Anlässlich des Besuches von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Dresdner Frauenkirche am 14. November 2017 hielt der Landesbischof Sachsens Dr. Carsten Rentzing im Rahmen einer Andacht eine kurze Ansprache (https://www.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_interessiert/B._Wir/3._Leitung/Landesbischof/Andacht_LB_Besuch_Bundespraesident_2017.pdf). Auf diese bin ich erst jetzt gestoßen. Ausgehend von dem Heraklit-Zitat „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ behauptet Rentzing, dass wir „Heutige so weit von dieser Auffassung … (entfernt sind), dass sie uns wie aus einer anderen Welt erscheint.“ Da fragt man sich, in welcher Welt der Landesbischof lebt und ob er nicht wahrnimmt, dass auch heute Dutzende Kriege geführt werden in der Hybris, dem „Vater aller Dinge“ zu folgen. Etliche dieser gegenwärtigen Kriege werden durch Deutschland mit zerstörerischen Waffen gefüttert.
Aber das ist nicht alles. Rentzing stellt dem Heraklit-Zitat ein Wort des Apostel Paulus gegenüber „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5,20), um auf diesem Hintergrund den Wiederaufbau der Frauenkirche als Werk der Versöhnung zu preisen. Die Ursache der Zerstörung der Frauenkirche beschreibt Rentzing dann so: „Unversöhnlich waren die Länder aufeinandergehetzt worden. Hass, Gewalt und Zerstörung resultierten daraus. Die Trümmer der Frauenkirche mahnten lange, welches Leid für die Menschen daraus erwuchs.“ Das ist also die Kurzanalyse des Landesbischofs der Nazi-Zeit und des 2. Weltkrieges: anonymisierend, verallgemeinernd, die Tatsachen verschweigend. Kein Wort davon, dass der 2. Weltkrieg von Deutschland ausging. Kein Wort über Ursache und Wirkung. Kein Wort darüber, dass die Frauenkirche in der Nazi-Zeit der „Dom der deutschen Christen“ war. Kein Wort über Täter und Opfer. Kein Wort zur Schuld Deutschlands, wie sie im Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 19. Oktober 1945 zum Ausdruck gebracht wurde. Damals war diese Erklärung Voraussetzung dafür, dass es zur Begegnung mit Vertretern der Kirchen aus den Ländern kommen konnte, die von Deutschland überfallen und angegriffen wurden. Kein Wort zum konziliaren Prozess, zur Ökumenischen Versammlung in Dresden 1988/89 und zur Friedensbewegung, die sich zu DDR-Zeiten seit 1980 am 13. Februar vor der Ruine der Frauenkirche versammelte.
Wer so losgelöst von der historischen Wirklichkeit über Versöhnung redet, der entpolitisiert, entschärft und verwässert sie. Denn Versöhnung ist nur möglich, wenn ihr Wahrhaftigkeit vorangeht. Versöhnung bedeutet eben nicht, Geschichte einzuebnen; es bedeutet nicht, nicht mehr zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Aber durch Versöhnung, die nur von den Opfern ausgehen und zugesprochen werden kann, können wir uns angstfrei der eigenen Versagensgeschichte stellen. Dass ist das Angebot, das Gott uns mit Jesus Christus macht. Davon ausgehend sollte man vom Landesbischof der sächsischen Landkirche erwarten können, dass er Zerstörung und Wiederaufbau der Frauenkirche historisch einzuordnen vermag und deutliche Worte darüber findet, welche Bedeutung heute die Frauenkirche hat und haben soll. Doch auch darüber kein klares Wort. Stattdessen verquaste theologische Allgemeinplätze, die nur in der Unterscheidung von „wir“ und „die anderen“ klar sind: „Gott blickt gnädig auch auf die, die ihn bekämpfen und ablehnen. (die: das sind „die anderen“) Er reicht uns die Hand zur Versöhnung.“ (uns: das sind „wir“). Kann es sein, dass wir als Kirche so auch den letzten Kredit, die letzte Glaubwürdigkeit im öffentlichen Raum gesellschaftlichen Lebens verlieren? Jedenfalls spielen wir, wenn wir als Kirche so reden, eher den rechten Geschichtsklitterern in die Hände, als wir deren Absicht, den „Kriegsschuldkult“ zu beenden, entschieden entgegentreten. Auch ein Landesbischof sollte sich in seinem Verkündigungsdienst der gesellschaftspolitischen Verantwortung theologischer Rede bewusst sein.
6 Antworten
ich würde mir nie eine Hisorikerin suchen, sollte ich Zahnweh haben! Warum sollte man auf frühpensionierte Offiziere in polit. Fragen hören-absurd, wirklich fern aller Dinge! Ich habe mal gelernt , dass es ein Mässigungsgebot bei Beamten und natürlich bei den MIlitärbuben gibt!!
Sehr geehrter Herr Rennert –
könnte auch sein, daß man als mündiger Bürger dem „Spiegel“ nicht in allem traut.
Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Ja, wir haben da einen Dissenz, lieber Herr Wolff, insofern, als ich nicht bestreite, daß der Westen trotz seiner Ablehnung des Mittels „Krieg“ als politische Möglichkeit in einige Kriege verwickelt ist. Aber hier müßte man in jedem Einzelfall eben die Alternativen zu diesem Handeln prüfen: In Darfur, im Sudan, im gesamten Nahen Osten sowie in weiteren Krisengebieten hat und hatte der Westen immer nur die Möglichkeit, entweder den Diktator / die Terrororganisation / das korrupte Regime handeln zu lassen, intern gegen die eigene Bevölkerung oder auch zusätzlich über die eigenen Grenzen hinaus, oder eben einzugreifen – aber ein solches Eingreifen konnte dann eigentlich immer nur militärisch sein, denn andere Mittel werden von solchen Leuten ja eben nicht verstanden oder nicht ernst genommen. Es ist ja eben das Dilemma – wie oft habe ich es Ihnen schon unwidersprochen geschrieben –, daß der Satz „man muß doch was tun“ entweder Drückebergerei vor der realen Entscheidung oder unglaubliche Naivität ist.
Und was Heckler und Koch angeht: Da werden Handfeuerwaffen produziert. Solche Waffen sind weder „ideenmäßig“ aus der Welt zu schaffen – und also vorhanden – noch kann man auf sie verzichten (Polizei zB). Ich kenne die Gesetzestreue der Firma nicht, aber der Export solcher Waffen unterliegt dem Votum der Regierung, bei uns wie in den meisten anderen Ländern – und natürlich dann auch der Kontrolle der Regierung. Will sagen: Ich stimme Ihrem Bedauern zu, aber diese Waffen werden (leider) immer der Proliferation unterliegen. Diese einzudämmen ist Ziel von angestrebten internationalen Vereinbarungen – aber daß dies ein fast unrealisierbares Projekt ist, wird jeder einsehen, der einigermaßen realistisch denkt.
„So zu tun, als sei der Krieg nur noch Angelegenheit von Ländern und Regionen, die politisch ‚unterentwickelt‘ sind, ist ziemlich vermessen“ – schreiben Sie. Ich tue auch nicht so – allerdings bin ich überzeugt, daß der Westen, wie ich es Ihnen schrieb, nur nach häufig sehr langem Prozess des Nachdenkens, des inneren Ringens, ja eben der Hilflosigkeit und im Grunde gegen seinen Willen sich in kriegerische Aktionen einläßt. Das ist gut so – aber es läßt sich kaum bezweifeln, daß dadurch die Probleme verstärkt und verlängert werden, und ein solches Warten und Prüfen eben Situationen auch erheblich verschlimmern kann. Wer will schon ernsthaft mit Sicherheit sagen können, daß möglicherweise ein frühzeitiges militärisches Eingreifen in Syrien gegen Assad – nachträglich gesehen – nicht diese quälend lange und opfer-reiche Auseinandersetzung auch um den Preis anderer Nachteile (zB einer neuen Terrorwelle) besser begrenzt hätte als langes Warten und Verhandeln ohne Resultat. Das Ende mit Schrecken ist häufig besser als der endlose Schrecken – und daran ändern leider gutmenschliche Appelle ohne realistischen Lösungsansatz auch nicht viel.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Sehr geehrter Herr Schwerdtfeger mit der Aussage:“Ich kenne die Gesetzestreue der Firma nicht, aber der Export solcher Waffen unterliegt dem Votum der Regierung, bei uns wie in den meisten anderen Ländern – und natürlich dann auch der Kontrolle der Regierung.“ Kann ich Ihnen nur „raten“ mal im Spiegel zu recherchieren. Könnte aber vielleicht sein, das Ihnen das Gefundene nicht gefällt.
Manchmal treibt Sie Ihre geringe Bereitschaft, andere Meinungen auch nur zu bedenken, in recht abenteuerliche Urteile, lieber Herr Wolff. Sie kritisieren die Aussage des Bischofs – bezogen auf Heraklits Diktum, der Krieg sei der Vater aller Dinge –, wir seien „so weit von dieser Auffassung … (entfernt), dass sie uns wie aus einer anderen Welt erscheint“ als Weltfremdheit und führen die augenblickliche Zahl von Kriegen in aller Welt zu Ihrer Unterstützung an. Da haben Sie wohl den Bischof bewußt und ein wenig heimtückisch „uminterpretiert“. Denn die Zahl augenblicklicher Kriege ist ja kein Indiz für die politische und moralische Auffassung des Westens und seiner Politiker aller Couleur, die den Krieg als Mittel der Politik ablehnen – und also weit von Heraklit entfernt sind. Es ist ja gerade die Schwäche des Westens, daß er sich der Gewalt skrupelloser Staaten, Organisationen oder Einzelpersonen eben nur so zögerlich zu erwehren weiß, weil er die Gegengewalt (zu Recht) ablehnt und vor ihrer Anwendung alle anderen Register zu ziehen versucht – was leider häufig mitbegründend ist für eine Ausweitung und Brutalisierung der Gewalt. Deutschland ist nicht durch Waffenlieferungen in Kriege verwickelt, wie Sie es etwas einfach darstellen; es ist, wenn überhaupt, in Kriege verwickelt, weil es im Verbund mit seinen Partnern eben der Gewalt durch Skrupelosere fast immer zunächst hilflos gegenübersteht.
Auch die historischen Anmerkungen des Bischofs, soweit Sie sie zitieren, sind eigentlich nicht zu beanstanden. Nicht jeder Hinweis auf die verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts muß unbedingt immer ein langes Kolloqium zu Ursache, Schuld und Verbrechen enthalten, solange verstanden ist (was der Bischof wohl unterstellen darf), daß diese Hintergründe bekannt und unumstritten sind. Historiker sind sich längst einig, daß die SCHULDfrage bezüglich der Kriege nicht ganz so einseitig beantwortet werden kann, wie dies lange Zeit geschah – und daß diese Frage offensichtlich völlig losgelöst ist von der VERANTWORTUNGSfrage bezüglich der schrecklichen begangenen Verbrechen in diesen Kriegen. Es geht also nicht so sehr um „Kriegsschuldkult“ sondern vielmehr um die Übernahme von geschichtlicher Verantwortung und um Erinnerungs- und Lernbereitschaft – die das deutsche Volk und die deutschen Regierungen aller Couleur vorbildlich und international anerkannt gezeigt haben.
Der Bischof jedenfalls scheint mir ein sehr vernünftiger Mann zu sein – im Gegensatz zum Versuch, ihm seine Worte im Munde umzudrehen und kleinkariert gegen ihn zu verwenden.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
„Denn die Zahl augenblicklicher Kriege ist ja kein Indiz für die politische und moralische Auffassung des Westens und seiner Politiker aller Couleur, die den Krieg als Mittel der Politik ablehnen – und also weit von Heraklit entfernt sind.“ Das zu behaupten, gehört schon eine gehörige Portion Verdrängung dazu, lieber Herr Schwerdtfeger. Ich möchte jetzt nicht alle Kriege und Militäreinsätze aufzählen. Allein die beiden sog. Golfkriege, aber auch der gegenwärtige Syrienkrieg sowie die rasant steigende Rüstungsproduktion zeigen, dass Krieg eben doch als Mittel der Politik eingesetzt wird – auch durch westliche Industrienationen. Und was ist mit der Verwicklung von Heckler&Koch in die Bürgerkriege Südamerikas? Also: So zu tun, als sei der Krieg nur noch Angelegenheit von Ländern und Regionen, die politisch „unterentwickelt“ sind, ist ziemlich vermessen.
Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass 72 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges heute die Schuldfrage zu einer Verantwortungsfrage geworden ist. Aber auch dazu hat der Landesbischof kein Wort verloren – und damit nur unterstrichen, dass „Übernahme von geschichtlicher Verantwortung“ und „Erinnerungs- und Lernbereitschaft“ keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern heute von interessierter Seite bewusst infrage gestellt und abgelehnt werden. Christian Wolff