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Predigt im Friedensgebet Kreuzkirche Dresden am Tag der Deutschen Einheit

Im März 2016 erhielt ich die Einladung von der Dresdner „AG 8. Oktober“, im Friedensgebet in der Kreuzkirche Dresden am Tag der Deutschen Einheit die Predigt zu halten. Dieses Friedensgebet findet jedes Jahr im Gedenken an die Friedliche Revolution von 1989 eigentlich am 8. Oktober statt. Da in diesem Jahr der Freistaat Sachsen Ausrichter der zentralen Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden war, wurde das Friedensgebet auf den 03. Oktober 2016 vorverlegt. Aus bis jetzt unbekannten Gründen tauchte das Friedensgebet im Dresdner Programm zum Tag der Deutschen Einheit nicht auf, auch wurde auf das Friedensgebet erst am 28. September 2016 in einer Pressemitteilung der Landeskirche verwiesen. Dennoch nahmen 400 Menschen am Friedensgebet teil. Leider reiht sich das in die anderen Merkwürdigkeiten des Tages ein: Da wurden alle Versammlungen und Kundgebungen in der Innenstadt untersagt – Pegida darf aber aufmarschieren und wird von der Polizei mit „Wir wünschen einen erfolgreichen Tag für Sie“ ermuntert. Und beim Gedenken an den „Steinen des Anstoßes“ im Anschluss an das Friedensgebet wertet es der 1. Bürgermeister der Stadt Dresden Detlef Sittel (CDU) als Ausdruck für das Funktionieren der Demokratie, dass Menschen hemmungslos pöbeln und hetzen können. Da möchte ich gleich die Mail nachschieben, die mich heute Morgen erreichte: „Heil Christian Wolff! Bist du vollkommen VERBLÖDET, Alterchen? Wahrscheinlich wartet schon das Pflegeheim auf dich und du willst sicherstellen, dass irgendein Moslemtrottel dir auch jeden Tag den Arsch auswischt. Am besten jemand aus Aleppo, pfffff, HAHAHAHAHAHA!“ Ausdruck von Demokratie? Irgendwie scheint man in Dresden immer noch nicht begriffen zu haben, dass das Miteinanderreden das eine ist, das andere aber ist die klare Positionierung derer, die nicht bereit sind, den Bachmanns, Festerlings, Höckes, Petrys die Demokratie zum Fraß hinzuwerfen.

Predigt

Es gehört zu den wunderbaren Folgen der Friedlichen Revolution und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, dass in den vergangenen 26 Jahren viele Kirchen in Ostdeutschland vor dem Verfall bewahrt werden konnten. Mehr noch: Zerstörte Gotteshäuser wie die Frauenkirche konnten wieder aufgebaut werden und neue Kirchen wie die katholische St. Trinitatis Kirche in Leipzig bereichern das städtische Leben. Doch noch wichtiger ist: Nach der Vernichtung jüdischen Lebens in der Nazi-Zeit, eine wesentliche Ursache für die Teilung Deutschlands, konnten die Synagoge in Dresden und das Begegnungszentrum der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig neu errichtet werden. Und hoffentlich sind wir alle froh und dankbar dafür, dass unter den Bedingungen der freiheitlichen Demokratie auch Religionsgemeinschaften wie der Islam oder der Buddhismus ihre Gebets- und Gotteshäuser in unseren Städten einrichten und bauen können. Gerade weil die Religionsfreiheit in unserer Verfassung verankert ist, gehört Religion in den öffentlichen Raum. Denn wir werden nur dann in Frieden zusammenleben, wenn wir uns gegenseitig ermöglichen, Gottesdienst zu feiern, für die Menschen zu beten und die religiöse Identität zu wahren. Ja, es war und ist so: In wirtschaftlichen Blüte- und in Friedenszeiten können Gotteshäuser erhalten und neu gebaut werden. Das Umgekehrte ist aber auch wahr: In Not- und Kriegszeiten zerfallen sie oder werden zerstört. Wo aber Kirchen, Synagogen oder Moscheen in ideologischer Verblendung dem Erdboden gleichgemacht werden, wie das in der Nazi-Zeit, 1968 bei der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli in Leipzig und jetzt durch die Zerstörung von Moscheen durch den IS der Fall war und ist, ist das immer Ausdruck der Verkommenheit einer Gesellschaft, der Anfang vom Ende. Denn mit der Zerstörung von Gotteshäusern wollen autokratische Systeme die Menschen in ihrem Innersten treffen und das ausschalten, wofür in Sakralbauten gebetet wird: für den Frieden, für Barmherzigkeit, für die Ehrfrucht vor dem Leben. Darum müssen wir es als schrilles Alarmsignal werten, wenn heute wieder Synagogen angegriffen oder – wie in Parchim, Dresden, Potsdam geschehen – der Zugang zu einer Moschee zugemauert, ein Sprengstoffanschlag verübt oder ein Schweinekopf abgelegt werden.

Warum ich das an den Anfang stelle?

  • Zum einen können wir an diesem Tag das feiern, was Grundvoraussetzung und Ausdruck der freiheitlichen Demokratie ist: die Pluralität, die Vielfalt des gesellschaftlichen und religiösen Lebens. Für diese Vielfalt haben Menschen vor 27 Jahren auch in dieser Kirche gebetet und sind auf die Straße gegangen. Um Pluralität zu erreichen, haben sie sich im Ruf vereint „Wir sind das Volk“ – wir, die so unterschiedlichen Menschen mit ihren oft gegensätzlichen Interessen.
  • Zum andern hat die „Arbeitsgruppe 8. Oktober“ mich gebeten, der Predigt einen Vers aus dem 2. Buch Chronik zugrunde zu legen. In diesem eher unbekannten Teil der Hebräischen Bibel wird chronologisch die frühe Geschichte des Volkes Israel erzählt. Im 7. Kapitel heißt es:

Wenn … dann mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen. (2. Chronik 7,14)

Der Hintergrund dieses Verses ist schnell erzählt: Unter der Regentschaft des bedeutenden König Salomo – wir befinden uns im 10. vorchristlichen Jahrhundert – konnte das zentrale Heiligtum, der Tempel in Jerusalem, gebaut und eingeweiht werden. König Salomo hatte gerade ein großes Weihegebet über den imposanten Sakralbau gesprochen. Danach kam es zu einem gigantischen Opferritus, untermalt von prachtvoller Musik mit Harfen und Trompeten. Der Festakt dauerte sieben Tage (nebenbei: da nimmt sich die Einheitsfeier an einem verlängerten Wochenende in Dresden eher bescheiden aus). Der Chronist hält fest, dass die Menschen nach der Festwoche fröhlich von dannen zogen, erfüllt von großartigen Eindrücken. Dann antwortete Gott auf Salomos Gebet und auf all das, was Jerusalem sieben Tage in Atem gehalten hatte: „Wenn … dann mein Volk … sich demütigt, … so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen.“ Doch worauf bezieht sich das „Wenn … dann“? Die Antwort finden wir im Vers zuvor: „Siehe, wenn ich den Himmel verschließe, dass es nicht regnet, oder die Heuschrecken das Land fressen oder eine Pest unter mein Volk kommen lasse … und (wenn) dann mein Volk … sich demütigt … so will ich … ihr Land heilen.“

Nach dem Glücksgefühl, dass mit der Tempelweihe eine neue Zeit angebrochen ist, nach dem Wunder der Friedlichen Revolution und der deutschen Einheit, stellt Gott hier nüchtern die Verbindung zum Alltag her: Es wird auch in Zukunft nicht alles rund laufen, es wird Trockenheit geben, Heuschrecken werden ihr Unwesen treiben und Krankheiten das Volk tief verunsichern. Das ist ja eine Grunderfahrung nach der Euphorie 1989/90: auch im neuen Deutschland wird nur mit Wasser gekocht, es wird zwischen Rechtsstaat und Gerechtigkeit eine Lücke klaffen, Menschen werden leiden und sterben. Und was die Heuschrecken angeht – da brauchen wir nur an den real existierenden Kapitalismus denken: wie er sich durch die Völker frisst. Kein Wunder, dass sich Menschen schwer damit tun, zwei Welten in Einklang zu bringen: auf der einen Seite das Geschenk der Freiheit, die Freude über Vielfalt, auf der anderen Seite die Widersprüche, die unter freiheitlichen Bedingungen vor allem sozial aufbrechen. Wie da das eigene, zerrissene Leben als eine Einheit erfahren, als geheilt empfinden? Wie die eigene Identität wahren, wenn Vielfalt bedeutet, dass der Andere sich in seiner Verschiedenheit auch entfalten können darf und mir mit seinem Lebensentwurf im Wege steht?

Aber – und das ist das Entscheidende: Wenn jetzt trotz Demokratie, trotz offener Grenzen, trotz Vielfalt des Lebens und eines weltweit gesehen enormen Wohlstands dennoch mancher enttäuscht, ja frustriert ist über seine Lage, wenn bei ihm vom Aufbruch 1990 kaum etwas nachhallt, dann gibt es eine Alternative zur stummen Verbitterung, zum verweigernden Groll, zur enthemmten Wut im Echoraum des Internets, zu Ignoranz und verlogener Inkompetenz der Populisten – eine Alternative, die mir neue Orientierung verleiht: Demut, Gebet, die Suche nach Gott, Umkehr. Waren das nicht auch die Wegmarkierungen bei der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung im April 1989 hier in Dresden? Wir sollten uns ihnen neu anvertrauen.

Demut – Was Demütigung bedeutet, muss man denen, die unter dem herrischen Wahrheitsanspruch einer Einheitspartei gelitten haben, nicht erklären. Erniedrigung, gewaltsame Anpassung an eine Ideologie ist aber das Gegenteil von Demut. Diese beinhaltet biblisch gesehen zweierlei:

  1. Die Anerkennung Gottes als des einen Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Ihm allein sind wir verantwortlich und darum gegenüber jedermann frei. Aber wenn wir Gott als den Schöpfer alles Lebens anerkennen, dann gilt das wirklich für alle. Dann sind Hindhus, Moslems, religionslose Menschen, Geflüchtete, Menschen mit Behinderungen, Schwule und Lesben, Sterbende keine Unglücksfälle der Schöpfung. Vielmehr ist ihr Leben genauso mit Recht und Würde gesegnet wie mein eigenes. Daraus erwächst Demut vor dem, was Gott vermag: barmherzig und gnädig zu sein.
  2. Daraus folgt das Zweite: Demut führt zur Solidarität mit den Gedemütigten. Etliche werden die berühmte Federzeichnung von Oskar Kokoschka aus der Nachkriegszeit kennen. Sie zeigt den gekreuzigten Christus, wie er sich zu den durch Hunger und Krieg gedemütigten Kindern hinunter beugt, um ihnen die Gnade Gottes, also das Leben zuzusprechen. Das ist das Leitbild für uns Christen – auch heute. Es geht nicht um Deutschsein, sondern um Menschsein, wenn es um‘s Christsein geht.

Gebet – Niemandem, der in dieser und anderen Kirchen vor 27 Jahren die Friedensgebete miterlebt hat, muss man erklären, welche Kraft vom Gebet ausgeht. Aber wir sollten heute viel mehr darüber sprechen, dass wir in den Kirchen mit unseren Gebeten die ganze Welt in den Blick bekommen. Nirgendwo sonst wird so global gedacht, gerät die Welt so in den Fokus wie durch das Gebet für den Frieden. Im Gebet machen wir ernst damit, dass nichts und niemand gleichgültig sind. Da lassen wir den kalt-verächtlichen Banal-Vorwurf, dass wir nicht die ganze Welt retten können, produktiv werden: Gott kann es – und nimmt uns dafür in seinen Dienst. Er kann Wunder geschehen lassen. Darum machen wir im Gebet nicht Halt vor den dunklen Ecken unserer Welt und unserer eigenen Existenz. Wir hoffen auf Erneuerung, Veränderung! Ich möchte mir keine Welt vorstellen, in der nicht mehr gebetet, dafür aber umso mehr gehetzt wird. Denn wer nicht betet, dem geht nicht nur der lange Atem verloren. Er droht mit Gott auch den Nächsten aus dem Blick zu verlieren und in einem asozialen Egoismus national-völkischer Verblendung zu verkümmern.

Gott suchen – Darum ist die Suche nach Gott so wichtig, denn sie beinhaltet nichts anderes als die Suche nach der eigenen Identität. Diese Identität finden wir eben nicht in einer aufgeblasenen Gefühlsrhetorik von Nation, Volk, Rasse. Wir finden sie in dem, der uns bei unserem Namen ruft – und auch in größter Fremdheit nicht allein lässt. Als das Volk Israel nach Babylonien verschleppt wurde, 1000 Kilometer vom inzwischen zerstörten Tempel entfernt, dort wie auf gepackten Koffern sitzend ausharrte und dabei war, eine Parallelgesellschaft zu bilden, da rief ihnen der Prophet Jeremia zu: Integriert euch, gründet Familien, sucht der Stadt Bestes – aber behaltet euren Glauben! Vertraut dem Gott, der sagt: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“ (Jeremia 29,13b)

Umkehr – Wer in diese Suchbewegung eintritt, muss – wie es im Predigttext heißt – „von bösen Wegen kehren“. 1988/89 war das der Auslöser für das Nachdenken über die eigene Situation: „Gottes Ruf zur Umkehr“. Diese beginnt damit, die eigene Situation und eben auch das Böse, das Misslungene, nüchtern einzuschätzen und Auswege in Richtung Schalom aufzuzeigen. Denn wer umkehrt, sieht sich weniger als Opfer, sondern erkennt sich als Beteiligter, als Akteur. Darum haben wir zu fragen:

  • Wie steht es um die Demokratie? Für sich genommen ist sie die dem christlichen Glauben angemessene Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens und bedarf darum unserer Wertschätzung und Beteiligung. Als Kirche können wir das nicht oft genug betonen.
  • Wie steht es um die Gewaltlosigkeit? Diese wird weniger durch die infrage gestellt, die blindwütig kriegerische Gewalt ausüben, als durch die, die meinen, ohne militärische Gewalt sei kein Frieden zu erreichen und für die darum der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ nach wie vor eine Provokation darstellt.
  • Wie steht es um Pluralismus, um die Vielfalt in unserer Gesellschaft? Verstehen wir Verschiedenheit als Gottes Gabe oder als Bedrohung?
  • Wie steht es um die Gerechtigkeit? Klagen wir diese nur für uns selbst ein oder fördern wir sie durch globales Teilen und Beteiligung aller an Bildung, Arbeit, Einkommen?

Wenn wir in diesem Sinn umkehren, dann setzen wir die Heilungskräfte frei, die Gott damals dem Salomo zugesagt und die Jesus Christus bekräftigt hat. Lasst uns also nie vergessen, wozu Kirchen, Synagogen, Moscheen, wozu Gottes- und Gebetshäuser in unseren Städten stehen: um den Ort zu finden, an dem wir auf das hören, was für uns alle gut ist: „Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8) Amen.

10 Antworten

  1. Ja, ja – Herr Schwerdtfeger: „Dem Chaos in Dresden“…kann nach Ihrer Auffassung, die Ihrerseits reprisenhaft wiederholt nun hinlänglich ausgebreitet wurde mit Ihren Wortmeldungen und diese mit langem Atem, nur “ durch Realpolitik vebunden mit Gesprächsbereitschaft, langem Atem, moderatem Ton und einer „Weltsicht“, die sich auf Fakten und nicht auf Wunschvorstellungen stützt“ begegnet werden. Theoretisch mögen Sie vielleicht recht haben; allein die sächsische Wirklichkeit ist eine ganz andere – und nicht nur die. Ihnen muss das irgendwie in Ihrer Schreibstube entgangen sein. Und was den moderaten Ton betrifft (nur gut gestimmte Instrumente vermögen ein wohlklingend Konzert zu vollbringen !), den Sie reklamieren, sollten Sie dann auch praktizieren. Hören wir auf mit den Wortfechtereien; die Sache, um die wir allesamt streiten, erscheint mir viel zu ernst, als dass sie taugt für Verbalpflügereien! Übrigens, was das politische Colour sächsischer Provenienz betrifft: besorgen Sie sich die aktuelle ZEIT-Ausgabe; das Dossier ist allemal lesenswert. Mehr ist zunächst nicht zu sagen, die Realitäten sprechen für sich; von Weltsicht zumindest hier in der Elbeprovinz kaum etwas zu spüren. Mit Gruss – Jo.Flade

  2. Ja, ist doch schön, lieber Herr Flade, wenn man currente calamo formulieren kann und ich verstehe Ihren Neid! Ihr Ausdruck „Verbalsäbelei“ gefällt mir aber auch sehr gut, wobei allerdings es sich vielleicht doch nach Ihrer These besser um „Verbalpflügerei“ handeln sollte. Sie führen Schwergewichte des zeitgenössischen Denkens in die Debatte ein und alle diese werden wohl zugeben, daß eben „Schwerter zu Pflugscharen“ Utopie ist, gefährlich dann – und insofern ergänze ich gerne meine Aussage – wenn man nicht neben diesem ideellen Ziel gleichzeitig ein realistisches Politikkonzept zur konkreten Abwehr von Gefahr und Gewalt entwickelt und durchsetzt. Man redet die friedliche Revolution nicht klein und man verunglimpft nicht die Menschen, die sie getragen haben, wenn man ein Vierteljahrhundert danach wieder historisch argumentiert und die Wende dem ökonomischen Zerfallsprozess der Sowjetunion und der Comecon-Staaten zuschreibt und nicht so sehr den trotzdem sehr mutigen Menschen in der DDR und übrigens anderswo, in Polen, in Ungarn, in der damaligen Tchechoslowakei (die allerdings in ihrer Masse ja offensichtlich nicht gläubige Christen waren). Die Realität war also, daß nicht Schwerter zu Pflugscharen gemacht wurden, sondern daß es für beides kein Eisen mehr gab. Die Nachkriegsgeschichte Polens insbesondere, aber auch Ungarns und der DDR zeigt uns, daß die Sowjetunion, solange sie konnte, keine Abweichler duldete – aber Ende der 80er konnte sie eben nicht mehr.
    Es ist eben in dieser Diskussion immer wieder das Problem, daß Herr Wolff und Sie nicht unterscheiden können zwischen den christlichen Postulaten als anzustrebendes Ziel einerseits und der politischen Lage der Welt andererseits – und das, obwohl schon vor 2000 Jahren Vergil in der Aenais seinen Helden sagen lässt: „Wann setzt Du ein Ziel, Weltherrscher, dem Elend.“ Die politische Realität ist also kein wirklich neues Phänomen!
    Dem Chaos in Dresden werden Sie durch Jammern oder Hetzen kein Ende setzen, auch nicht durch christliche Parolen (so sehr diese nötig sind), sondern durch Realpolitik vebunden mit Gesprächsbereitschaft, langem Atem, moderatem Ton und einer „Weltsicht“, die sich auf Fakten und nicht auf Wunschvorstellungen stützt.
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Außer „kleinkarierte Claqueure“ gibt es nach meiner subjektiven Wahrnehmung durchaus weitere, hellwache Individuen, die die Wolff`schen Wortmeldungen und Predigten durchaus für zeitgemäß und notwendig erachten (Herr Schwerdtfeger liebt seine Rhetorik currente calamo mit seinen Verbalsäbeleien). Und es sei einfach nur noch als bescheidenes PS meinerseits resümiert, dass die Aktionen „Schwerter zu Pflugscharen“ wohl kaum als eine gefährlich Utopie, ja geradezu deklassifizierend als Irrung und Weltfremdheit diffamiert werden darf. Die Herren Schorlemmer, Bretschneider, Falke, Ziemer, z.B.alles einst und bis heute praktizierende nicht gerade unbedeutende Theologen, die in den 80igern und teilweise bis heute zu den Realisten zu rechnen sind, waren so weit von irgendeiner Utopie entfernt wie Herr Schwerdtfeger von Toleranz und sprachlichem Anstand. Alle, die diese Basiskirchenaktionen zu tiefsten DDR-SED-Zeiten bewusst und engagiert mittrugen (u.a. gehörte ich dazu), wissen, was gemeint ist. Es sind Menschen ins Gefängnis gegangen, es hat Verfolgungen gegeben – wegen einer Utopie ? Bitte mehr Respekt !
    Der Herbst 1989 war dann die Realität; ohne „Schwerter zu Pflugscharen“ kaum denkbar! Jo.Flade aus dem politisch mehr als chaotischen Dresden

  4. Ja, eine großartige Predigt und ich gratuliere Ihnen dazu, lieber Herr Wolff, falls dies der richtige Terminus ist und man zu Predigten gratuliert.
    Aber es bleiben eben doch – leider – unnötige Verunglimpfungen Andersdenkender (wenn auch sehr gut „versteckt“) und schlichte Ungereimtheiten:
    – Ihre „Demutstheorie“ ist sicherlich im religiösen Sinne untadelig: Wie wäre es denn, diese einmal in politische Maximen umzusetzen und in Demut anzuerkennen, daß andere Menschen und Völker eben auch anders denken als wir. Wie also wäre es, wenn Sie, Herr Wolff, meiner oft wiederholten These, daß unsere einseitigen Übertreibungen individueller Menschenrechte und ökologischer Maximalforderungen in anderen Ländern und bei ihren Menschen schlecht ankommen und also kontraproduktiv wirken – und wir uns also vor allem in Ton und Rechthaberei zurückhalten sollten?
    – Gott kann Wunder geschehen lasssen, schreiben Sie, und wer wollte zB die deutsche Einheit noch in unserer Zeit nicht als solches anerkennen. Aber unstrittig ist eben auch, daß dieses Wunder ein wenig menschlicher Unterstützung bedurfte, zB des NATO-Doppelbeschlusses und der Nachrüstung, die die Comecon-Wirtschaft zum Einsturz brachten. Und wem diese beiden Beispiele nicht gefallen und wer lieber die Friedensgebete in den Vordergrund stellt, der muß wohl auch zugeben, daß die Mehrheit der Menschen der Friedlichen Revolution an diesen Gott gar nicht glaubten und es bis heute nicht tun. Dies wiederum ist nicht schlimm, denn Sie, lieber Herr Wolff, betonen immer die religiöse Gleichberechtigung von Christen, Muslimen, Juden, Hindus, etc – und vergessen in dieser Auflistung die genau so aufrichtigen Nichtreligiösen oder Atheisten.
    – es ist etwas vermessen, die Suche nach Gott als Suche nach der eigenen Identität darzustellen und anzudeuten, daß NUR so die eigene Identität gefunden werden kann – viele Leute definieren wohl nicht zu Unrecht ihre Identität aus anderen Motiven heraus. Und dann schreiben Sie uns, daß das „zwangsemigrierte“ Volk Israel vom Propheten aufgerufen wurde, sich unter Beibehalt seiner Religion zu integrieren. Ja, wunderbar: Genau das fordern doch die Deutschen auch, daß nämlich die freiwillig bei uns Immigrierenden sich bei uns integrieren, ohne Aufgabe ihrer Religion aber mit Anpassung an unsere Gesetze.
    – Und schliesslich werden Sie völlig unnötig ausfallend gegen diejenigen (wie mich), die glauben, daß Politik nicht ohne militärische Gewalt als EINEM ihrer Mittel auskommt. Dies so darzustellen als sei es identisch mit der Auffassung, den slogan „Schwerter zu Flugscharen“ als Provokation aufzufassen und Gewaltlosigkeit abzulehnen, ist nicht nur Unsinn sondern auch dumm und Ihrer unwürdig. „Schwerter zu Pflugscharen“ ist in unserer Welt gefährliche Utopie – und das schon über 2000 Jahre, denn nicht umsonst galt schon bei den alten Römern „si vis pacem para bellum“ – aber es ist damit keine Provokation sondern vielmehr mangelnder Realitätssinn verbunden. Leider zeigt dies unsere heutige Welt in erschreckendem Ausmaß.
    Insgesamt, lieber Herr Wolff, warum nicht etwas mehr Demut in Ihren Thesen, Formulierungen und Forderungen – bei durchaus ungebremster Festigkeit in der Sache!
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Lieber Herr Wolff, ich nehme Bezug auf die zitierte Hassmail vor Ihrer Predigt. Wie müssen diese Menschenverachter sich selbst hassen, dass so ein abgründiges verbales Erbrechen möglich wird. Es ist das alte Lied: wenn etwas bei mir nicht funktioniert, suche ich Schuldige, denen ich dies anhängen kann. Leider ist es so, dass diese Menschen kein Argument mehr erreicht. Gut, dass Sie dies zur Anzeige bringen wollen oder schon gebracht haben.
    Mit herzlichen Grüßen

    Peter Moldt

  6. Eine Predigt, die der Kreuzkirche als Dresdner Ort der Friedensgebete wahrhaft würdig ist. Danke, lieber Christian Wolff, für diese wichtigen und klaren Worte, die man zu selten hört in diesen aufgeheizten Tagen. Danke besonders auch für die mahnende Erinnerung daran, was passiert, wenn Gotteshäuser angegriffen werden.

  7. Eine Predigt, die nicht die Augen vor dem verschließt, was vor der Kirchentür ist. In diesem Ton hätte wohl auch im ökumenischen Fernsehgottesdienst am Morgen des Einheitstages in der Frauenkirche gepredigt werden müssen. Stattdessen nur Allgemeinplätze von Landesbischof Dr. Rentzing. Und selbst die nimmt man ihm nur schwer ab, da er mit seiner homophoben Haltung nicht unwesentlich zum Negativbild der Situation in Sachsen beiträgt.

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