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Vom „Staatsversagen“ der besonderen Art

Rückblick: Ab Ende August 2015 kamen innerhalb weniger Wochen ca. 700.000 Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland. Losgelöst von der Tatsache, dass diese unvorhergesehene humanitäre Herausforderung in einer gemeinsamen Anstrengung von Politik, Verwaltung und dem zivilgesellschaftlichem Engagement Hunderttausender Bürgerinnen und Bürger in einer insgesamt beachtlichen Weise angenommen und gemeistert wurde, setzte schon wenige Tage nach der sog. „Öffnung der Grenzen“ die massive Kritik am Verhalten der Bundesregierung, genauer am Verhalten von zwei Parteien innerhalb der Bundesregierung, nämlich CDU und SPD, ein. Dabei setzte sich die dritte an der Großen Koalition beteiligte Partei, die CSU, an die Spitze derer, die die Flüchtlingspolitik in Bausch und Bogen kritisierten. Die Repräsentanten der CSU wie Horst Seehofer, Andreas Scheuer, Markus Söder sprachen von Staatsversagen, Kontrollverlust, von der „Herrschaft des Unrechts“ – um eine Art Notstand zu suggerieren. Sie drohten, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für verfassungswidrig erklären zu lassen. Wie gesagt: Dies geschah ungeachtet der erfreulichen Tatsache, dass gerade durch das segensreiche Wirken von Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere von Kirchgemeinden und speziell im Freistaat Bayern, das geschafft wurde, worauf die Bundesregierung gesetzt hat: die Geflüchteten einigermaßen menschenwürdig aufzunehmen und eine gute Basis zu legen für ihre Integration in den nächsten Jahren.

Doch nun – zwei Jahre nachdem wir in Deutschland durch die Geflüchteten mit den Folgen der auch von den Industriestaaten zu verantwortenden ungerechten Kriegs-, Handels- und Umweltpolitik konfrontiert worden sind – kommt ein Skandal in seiner ganzen Dramatik zum Vorschein, auf den all das zutrifft, was vor zwei Jahren kolportiert wurde, um Grundwerte zu desavouieren: Staatsversagen, Kontrollverlust, Herrschaft des Unrechts. Mit dem einen Unterschied: Beim Diesel-Gate geht es nicht um eine humanitäre Herausforderung, durch die die besten Tugenden der Menschen mobilisiert werden. Ans Tageslicht gekommen ist eine Straftat kaum vorstellbaren Ausmaßes: durch Einbau entsprechender Software wurden die Abgaswerte von Diesel-Motoren in PKWs gefälscht, ein bewusster und gezielter Betrug. Dieser hat sich ins millionenfache vermehrt und ist offensichtlich nicht auf VW beschränkt. Durch Absprachen auf höchster Ebene zwischen den Autokonzernen VW, Porsche, Audi, BMW, Daimler hat man die Gefährlichkeit von Diesel-Motoren zu vertuschen versucht. Wie weit auch dies Straftatbestände berührt, wird sich hoffentlich bald zeigen. Doch auch damit ist das Ausmaß des Skandals nicht wirklich beschrieben. Denn in ihn sind neben den führenden Managern der Autokonzerne die Bundes- und etliche Landesregierungen, Gewerkschaften, insbesondere die IG-Metall, sowie viele Einzelpersonen aus den Parteien verstrickt. Das erklärt, warum es auf politischer Ebene derzeit so moderat zugeht und der Skandal mehr als zurückhaltend diskutiert wird. Offensichtlich hat der Skandal die politische Ebene, Parteien und Regierungen, paralysiert – und was noch schlimmer ist: Offensichtlich haben die Verursacher des Skandals bewusst einkalkuliert: Eine konsequente Verfolgung ihrer Betrugsmanöver wird viele Arbeitsplätze gefährden, was die Politik vor zu viel Konsequenz zurückschrecken lässt.

Es ist mehr als auffällig: Bis jetzt hat noch niemand den Skandal zum Wahlkampfthema erhoben. Dabei wäre es höchste Zeit, dass wir offen debattieren: Bei diesem Skandal handelt es sich nicht um einen industriepolitischen oder technischen Fehler, auch nicht um die Fehlleistung eines einzelnen Technikers. Hier handelt es sich um den Straftatbestand eines bewusst geplanten Betrugs. Im vollen Wissen um die Schädlichkeit der Diesel-Technologie für Mensch und Natur wurde (und wird) sie weiter betrieben – unter zur Hilfenahme der Möglichkeit, die Abgaswerte zu manipulieren und so den Absatzmarkt der Diesel-Autos nicht zu gefährden. Wir müssen darüber debattieren, dass weltweit millionenfach Kund/innen betrogen wurden. Millionenfach wurden und werden Menschen durch diese Technologie gesundheitlich geschädigt. Dies geschah und geschieht alles im Wissen von Unternehmensführungen, Aufsichtsräten und Aufsichtsbehörden, Fachminister/innen. Damit werden nicht nur Vermögenswerte der Unternehmen zerstört, nicht nur Hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet, nicht nur Kund/innen finanziell geschädigt. Dadurch wurden nicht nur Menschen und vielen Kommunen kaum bezahlbare Schädigungen zugeführt. Damit wird das Wichtigste zerstört, auf das wir im gesellschaftlichen Zusammenleben angewiesen sind: Vertrauen in die Integrität politischen und wirtschaftlichen Handelns.

Nun kann man sicher froh darüber sein, dass es in Deutschland eine Presse gibt, die solche Skandale aufdeckt, dass es mutige zivilgesellschaftliche Organisationen wie die „Deutsche Umwelthilfe (DUH)“  gibt, die hartnäckig den Schutz vor Schädigungen durch Diesel-Motoren einklagen, und dass eine Rechtsprechung weitere Vertuschungen nicht zulässt. Dennoch ist es mehr als beunruhigend, wie sich führende Persönlichkeiten in Unternehmen, Gewerkschaften und Parteien an Straftatbeständen beteiligen, sie dulden oder schönreden, und gleichzeitig für sich den Anspruch erheben, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, die Grundwerte zu achten, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden – und dafür mehr als gut bezahlt werden wollen. Wie dieses Verhalten aber demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien erodieren lässt, kann man allein daran erkennen, dass die Hauptverantwortlichen für den Diesel-Skandal wie der frühere VW-Chef Martin Winterkorn und noch Audi-Chef Rupert Stadler als Aufsichtsräte bei Bayern München dafür gesorgt haben, dass Uli Hoeneß wieder als Vorsitzender des Aufsichtsrates eingesetzt wurde – so, als sei nichts gewesen und nach dem Motto: Wir sind so erfolgreich und tun so viel Gutes, dass Recht und Gesetz auf uns selbst nur anzuwenden sind, wenn es uns nutzt.

P.S. Bleibt die bemerkenswerte Beobachtung: Bundeskanzlerin Angela Merkel schweigt – so, als ginge sie der Skandal gar nichts an. Kanzlerkandidat Martin Schulz fällt nichts anderes ein, als beim Audi-Werksbesuch in Ingolstadt zu erklären, dass er nichts von Fahrverboten für Diesel-Autos hält und dass erst einmal weiter Diesel-Autos gebaut werden müssen, um dann kumpelhaft die Werksführung zu mahnen: „Ihr müsst, wenn Fehler gemacht worden sind, auch zu den Fehlern stehen.“ Sieht so Wahlkampf, sieht so die Auseinandersetzung um zukünftige Industrie-Politik, sieht so das Ringen um Grundwerte aus? Eigentlich müsste es politisch beben, doch stattdessen nur ein Säuseln. Wenig verheißungsvoll für die Erneuerung von Demokratie und Gesellschaft, die mit jedem solcher Skandale dringender wird.

Nachtrag: Ende 2013 kreierte die CSU den Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ …

10 Antworten

  1. Hier offenbart sich aufs vortrefflichste die „deutsche Untugend“ einzelne technische Parameter bis zum get No zu optimieren und dabei das „Funktionieren“ des Gesamtsystem aus den Auge zu verlieren. Die Schadstoffbillanz der Elektromobilität wird, ebenso wie die der fossilen Treibstoffe seiner Zeit, bis heute nicht erkennbar „gezogen“.

  2. Ich habe den Eindruck, dass auch die Debatte hier vor allem eines spiegelt: Den Druck der Medien in Deutschland auf das Bewusstsein auch der Wohlmeinenden.

    In der Sache:

    1) das Staatsversagen war ein Regulierungsversagen, angesiedelt in einer Verantwortungslücke zwischen EU und den Mitgliedstaaten der EU. Da die EU kein Staat im völkerrechtlichen Sinne ist, kann man von Staatsversagen nur im umeigentlichen Sinne sprechen.

    2) Dass man nach der Finanzkrise die Automobilindustrie nicht weiter belasten wollte, deswegen zum Auseinanderdriften von Real- und Norm-Emissionen bei NOx von 30% auf 70% die Augen zudrückte, ist offiziell von der Brüsseler Politik zugegeben worden. Das ist kein spezieller Täuschungsvorgang deutscher Hersteller.

    3) Dass Deutschland seine Begrenzungsverpflichtungen unter der Genfer Luftreinhaltekonvention, bei NOx (aus Dieselmotoren) UND bei NH3 (aus der Landwirtschaft), für die Jahre 2010-bis 2014 (und darnach) nicht werde einhalten können, war damit klar. Damals begann die Vorbereitung, Schlupflöcher und das genannte Abkommen bohren zu lassen – in 2009 war man erfolgreich.

    4) Die damals zuständigen Minister waren Tiefensee (Verkehr), Gabriel (Umwelt) und Seehofer (Landwirtschaft) – die Koordinationskompetenz lag beim Umweltminister. Das ist nun wirklich ein spezifisch deutscher Vorgang. Dazu könnte man die verantwortlichen Ressorts befragen. Auf die Idee ist selbst er dazu eingesetzte Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag nicht gekommen.

    So ein Bild, wenn man mit historischem und regionalem Abstand auf die seltsam selbstbezogenen und ausblendenden sog. „Debatten“ in Deutschland schaut. Als wenn Deutschland nicht Teil des europäischen Binnenmarktes wäre. Als wenn NOx-Immissionsüberschreitungen von heute auf morgen vom Himmel fallen.

    Schlimmer als die Lektüre der Medien war übrigens die der Protokolle der Umweltministerkonferenz – für die fallen die Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte tatsächlich geschichtslos vom Himmel, „Genfer Luftreinhaltekonvention“, „Göteborg-Protokoll“: Alles Fremdwörter dort.

  3. „Wir benötigen aber eine viel konsequentere Anwendung der vorhandenen Gesetze und Verordnungen“ – darf man Sie an Ihre Aussage erinnern, wenn das nächste Mal jemand abgeschoben werden soll, wenn das nächste Mal die Kirche durch illegales „Asyl“ wieder rechtsfreie Räume herstellt, wenn jemand andere schamlos beleidigt, wenn die eigene Meinung alleine zum Standard gemacht wird im demokratischen Diskurs und dann als Entschuldigung für Gewalt dient?
    Andreas Schwerdtfeger

  4. Ja, das ist ja unerhört, lieber Herr Wolff, daß Ihnen die Staatsanwaltschaften unseres Landes nicht mitteilen, woran sie gerade arbeiten – kann man da nur zu 1. sagen. Und zu 2.: Da ist er wieder, Ihr demokratischer Diskurs, den ich ja eben gerade bei Ihnen immer anmahne und den Sie nicht pflegen. Denn dazu gehörten zwei wesentliche Elemente, die bei Ihnen fehlen: demokratischer (auch verbaler) Umgangsstil und Bereitschaft zur Anerkennung auch anderer Meinungen als der eigenen. Im übrigen auch ist es eben wenig produktiv, immer hinterher im besserwisserischen Stil zu kritisieren und damit zu glauben, seine demokratische Pflicht getan zu haben, ohne je – vielleicht sogar schon vorausschauend – mal konkret zur ProblemLÖSUNG beizutragen. Ihnen aber reicht, was Bertha von Suttner einmal die „Unfehlbarkeits- und Überlegenheits-Deutschigkeit“ genannt hat – und das verwechseln Sie auch noch mit demokratischem Diskurs!
    Und zu 3.: Wer nicht erkennt, daß der Wahlkampf der unglücklichste Zeitpunkt für SACHLICHE Auseinandersetzung ist, der hat wirklich nichts begriffen. Dies ist so offensichtlich, daß man es kaum erwähnen muß. Es würde mich deshalb auch nicht wirklich wundern, wenn beim heutigen „Dieselgipfel“ nicht allzu viel rauskommt. Wer sich heute festlegt – egal auf welchen Lösungsansatz – der hat schon verloren, weil JEDER Lösungsansatz sofort die Meute der völlig unkritischen Kritiker auf sich zieht, denen es nicht um die Sache sondern ums Meckern geht (ich warte auf Ihren nächsten Beitrag!). Also werden wir wohl überwiegend Platitüden zu hören bekommen und das Thema wird auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Demokratie ist ein langwieriger Prozess!
    „Fürchte Dich nicht“ schreiben Sie. Schön wäre es ja, wenn Sie dieses Motto mal auf sich anwendeten und sich nicht fürchteten, Themen auch mal ohne Ihre Schablone zu sehen. Ich habe keine Angst davor, ohne Scheuklappen auch da gute Ansätze zu sehen, wo mir der Kurs der Partei insgesamt weniger paßt – also bei SPD, Grünen, sogar selten bei der Linken und noch seltener bei der AfD. Sie aber sehen „meistens .. dieselbe Partei“ in der Verantwortung für alles Schlechte, wenn man Ihnen, wie ich es getan habe, einen kleinen Brocken hinwirft. Wie lächerlich: In rund 70 Jahren Bundesrepublik Deutschland hatten wir rund 48 Jahre eine CDU-geführte Regierung (davon 11 mit der SPD als kleinerem Partner) und rund 20 Jahre eine SPD-geführte Regierung, dies zuletzt bis vor 12 Jahren. Ein ganz wesentlicher Teil unseres heutigen Wohlstandes, unserer freiheitlichen und friedlichen Sozialordnung, unserer inneren und äußeren Sicherheit, insbesondere auch unserer wirtschaftlichen Stärke, etc, verdanken wir also der Partei, die nach Ihrer Meinung die „Verantwortung“ für eine „Legion“ von Fehlern trägt. Es zeigt Charakter, wenn man im demokratischen Diskurs abgewogen und emotionslos urteilt!
    Ich jedenfalls bin dankbar, daß sich Martin Schulz, dem ich ausdrücklich persönliche Integrität und charakterlichen Anstand bescheinige – das tun Sie bei Merkel nur bedingt, bei Seehofer gar nicht, etc -, nach der Wahl nach einem neuen Posten wird umsehen müssen: Kanzler wird er nicht, der Fraktionsvorsitz ist schon vergeben, Hinterbänkler wird er nicht werden wollen – aber der Posten des EU-Kommissionspräsidenten wird ja bald frei!
    Mit herzlichem Gruß und – in der Tat – dem Aufruf: fürchten Sie sich nicht, den demokratischen Diskurs zu erlernen,
    Andreas Schwerdtfeger
    P.S. Heute wurde veröffentlicht (DLF), daß Deutschland im vergangenen Jahr 918 Milliarden Euro für Soziales ausgegeben hat – soviel zum Thema „soziale Gerechtigkeit“ und soviel zum Thema CDU-geführte Regierung(en).

    1. Lieber Herr von Heydebreck, zwei kurze Bemerkungen:
      1. Es wird sicher noch eine Weile dauern, bis das ganze Ausmaß von „Diesel-Gate“ sichtbar und damit durchschaubar wird. Eines aber ist jetzt schon ziemlich offensichtlich: wir haben es mit einem millionenfachen Betrug zu tun. Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat. Es wird aber so getan, als ob man sich – wie heute – nur zusammensetzen muss, um eine „Lösung des Problems“ zu finden. Das wird so einfach hoffentlich nicht funktionieren. Darum ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses zum Wahlkampfthema machen.
      2. Die neueste „Enthüllung“ in Sachen sog. „Messer-Attacke“, es war ja Mord, zeigt nur eines: Wir brauchen keine neuen Gesetze. Wir benötigen aber eine viel konsequentere Anwendung der vorhandenen Gesetze und Verordnungen. Merkwürdig nur, dass der Minister, der auch für das BAMF zuständig ist (das im Fall des Hamburger Straftäters versagt hat), bis heute für nichts Verantwortung übernommen hat, aber immer ganz schnell bei der Hand ist, neue Gesetze oder Überwachungsmethoden zu fordern bzw. die Schuld auf die anderen zu schieben. Christian Wolff

  5. Vieles von dem, was Sie schreiben, lieber Herr Wolff, ist ja richtig oder jedenfalls nachvollziehbar im Gegensatz zu so vielen anderen Ihrer Beiträge. Aber schon Ihre Überschrift zeigt uns, daß Sie wieder einmal nicht die Sache anprangern sondern über diese Ihre Politikerphobie ausleben wollen. Der sogenannte Dieselskandal ist nämlich offensichtlich kein Staatsversagen sondern ein Zusammenbruch der Moral in einigen wenigen – aber großen – Konzernen unseres Landes. Wenn man überhaupt von „Staatsversagen“ sprechen will, dann trifft das zB auf den Berliner Flughafen zu, wo Herr Wowereit (SPD) als Vorsitzender des Aufsichtsrates jede Verantwortung von sich wies, oder auf VW, wo Herr Weil (SPD) als niedersächsischer MP im Aufsichtsrat sitzt.
    Das Problem in unserem Lande derzeit ist in der Tat, daß industrielle und wirtschaftliche Großprojekte inzwischen weder im „handwerklichen“ Sinne noch unter Gesichtspunkten der Verantwortungs- und Arbeitsethik sauber durchgeführt werden. Es ist eben die Mentalität des „Ich-zuerst“, die dies wesentlich fördert: Bei den Großen im Sinne des Zusammenraffens von materiellen Vorteilen, bei den Kleinen im Sinne der Gleichsetzung individueller Vorteile auf Staatskosten mit dem „allgemeinen Wohl“ und der willkürlichen Interpretation von Gesetzen nach persönlichem Vorteil. Beides schadet uns allen.
    Ihr Beitrag zeigt uns dies exemplarisch: Als zeitweilig die Kontrolle über unsere Grenzen verloren ging, als Menschen unkontrolliert in unser Land strömten und sich ebenso unkontrolliert verbreiteten, und als die Politik sich mühte, die Herrschaft des Rechtes wiederherzustellen, war der Ausdruck „Herrschaft des Unrechts“ etwas ganz Böses. Jetzt, wo erhebliche Straftaten einer ganzen Branche öffentlich geworden sind und der Staat sich wieder müht, diese Tatsache festzustellen, auf sie angemessen zu reagieren, die Mängel abzustellen und die Schuldigen vor Gericht zu bringen, ist die „Herrschaft des Unrechts“ plötzlich Tatsache und wichtige Keule in Ihrer Argumentationskette. Zweierlei Maßstab, wie doch so häufig!
    Sie kritisieren das, was Sie das Schweigen der Kanzlerin nennen. Hätte sie was dazu gesagt, wären Sie Ihr über den Mund gefahren in dem Stil, wie Sie mit Ihrem Kandidaten Schulz verfahren. In Wirklichkeit REGIERT unsere Kanzlerin und dazu gehört der vernünftige Entschluß, sich erst zu äußern, wenn die Fakten feststehen, wenn man die Beteiligten gehört hat, wenn ein klares Bild vorliegt – zB also NACH dem „Dieselgipfel“. Redet man zu früh – wie es ja Ihr Meister Schulz dauernd tut – dann kommt in der Tat so was Flaches raus, wie eben immer bei ihm.
    Und das Problem zum Wahlkampfthema machen? Darauf kann wirklich nur jemand kommen, der Politik nur als die Spielwiese seiner Phobien ansieht. Für eine Wahlkampfauseinandersetzung ist das Thema zu ernst und zu bedeutsam. Wahlkampf – das weiß jeder – ist der ungeeignetste Zeitpunkt für seriöse Behandlung seriöser Themen.
    Unseren Politikern pauschal zu unterstellen, wie Sie es mit Ihrer weißen Weste dauernd tun, „demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien (zu) erodieren“, ist nicht nur lächerlich sondern auch unpolitisch und unfair. Kirchenasyl erodiert auch den Rechtsstaat, aber dazu hört man nichts von Ihnen; die Böhmermänner unserer Welt erodieren den Rechtsstaat, dazu aber kommt Lob von Ihnen; Sie selbst reden linke Gewalt in unserem Lande klein und erodieren so den Rechtsstaat.
    Da lobe ich mir doch Herrn Schubert, der – anstatt wie Sie ohne jeglichen Lösungsansatz eigene Feindbilder zu bedienen – in der Tat mal das Problem anspricht, ob nicht eine grundlegende und innovative, sozial- und arbeitsmarktverträgliche und auch finanzierbare Umsteuerung erfolgen müßte – die allerdings in der praktischen Umsetzung auch eine Generationenaufgabe wäre. Denken wir zurück: Als Georg Leber in den 60er Jahren Verkehrsminister war, wollte er den Güterverkehr auf die Schiene verlagern, was damals wegen der hohen Kosten, der Langfristigkeit der Durchführung, des Lobbyismus verschiedener Branchen am Widerstand der CDU gescheitert ist. Hätte er sich damals durchsetzen können – wir hätten heute eine völlig andere Mobilitätslage.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. 1. Wenn ich es richtig sehe, ist bis jetzt von keiner Staatsanwaltschaft auf die neuerlichen Enthüllungen in Sachen „Diesel-Gate“ reagiert worden. Das sollte zumindest Anlass sein, über ein mögliches „Kartell“ zwischen Autoindustrie, Politik (hier: die betroffenen Regierungen), Gewerkschaften, Parteien und Staatsanwaltschaften kritisch nachzudenken.
      2. Wer politische Vorgänge kritisiert, pflegt keine Politik- oder Politikerphobie. Er beteiligt sich am demokratischen Diskurs.
      3. In der Demokratie ist der Wahlkampf eine gute Möglichkeit, über grundsätzliche Fragen der gesellschaftspolitischen Entwicklung eines Landes kontrovers zu debattieren.
      Ansonsten: „Fürchte dich nicht!“ – eine gute Maxime für die politische Auseinandersetzung – insbesondere dann, wenn man Positionen vertritt, die durchaus umstritten bzw. noch unzeitgemäß sind. Das Beispiel Georg Leber zeigt, wem wir das zu verdanken haben, was sich Jahrzehnte später als falsch erweist. Leider sind diese Beispiele Legion – und meistens ist es dieselbe Partei, die dafür die Verantwortung trägt. Christian Wolff

  6. 750.000 jedes Jahr, zusätzlich zu denen, die schon da sind. Wann kommt endlich eine Obergrenze – für PKW in Deutschland? Egal, ob Diesel, Benziner, Holzgas oder Elektronen – ist die Automobilindustrie wirklich der Arbeitsplatzgarant der Zukunft? Wenn es in Rüsselsheim, Ingolstadt und Wolfsburg nicht irgendwann wie in Detroit aussehen soll, muss man rechtzeitig auch über Strukturwandel nachdenken.Ein kumpelhaftes „Weiter-so!“ setzt die falschen Signale.

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