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Von der Notwendigkeit eines sozialdemokratischen Profils – einige Gedanken zur Lage der SPD in Leipzig

 

Irgendwie ist es absurd. In der SPD Leipzig soll es tiefgreifende Konflikte geben. Das liest man u.a. in der Leipziger Volkszeitung (LVZ). Als langjähriges Mitglied der SPD und nun wieder regelmäßiger Teilnehmer an den Versammlungen des Ortsverein Mitte reibe ich mir verwundert die Augen: Streit? Worüber? Ich nehme zunächst eine Partei wahr, die erfreulicherweise an Mitgliederstärke zugenommen hat, die vor allem sehr jung geworden ist: Ü 60 ist die Minderheit, U 40 die Mehrheit. Gott sei Dank. Allerdings: Der SPD Leipzig mangelt es an Programmatik, aber auch an öffentlich wahrnehmbaren, glaubwürdigen Repräsentanten sozialdemokratischer Politik. Wo diese fehlen, ist unendlich viel Platz für Befindlichkeiten und persönliche Animositäten. Da wird der neue Vorsitzende der SPD Leipzig, Hassan Soilihi Mzé, dem „konservativen Lager“ zugeordnet. Doch wodurch zeichnet sich dieses aus? Darüber erfahre ich sehr wenig. Was ist heute „rechts“ und was ist „links“ in der SPD Leipzig? Ist eine Koalitionsabsicht mit der Partei „Die Linke“ Ausdruck von Fortschrittlichkeit oder im Sinne Biermanns doch eher reaktionär? Warum gelingt es einer SPD Leipzig nicht, die Wahl von Soilihi Mzé als einen Glücksfall darzustellen, Signal dafür, dass wir uns auch in Leipzig auf eine multikulturelle und multireligiöse Stadtgesellschaft zu bewegen? Aber noch viel wichtiger: Wenn fast 50 Prozent der Delegierten meinen, Soilihi Mzé nicht wählen zu können, warum gibt es dann keinen Gegenkandidaten und eine programmatische Debatte, wie sie die Sozialdemokratie eigentlich auszeichnet – und stattdessen nur ein verschriemeltes Gerede über „persönliche Verletzungen“? Warum haben sich die derzeitigen Mandatsträger der SPD bei der Vorstandswahl fast komplett versteckt? Ich erinnere mich mit Scham, wie im vergangenen Jahr ein kaum fassbarer Konflikt in der SPD Leipzig auf die Ebene einer unappetitlichen, von Ausländer- und Religionsphobie getränkten Debatte gehoben wurde: da soll angeblich die Partei durch die islamistische Gülen-Bewegung unterwandert worden sein – nur weil erfreulicherweise einige junge Menschen mit Migrationshintergrund und muslimischen Glaubens in die SPD eingetreten sind. Da wurde ausgerechnet aus dem Umfeld der Jungsozialisten anonym der MDR mobilisiert, der mit einer miserabel recherchierten Story in „Fakt“ aufwartete und billigste Vorurteile schürte – öffentlich ein Rohrkrepierer, innerparteilich mit erheblichem Flurschaden. Schon damals habe ich mich gefragt: und das in einer Partei, die sich immer Internationalität, Meinungs- und Religionsfreiheit, Vielfalt der Lebensentwürfe auf die Fahnen geschrieben hat? Wer ist da links, wer ist rechts?

Mir scheint, dass es der SPD Leipzig vor allem an einem mangelt: an einer klaren inhaltlichen Perspektive und Aufgabenstellung und vor allem an einer Verankerung in nicht nur sozialdemokratischen Werten. Bis jetzt bedeutet SPD in Leipzig vor allem: der Oberbürgermeister – und das seit 24 Jahren. So sehr die SPD und Leipzig froh darüber sein können, dass die Stadt durch Oberbürgermeister regiert wurde und wird, die der SPD angehören – die Partei SPD profitiert davon immer weniger. Sie hat sich zu sehr auf die Sozialdemokraten im Rathaus verlassen, ohne zu merken, dass ihr dabei Eigenständigkeit und Profil abhandengekommen ist – noch schlimmer: sie konnte es gar nicht entwickeln. Die SPD Leipzig wird derzeit mit zwei Personen identifiziert: dem OBM und dem Sozialbürgermeister und ihrer Politik. Doch die Partei kann diese kaum beeinflussen. So kann sie weder politische Zustimmung noch inhaltliche Abgrenzung eigenständig praktizieren. Also wird die SPD bei Wahlen für alles abgestraft, was die Stadtverwaltung versäumt hat. Da schlägt dann der sog. Parteienfilz negativ zu Buche, obwohl die SPD als Partei kaum Einfluss auf die Stadtpolitik ausübt. Verschärfend kommt hinzu, dass die sozialdemokratischen Bundes- und Landtagsabgeordneten nur unzureichend als politische Kraft wahrgenommen werden. Und so fehlen der SPD die Gesichter, die sozialdemokratische Grundpositionen vertreten. Das lässt sich nur ändern, wenn die SPD Leipzig sich als eigenständige Größe versteht, so in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und in kritischer Solidarität zu den Mandatsträgern wirkt. Das setzt voraus, dass die Ortsvereine sehr viel stärker politische Initiativen entwickeln und dadurch die Stadtratsfraktion wie auch die Mandatsträger im Rathaus antreiben und unterstützen. Auch muss die SPD darauf achten, dass sie in der Infrastruktur der Stadtteile stärker verankert ist und in der Stadtgesellschaft jenseits des Oberbürgermeisters personale Präsens zeigt. Doch entscheidend ist, dass die SPD Leipzig wichtige Themen besetzt, an denen sozialdemokratische Handschrift deutlich wird – auch dann, wenn sie dadurch in eine politische Differenz mit den SPD-Mandatsträgern gerät. Das gilt sowohl im Blick auf die Landes- und Bundespolitik wie auch in Richtung Rathaus, gerade weil die SPD derzeit auf allen Ebenen an der Regierung beteiligt und darum zum Konsens verpflichtet ist. So tut die SPD gut daran, sich in der Gründungsstadt der Sozialdemokratie viel offensiver als die Partei der Friedlichen Revolution zu profilieren. Auch muss die SPD dringend das Problem der viel zu großen Anzahl vernachlässigter Kinder und Jugendlicher und überforderter Sozialarbeiter/innen aufgreifen, diskutieren und vor Ort nach Lösungen suchen – zumal sich an diesem Problem beispielhaft die Zusammenhänge gesellschaftlicher Missstände und sozialdemokratische Lösungsansätze aufzeigen lassen. Insgesamt wird die SPD Leipzig zu einer offenen Streitkultur finden müssen: Wer programmatisch wirken will, darf die offene Auseinandersetzung nicht scheuen. Wer diese zu unterdrücken versucht, wird das erleben, was der Außenstehende derzeit nicht nachvollziehen kann: persönliche Zerwürfnisse, die die politische Arbeit lähmen. Das gilt es zu überwinden. Und dafür kann man Hassan Soilihi Mzé und den anderen Vorstandsmitgliedern nur ganz viel Überzeugungskraft und einen guten politischen Instinkt wünschen.

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