Je mehr sich die Rechtspopulisten in Europa etablieren, desto größer die Bereitschaft, ihre Parolen als legitime und begründete Positionen im demokratischen Debattenspektrum anzusehen – unabhängig davon, ob diese überhaupt mit den Grundwerten unserer Verfassung vereinbar sind, oder ob mit diesen Demokratie unterhöhlt, ausgehebelt werden soll: man wird ja wohl noch sagen dürfen … . In der Runde bei „Maischberger“ am vergangenen Mittwoch ging es um den Vorwurf der „Lügenpresse“ und ob die Medien ihrer Verantwortung gerecht werden. Was in der Diskussion sich schleichend abspielte, ist durchaus typisch für die derzeitige Debattenlage: Das aus der Nazizeit stammende Kampfwort „Lügenpresse“ wurde wie ein Fachbegriff gebraucht. So konnten Vera Lengsfeld (CDU) und Joachim Radke (AfD-Mitglied und Pegida-Sympathisant) auch von „Gleichschaltung“ der Presse sprechen oder die Willfährigkeit der Medien gegenüber der Politik behaupten, ohne einen Beleg dafür zu liefern – und wenn, dann erwiesen sie sich als falsch. Aber all das geschah im moderaten Plauderton: kannst du so, aber auch anders sehen. Man will sich ja nicht wehtun, sondern „Sorgen ernst nehmen“ – Fernsehen im Modus des Verständnis-Kultes.
In der Mitte der Sendung wurde von Sandra Maischberger eine Untersuchung der „Hamburg Media School“ eingeführt, die die Medienberichterstattung während der sog. „Flüchtlingskrise“ August/September 2015 ausgewertet hat. Ihr Befund: 82 Prozent aller Artikel hätten die Flüchtlingskrise „positiv“ dargestellt, 12 Prozent seien rein berichtend gewesen und sechs Prozent hätten die Flüchtlingspolitik kritisch betrachtet. Dann wird ein Zitat vom Leiter der Untersuchung, Michael Haller, eingeblendet:
Als dann Hundertausende Nordafrikaner, Araber, Afghanen – und dazwischen syrische Flüchtlinge – vor unseren Türen standen, da entdeckten sehr viele hilfswillige Deutsche, dass diese Realität ganz anders aussah als die, die von den Medien vorgezeichnet worden war. Viele Menschen reagierten frustriert und bestraften die Journalisten mit Vertrauensverlust.
Maischberger kommentiert, dass diese Untersuchung doch ein Beleg dafür sei, dass Herr Radke Recht habe, wenn er sich mit seinen Vorstellungen in der Berichterstattung der Medien nicht wiederfinden könne. Doch welche Funktion hat diese bis jetzt noch nicht veröffentlichte Studie? Soll man das Ergebnis nun als Beweis dafür werten, dass wir von einer gleichgeschalteten „Lügenpresse“ manipuliert werden? Sollen wir bedauern oder uns dafür schämen, dass ein Teil der Medien im Herbst 2015 sich in der Berichterstattung an Grundwerten, an Menschlichkeit orientiert haben? War es ein Fehler, dass Medien zu wenig Verständnis für die geistigen und tatsächlichen Brandstifter, für die Hassausbrüche vor Asylunterkünften und für die montäglich herausgebrüllten fremdenfeindlichen Parolen aufgebracht haben? Einmal ganz abgesehen davon, dass schon Anfang September in nicht wenigen Medien das Engagement der Bürgerinnen und Bürger niedergeschrieben wurde.
Doch es lohnt sich, das Zitat von Michael Haller noch genauer zu untersuchen. Es suggeriert dreierlei: 1. unter der Masse Flüchtlinge waren nur ein paar Syrer; 2. die Flüchtlinge standen quasi vor „unseren Türen“ (darf ich einmal fragen: Vor welcher Haustür stand auch nur ein Flüchtling?) und 3. es wird so getan, als ob Bürgerinnen und Bürger deswegen hilfsbereit und solidarisch gewesen sind, weil die Medien ein falsches Bild der Realität gezeichnet hätten. So ein Unsinn! Die Menschen kümmern sich – Gott sei Dank bis heute – zu Hunderttausenden für Geflüchtete, weil sie die Not des Nächsten erkannt haben, sich in ihrer Menschlichkeit herausgefordert sahen und sehen und ihren Beitrag zur Integration leisten wollen. Diese haben weder „frustriert“ reagiert, noch die Journalisten mit Vertrauensverlust bestraft. Von wem also spricht Michael Haller? Auf eine äußerst subtile Weise setzt er in diesem Zitat engagierte Flüchtlingshelfer/innen mit „besorgten Bürgern“ gleich und rechtfertigt damit die Argumentation von Pegida und Rechtspopulisten. Denn die haben lange vor der sog. „Flüchtlingskrise“ ab Ende August 2015 „Lügenpresse“ skandiert, Geflüchtete als militante „Invasoren“ tituliert, Asylunterkünfte angezündet, Ausländer überfallen. Sie haben lange vor August 2015 Journalisten bedroht und tätlich angegriffen. Und jetzt, da dies alles anhält und ein Faschist wie Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden ist, meinen nicht wenige, diese Leute in ihrem unmenschlichen Treiben adeln zu müssen. Das ist grotesk und gefährlich. Denn eines ist gewiss: Dort wo Rechtspopulisten das Sagen haben, schränken sie als erstes die Pressefreiheit ein und greifen die Pluralität an.
Unmittelbar nach „Maischberger“ wurde am vergangenen Mittwoch in den „Tagesthemen“ ein kurzes Porträt des schwäbischen Dorf Spiegelberg gezeigt: 2.125 Einwohner, davon 81 Ausländer und 18 Asylbewerber, 36 Straftaten 2015 verübt von Deutschen, kaum Arbeitslosigkeit, keine Infrastrukturprobleme. In diesem Dorf hat die AfD bei den Landtagswahlen im März 2016 einen Stimmenanteil von über 26 % erhalten. Warum? Ein 40-jähriger Familienvater, schmuckes Eigenheim, schicker Mercedes äußert sinngemäß: Wir haben Angst, dass wir das alles wegen der Flüchtlinge verlieren werden. Die Regierung soll endlich unsere Sorgen ernst nehmen. Ein wohl beleibter Mann kann seine „Sorge“ in die Kamera sprechen: „Man traut sich nicht mehr auf die Straße wegen der Flüchtlinge.“ Überdeutlich: Hier hilft kein Argumentieren weiter. Hier kann man nur noch fragen: Was wird in diesem Ort sonntags von der Kanzel gepredigt? Wie reden in der Kita und Grundschule die Erzieher/innen und Lehrer/innen mit Kindern und Eltern? Wo sind die Stimmen, die dieser asozialen, inneren Wohlstandsverwahrlosung ein deutliches NEIN entgegensetzen, anstatt solchen Haltungen auch noch den Anschein von Rechtfertigung zu geben? Einzig der Leiter des ortsansässigen Pflegeheims brach eine Lanze für die Geflüchteten. Im Heim ist ein junger Syrer tätig, der sich um die Menschen kümmert, die in den Eigenheimen offensichtlich keinen Platz mehr haben.
In der folgenden Nacht bin ich verstört aufgewacht. Alles ging mir noch einmal durch den Kopf – und ich dachte: Wenn am Sonntag der Rechtspopulist Norbert Hofer zum Bundespräsidenten Österreichs gewählt wird und Matteo Renzi in Italien abtreten muss – wie viele gut situierte, gebildete Menschen werden bei uns meinen, sich dem Trend anpassen zu müssen? Aber hat sich nicht genau das vor fast 90 Jahren schon einmal abgespielt? Warum spielen Menschen so leichtfertig mit dem Feuer?
15 Antworten
Das Problem ist ja, lieber Herr Wolff, daß es gar keine Debatte gibt – es gibt nur: Sie haben Recht oder man ist Faschist! Und es ist eben auch kein Knigge-Geklingel, wenn man im demokratischen Diskurs Respekt und Achtung vor anderen Meinungen einfordert; abgesehen davon, daß Sie selbst Knigge-Geklingel energisch anmahnen, wenn es um Sie geht.
Sie kritisieren den Begriff „Lügenpresse“ als „Kampfbegriff“ – Sie verwenden die Begriffe „Faschist“, „Populist“, „Radikaler“ als Kampfbegriffe und garnieren ihn noch mit vielen anderen Unflätigkeiten gegenüber den so Angegriffenen. Hält man Ihnen das vor, dann spielen Sie es abfällig herunter („Tanzschule“); tun Sie es selbst, dann sind Sie beleidigt, wenn der Ton rauh wird. Das nennt man „unglaubwürdig“.
Und in der Sache? Unsere Presse und Medien sind keine „Lügenpresse“, das ist bekannt und man soll sich also nicht aufregen, wenn einzelne Dumme das propagandistisch anders sehen. Man regt sich ja auch nicht auf (Seehofer zB), wenn man von Ihnen in die „Faschistenkiste“ gepackt wird. Die Presse wird es in der Demokratie ertragen müssen, von einigen als „Lügenpresse“ gesehen zu werden, so wie viele es ertragen müssen, daß Sie Ihre Propaganda ungestraft, wenn auch zum Glück nicht unwidersprochen verbreiten. Und daß unsere Presse / Medien aufgrund von unzweifelhaft bestehenden Abhängigkeiten enorm manipulativ sind und alleine dadurch objektive Tatsachen verfälschen und zT „umdrehen“, kann kaum bestritten werden. Es ist wie mit Bismarcks Satz: „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt“, der weiter geht mit den stets nicht zitierten Worten: „und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“.
Ja, die Gottesfurcht – sie läßt die politisch Denkenden in Ihrer Leserschaft immer wieder zur Verzeihung neigen, wenn sie Ihre Beiträge gelesen haben.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Wie sehr ist doch Herrn von Heydebreck zuzustimmen: Wolff fällt unter die Kategorie derer, die Wolff kritisiert. Ihre Amtskollegin Binder, die Sie neulich gerade gelobt hat wegen Ihrer Sachlichkeit, wird sich krümmen angesichts dieses neuesten Beitrages, der – leider – daraus entstanden ist, wie Sie schreiben, daß Sie nicht schlafen konnten – und so ist er denn auch!
Zum Inhaltlichen will ich nichts schreiben – das hat Herr von Heydebreck ausführlich und überzeugend getan und den ganzen emotionalen Un-Sinn (im Gegensatz zu Unsinn) wieder einigermaßen geradegerückt.
Aber dieser Beitrag und Ihre Reaktionen auf andere Beiträge zeigen wieder einmal erschreckend auf, was Sie unter „demokratischem Diskurs“ verstehen:
– Sie stellen Behauptungen auf und nutzen diese für Ihre Polemik, die Sie dann sang- und klanglos fallen lassen, wenn sie widerlegt werden: „Lügenpresse“ – so haben Sie es immer dargestellt, war deswegen schlimm, weil von den Nazis erfunden. Nun schreibt jemand, die haben es nur nachgeschwatzt, da kommen Sie und sagen „ändert das was?“ Nein, es ändert inhaltlich nichts, aber es ist eben kein Nazi-Slogan alleine und bringt Ihre Argumentation zum Einsturz;
– Sie halten Beleidigungen anderer Menschen – die Sie auch selbst praktizieren, indem Sie die Hälfte aller Politiker dieser Welt in die Kategorie „Faschisten“ einordnen – für selbstverständlich im demokratischen Diskurs und schmierige Böhmermännereien für freie Kunstausübung; wenn jemand dann Brecht zitiert (auch etwas angepaßt), dann ist das plötzlich ein Fall für den Staatsanwalt;
– Sie weisen jede andere Meinung als unsachlich, beleidigend, demokratieschädigend, etc zurück und verdammen sie; Ihre eigenen Meinung dagegen ist berechtigte Kritik und demokratiefördernd. Und dasselbe trifft auf Stilfragen zu: Wer anders denkt und sich anders äußert, ist ein Nazi; sie selbst führen im gleichen Stil den demokratischen Diskurs.
Wenn Sie nur inhaltlich unrecht hätten, einseitig dächten, zum sachlichen Überblick nicht fähig wären – es wäre ja bedauerlich und eben Ausdruck Ihrer – im politischen im Gegensatz zum religiösen Felde – immer noch anhaltenden pubertierenden Revoluzzerschaft, wie Sie sie ja liebevoll aus studentischen Jugendtagen beschrieben haben, und somit also noch ganz amüsant. Aber Ihre Beiträge, sobald Sie sich von der Religion wegwagen in das Gebiet von Politik, Gesellschaft und Demokratie, strotzen von Beweisen dafür, daß Sie hier nicht nur Nachholbedarf haben sondern mal einen Grundkurs belegen müßten. Wenn alleine die Tatsache, daß man „besorgter Bürger“ ist, ausreicht für Sie, diese Leute allesamt zu Nazis und Faschisten abzustempeln – dann zeigt dies erschreckend Ihr mangelndes Demokratieverständnis. Denn es kommt nicht darauf an, daß Sie die Besorgnis solcher Bürger für richtig, berechtigt oder aus deren Lage nachvollziehbar halten – es kommt darauf an, daß diese Bürger diese Besorgnisse haben – und ebenso gerne ernst genommen würden, wie man Sie gerne ernst nähme, wenn es nur nach solchen Beiträgen noch ginge.
Liebe Frau Binder – Sie haben leider zu früh gelobt: Herr Wolff begreift es nicht!
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Politische Debatte ist doch etwas anderes als Befolgen von Benimmregeln in der Tanzschule. Worum geht es im Kern? Nicht darum, in irgendeiner Weise Presskritik zu vermeiden. Da gibt es jeden Tag Anlass. Aber der Kampfbegriff „Lügenbegriff“ dient nur einem Ziel: dann, wenn es möglich ist, die Pressefreiheit aufzuheben und Pluralität einzuschränken. Darum ist dieser Kampfbegriff verwerflich. Dass aber nun eine immer größer werdende Phalanx von Menschen daran geht, diesen Kampfbegriff in die Debatte als Fachwort einzuführen und zu verharmlosen, das hat dann auch Bundespräsident Joachim Gauck auf den Plan gerufen. Darüber bin ich froh – und nutze gerne die Gelegenheit diesen Gleichklang zu begrüßen, wobei ich mir erlauben kann, das alles noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Gerne ertrage ich dann auch Knigge-Geklingel, das uns aber in der Debatte nicht wirklich weiterbringt. Beste grüße Christian Wolff
Lieber Herr Wolff, die Maischberger-Sendung habe ich zwar nicht gesehen – und nach Ihrer Berichterstattung wohl auch nicht viel verpasst – aber statt dessen die Rede unseres Bundespräsidenten zum Thema anlässlich des sechzigsten Geburtstages des Deutschen Presserats nachgelesen. Dabei hat mir sehr gefallen, wie unser Staatsoberhaupt sehr genau die berechtigte Skepsis und ernst zu nehmende Kritik, der sich die Medien stellen müssen, von der allgemeinen Beschimpfung von Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehredaktionen als „Lügenpresse“ abgegrenzt hat. Mit Recht hat er darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland Journalisten nicht immer davor gefeit waren und sind, nur in eine Richtung zu schauen und nicht in alle möglichen. Die Umdeutung und Verallgemeinerung einzelner berechtigter Kritiken zum Begriff „Lügenpresse“ bezeichnet er dagegen völlig richtig als „Denunziation“.
Wenn Herr Gauck dabei die Gebote des Pressekodex in Erinnerung ruft, die eine der Wahrheit verpflichtete Berichterstattung fordern, so spricht er dabei sicher nicht nur Journalisten an, sondern alle, die sich z. B. wie Sie und ich und ihre Kritiker in einem Blog an die Öffentlichkeit wenden. Begriffe wie „Lügenpresse“ gehören dabei ebenso wenig zu einem sachlichen und konstruktiven Sprachgebrauch wie alle anderen Beschimpfungen.
Ja, und da, lieber Herr Wolff, sollten Sie sich auch etwas angesprochen fühlen. Während ich in letzter Zeit, als es um Ihre Vorstellung eines SPD-Kanzler-Kandidaten ging, von Ihrer recht sachlichen Argumentation beeindruckt war, fallen Sie nun – wohl als Folge Ihrer Erregung nach der Maischberger-Sendung – wieder in Ihre früheren Beschimpfungs-Tiraden zurück. Statt den gewählten US-Präsidenten Trump, was legitim und einfach wäre, sachlich zu kritisieren, setzen Sie ihn ganz nebenbei als „Faschisten“ mit Hitler und Mussolini gleich. Das allein stellt schon eine unglaubliche Beleidigung eines Ausländers dar, der im Wahlkampf mit seiner zum jüdischen Glauben konvertierten Tochter und seinem jüdischen Schwiegersohn aufgetreten ist – und das ausgerechnet aus einem deutschen Munde!
„Rechtspopulisten“ – und dazu zählen Sie offenbar alle Politiker rechts von Frau Merkel von Herrn Seehofer und Frau Lengsfeld bis zu AfD, Pegida und NPD – billigen Sie offenbar nur „Parolen“ zu und sprechen ihnen die Fähigkeit ab,“ legitime und begründete Positionen im demokratischen Debattenspektrum“ abzugeben. Statt sich sachlich auch mit konträren Auffassungen auseinander zu setzen, wollen Sie allenfalls prüfen, „ob diese überhaupt mit den Grundwerten unserer Verfassung vereinbar sind, oder ob mit diesen Demokratie unterhöhlt, ausgehebelt werden soll“. Alles andere betrachten Sie offenbar als „schleichende Anpassung“.
Nein, da ist mir die Gegenmeinung unseres Bundespräsidenten, Ihres theologischen Amtsbruders, wesentlich lieber, der auch Sie gemeint hätte, wenn er Ihren Kommentar lesen würde, nämlich, „dass Journalisten auch bei uns zuweilen versucht waren und sind, in die Echoräume des politischen Gleichklangs zu fliehen, und Meinungen, die ihnen nicht behagen oder die sie nicht teilen, abzuwerten oder sogar zu ignorieren.“
Lieber Herr Wolff,
grundsätzlich stimme ich der Intention Ihrer Ausführungen zu, muss aber bemerken, dass der Begriff „Lügenpresse“ nicht in der Nazizeit geprägt worden ist, sondern bereits in der Weimarer Republik verwendet wurde. Aber auch nicht, wie man dann annnehmen könnte, von völkischer/nationalsozialistischer Seite, sondern beispielsweise auch von jüdischer Seite, indem von „antisemitischer Lügenpresse“ gesprochen wurde.
Beste Grüße,
Steffen Held
Ändert das irgendetwas an dem Problem, dass heute diejenigen, die „Lügenpresse“ skandieren, militant (und das praktizieren sie ja auch) gegen alle missliebige Berichterstattung vorgehen und damit unter Beweis stellen, dass sie mit demokratischem Diskurs und Pluralität nichts im Sinn haben? Christian Wolff
Wer die Wahrheit nicht kennt ist nur ein Dummkopf, wer sie jedoch kennt und sie Lüge nennt (oder Unsinn – wie Chr.Wolff s.o.) ist ein Verbrecher! B.Brecht in „Galilei“
Hier einmal die Überschriften der Lügenpresse, gesammelt zum Thema Fukushima:
https://m.facebook.com/rolandtichywirtschaftsjournalist/posts/1279144732158746
Nach längerem Zögern: Ich denke, dass es gut ist, wenn die Öffentlichkeit weiß, in welcher Weise der Cellist des Leipziger Streichquartetts, Matthias Moosdorf, auf der politischen Ebene wirkt. Seine neueste Einlassung: Christian Wolff, ein Verbrecher. Da wird sich der ein oder andere fragen, wie das juristisch zu bewerten ist. Ratschläge sind willkommen. Irgendwann wird sich diese Geisteshaltung auch in den musikalischen Tönen niederschlagen und Menschen werden sich fragen, ob sie das auf Dauer hören wollen.
Lieber Herr Wolff,
die Einschätzung „Lügenpresse“ ist ja nicht aus dem Nichts erfunden worden. Uns allen sind die Ereignisse in Sebnitz bekannt, gerade letzte Woche ging es um einen Busfahrer der angeblich ein Mädchen mit Kopftuch nicht befürdern wollte. Es sind – immer voneinander abgeschrieben – völlig erfundene Lügengeschichten. Eine davon hat mich besonders betroffen gemacht:
Das Leipziger Streichquartett war die erste westliche Gruppe nach Tsunami und Fukushima die nach Japan gefahren ist. Mit Spenden, Material und Musik im Gepäck haben wir vor Tausenden gespielt. Unser Trost war offenbar so groß wie der arrogante Widerstand der Musiker hierzulande. „Japan habe gefälligst seine nuklearen Hausaufgaben zu machen bevor es sich wieder mit deutscher Kultur schmücken dürfe“ – so sprachen unsere Medien-Moralisten. Wie dem auch sei: dieses Land war von einer gewaltigen Naturkatastrophe heimgesucht worden. Fünf Jahre und eine Energiewende danach titelten – ausgehend vom Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit – fast alle Medien, wie gleichgeschaltet, zum Gedenken an die „18.000 Atomtoten von Fukushima“. Das Dumme ist nur, es gibt sie nicht. Es handelt sich samt und sonders um Tsunami-Opfer, auch laut WHO ist bisher kein einziges Todesopfer als Folge des Reaktorunfalles zu beklagen gewesen. Wie würden Sie so Etwas nennen? Ich nenne es Lüge! Eine infame, durchtriebene, gemeinschaftlich verabredete Lüge. Um die völlig verblödete, zu teure, vorschnelle, unabgestimmte Energiewende mit ein wenig passender Begleitmusik zu versehen. Tut mir leid, Herr Wolff, Lügenpresse ist noch untertrieben angesichts des eigentlichen Auftrages an kritischer Distanz und Transparenz wirklich freier Medien.
Das eine ist, Medien-Berichterstattung der unterschiedlichsten Art zu kritisieren. Etwas anderes, aber eben Verwerfliches ist es, pauschal von „Lügenpresse“ zu sprechen. Das ist ein Kampfbegriff der Nazis zur Vorbereitung dafür, die Pressefreiheit abzuschaffen. Wer diesen Begriff benutzt, muss wissen, was er tut: er öffnet denen, die Freiheit und Pluralität ausschalten wollen, Tor und Tür. Das gilt auch für den Verfasser dieses Kommentars. Dass dieser darüberhinaus all das praktiziert, was er anderen vorwirft, zeigt allein schon der Satz, den er durch Anführungszeichen zum Zitat erhebt “ Japan habe …“. Woher stammt dieses „Zitat“? Das, was dann im Kommentar zu Fukushima geäußert wird, muss man nicht weiter erörtern – es ist schlichter Unsinn, verbreitet aber von jemandem, der es besser wissen könnte. Und da sind wir bei dem Problem: Dieser Kommentar von Matthias Moosdorf illustriert auf traurige Weise das, was ich mit meinem Blog-Beitrag aufzeigen wollte – allerdings handelt es sich nicht um eine schleichende, sondern um eine aggressive Anpassung. Christian Wolff
„Etwas anderes, aber eben Verwerfliches ist es, pauschal von „Lügenpresse“ zu sprechen. Das ist ein Kampfbegriff der Nazis[…]““ [Chr. Wolff]
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Gerne – und nahezu immer – wird vergessen, zu erwähnen, daß Lügenpresse eben auch ein kommunistischer Kampfbegriff war (und ist). So sprach beispielsweise Karl Radek bereits auf dem Gründungsparteitag der KPD von der „große[n] Lügenpresse der Bourgeosie“.
Diese Einschätzung zieht sich späterhin wie ein roter Faden durch die Geschichte der deutschen Linken.
Natürlich verwendete auch die SED-Propaganda oft und gerne dieses Wort, wenn es darum ging, den westdeutschen Klassenfeind zu beschreiben.
(Nicht umsonst war der Name Karl Eduard von Schnitzler auf den Montagsdemonstrationen besonders häufig zu hören – „Schnitzler in den Tagebau“ …
Im Umkehrschluß allerdings haben die Demonstranten den „Schwarzen Kanal“ nicht mit „objektiver Berichterstattung“ verwechselt, sondern als ganz besonders verlogene Propaganda erleben müssen.)
Besonders gerne wird auch unerwähnt gelassen, daß das Wort Lügenpresse während der Studentenbewegung Hochkonjunktur hatte, man erinnere nur den Kampf gegen die „Springer-Presse“.
Vgl. dazu:
https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article136468667/Pegida-und-die-68er.html
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Wer seinen Brecht kennt, der kennt wohl auch die Geschichte „Herr Keuner und die Zeitungen“, die folgendermaßen beginnt:
„Herr Keuner begegnete Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die Zeitungen. „Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen“, sagte Herr Wirr, „ich will keine Zeitungen.“
Herr Keuner sagte: „Ich bin ein größerer Gegner der Zeitungen: ich will andere Zeitungen.“
Schön, dass Sie meine Argumente bestätigen. 1. Dass in der DDR auch von „Lügenpresse“ gesprochen wurde, bestätigt nur, dass, wer diesen Begriff gebraucht, die Pressefreiheit bedroht bzw. abschafft. 2. Als jemand, der in der Studentenbewegung aktiv war, weiß ich sehr genau, was damals gerufen und gefordert wurde. Da wandten wir uns gegen die Einseitigkeit der Springer-Presse bzw. das Monopol von Lokalzeitungen. In Heidelberg riefen zum Beispiel „RNZ ins Klosett“. Damit war ein bestimmtes Medium gemeint. 3. Andere Zeitungen wie z.B. die „Frankfurter Rundschau“ wurden ganz anders bewertet. D.h. Bestimmte Presseorgane zu kritisieren, ist etwas völlig Normales. Auch ist es völlig normal, sich dafür einzusetzen „andere Zeitungen“ zu initiieren. Insofern antwortet Herr Keuner dem Herrn „Wirr“ (ein schöner Name für den „Lügenpresse“-Schreier auf Pegida-Aufmärschen) sehr treffend.
„Als jemand, der in der Studentenbewegung aktiv war, weiß ich sehr genau, was damals gerufen und gefordert wurde. Da wandten wir uns gegen die Einseitigkeit der Springer-Presse bzw. das Monopol von Lokalzeitungen. In Heidelberg riefen zum Beispiel „RNZ ins Klosett“. Damit war ein bestimmtes Medium gemeint.“ [Chr. Wolff]
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Wobei allerdings das Wort „Lügenpresse“ durchaus benutzt worden ist …
So berichtete beispielsweise am 15. April 1968 das „Neue Deutschland“ auf Seite 3:
„Heidelberg: Mehrere hundert Anhänger der Kampagne für Demokratie und Abrüstung sperrten während des Marsches in Heidelberg wiederholt den Verkehr. An die Fenster des Gebäudes der „Rhein-Nekkar-Zeitung“ malten sie Losungen wie „Lügenpresse“ und »Hetze gegen Studenten schafft Mörder“. Auf dem Marktplatz ergriffen mehrere Redner studentischer Organisationen und ein Pfarrer das Wort.““
Siehe:
https://www.nd-archiv.de/ausgabe/1968-04-15
Na fein: nun gilt auch noch das Neue Deutschland aus dem Jahr 1968 als verlässliche Quelle! Einfach großartig und überzeugend! Das alles ändert aber nichts daran, dass diejenigen, die heute „Lügenprsse“ skandieren nichts anderes im Sinn haben, als die Pressefreiheit abzuschaffen und eine Gleichschaltung mit ihrer verschwörungsschwangeren Geisteswelt zu erwarten. Christian Wolff
Ja, trifft genau auf das, was ich wahrnehme und befürchte. Danke für die Worte.