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Leipziger Lichtfest auf dem Prüfstand

Angeblich soll er sich zugespitzt haben – der Streit um das „Lichtfest“ am 9. Oktober. So jedenfalls ist der Artikel in der Leipziger Volkszeitung vom 18. Dezember 2018 zu deuten. Doch scheint es sich zunächst um eine Auseinandersetzung zwischen denen zu handeln, die 1989/90 die Friedliche Revolution mit auf den Weg gebracht haben – und nun um ihr jeweiliges Erbe kämpfen. Das ist zwar ärgerlich, aber relativ normal. Insofern sollte man dem nicht eine allzu große Bedeutung beimessen. Es erweist sich jetzt als gut und richtig, dass insbesondere Oberbürgermeister Burkhard Jung sich schon vor Jahren dafür eingesetzt hat, dem Gedenken an die Friedliche Revolution am 9. Oktober eine Gestalt zu geben, die vor allem für diejenigen verstehbar und nachvollziehbar bleibt, die 1989 nicht miterlebt haben. Das werden immer mehr Menschen. Darum die Idee eines Lichtfestes, das an die Erfahrung anknüpft: Wer eine Kerze in der Hand hält und mit der anderen Hand das Licht schützt, kann keine Gewalt ausüben – so immer wieder der unvergessene Nikolaipfarrer Christian Führer (1943-2014). Der Zuspruch, den das Lichtfest Jahr für Jahr gewonnen hat, gibt der Idee Recht – auch wenn zwei Dinge sehr bedauerlich sind:

  • die Abkehr vom ursprünglichen Motto des 9. Oktober „Aufbruch zur Demokratie“;
  • die zunehmend unzulängliche künstlerische Umsetzung des jeweiligen Mottos des 9. Oktobers bei der Licht-Performence auf dem Augustusplatz.

Letzteres hat nichts damit zu tun, das dem jährlichen Lichtfest auch eine inhaltliche, gesellschaftspolitische Prägung gegeben wurde – so in diesem Jahr das seit 100 Jahren bestehende Frauenwahlrecht in Deutschland. Vielmehr ist die Licht-Performance auf dem Augustusplatz nicht zum ersten Mal zu einer im künstlerisch-kulturellen Bereich um sich greifenden Entpolitisierung zu verarbeitender gesellschaftspolitischer Vorgänge geraten. Gott sei Dank war das bei den Reden nicht der Fall: Sowohl die Rede zur Demokratie von Hertha Däubler-Gmelin in der Nikolaikirche wie auch die kurzen Ansprachen auf dem Augustusplatz waren in ihrem klaren Bekenntnis zur Demokratie und zur offenen Gesellschaft dem Anlass angemessen. Das gilt vor allem für die Rede von Gesine Oltmanns. Sie hat als Bürgerrechtlerin den Bogen geschlagen vom Aufbruch „für ein offenes Land mit freien Menschen“ 1989 zur anstehenden Verteidigung der Pluralität, der demokratischen Offenheit und gerechter Lebensverhältnisse gegen die Rechtsnationalisten von Pegida/AfD. Denn deren Anmaßung, die Friedliche Revolution von 1989 mit dem Slogan „Wir sind das Volk“ zu okkupieren, muss unmissverständlich zurückgewiesen werden. Es ist ein Hohn, dass man überhaupt Pegida/AfD und die Friedliche Revolution in einem Zusammenhang sieht.

Was ist jetzt zu tun? Die vorbereitenden Gremien für das Lichtfest dürfen nicht länger von denen beherrscht werden, die krampfhaft ihren Anteil an dem Geschehen von 1989 gesichert sehen wollen, sich an damals geschlagenen Wunden abarbeiten und ihre seit fast 30 Jahren besetzten Stellen als Erbhöfe verstehen. Es wird höchste Zeit, dass der 9. Oktober 2019 als ein wichtiger Beitrag zur Neuaneignung der Demokratie verstanden und gestaltet wird. Schließlich gedenken wir im kommenden Jahr der Weimarer Verfassung (100 Jahre) und 70 Jahre Grundgesetz, zwei Meilensteine der Befreiung zur demokratischen Entwicklung in Deutschland. Schließlich wird es allerhöchste Zeit, dass die politische Botschaft und künstlerische Umsetzung des Lichtfestes nachvollziehbar bleiben – für den 10-jährigen Fünftklässler aus Paunsdorf genauso wie für den 61-jährigen Bürgerrechtler¸ der am 9. Oktober 1989 alles riskiert hat; für die 20-jährige Medizinstudentin aus Bottrop genauso wie für den inzwischen 80-jährigen ehemaligen Geschäftsführer, der seit 1991 in Leipzig lebt; für den 25-jährigen Gießereiarbeiter bei Halberg Guss genauso wie für die 50-jährige Verkäuferin bei Karstadt, die sich ab Januar 2019 wieder einmal umorientieren muss. Was aber auf keinen Fall passieren darf:

  • Das Gedenken an den 9. Oktober 1989 darf nicht von denen bestimmt werden, die – wie die AfD – die Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt zerstören wollen und deswegen die heutigen Verhältnisse mit der SED-Diktatur gleichsetzen.
  • Das Leipziger Lichtfest darf nicht in dem Sinne entpolitisiert werden, dass vom Aufbruch zur Demokratie heute überhaupt nicht mehr die Rede ist, was offensichtlich der Leipziger CDU am liebsten wäre.

Im kommenden Jahr wird alles darauf ankommen, dass die Befreiungsgeschichte der Friedlichen Revolution fortgeschrieben und ihre Bedeutung für die Verteidigung und Entwicklung der freiheitlichen Demokratie, der Pluralität, der europäischen Einigung in den Mittelpunkt gerückt werden.

P.S. Zum Thema siehe auch den Blog-Beitrag vom Februar 2018: http://wolff-christian.de/aufbruch-zur-demokratie-oder-den-9-oktober-feiern-aber-wie/

3 Antworten

  1. Wenn die, die an der Aufarbeitung der DDR-Zeit mitarbeiten, ausgeschlossen oder rausgeekelt werden aus der Organisationsgruppe für das Gedenken an den 09.10.89 und stattdessen dem Multi-Kulti-Wahn versessene links-grüne Ideologen dieses Gedenken neu interpretieren, dann sollte man hellhörig werden.
    Denn es beginnt die Umdeutung der Geschichte durch die Nachfolger der SED.
    Aber was solls. Die Mehrheit hat damit kein Problem, also juckt es mich auch nicht.

    1. Niemand wird raugeekelt, niemand ausgeschlossen. Und da es keinen „Multi-Kulti-Wahn“ gibt, sondern Gott sei Dank Vielfalt/Pluralität im gesellschaftlichen Leben – Ziele, für die sich die Menschen mit der friedlichen Revolution eingesetzt haben, ist auch klar, dass sich diese Vielfalt, also sehr unterschiedliche Erfahrungen mit 89 und unterschiedliche Blicke auf 89, auch in den Gremien niederschlagen.

      1. Nun, „sehr unterschiedliche Erfahrungen mit 89“ hat es, bezogen auf die Friedliche Revolution in Leipzig, durchaus gegeben.

        Die einen beispielsweise waren sehr nah dabei, die anderen teilweise sehr weit entfernt.
        Manchem Westdeutschen war die Toscana bekanntlich bis zuletzt näher als der Ostteil des Landes mit seinen Menschen.

        Selbst auf den Montagsdemonstrationen selbst machten sich „unterschiedliche Erfahrungen“ – spätestens seit Dezember 1989 – bemerkbar: Es gab innerhalb der Demonstrationszüge jeweils einen – meist am Zugende angesiedelten – Block von Leuten, die, mit nicht wenigen DDR-Fahnen versehen, lautstark für den Erhalt der zweiten deutschen Diktatur eintraten.

        Selbst bei den Leipziger Stadtkirchen war im Vorfeld der Friedlichen Revolution ein bemerkenswerter Unterschied zu bemerken: Während die Nikolaikirche für die Friedensgebete buchstäblich „Offen für alle“ war, verweigerte man in der Thomaskirche dies bis zuletzt; bis zu jenem Tage also, auf den sich die heutigen Lichtfeste beziehen …:

        „Während in der Nikolaikirche seit 1982 Friedensgebete stattfanden und sich nach und nach auch die anderen Innenstadtkirchen für die Protestbewegung öffneten, blieb die altehrwürdige Thomaskirche geschlossen bis zum 9. Oktober, dem Tag der Wende. „Am schlimmsten waren die letzten Wochen davor“, erinnert sich Karl-Heinz Bösel, der 14 Jahre lang unter Ebeling Küster an der Thomaskirche war, „da wurden die Leute wie die Hunde um unsere Kirche gejagt, da wurde geknüppelt, doch die Kirchtore blieben zu.“
        http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13497776.html

        Ja, es gab sie durchaus, die „unterschiedlichen Erfahrungen mit 89“.

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