gerechtigkeit vor allem auf Leistungsgerechtigkeit (suum cuique) und nicht noch mehr Umverteilung an. Das dürfte neben den erwähnten überzeugenden Persönlichkeiten auch ein Grund für das gute Abschneiden der FDP sein.
    Von dem Rat Ihrer Leser Lehnert, Schubert und Martin Wolff, näher an die SED-Nachfolger zu rücken, kann ich nach dem SPD-Debakel an der Saar dagegen nur abraten. So hatte man ja auch Martin Schulz zunächst verstanden, sein späteres Dementi aber nicht mehr so ganz geglaubt.
    Auf jeden Fall verspricht es, ein interessanter Wahlkampf bis September zu werden!
    Ihr Hans v. Heydebreck

  4. Lieber Christian, ich kann Dir nur zustimmen, vor allem aber auch der Antwort von J. Lehnert, denn solange die SPD sich von den Linken fernhält, überlässt sie denen auch alle linken Themen. (Das eigentlich bedauerliche in NRW ist, dass die Linke nicht im Landtag ist, dann wäre noch sichtbarer, dass die Mehrheit in NRW doch links gewählt hat!) Die CDU ist doch zumindest im Bund in der praktischen Politik soweit nach „links“ gerückt, dass sie von der SPD nicht mehr unterscheidbar ist, da kann ich auch gleich Merkel wählen.
    Das Tabu, mit den Linken keine Koalition bilden zu wollen oder zu dürfen, gehört doch abgeschafft, Thüringen zeigt ja, dass es auch anders geht. Wenn man sich so selber den Raum nach links, also zu wirklich sozialen Themen begrenzt, hat die SPD keine Berechtigung mehr, das S in ihrem Namen zu führen. Viele, gerade auch treue SPD Wähler werden, wenn hier sich nichts ändert, demnächst also die Linken zu wählen haben.
    Die Fehler der letzten Landtagswahlen, Herrn Schulz versteckt zu haben und keine Themen zu setzen, werden dann nur noch eine Marginalie sein.
    Nach 25 Jahren erwarte ich da von der SPD etwas mehr Courage und Vertrauen in neue Wege.
    Martin

    1. Lieber Martin, wenn es das Wahlergebnis hergibt, habe ich nichts gegen eine Koalition mit der Partei „Die Linke“. Aber vor der Wahl geht es erst einmal um eigene Mehrheiten. In einem hast Du auf jeden Fall recht: Eine Abgrenzung gegen die Linke bringt der SPD überhaupt nichts. Das hat sich in NRW deutlich gezeigt. Aber die SPD in NRW hat nicht deswegen verloren, weil sie sich gegen die Linke ausgesprochen hat. Sie hat verloren, weil sie versagt hat. Die Frage ist, ob die SPD es schafft, aus eigener Kraft ausreichend Wähler/innen zu mobilisieren. Herzliche Grüße Christian

  5. Solange die SPD versucht, eine Partei für ALLE zu sein und bloß keinen potenziellen Wähler vor den Kopf zu stoßen, wird sie weiter an Zuspruch verlieren, weil dann auch ALLE etwas an ihr auszusetzen haben.

  6. Lieber Christian, eins hast Du nicht erwähnt, was ich für richtig halte: Die SPD darf sich nicht g e g e n die Linke profilieren, sondern muss sich f ü r Gerechtigkeit mit allen ihren Ausprägungen stark machen. Bündnispartner ergeben sich nach der Wahl aus den Schnittmengen! Wer seine Wahl untermauert mit der Feststellung, die Linke sei nicht regierungsfähig, schadet sich selbst. Die Abgrenzung gegen die Linken hat in Deutschland schon einmal ein schauerliches Ergebnis hervorgebracht! Johannes

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