Es gehört zu den guten Traditionen der Kirche, dass jedes Jahr mit einem Wort aus der Bibel eine Art Überschrift erhält. 2015 steht unter dem Motto:
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. (Römer 15,7)
Als wenn uns mitten im verschwiegenen Pegida-Gedröhne dieser kleine Satz das Elementarste des christlichen Glaubens in Erinnerung rufen wollte – so liest sich die Mahnung des Apostel Paulus an die Christen in Rom an. Wie aber hat Christus die Menschen angenommen? Die Evangelien lassen da keinen Zweifel aufkommen: Jesus hat Menschen ohne Ansehen der Person aufgerichtet, getröstet, geheilt, befreit – und ihnen natürlich auch ins Gewissen geredet und sie kritisiert. Aber niemals hat Jesus Menschen gedemütigt, ihrer Freiheit beraubt, religiös missbraucht, geängstigt, ausgegrenzt. Er hat die Starken zu den Schwachen geführt und die Schwachen stark gemacht. Warum? Weil Jesus in der und für die Überzeugung lebte, dass jeder Mensch ein Geschöpf Gottes und seiner Zuwendung würdig ist. Wenn wir uns an dem orientieren, wie Jesus Christus gewirkt hat, dann sollte und soll dies dem dienen, was uns immer wieder zusammenführt und alle gesellschaftlichen, weltanschaulichen, religiösen Schranken überwinden kann: das Lob Gottes. Allerdings – und das ist ein Phänomen, dem wir auch heute begegnen: die Offenheit Jesu, der globale Anspruch des Gottesglaubens, hat Menschen und Mächte immer wieder angstvoll auf den Plan gerufen, um die tröstliche Menschensolidarität Jesu abzuwehren – und sei es mit dem schrecklichen Begriff „Gutmenschentum“, mit dem in Kommentarspalten und in Politikerreden die ganz praktische Umsetzung der Jahreslosung der Lächerlichkeit preiszugeben. Dabei ist „ein guter Mensch zu sein“ doch nichts anderes als ein gelebtes Lob Gottes.
Die Jahreslosung 2015 wird hoffentlich dazu beitragen, nicht zu vergessen: Es geht in unserem Glauben um eine weltumspannende Botschaft und um die Annahme aller Menschen – auch wenn diese uns fremd sind und die damit verbundene kulturelle und religiöse Vielfalt unsere Verstehensmöglichkeiten zu überfordern scheint. Aber wir können darauf vertrauen: Gott hält diese Welt, unsere Kirche zusammen durch Wahrheit und sein Erbarmen. Und so wird es auch im neuen Jahr darauf ankommen, dass wir als Christen- und als Bürgergemeinde drei Dinge zusammenbringen:
- das Vertrauen auf den Gott der Hoffnung als Basis des Humanen;
- die gegenseitige Annahme von uns so verschiedenen Menschen;
- der Wille zur Verständigung und Einmütigkeit in der globalen Welt.
Dieser Dreiklang sollte bei all unserem Tun und Lassen mitschwingen – insbesondere dann, wenn wir uns in den Kirchen zum Lob Gottes zusammenfinden. Wer das Attribut „christlich“ für sich in Anspruch nimmt, der sollte bedenken: ohne die gegenseitige Annahme, ohne Empathie gegenüber dem fremden Nächsten, ohne das Bemühen, meine Möglichkeiten für den anderen einzusetzen, ist der Anspruch des Glaubens nicht einzulösen. Maßstab unseres Handelns darf also nicht sein, wie sich der fremde Mensch mir gegenüber verhält – das kann zugegebener Maßen befremdlich, abstoßend, angstmachend, gewalttätig sein. Dennoch gilt: Maßstab für unser Reden und tun kann nur sein, wie Christus sich meiner und aller Menschen angenommen hat. Darin liegt die Verheißung eines friedlichen Zusammenlebens nicht ver-, aber geborgen – also jederzeit nicht nur für Christen abrufbar.
Eine Antwort
Sehr geehrter Herr Wolff, bedeutet jetzt also, dass wir jeden, der in unser Land kommen möchte, hineinlassen müssen und annehmen sollen, falls wir – nach Ihrer Interpretation – anständige Christen bleiben wollen oder? So interpretiere ich jedenfalls Ihren Kommentar oben. Wer es nicht tut – Kanzlerin, Innenminister, die gesamte CDU/CSU- und auch die SPD-Bundestagsfraktion – wären dann schlechte oder gar keine Christen oder? – Niemand kann im übrigen alle Menschen lieben – man kann sie respeketieren, aber nicht wirklich lieben! Weil die Liebe zu den wenigen (meist eigene Familie) die Liebe zu den vielen faktisch ausschließt (oder nur mit stark abnehmender Aufmerksamkeit). Auch weil sie immer mit sehr viel Zeit, Zuwendung und manchmal auch Geld verbunden ist, die man wirklich nur wenigen umfänglich zuwenden kann. – Einmütigkeit in einer globalen Welt wird es im übrigen niemals geben – maximal kritischen Respekt! Können Sie doch schon am nächsten Montag erfahren, wenn die LEGIDA- und die Gegendemonstranten sich in der Stadt begegnen werden. Dann könnte sich auch eine phänomenale Orgie des gegenseitigen Hasses entladen! Warum? Wer hat dann wem nicht richtig zugehört?
PS.: Christus wurde im übrigen von seinen Gegnern gekreuzigt! Sollen wir ihm da auch nachfolgen? Oder besser nicht? Nicht jeder Christ will bekanntlich Märtyrer werden…