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Schleichende Anpassung: grotesk und gefährlich

Je mehr sich die Rechtspopulisten in Europa etablieren, desto größer die Bereitschaft, ihre Parolen als legitime und begründete Positionen im demokratischen Debattenspektrum anzusehen – unabhängig davon, ob diese überhaupt mit den Grundwerten unserer Verfassung vereinbar sind, oder ob mit diesen Demokratie unterhöhlt, ausgehebelt werden soll: man wird ja wohl noch sagen dürfen … . In der Runde bei „Maischberger“ am vergangenen Mittwoch ging es um den Vorwurf der „Lügenpresse“ und ob die Medien ihrer Verantwortung gerecht werden. Was in der Diskussion sich schleichend abspielte, ist durchaus typisch für die derzeitige Debattenlage: Das aus der Nazizeit stammende Kampfwort „Lügenpresse“ wurde wie ein Fachbegriff gebraucht. So konnten Vera Lengsfeld (CDU) und Joachim Radke (AfD-Mitglied und Pegida-Sympathisant) auch von „Gleichschaltung“ der Presse sprechen oder die Willfährigkeit der Medien gegenüber der Politik behaupten, ohne einen Beleg dafür zu liefern – und wenn, dann erwiesen sie sich als falsch. Aber all das geschah im moderaten Plauderton: kannst du so, aber auch anders sehen. Man will sich ja nicht wehtun, sondern „Sorgen ernst nehmen“ – Fernsehen im Modus des Verständnis-Kultes.

In der Mitte der Sendung wurde von Sandra Maischberger eine Untersuchung der „Hamburg Media School“ eingeführt, die die Medienberichterstattung während der sog. „Flüchtlingskrise“ August/September 2015 ausgewertet hat. Ihr Befund: 82 Prozent aller Artikel hätten die Flüchtlingskrise „positiv“ dargestellt, 12 Prozent seien rein berichtend gewesen und sechs Prozent hätten die Flüchtlingspolitik kritisch betrachtet. Dann wird ein Zitat vom Leiter der Untersuchung, Michael Haller, eingeblendet:

Als dann Hundertausende Nordafrikaner, Araber, Afghanen – und dazwischen syrische Flüchtlinge – vor unseren Türen standen, da entdeckten sehr viele hilfswillige Deutsche, dass diese Realität ganz anders aussah als die, die von den Medien vorgezeichnet worden war. Viele Menschen reagierten frustriert und bestraften die Journalisten mit Vertrauensverlust.

Maischberger kommentiert, dass diese Untersuchung doch ein Beleg dafür sei, dass Herr Radke Recht habe, wenn er sich mit seinen Vorstellungen in der Berichterstattung der Medien nicht wiederfinden könne. Doch welche Funktion hat diese bis jetzt noch nicht veröffentlichte Studie? Soll man das Ergebnis nun als Beweis dafür werten, dass wir von einer gleichgeschalteten „Lügenpresse“ manipuliert werden? Sollen wir bedauern oder uns dafür schämen, dass ein Teil der Medien im Herbst 2015 sich in der Berichterstattung an Grundwerten, an Menschlichkeit orientiert haben? War es ein Fehler, dass Medien zu wenig Verständnis für die geistigen und tatsächlichen Brandstifter, für die Hassausbrüche vor Asylunterkünften und für die montäglich herausgebrüllten fremdenfeindlichen Parolen aufgebracht haben? Einmal ganz abgesehen davon, dass schon Anfang September in nicht wenigen Medien das Engagement der Bürgerinnen und Bürger niedergeschrieben wurde.

Doch es lohnt sich, das Zitat von Michael Haller noch genauer zu untersuchen. Es suggeriert dreierlei: 1. unter der Masse Flüchtlinge waren nur ein paar Syrer; 2. die Flüchtlinge standen quasi vor „unseren Türen“ (darf ich einmal fragen: Vor welcher Haustür stand auch nur ein Flüchtling?) und 3. es wird so getan, als ob Bürgerinnen und Bürger deswegen hilfsbereit und solidarisch gewesen sind, weil die Medien ein falsches Bild der Realität gezeichnet hätten. So ein Unsinn! Die Menschen kümmern sich – Gott sei Dank bis heute – zu Hunderttausenden für Geflüchtete, weil sie die Not des Nächsten erkannt haben, sich in ihrer Menschlichkeit herausgefordert sahen und sehen und ihren Beitrag zur Integration leisten wollen. Diese haben weder „frustriert“ reagiert, noch die Journalisten mit Vertrauensverlust bestraft. Von wem also spricht Michael Haller? Auf eine äußerst subtile Weise setzt er in diesem Zitat engagierte Flüchtlingshelfer/innen mit „besorgten Bürgern“ gleich und rechtfertigt damit die Argumentation von Pegida und Rechtspopulisten. Denn die haben lange vor der sog. „Flüchtlingskrise“ ab Ende August 2015 „Lügenpresse“ skandiert, Geflüchtete als militante „Invasoren“ tituliert, Asylunterkünfte angezündet, Ausländer überfallen. Sie haben lange vor August 2015 Journalisten bedroht und tätlich angegriffen. Und jetzt, da dies alles anhält und ein Faschist wie Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden ist, meinen nicht wenige, diese Leute in ihrem unmenschlichen Treiben adeln zu müssen. Das ist grotesk und gefährlich. Denn eines ist gewiss: Dort wo Rechtspopulisten das Sagen haben, schränken sie als erstes die Pressefreiheit ein und greifen die Pluralität an.

Unmittelbar nach „Maischberger“ wurde am vergangenen Mittwoch in den „Tagesthemen“ ein kurzes Porträt des schwäbischen Dorf Spiegelberg gezeigt: 2.125 Einwohner, davon 81 Ausländer und 18 Asylbewerber, 36 Straftaten 2015 verübt von Deutschen, kaum Arbeitslosigkeit, keine Infrastrukturprobleme. In diesem Dorf hat die AfD bei den Landtagswahlen im März 2016 einen Stimmenanteil von über 26 % erhalten. Warum? Ein 40-jähriger Familienvater, schmuckes Eigenheim, schicker Mercedes äußert sinngemäß: Wir haben Angst, dass wir das alles wegen der Flüchtlinge verlieren werden. Die Regierung soll endlich unsere Sorgen ernst nehmen. Ein wohl beleibter Mann kann seine „Sorge“ in die Kamera sprechen: „Man traut sich nicht mehr auf die Straße wegen der Flüchtlinge.“ Überdeutlich: Hier hilft kein Argumentieren weiter. Hier kann man nur noch fragen: Was wird in diesem Ort sonntags von der Kanzel gepredigt? Wie reden in der Kita und Grundschule die Erzieher/innen und Lehrer/innen mit Kindern und Eltern? Wo sind die Stimmen, die dieser asozialen, inneren Wohlstandsverwahrlosung ein deutliches NEIN entgegensetzen, anstatt solchen Haltungen auch noch den Anschein von Rechtfertigung zu geben? Einzig der Leiter des ortsansässigen Pflegeheims brach eine Lanze für die Geflüchteten. Im Heim ist ein junger Syrer tätig, der sich um die Menschen kümmert, die in den Eigenheimen offensichtlich keinen Platz mehr haben.

In der folgenden Nacht bin ich verstört aufgewacht. Alles ging mir noch einmal durch den Kopf – und ich dachte: Wenn am Sonntag der Rechtspopulist Norbert Hofer zum Bundespräsidenten Österreichs gewählt wird und Matteo Renzi in Italien abtreten muss – wie viele gut situierte, gebildete Menschen werden bei uns meinen, sich dem Trend anpassen zu müssen? Aber hat sich nicht genau das vor fast 90 Jahren schon einmal abgespielt? Warum spielen Menschen so leichtfertig mit dem Feuer?

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