Aufruf zur Kundgebung am 21. Mai 2021 um 18.00 Uhr
Sie leben unter uns – Menschen jüdischen Glaubens. Wir sind froh und dankbar, dass sich in unserer Stadt nach dem Verbrechen des Holocaust in der Zeit des Nationalsozialismus und seit der Friedlichen Revolution 1989 jüdisches Leben neu entwickelt hat. Wir bejahen die religiöse Vielfalt in der Stadtgesellschaft. Umso erschrockener sind wir darüber, dass mitten unter uns immer wieder Judenhass ausbricht.
Leider müssen wir feststellen: Antisemitismus ist nicht Vergangenheit. Gesellschaftliche Probleme auf ein „Weltjudentum“ abzuwälzen, Juden für eine angebliche „Weltverschwörung“ verantwortlich zu machen und daraus gewalttätige Judenfeindlichkeit abzuleiten – das richtet mitten unter uns großen Schaden an. Das Leben von Menschen jüdischen Glaubens zu bedrohen, Synagogen zu beschädigen und diese Gewalt mit der Politik der Regierung von Israel zu rechtfertigen, ist unerträglich. All das bedroht das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt und ruft unseren entschiedenen Widerstand auf den Plan.
Lasst uns ein deutliches Zeichen der Solidarität mit jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, der Israelitischen Religionsgemeinde und ihren Einrichtungen setzen. Lasst uns eintreten für Toleranz, Gewaltfreiheit und Menschenrechte. Darum rufen wir auf zur
Kundgebung am Freitag, 21. Mai 2021, um 18.00 Uhr
vor dem Haupteingang des Neuen Rathaus, Martin-Luther-Ring
Es werden sprechen: Oberbürgermeister Burkhard Jung – Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde – Dorothea Arndt, stellvertretende Superintendentin – Dr. Nora Pester, Verlegerin – Umer Malik, Imam der Ahmadiyya Gemeinde – Coral Guter, Bürgerin
Es rufen auf: Oberbürgermeister Burkhard Jung – Ev.-Luth. Kirchenbezirk Leipzig, Superintendent Sebastian Feydt und Pfarrerin Dorothea Arndt – Katholische Propstei St. Trinitatis, Propst Gregor Giele – Förderverein Synagoge und Begegnungszentrum Leipzig e.V., Gisela Kallenbach, Vorsitzende – Städtepartnerschaft Leipzig–Herzliya e.V., Christopher Zenker, Vorsitzender – Jüdisch-christliche Arbeitsgemeinschaft, Dr. Timotheus Arndt, Vorsitzender – Ahmadiyya -Muslim-Jamaat Leipzig, Imam Umer Malik – Christian Wolff, Pfarrer i.R.
11 Antworten
Ich bin dem Aufruf „Schalom – Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Leipzig“ gefolgt, weil es nicht angeht, Juden in ihrer Gesamtheit für die Politik israelischer Regierungen in den letzten Jahrzehnten in Haftung zu nehmen. Was ich von den Gewaltakten der islamistischen und reaktionären Hamas halte, kann jeder in meinem letzten Kommentar nachlesen. Ich hatte allerdings auch Skrupel, an der Kundgebung teilzunehmen, weil das als Solidarität mit dem Auftreten des Staates Israel im Nahen Osten hätte missverstanden werden können. Ehrlich gesagt, ich habe es nicht ausgehalten, mir bis zum Schluss alle Reden anzuhören. Mir kommt die kritische Auseinandersetzung mit der Politik Israels einfach zu kurz. Auch heute wieder. Wenn OBM Jung betont, selbstverständlich könne Israel kritisiert und natürlich kann auch die Einhaltung der Menschenrechte angemahnt werden (das Wort Palästinenser kam nicht über seine Lippen), sind das die hohlen Floskeln, die ich meine, und es ist Heuchelei, wenn daraus keine politischen Konsequenzen gezogen werden. Der neuste Bericht von Human Rights Watch (Eine Schwelle überschritten – Israelische Behörden und die Verbrechen der Apartheid und Verfolgung, http://www.ipsnews.net/2021/04/human-rights-watch-threshold-crossed/) liefert einen detaillierten Überblick über das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen, die sich die israelische Regierung gegenüber dem Volk der Palästinenser permanent erlaubt. Moshe Zuckermann (em. Professor für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv) hat schon recht mit seiner Einschätzung, dass man in Deutschland es nicht fertig bringt, Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik auseinanderzuhalten. Übrigens wird dieser Mann, obwohl Israeli, wegen seiner vehementen Kritik an der israelischen Palästinenser-Politik in Deutschland sanktioniert.
Ihre Beiträge in diesem Blog schätze ich sehr, H. Lerchner,, nehme sie als kenntnisreich, intelligent und (meist) ausgewogen wahr.
Die aktuelle Eskalation zwischen Israelis und Palästinensern ist für meinen persönlichen Kenntnisstand, zugegebenermaßen, zu komplex, um sie auch nur annähernd beurteilen zu können. Insofern fällt es mir schwer, Ihre Kritik – z.B. an der z.T. sehr emotionalen und empathischen Rede von OBM Jung gestern Abend – einzuordnen. Ich kann nur sagen, ich habe sie nicht als hohle Floskeln oder Heuchelei empfunden! Insgesamt fand ich die Redebeiträge, vor allem auch deren Breite, beeindruckend und angemessen. Bedauerlich allenfalls, dass nicht mehr als ca. 300 Teilnehmer den Weg zum Neuen Rathaus gefunden haben.
Lieber Herr Käfer,
bitte nehmen Sie mir es nicht übel, aber nicht Bescheid zu wissen, ist kein überzeugendes Argument gegen die Begründung meines Vorwurfs der Heuchelei, oder besser gesagt, der Scheinheiligkeit. Ich stelle Ihnen gern eine (mit DeepL erzeugte) deutsche Fassung des von mir zitierten Human Rights Watch Reports zur Verfügung. Außerdem empfehle ich von besagtem Moshe Zuckermann „Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“, Westend Frankfurt, 2018. Auch Ihnen ein schönes Pfingsten.
Johannes Lerchner
Gestern war nicht der Ort, um sich kritisch mit der Politik Israels auseinanderzusetzen. Gestern ging es um die Solidarität mit Jüdinnen und Juden hier. Sie sind deutsche Staatsbürger*innen und Bürger*innen unserer Stadt. Sie haben teilweise genauso viel Kritik zu üben an der israelischen Regierung wie manch anderer. Aber deswegen werden sie nicht angegriffen, sondern weil sie Juden sind, weil sie von Antisemiten als Fremdkörper angesehen werden. Das dürfen wir nicht zulassen. Diese Haltung sollte gestern zum Ausdruck gebracht werden. Ich bin froh und dankbar, dass dies gelungen ist – nicht zuletzt auch aufgrund der Rede von OBM Jung. Christian Wolff
Lieber Herr Wolff,
die Intention der Veranstaltung war mir schon klar. Nur, wenn Sie das Antisemitismusproblem isoliert angehen, geht Glaubwürdigkeit verloren und Sie werden in den Köpfen der Menschen nicht das bewirken, was Sie beabsichtigen, eher das Gegenteil, nämlich Ignoranz und Antipathie. Die niedrige Teilnehmerzahl letzten Freitagabend sollte zu denken geben. Damals, als es in Leipzig gegen Legida ging, konnten Sie an einem Abend mehr als 20 000 Leute mobilisieren, jetzt waren es nur kümmerliche 300. Schönes Pfingsten!
Johannes Lerchner
Lieber Herr Lerchner, wieso gehe ich das Antisemitismusproblem „isoliert“ an? Antisemitismus gibt es seit Jahrhunderten. Der Nahost-Konflikt, die Politik Israels gegen(über) die Palästinenser, ist sicher nicht Ursache für den Antisemitismus. Aber das muss ich Ihnen eigentlich nicht erklären. Das wissen Sie. Also ist es aus meiner Sicht absolut berechtigt, bei einer Kundgebung den Fokus auf das Zusammenleben mit Jüdinnen und Juden vor Ort zu legen – so wie in vielen Ortschaften Israels Bürgermeister, Schulen und Initiativen gerade in diesen Tagen den Fokus auf ein friedliches Zusammenleben zwischen jüdischen und arabischen Israelis richten – gerade weil die Netanjahu-Regierung alles unternimmt, um dieses zu zerstören. Dass an einer Kundgebung lediglich knapp 400 Bürger*innen teilnehmen (übrigens mehr, als ich erwartet habe), sollte man nicht denen vorwerfen, die das organisiert und daran teilgenommen haben. Ihre Aufforderung, darüber nachzudenken, gebe ich gerne zurück. Es könnte ja auch daran liegen, dass sehr vielen Bürger*innen überhaupt nicht bewusst ist, in welcher Situation sich Jüdinnen und Juden bei uns befinden. Beste Grüße Christian Wolff
Herr MARTIN HASPELMATH:
nicht nur mir bleibt die Spucke weg ob dieser Ihrer – pardon – höchst fatalen und hinsichtlich des absurdem Hintergrunds, vor allem aber durch Ihre obskure Argumentation geäußerte Entgegnung. Sowohl Herr Käfer, Herr Sinofzik als auch Chr. Wolff konnten gar nicht anders als genau so zu reagieren wie nachzulesen.
Und ich erlaube mir den Zusatz, dass eine humanistisch gebildete Zivilgesellschaft gar nicht anders kann und darf, als eben laut ihr Schalom, wo und wann auch immer, auszusprechen und nichts unversucht lassen, klar und unmissverständlich mit aufrechter Haltung jedem Antisemitismus entgegen zu wirken. Dieser Virus hält bereits seit Ewigkeiten an, da sollte man im Jahre 2021 mal Courage zeigen – es geht um elementarstes Menschenrecht, da wird Schweigen zu Unrecht, vor allem mit solcherart Argumentation!
„Einsatz für Menschenrechte“? Seit Monaten bestehen in Deutschland Kontaktverbote – das elementarste Menschenrecht, nämlich andere Menschen zu treffen, wird massiv eingeschränkt. Und das ohne wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen dieser Verbote! Auch etliche andere Grundrechte sind ohne gute Begründing eingeschränkt, ohne dass die Gesellschaft die Verhältnismäßigkeit diskutiert hätte. Wer sich nicht gegen permanente Kontaktverbote ausspricht, kann nicht glaubwürdig „für Menschenrechte“ einstehen.
1. Ich kenne niemanden, der sich für „permanente Kontaktverbote“ ausspricht.
2. Ob es sich bei dem Recht, „andere Menschen zu treffen“, um das „elementarste Menschenrecht“ handelt, wage ich zu bezweifeln.
3. Seit Monaten wird in den Parlamenten wie auch in der Gesellschaft über die „Verhältnismäßigkeit“ der Corona-Maßnahmen diskutiert. Viele der beschlossenen Maßnahmen hatten vor Gericht keinen Bestand.
4. Ich hoffe sehr, dass am kommenden Freitag viele Menschen an der Kundgebung teilnehmen. Wir jedenfalls werden nicht prüfen, ob die Kundgebungsteilnehmer*innen „glaubwürdig“ genug sind, um für Menschenrechte einzutreten zu können.
Christian Wolff
Obwohl es mir – zugegeben – schwer fällt, Ihnen ruhig und sachlich zu entgegnen, will ich es versuchen:
In Ihrem Text vermischen Sie munter KONTAKTVERBOT und MASSIVE EINSCHRÄNKUNG VON KONTAKTEN ! Ein Kontaktverbot hat es pandemiebedingt niemals gegeben, das gilt meines Wissens nach sogar weltweit!
Durch dieses Vermischen wird leider nicht ganz klar, ob Sie auch keine wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen der Einschränkung von Kontakten erkennen…. Sollte dies der Fall sein, bezweifeln Sie vermutlich auch, dass die Erde rund ist?!?
Zur Zulässigkeit, für Menschenrechte einzustehen, hat Christian Wolff bereits alles gesagt, was notwendig ist.
Ich werde jedenfalls am 21.5. mit voller Überzeugung um 18 Uhr am Neuen Rathaus in Leipzig sein!
Kommet zuhauf, Psalter und Harfe wacht auf, lasset Solidarität sehen, hören und spüren!