Ansprache im Gottesdienst zum Thema „75 Jahre Grundgesetz“ in der Evangelischen Kirche Borsdorf am 25. August 2024
2021 strahlte die ARD eine Dokumentation zum Thema „Kirche – überholt und überflüssig?“ aus. Ein junger Mann, dem die Kirche nichts mehr bedeutet, antwortet auf die Frage, ob der Gesellschaft etwas fehlen würde, wenn es die Kirche nicht gäbe: „Na ja, die fundamentalen Dinge, die die Kirche predigt, werden ja auch im Grundgesetz gepredigt. Und das sind ja auch gute Sachen, sinnvolle Sachen.“ Offensichtlich nimmt das Grundgesetz bei nicht wenigen Menschen eine Rolle ein, die man sonst den Heiligen Schriften der Religionen zukommen lässt. So sieht der junge Mann einen engen Zusammenhang zwischen den Grundwerten des Glaubens (so wie wir sie heute in den Lesungen gehört haben: 1. Johannes 4.7-12 und Lukas 10,25-37) und dem Grundgesetz. Das möchte ich nicht negativ bewerten; zumal es in einer säkularen Gesellschaft auch darum geht, Orientierungen zu erspüren, auf die man sich verständigen kann.
Allerdings hat sich damit eine Frage nicht erledigt. Sie hat der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930-2019) mit einem Grundsatz aufgeworfen. Dieser lautet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Was aber sind die Voraussetzungen des demokratischen Rechtsstaates? Woraus speisen sie sich? In einem Interview äußerte sich Böckenförde dazu wie folgt: „Vom Staat her gedacht, braucht die freiheitliche Ordnung ein verbindendes Ethos, eine Art ‚Gemeinsinn‘ bei denen, die in diesem Staat leben (damit sind wir gemeint!). Die Frage ist dann: Woraus speist sich dieses Ethos, das vom Staat weder erzwungen noch hoheitlich durchgesetzt werden kann? … Da sind wir dann in der Tat bei Quellen wie Christentum, Aufklärung und Humanismus. Aber nicht automatisch bei jeder Religion.“
Daraus ergibt sich ein klarer Auftrag vor allem an uns Christen: Wir dürfen die Quellen für Grundwerte nicht austrocknen lassen. Darum ist es so wichtig, dass wir Grundtexte der Bibel wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in und mit unseren Gottesdiensten immer wieder in Erinnerung rufen. Wenn wir das nicht tun, werden wir schnell ins Abseits geraten. Wir werden dann keinen Beitrag mehr leisten können im Ringen darum, in welchem Geist wir in einer multikulturell, multireligiös gewordenen Gesellschaft eigentlich leben wollen.
Steht das aber nicht im Gegensatz zu dem, dass das Grundgesetz die Trennung von Kirche und Staat, von Religion und Bürgergesellschaft festschreibt und sich der Staat als weltanschaulich neutral versteht? Interessanterweise haben die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes zur Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften auf die entsprechenden Artikel aus der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 zurückgegriffen und diese ins Grundgesetz übernommen. Da heißt es in Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Verfassung: „Es besteht keine Staatskirche.“ Das bedeutete 1919 die Abschaffung des landesherrlichen Kirchentums (also dass der Fürst, der König an der Spitze der Kirche stand). Dann folgt im Absatz 2: „Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewährleistet.“ Absatz 3 regelt, dass „jede Religionsgemeinschaft … ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes (ordnet und verwaltet).“
Ja, Staat und Kirche sind getrennt. Ja, der Staat ist weltanschaulich neutral. Aber er garantiert in Artikel 4 des Grundgesetzes die positive Religionsfreiheit (eben nicht nur die Freiheit von Religion, sondern auch die Freiheit zur Religion):
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Religionsgemeinschaften können und sollen sich im Rahmen der Gesetze am öffentlichen, staatlichen Leben beteiligen – insbesondere auch dann, wenn es um ethischen Grundorientierungen staatlichen Handelns geht. Diese sind zwar in den Grundrechtsartikeln vorgezeichnet. Aber Rechtgrundsätze sind interpretierbar. Das eine ist der Text, das andere seine Auslegung. Das ist übrigens in der Bibel genauso.
Das Bekenntnis zur Trennung von Kirche und Staat hat die Väter und Mütter des Grundgesetzes nicht davon abgehalten, in der Präambel festzuhalten, dass sich das deutsche Volk „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ das Grundgesetz gegeben hat. Zwar war der Gottesbezug in der Präambel zunächst sehr umstritten. Weder die Paulskirchenverfassung von 1848 noch die Weimarer Verfassung von 1919 wiesen einen solchen auf. Entscheidend für den Bezug auf Gott war 1948/49 der parteiübergreifende Wunsch, die Abkehr von der totalitären, menschenverachtenden Hybris des Nazi-Regimes (also die Vergottung des Führers, der Rasse, der Nation) im Grundgesetz zu verankern. Der Gottesbezug sollte auf die Begrenztheit menschlichen Tuns, die Gebundenheit politischen Handelns an ethische Werte und auf die Verankerung der Grundrechte in Überzeugungen des biblischen Glaubens verweisen. Einen Widerspruch zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der in Artikel 4 des Grundgesetzes garantierten Religionsfreiheit sahen die Mitglieder des Parlamentarischen Rates durch die Erwähnung Gottes nicht. Weder sollte die Bundesrepublik dadurch als christlicher Staat charakterisiert, noch der Einzelne auf das Christentum verpflichtet werden.
Als das Grundgesetz nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1992/93 den neuen Verhältnissen angepasst wurde, stellten einige Abgeordnete (vor allem aus Ostdeutschland) den Antrag, den Gottesbezug in der Präambel zu streichen. Damals trat der frühere Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) vehement für die Beibehaltung des Gottesbezuges ein. Er betonte, die Warnungen vor Totalitarismus und Allmachtsphantasien, die mit dem Gottesbezug ausgesprochen würden, seien nach wie vor zeitgemäß. Der Antrag wurde abgelehnt. Ebenso scheiterte 2017 eine Petition, die die Formulierung „vor Gott und den Menschen“ durch „vor der Menschheit“ ersetzen wollte.
Aus der Entstehungsgeschichte der Präambel wird deutlich, dass der Gottesbezug niemanden zu einem bestimmten Glauben verpflichten will. Vielmehr atmet der Gottesbezug den gleichen Geist der Freiheit wie das erste der Zehn Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus dem Ägypterland, aus der Sklaverei befreit habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. (2. Mose 20,1) Auch in diesem Gebot geht es weniger um die Verpflichtung auf eine bestimmte Glaubensweise, als vielmehr um die Anerkennung Gottes als einer allem menschlichen Tun und Lassen übergeordnete Instanz. Vor dieser muss sich jeder Mensch verantworten – vor allem diejenigen, die eine besondere Führungsrolle in der Gesellschaft übernehmen. Diese Sicht wurde schon 15 Jahre vor dem Grundgesetz in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 vorgezeichnet. Damals versuchte sich die Bekennende Kirche vom Allmachtanspruch der Nationalsozialisten abzugrenzen. In der 5. These heißt es: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden … „.
Wenn sich unsere Verfassung nach wie vor auf Gott bezieht, dann können wir das in einer säkularen Gesellschaft eigentlich nur in zweifacher Weise verstehen:
- Wenn Gott die höchste Instanz ist, dann kann sich das menschliche Miteinander nur unter den Bedingungen der Demokratie, der Gleichberechtigung und Gewaltenteilung vollziehen. Sie wollen die Vergottung von Menschen und Ideologien verhindern.
- Zum andern können wir den Gottesbezug nur interreligiös verstehen und interpretieren. Denn Aussagen über Gott können – wenn überhaupt – in allen Religionen nur aus Annäherungen bestehen. Das macht auch der 145. Psalm deutlich, den wir am Anfang gebetet haben. Alles, was hier über Gott gesagt wird, findet sich auch in anderen Religionen – insbesondere die Grundaussage: „Gnädig und barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. (Psalm 145,8)
Eine solche Aussage ist weder typisch jüdisch, noch typisch christlich, noch typisch muslimisch. Sie ist Ausdruck der Ehrfurcht vor Gott, dem Allmächtigen und Barmherzigen. Diese Ehrfurcht stellt unser aller Tun und Lassen, auch das Politische, unter den Vorbehalt des Vorläufigen.
Gleichzeitig ist es diese Ehrfurcht, die dem Menschen seine besondere Würde verleiht. Denn der Mensch ist nach Psalm 8 nur wenig geringer als Gott: Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. (Psalm 8,6) Diese Würde des Menschen ist ins Grundgesetz eingegangen. Keine andere Verfassung auf dieser Welt weist einen solchen Verfassungsgrundsatz auf wie Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Auch mit dieser grundlegenden Aussage haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Konsequenz aus den ungeheuerlichen Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Menschlichkeit gezogen und gleichzeitig eine biblische Grundüberzeugung aufgegriffen: dass der Mensch als Ebenbild des Höchsten geschaffen wurde.
Auch wenn heute in der Rechtsprechung in einer säkularen Gesellschaft die Gerichte die Würde des Menschen nicht mehr von ihren biblischen Wurzeln ableiten – für uns Christen bleibt die „Imago Dei“, die Gottebenbildlichkeit des Menschen, konstitutiv. Denn aus dieser ergibt sich eine doppelte Sicht auf den Menschen:
- Jeder Mensch ist von Gott gemacht im Sinn von geschaffen;
- Jeder Mensch ist ein Teil Gottes; jedes Menschenleben trägt also den Keim des Göttlichen in sich.
Daraus leiten sich des Menschen Würde und sein Recht auf Leben ab. Wer das Leben eines Menschen fördert, ehrt Gott; wer das Leben eines Menschen bedroht oder gar ausschaltet, vergeht sich an Gott.
Jedoch – die Betonung der Menschenwürde setzt voraus, dass wir auf die Differenz achten: Der Mensch ist nicht Gott selbst. Des Menschen Leben ist fehlbar, unzulänglich, vergänglich. Das bedeutet: Auch wenn ein Mensch sein Leben verwirkt, muss in dem, wie wir mit einem solchen Menschen umgehen, die Würde des Menschen sichtbar und erhalten bleiben. Sie darf nicht der politischen Opportunität geopfert werden. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat diese Grundüberzeugung in zwei einprägsamen Sätzen zusammengefasst:
- Zum einen wies er in der Debatte um Geflüchtete darauf hin: „Im Grundgesetz steht, die Würde des Menschen ist unantastbar. Da steht nicht: die Würde des Deutschen, sondern da steht: die Würde des Menschen.“ Diese Würde darf nicht national, religiös, rassistisch eingeschränkt werden.
- Zum andern rief Rau bei der Trauerfeier für die Opfer des Massakers am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt im April 2002 aus: „Was immer ein Mensch getan hat, er bleibt ein Mensch.“
Ja, die Würde des Menschen ist unteilbar und darin auch immer eine Zumutung. Denn der Würde bedürftig sind auch die Menschen, die ihr von Gott anvertrautes Leben verwirken. Darin liegen gleichermaßen Schutz und Provokation. Gleichzeitig sind diese Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens eingegangen in den Rechtsstaatgedanken, insbesondere ins Strafrecht und im Verbot der Todesstrafe (Art. 102 GG).
In diesem Sinn sollten wir es als einen Segen ansehen, dass wir Christen in den Grundrechtsartikeln grundlegende Werte des Glaubens wiederfinden können. Gleichzeitig ist es für uns Auftrag, uns als Anwält:innen dieser Grundwerte zu verstehen. Denn sie sind die Basis für ein demokratisches Miteinander, in dem jeder Mensch zu seinem Recht kommen kann und in seiner Würde geachtet wird.
Bleibt am Schluss noch einmal die Frage: Ist das Grundgesetz so etwas wie die Bibel der Demokratie? Zumindest sollten wir sie schon als eine Art „Heilige Schrift“ ansehen – eine Schrift, der es um das Heilige, also das Unantastbare im menschlichen Leben geht; eine Schrift, die eine höhere Instanz anerkennt als sich selbst und darum auslegungsbedürftig ist; und eine Schrift, die Unveränderbarkeit postuliert. Denn es gibt im Grundgesetz einen sog. Ewigkeitsartikel (Art. 79 Abs. 3): „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche … die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt sind, ist unzulässig.“ Damit sind die Menschenwürde und die Demokratie, die Gewaltenteilung und die Rechtsstaatlichkeit, der Föderalismus und freie Wahlen in ihrer Substanz unveränderbar.
Jedoch: eine Garantie, dass sich alle Bürger:innen daran halten, beinhaltet das natürlich nicht. Dasselbe gilt ja auch für die Zehn Gebote. Darum ist jeden Tag neu die Verantwortung eines jeden einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin gefragt – Verantwortung für ein gleichberechtigtes, demokratisches Miteinander im Sinne des höchsten Gebotes: Gott und den Nächsten zu lieben und ihnen zu dienen. Amen.
7 Antworten
Die Würde des Menschen ist unantastbar – und deshalb auch nicht skalierbar.
Interessanterweise nimmt der große Lautsprecher dazu keine Stellung.
Für mich gehört es aber in die Rubrik „Anstand“, wenn er gleichzeitig schreibt: „Die ganze Arroganz eines rechthaberischen Tugendwächters, zusammen mit seiner intellektuellen Oberflächlichkeit, zeigt sich in dieser Antwort Käfers“. Und: „Alles Populismus nach Ansicht unseres würdelosen Anstandspapstes“.
Solche Aussagen fechten mich keineswegs an, offenbaren sie doch eher die Wut auf alle, die nicht bedingungslos für Merz und/oder Kretschmer stimmen, bzw. dem alles überragenden Intellekt des H. Schwerdtfegers bedingungslos zu folgen bereit sind.
Natürlich gibt es viele Dilemmata, wenn man über die Würde des Menschen nachdenkt (H. Schwerdtfeger selbst hat auf einige zu Recht hingewiesen); populistisch wird es, wenn man sie nutzt, um andere (noch dazu mit der falschen Behauptung, diese würden nur einseitig für die Würde der Täter werben) zu diskreditieren. In der gegenwärtigen politischen Diskussion wird das (leider) gerne und oft genutzt (Kriegstreiber, Sozialschmarotzer, Kopftuchmädchen, Bevölkerungsaustausch, … bis hin zu Bodenhaftung oder Bezug zur Realität verloren).
Die ganze Arroganz eines rechthaberischen Tugendwächters, zusammen mit seiner intellektuellen Oberflächlichkeit, zeigt sich in dieser Antwort Käfers:
Es sei also „Populismus“, wenn man unter der Überschrift der „Würde“ die Dilemmata der in realen Situationen handelnden Menschen betrachtet, will er uns verkaufen.
Es gibt in Deutschland allein 9000 Messerattacken jährlich und in vielen dieser Situationen kommen Polizisten zu Hilfe und müssen in Sekunden entscheiden, wie sie reagieren sollen, um Gewalt zu minimieren, Leben und Gesundheit zu schützen und die „Würde“ der Täter zu achten. Und wenn man dann einen theoretischen Artikel aus religiöser Sicht (lobenswert aber eben für die praktische Welt nur begrenzt anwendbar) entsprechend kommentiert, sei dies „Populismus“!
Es hat in Frankfurt vor langer Zeit den Fall eines Polizisten gegeben, der gegenüber einem Entführer ungesetzlich robuste Maßnahmen anwandte, wohlgemerkt ausschließlich als Drohung, um eine Geisel zu retten. Im späteren Gerichtsverfahren wurde diese Entscheidung FÜR die Würde der Geisel und GEGEN die Würde des Geiselnehmers mit einem entsprechen milden und verständnisvollen Urteil quittiert.
Es hat gerade vor Tagen einen Geiseltausch zwischen Russland und dem Westen gegeben, bei dem bewusst gegen deutsches Recht verstoßen wurde, indem ein rechtskräftig verurteilter Mörder ohne Einbezug der Justiz freigelassen wurde. Die deutsche Öffentlichkeit hat dieses Urteil FÜR die Würde der in RUS gehaltenen Geiseln, aber gegen die Würde der deutschen Justiz überwiegend positiv quittiert.
Es hat vor vielen Jahren den Bundeskanzler Schmidt gegeben, der sich, vor die Wahl gestellt, Herrn Schleyer gegen in DEU inhaftierte Kriminelle auszutauschen, gegen das Leben und also die Würde Schleyers entschieden. Viele Menschen haben diese Entscheidung unter Schmerzen gutgeheißen. Und Kanzler Schmidt hatte auch in der Landshut-Mogadischu-Sache zu entscheiden, in der viele Menschenleben auf dem Spiel standen – und hat POLITISCH entschieden, im Bewusstsein des rechtlichen und moralischen Dilemmas und angesichts der Gewissheit, dass er – so oder so – im christlich-moralischen Sinne Schuld auf sich laden würde.
Alles Populismus nach Ansicht unseres würdelosen Anstandspapstes. Das GG, wie wir wissen, sagt aus, dass die Würde des Menschen unantastbar sei und sie schützen Pflicht aller staatlichen Gewalt. Man merke: Weder der Begriff „Würde“, noch die Art und Weise dieses Schutzes, noch gar das Dilemma, wenn Würde des einen gegen die Würde des anderen steht, sind hier definiert – und diese Fragen sind also erlaubt und müssen in bestimmten konkreten Fällen definiert werden, was natürlich Sache der Gerichte, aber auch Sache der Legislative ist, die hier steuern kann. Jedenfalls sind diese Fragen – im realen POLITISCHEN Leben der Allgemeinheit und von Einzelpersonen (in staatlichem Auftrag, aber auch der Zivilgesellschaft) wohl kaum populistisch. Käfer könnte sich, wäre er nicht Anstandspapst, ruhig ein bisschen schämen!
Andreas Schwerdtfeger
Wenn hier jemand weiter aus der untersten Schublade selbstgewisser Überheblichkeit heraus schreibt, sich in billigsten Beschimpfungen ergeht und sich dabei offensichtlich selbst gefällt, dann ist es der Autor dieses Kommentars.
Welch intelligente Antwort unseres Herrn Pfarrer, dem wohl zu dieser wirklich gewichtigen Frage nichts einfällt. und das unter der Überschrift „Würde“. Wolff kann sich gleich mit schämen!
Andreas Schwerdtfeger
Da bleibt sich einer treu!
Danke, für die Veröffentlichung dieses klugen, bedenkenswerten Predigttextes.
Damit relativiert sich auch mein Bedauern, mich am letzten Sonntag für den Bewerbungs-Gottesdienst in der Thomaskirche entschieden zu haben.
Vor einigen Tagen wurde hier im Blog der Wunsch geäußert, man möge „Populismus“ definieren. Wer die „Gedanken“ zu Todesstrafe vs. Lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung und das Dilemma des Polizisten, der einen Gewalttäter tötet, um das Leben einer Mutter mit Kind zu schützen, heranzieht, hat eine gute Annäherung an eine solche Definition.
Die These, dass unsere Freiheit durch „Egoismus und Rücksichtslosigkeit… individuelle Gesetzesinterpretationen, aggressives Demonstrieren, Angriffe gegen Polizeien und unentwegter gegenseitiger Verleumdung…“ abgenutzt und verraten wird, verwundert, insbesondere wenn sie aus dieser Feder stammt (s. die vielen Beiträge der letzten Jahre in diesem Blog). Aus meiner Sicht haben wir in Deutschland bereits sehr gute gesetzliche Regelungen und unabhängige Gerichte (die allerdings vielfach überlastet und deshalb nur eingeschränkt durchsetzungsstark sind).
Für mich deutlich erhellender dagegen die Predigt von Pfarrer iR Christian Wolff. Um Werte muss immer und immer wieder gerungen werden; die Weltreligionen bieten da Orientierung und Stütze.
Hitzige Debatten (Flüchtlingskrise, Sozialschmarotzer, der Kanzler hat das Land verloren, die Grünen sind eine Verbotspartei, oder die SPD kann nicht mit Geld umgehen usw.), primär befeuert, um kurzfristige Wahlerfolge zu generieren (auch das eine Ausdrucksform des Populismus), helfen sicher nicht, schaden dem Erhalt der Demokratie aber erheblich!
Und am Horizont des 1.9.24 die Gefahr, dass AfD zusammen mit BSW in einem (oder gar mehreren Länderparlamenten) eine absolute Mehrheit erringt.
„Wir dürfen (als Christen) die Quellen für Grundwerte nicht austrocknen lassen. …. Steht das aber nicht im Gegensatz zu dem, dass das Grundgesetz die Trennung von Kirche und Staat, von Religion und Bürgergesellschaft festschreibt und sich der Staat als weltanschaulich neutral versteht?“ Das ist die zentrale Frage, die Sie stellen, lieber Herr Wolff – und mir stellt sich mindestens zusätzlich die Frage, ob sich die „reine Lehre“ des Christentums eben überhaupt – und wenn, dann wie weit – in die Politik übertragen lässt.
Einige Beispiele:
1. Sie sprechen den Gottesbezug im GG an und ich stimme Ihrer Argumentation zu, dass dieser die religiöse Neutralität unseres Staates nicht verletzt. Was aber ist – auf „Religion“ im Allgemeinen bezogen –, wenn, wie in einigen islamischen Staaten und vor allem auch in islamistischen Terrororganisationen, die Religion zum Hauptmotivator der weltlichen Politik wird, wenn also „Aussagen über Gott … in allen Religionen“ nicht mehr „nur aus Annäherungen bestehen“?
2. Zwar ist es richtig, dass die Würde des Menschen nach unserem Verständnis wie auch nach der Gesetzeslage nicht eingeschränkt werden darf, nicht verhandelbar ist. Dennoch aber bleibt ja Interpretationsspielraum im intellektuellen und vor allem vielleicht auch in der praktischen politischen Ausformung. Es muss doch mindestens die Frage erlaubt sein, warum die Todesstrafe die Menschenwürde verletzt, eine lebenslange Freiheitsstrafe (mit anschließender Sicherheitsverwahrung) aber nicht, also der Entzug dessen, was nach unserer Menschenrechtsinterpretation das höchste und die Würde definierende Gut des Menschen ist, seine Freiheit nämlich. Liegt dieser Unterschied NUR in seiner Unumkehrbarkeit?
3. Bei allen schrecklichen Attentaten tauchen danach – schriftlich wie mündlich – die Fragen nach dem „Warum“ auf, die zwar sicherlich vor allem Ausdruck des persönlichen Leides, der individuellen Verzweiflung sind und zugleich natürlich auch das Allgemeinempfinden ausdrücken, die aber doch gleichzeitig die Frage nach der Würde des Angegriffenen enthalten. Verletzt da ein Spruch wie der von Ihnen zitierte von Rau, der Täter bleibe ein Mensch, nicht die Würde der Hinterbliebenen? Und in jedem Fall: Welche politischen (im Gegensatz zu ethisch-religiösen) Konsequenzen sind zu ziehen?
4. Und kennzeichnet die Frage nach der Verantwortung, die Sie im letzten Absatz stellen, nicht genau das wirkliche Problem, das Glauben (Religion) und Politik unterscheidet: Dass nämlich die Lehre des Glaubens uns Maxime an die Hand gibt, die sich in der Realität des Lebens so gar nicht verwirklichen lassen, da Handeln oder Unterlassen nie zum Idealstand führen können und also immer Schuld entsteht? Und dass es also gerade die Pflicht des verantwortungsvollen Menschen ist, Entscheidungen möglicherweise treffen zu müssen, die dann genau Ihr so einfach formuliertes Postulat ad absurdum führen: „Wer das Leben eines Menschen fördert, ehrt Gott; wer das Leben eines Menschen bedroht oder gar ausschaltet, vergeht sich an Gott.“ Erzählen Sie das mal dem Polizisten, der einen Täter in flagranti erschießt, um eine bedrohte Mutter mit Kind zu retten!
Und schließlich: Sie verweisen auf die Unveränderbarkeit bestimmter GG-Postulate. Nun weiß jeder, dass es in unserer Welt nichts Unveränderliches gibt und auch das GG hat keine Ewigkeitsgarantie. Da wir aber übereinstimmend unsere Verfassung für eine sehr gute halten und sie also auch so lange wie möglich erhalten wollen, empfiehlt sich nochmal der Hinweis, den ich neulich schon gab: „Freiheit läßt sich nur in der Freiheit verraten“, schreibt Kowalczuk in seinem (von Ihnen empfohlenen) Buch „Freiheitsschock“. Und je mehr wir unsere Freiheit augenblicks durch Egoismus und Rücksichtslosigkeit, individuelle Gesetzesinterpretationen (Strassenkleberei zB), aggressives Demonstrieren (das sich auch in Plakaten zeigt), Angriffen gegen Polizeien (Lützerath) und unentwegter gegenseitiger Verleumdung des demokratischen Gegners (Nouripour gestern in seiner Pressekonferenz: „Wer CDU wählt, gibt seine Stimme der AfD“) abnutzen und verraten, je schneller – leider – wird das GG auf eine harte Probe gestellt werden und an der „Individualität unserer Gesellschaft“ scheitern, also von der Gesellschaft „verraten“ werden. Deshalb Zustimmung zu Böckenförde: „die freiheitliche Ordnung (braucht) ein verbindendes Ethos, eine Art ‚Gemeinsinn‘“ – und was ist das anderes als eine Art „undemokratischer Kern“ im Sinne Stefan Weinfurters: „Die Wahrheit (hier also der demokratische Konsens) … benötigt eine eindeutige und nicht hinterfragbare Instanz, die damit ihrerseits ebenfalls unangreifbar (also akzeptiertes Allgemeingut) sein muß.“
Andreas Schwerdtfeger