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Notwendig, beispielhaft, erfolgreich – der Streik bei Halberg Guss Leipzig

Am heutigen Freitag, 27. Juli 2018, habe ich zu den Streikenden vor der Gießerei Neue Halberg Guss (Autozulieferer) gesprochen, nachdem ich am Dienstag schon einmal die Streikenden besucht hatte. Der Arbeitskampf dauert nun schon 45 Tage. Er begann, nachdem die neuen Eigentümer von Halberg Guss, die Finanzinvestoren Prevent, verkündet hatten, das Leipziger Werk zu schließen und sich einem Sozialplan verweigerten. Jetzt hat man sich auf eine Schlichtung verständigt. Damit wird der Streik ab Montag, 30.07.2018 ausgesetzt. Vom Betriebsratsvorsitzenden wurde ich angekündigt: „Kollegen bleibt noch einen Augenblick sitzen, jetzt will uns noch einer heilig sprechen. Der Pfarrer ist gekommen. Bitte schön.“ Ich habe mich dann kurz vorgestellt und folgende Ansprache (leicht überarbeitet) gehalten:

Als Pfarrer habe ich gelernt: Wenn es jemandem schlecht geht, dann besuche ihn. Menschen, die um ihren Arbeitsplatz bangen, geht es schlecht. Also war ich am Dienstag hier und bin heute wieder da. Allerdings: Jemanden Heiligsprechen ist nicht meine Aufgabe. Aber wenn ich gefragt werde, was bedeutet „heilig“, dann antworte ich: der Schöpfung, dem Leben, einem Menschen, mit höchster Achtung und Respekt begegnen. Heilig kann man auch so übersetzen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Jetzt wurde aber hier die Würde des Menschen, eure Würde angetastet und respektlos behandelt. Dagegen wehrt ihr euch mit diesem Streik. Das ist nicht nur notwendig und gut. Es ist für uns alle ein Grund zur Dankbarkeit: Danke, dass ihr mit diesem Streik eine wichtige Botschaft an alle Leipzigerinnen und Leipziger richtet: Niemand muss sich ohnmächtig den Machenschaften einer Konzernleitung und von Finanzinvestoren ergeben. Die meinen ja, dass für sie Grundregeln des Anstands und eines gerechten Miteinanders, Grundwerte des Vertrauens, der Gerechtigkeit, der Demokratie nicht gelten. Danke, dass ihr 45 Tage standhaft geblieben seid. Danke, dass ihr denen die Stirn geboten habt. Danke für den aufrechten Gang.

Der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King, übrigens auch ein Pfarrer, hat erzählt, dass sein Vater ihm als Kind und Jugendlicher eingeschärft hat: „Du bist nur so lange Sklave, solange Du Dich als Sklave fühlst.“ Solange du also die Rolle annimmst, in die dich andere drängen. Auf uns hier übertragen heißt das: Eine Unternehmensleitung kann nur so lange ihre Willkür walten lassen, solange sich das Arbeitnehmer/innen gefallen lassen. Ihr aber habt mit dem Arbeitskampf deutlich gemacht: Diese Ungerechtigkeit, das Werk Halberg Guss einfach schließen zu wollen, lassen wir uns nicht gefallen. Wir sind mündige Menschen, die ihre Würde haben. Wir kämpfen für unsere Rechte und für Gerechtigkeit. Wir kämpfen dafür, dass wir für uns, für unsere Familie, für unsere Stadt eine Perspektive behalten.

So standhaft und langandauernd kämpfen zu können und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen, hat zwei Voraussetzungen:

  • sinnvolle Ziele verfolgen,
  • solidarisch zusammenhalten.

Zusammenhalt, liebe Halberger, geht nur über die gewerkschaftliche Organisation. Deswegen ist es ein Segen und für die hiesige Region leider nicht selbstverständlich, dass ihr Halberger zu fast 100 Prozent Mitglieder bei der IG Metall seid. Ohne diesen Verbund, ohne diese organisierte Solidarität geht es nicht. Alleine bist du schwach, aber gemeinsam lassen sich Ziele erreichen. Ich nenne drei: Vertrauen, Gerechtigkeit, Demokratie.

Vertrauen Wenn ich mich in mein Auto setze, vertraue ich darauf, dass alles funktioniert. Ich vertraue auf die zuverlässige Arbeit derer, die Autos entwickeln und produzieren. Ich vertraue auf euch. Eine solche Arbeit ist aber nur möglich, wenn ihr auch vertrauen könnt – und zwar denen, die euch – wie es so schön heißt – „Arbeit geben“. Oder anders gesagt: Ihr müsst denen vertrauen können, die von eurer Arbeit leben und nur durch eure Arbeit Gewinn machen können. Dieses Vertrauen wurde von Prevent nachhaltig gestört, zerrüttet – vor allem dadurch, dass der neue Eigentümer von Halberg Guss, eben Prevent, alle möglichen Ziele verfolgt, nur eines nicht: alles zu tun für die Menschen, für die Region, für ein gutes Produkt. Wer so verfährt wie Prevent, der zerstört das, was eine Bedingung ist für ein friedliches, gerechtes Zusammenleben: gegenseitiges Vertrauen.

Gerechtigkeit Wenn es in einer Gesellschaft nicht gerecht zugeht, dann bricht sie auseinander. Das spüren wir heute sehr deutlich. Darum trägt jede und jeder ein hohes Maß an Verantwortung, dass gerechte Teilhabe an Bildung, Arbeit und Einkommen möglich ist – die Politik zuerst, aber sie nicht allein. Erstes Ziel eines Unternehmens ist es, ein gutes Produkt herzustellen und dafür ausreichend Kunden zu finden. Das ist nur möglich, wenn Menschen motiviert arbeiten, gerecht bezahlt und würdig behandelt werden. Wer das nicht beachtet, der wird schnell merken, dass sich dies nicht rechnet. Nur: oft stehlen sich im wahrsten Sinn des Wortes allzu viele, die so verfahren, davon, bevor das Desaster, das sie anrichten, offenbar wird. Wir sehen in allen Bereichen unserer Gesellschaft: Wo nicht investiert, wo nicht gerechter Lohn gezahlt, wo nicht vertrauensvoll zusammengearbeitet wird, geraten die Dinge in Schieflage: bei der Polizei genauso wie beim BAMF, bei der Deutschen Bahn wie in der Pflege.

Demokratie Nichts funktioniert ohne Demokratie. Aber diese hat eine wichtige Bedingung: dass sich alle Bürgerinnen und Bürger daran beteiligen können (und es auch tun!) und dass ihr Beitrag gewürdigt wird. Ohne soziale Gerechtigkeit kann sich Demokratie nicht entfalten. Sie trägt Schaden davon. Auch darum ist dieser Arbeitskampf so wichtig. Er straft alle die Lügen, die meinen: man könne doch keinen Einfluss nehmen, der sog. „kleine Mann“ habe nichts zu sagen. Doch er kann seine Stimme erheben. Jede/r kann dem Rad in die Speichen greifen, auch dem Rad des Finanzkapitalismus. Zugegeben: das ist mühsam. Aber wem sage ich das? Ihr habt diese Mühe auf euch genommen – Gott sei Dank nicht ohne Erfolg.

Lasst uns also diese Ziele nicht aus den Augen verlieren. Lasst Euch nicht einschüchtern und haltet weiter zusammen. Es gab eine ganzseitige Anzeige, in der der Arbeitskampf als „Wahnsinn“ bezeichnet wurde. Nein, dieser Streik ist kein Wahnsinn. Dieser Streik ist vielmehr eine Befreiung von dem Wahn, vom Wahnsinn, dem die Vertreter des Finanzkapitalismus verfallen sind. Sorgen wir alle dafür, dass diese Befreiung Wirklichkeit wird.

11 Antworten

  1. Herr Schwarzenberg –
    Moral beschreibt nach meiner Wahrnehmung und Erfahrung vor allem, wie Menschen faktisch handeln und welches Handeln in konkreten Situationen erwartet bzw. für richtig akzeptiert wird. Dieser Bedeutungsaspekt, gleichzusetzen mit Ethos, umfasst regulierende Urteile und regelnde Verhaltensweisen von Menschen und Gesellschaften; eine moralisierende Rechtfertigung derselben ist daraus nicht abzuleiten. Ethisch ist es dann, wie Moral praktiziert oder eben nicht gehandhabt wird.
    Dies trifft für Politik, Kirchen, Parteien, Gruppen zu.
    Ich denke:
    Über Moral des anderen zu urteilen, wird Probleme bereiten; die eigene Moralauffassung ist individuelle Grundlage für Tun und Lassen jedes Einzelnen.
    Weder Chr. Wolff (so verstehe ich ihn längst) noch ich oder andere anderer Moralauffassungen wollen diese maßstäblich ansetzen oder diktieren.
    Was die Flüchtlingsproblematik anbelangt, praktiziert jeder seine Moralauffassung.
    Wenn Kinder, Mütter, Frauen, Männer dem Meer geopfert werden, nur weil die EU eindeutig ohne jedes klare Verfahren nur noch reagiert, ist das Verständnis von Menschlichkeit und Moral eine einzige Bankrotterklärung.
    Und Flüchtende entgegen bestehender Konventionen einfach zurück nach Libyen in finsterste Lager zurück zu bringen – ist dies die geltende, gegenwärtige moralische Haltung der sog. westlichen Zivilisation ?
    Andere und auch ich haben damit ein Problem – und das sollten Sie annehmen.
    Sie, Hr. Schwarzenberg, nach all Ihren Erwiderungen offensichtlich nicht.
    Oder reflektiere ich Ihre Ansichten etwa falsch ?

  2. Wenn Sie, Hr. Schwarzenberg, schon Zitate bemühen, sollte dies in Gänze geschehen:
    „“Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free.“.
    „Gib mir deine müden, deine armen, deine zusammengedrängten Massen, die sich sehnen, frei zu atmen.“
    Guten Abend; Jo.Flade

    1. Werter Herr Flade, auch ein unvollständiges Zitat ist ein Zitat. Was Sie bringen, ändert nichts an dem, was ich sagen will. Sie fragten nach einem Hinweis auf meine Aussge, die meisten der zu uns Kommenden seien keine Flüchtlinge in Ihrem Sinn, sondern Wirtschaftsmigranten. Ich verweise auf meine Antwort unter dem Neo-Rauch-Eintrag.

  3. Nach ausgiebiger Lektüre dieses Blogs zwei grundsätzliche Anmerkungen dazu:

    “The wretched refuse of your teeming shore. Send these, the homeless, tempest-tossed to me: I lift my lamp beside the golden door.”

    Wir arbeiten tiefsitzende Schuld ab an den richtigen Anderen. Damit wir noch edler und besser werden können, geben wir ihnen alles, was Sie haben.

  4. Klar, Herr A.S.:
    Wer auslacht und mit unerschöpflicher Häme um sich wirft, dem gebricht es an Realitätssinn und Einsicht in die Notwendigkeit, sich den Tatsachen zu stellen.

  5. Lieber Christian, danke für diese deutlichen Worte! Du kannst es mit manchem Gewerkschafter „aufnehmen“. Diese Deutlichkeit habe ich in meinem Arbeitnehmer-Dasein so manches Mal vermisst. Und trotzdem werde ich im Oktober 2018 von der IG-Metall in Stuttgart für 60-jährige Mitgliedschaft geehrt. Sogar als Rentner hat mir die IG-Metall „geholfen“ die rechtmäßige Betriebsrenten-Erhöhung gegen den ehemaligen Arbeitgeber bei den Ba.-Wü. Arbeitsgerichten durch zu setzen. Meine Devise lautet auch heute noch: wenn man/frau kämpft, kann man/frau verlieren. Wer gar nicht erst kämpft hat schon verloren.

    1. Lieber Herr Rennert, da ich für meine Kollegen und mich einen ähnlichen Rechtsstreit gegen meinen früheren Arbeitgeber um die Betriebsrentenanpassung führe, wäre ich für einen Hinweis auf die von Ihnen erstrittenen Urteile dankbar. Ihr hansgeorg@von-heydebreck.de

  6. „Eine ehrliche und aufrichtige Predigt“ – selten so gelacht angesichts dieser völlig einseitigen Parteinahme und Wiederholung gewerkschaftlicher Propaganda. Richtig ist, daß zum sozialen Frieden beide Seiten gehören und daß in der Regel beide Seiten das Gesamtwohl im Auge haben. Aber hier diese stumpfsinnige Wiederholung des Clichés vom ausgebeuteten Arbeiter und gierigen Arbeitgebers – es ist eben wieder mal kein friedensfördernder sondern ein sich einseitig anbiedernder Kommentar. Die Wahrheit wird hier wie so oft eher in der Mitte liegen.
    Aber wenn es Fakten gäbe – die hier ja wohlweislich weggelassen sind – dann, ja dann …
    Andreas Schwerdtfeger

    1. „Cliché [!] vom ausgebeuteten Arbeiter und gierigen Arbeitgebers“ – wo genau, Herr Schwerdtfeger, steht Ihr Ohrensessel? Auf diesem Planeten?? Ich will hier nicht mit Fakten (von denen ich einige in meinem Berufsleben miterlebt habe) langweilen, aber es gehört schon eine ordentliche Portion an Ignoranz dazu, den genannten Gegensatz als veraltet und abgenutzt zu bezeichnen.

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