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Leichtfertigkeit am Weltfriedenstag

In einem sehr lesenswerten Gespräch zwischen Siegfried Lenz und Helmut Schmidt (DIE ZEIT Nr.36, Seite 43) sind sich der 88-jährige Schriftsteller und der 95-jährige Alt-Bundeskanzler in einem einig: dass heute viel zu leichtfertig über militärische Interventionen nicht nur gesprochen wird, sondern diese auch vollzogen werden. Auf die Frage, ob die Kriegsgefahr dadurch wachse, dass eine Generation politische Verantwortung trägt, die den Krieg nicht aus eigener Erfahrung kennt, antwortet Schmidt: „Ja. Kann man so sagen.“ Ein ernüchternder Kurz-Beitrag zu dem Tag, den wir am Montag begehen und der den einzig angemessenen Namen trägt: „Weltfriedenstag“. Vor 75 Jahren begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der 2. Weltkrieg mit über 50 Millionen Toten und weiteren Millionen Opfern der rassistischen Vernichtungspolitik der Nazis. Heute kann man dieses Ereignis nur erinnern, indem jede Form von Krieg geächtet wird. Schon 1948 versuchte die Weltkirchenkonferenz in Amsterdam dem Rechnung zu tragen. Damals bekannten sich die Christen zu der Aussage „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein“. Damit sollte jeder erneute Versuch, kriegerische Handlungen religiös zu rechtfertigen, im Keim erstickt werden.

Nun sind weder Helmut Schmidt noch Siegfried Lenz Pazifisten. Aber in einem kommt Helmut Schmidt dem Ansinnen eines aktiven Pazifismus nahe: Sein politisches Ziel war und ist, möglichst jede kriegerische Auseinandersetzung zu vermeiden. Nur anders als ein Pazifist ist er der Überzeugung, dies durch ein militärisches Drohpotential erreichen zu können. Deswegen setzte er sich Anfang der 80er Jahre so vehement für den sog. Doppelbeschluss der NATO ein, der im Kern ein atomares Aufrüstungsprogramm beinhaltete, das aber einem Ziel dienen sollte: eine bewaffnete Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt zu vermeiden. Heute gehört Helmut Schmidt zu den prominentesten und schärfsten Kritikern von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten und der die militärische Interventionspolitik rechtfertigende Strategie der „Responsibility to protect“. Beides fällt für ihn unter das Verdikt der „Leichtfertigkeit“, weil beides nicht der Kriegsvermeidung, sondern der Ermöglichung kriegerischer Handlungen dient.

Leichtfertig ist auch das, was derzeit auf der politischen Ebene diskutiert wird: Waffenlieferungen an den Irak und an die Kurden, um die brutale Verfolgung von Muslimen, Christen, Jesiden durch die IS-Truppen zu stoppen. Nun ist an dem Wüten der IS-Gruppen nichts zu beschönigen. Aber zwei Fakten gilt es nicht zu vergessen:

  • Wenn der Bundestag am Montag darüber debattiert, ob Waffen an den Irak geliefert werden sollen, dann ist das kein „Tabubruch“, denn schon immer wurden von Deutschland Rüstungsgüter in Krisenregionen geliefert. Allerhöchstens kann man von einem „Paradigmenwechsel“ in der Politik Deutschlands sprechen: weg von Kriegsvermeidung hin zur Kriegsermöglichung.
  • Das, was derzeit im Norden des Irak geschieht, ist kein neues Ausmaß grausamer Verfolgungstaten. Diese Massaker hat es – Gott sei es geklagt – in den vergangenen Jahren in Syrien zuhauf gegeben, ohne dass ein militärisches Eingreifen um der Menschenrechte willen debattiert wurde.

Insofern mutet es schon makaber an, dass gerade am 01. September, am Weltfriedenstag, im Deutschen Bundestag darüber gestritten werden soll, ob Waffen an die Kurden geliefert werden sollen – wobei die Bundesregierung schon einen Tag zuvor die absehbare Entscheidung getroffen haben wird. Es wird also zu verstärkten Waffenlieferungen kommen, ohne dass irgendjemand garantieren kann, dass diese dem vorgegebenen Ziel dienen oder nicht in allernächster Zeit denen in die Hände fallen, deren kriegerisches Handwerk man eigentlich zerstören will. Auf der Strecke bleibt das, was eigentlich einmal Konsens im Nachkriegs-Deutschland war: Reden ist besser als Schießen – was auf die Region des Nahen Ostens und der Ukraine bezogen heißt: Wir müssen den mühsamen Verständigungsprozess zwischen unterschiedlichen politischen Traditionen, Religionen und Kulturen endlich in Gang setzen. Das wird Gewalt, Terror, kriegerische Handlungen nicht sofort beenden. Aber die Illusion weiter zu verbreiten, als würden Waffenlieferungen und Waffengänge Regionen befrieden, die sich im Aufruhr befinden, ist nicht nur leichtfertig – es ist politisch naiv und gefährlich. Denn dadurch werden Gewaltpotentiale nicht verringert, sondern Konflikte angeheizt. Und – darauf haben muslimische Intellektuelle hingewiesen: Solange den USA und der EU nichts anderes als militärische Interventionspolitik einfällt, werden die islamisch geprägten Gesellschaften davon abgehalten, sich der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen und religiösen Erneuerung zu stellen, um die „korrupte und amateurhafte Staatlichkeit“ (so der libanesische Publizist Rami Khouri) auf der einen, und der brutalen Tyrannei eines islamischen Kalifats auf der anderen Seite aus sich selbst heraus zu überwinden. Wann endlich wird im Bundestag darüber debattiert und wann endlich hören die Albernheiten einer Verteidigungsministerin auf, sich im schwarzen Jeansanzug mit gestylter Frisur und feurigen Stahlaugen unter einem sich verfinsternden, ein Unwetter ankündigenden Himmel und vor einem – wenn er denn auf Befehl der Ministerin aufsteigen
darf – das drohende Unheil abwendenden Jäger 90 abbilden zu lassen? Ein peinliches Signal politischer Leichtfertigkeit in Tagen, an denen Menschen sich nach nichts anderem sehnen als nach einer verlässlichen Friedenspolitik.

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8 Antworten

    1. Nein, der ist nicht besser. Denn gut ist nichts an einem solchen Auftritt, mit dem – wie mit vielen anderen Inszenierungen – vorgegaukelt werden soll: Jetzt wird’s ernst, jetzt kommt Krieg, und wir machen mit. Diese Jünger’sche „Stahlgewitter“-Pose ist unerträglich.

  1. Im Übrigen war ich gerade auf der Demonstration am Augustusplatz zum Weltfriedenstag. Dort beteiligen sich auch sehr zweifelhafte Netzwerke (z.Bsp. das Attac-Netzwerk, welches sich gewisse blinde Flecken was Antisemtismus in den eigenen Reihen angeht nicht ausräumen kann), neben sicher auch einigen redlichen Teilnehmern. Aber die allgemeine Tendenz war sehr merkwürdig. „Sofortiger Waffenexportstopp“ – Darüber lässt sich reden. „Nato raus aus der Ukraine“ – Auch darüber lässt sich streiten. Aber die Forderung vom „Stopp einer mediale Hetze gegen Russland“ ist doch eine ordentliche Verdrehung der eigentlichen Verhältnisse. Überhaupt empfand ich dort eine eigenartige, für mich nicht nachvollziehbare Verharmlosung des russischen Vorgehens.

  2. Wenn man die Waffenlieferung, mit insbesondere aus christlicher Sicht sicherlich sehr berechtigten Gründen ablehnt, dann bleibt aber die Frage bestehen, wie wir damit umgehen wollen, dass Waffen (auch aus deutscher Herstellung) nun bereits überall auf dem Globus vorhanden sind. Ein plötzliches Stopp von Waffenexporten, ausgerechnet bei einer nichtkommerziellen, humanitären Absicht, erscheint mir doch sehr willkürlich und von außen sehr zwielichtig anmutend. Die Motivation muss entscheidend sein.
    Der hohe materielle Lebensstandard in Dtl., den wir in Anspruch nehmen, wurde auch mit diesen Exporten finanziert, das ist keine Rechtfertigung für diesen Lebensstandard, sondern das unterwirft uns nun der Verantwortung zu handeln. Wir sind darüber letztlich schuldig geworden. Die Waffenlieferungen die, nun zum Selbstschutz der Kurden, geliefert werden, erzielen keine wirschaftlichen Erlöse. Das Interessse ist doch hier jenes, eine Entwaffnung der IS zu ermöglichen. (Panzerabwehrraketen etc…) Sicherlich lässt sich nicht voraussehen was mit diesen Waffen am Ende noch passieren wird, aber was ohne diese Waffen passieren wird ebensowenig. Ohnehin lässt sich nur hier jetzt und hier entscheiden was richtig ist um dann danach aktiv zu werden. Da möchte ich mich Bischof Huber anschließen, wenn er in der Zeit meint, dass „Pazifissmus nicht Passivität“ bedeuten darf. Ich möchte nicht auch noch Bonhoeffer für mich in Anspruch nehmen. Aber die sehr relevante Frage, wie mit Tyrannen umzugehen ist, die nur mit Gewalt gestoppt werden können, ist im Blog auch noch nicht berührt. Ihre Meinung dazu würde mich als als Theologistudent doch sehr interessieren. Zustimmung dafür, dass so oder so, der „Verständigungsprozess zwischen unterschiedlichen politischen Traditionen, Religionen und Kulturen endlich in Gang“ gebracht werden muss.

  3. Ja, vielem kann man zustimmen:
    – Ministerin von der Leyen ist in der Tat eine Fehlbesetzung.
    – in Syrien hätte man viel früher eingreifen müssen (auch militärisch übrigens), um das unendliche Leid zu verhindern, das dort erst durch Assad, jetzt durch IS eingetreten ist.
    Aber falsch bleiben einige Aussagen:
    – „weg von Kriegsvermeidung zu Kriegsermöglichung“ – die deutsche Politik hat, so weit ich es erkennen kann, noch keinen Krieg (anderswo in der Welt) vermeiden können, noch ermöglicht sie durch die jetzt geplanten Waffenlieferungen einen Krieg: Merke – der Krieg ist längst da (aber noch keine deutschen Waffen)!
    – „die Menschen sehnen sich nach Friedenspolitik“ – welche Menschen? IS doch offensichtlich nicht!
    – Und schliesslich eine Korrektur, die unwichtig scheint,es aber nicht ist, weil sie die Frage des Primats der Politik berührt: Lieber Herr Wolff: Am 1. Sept 1939 überfiel nicht die Wehrmacht Polen. Es war das Deutsche Reich, das Polen überfiel!
    Es bleibt eben dabei: Es ist der Mensch, der handelt, nicht die Waffe. Er kann zum Guten oder zum Schlechten handeln und dies auch mit der Waffe. Und: Solange der Westen seine augenblickliche unsägliche moralische Fundamentalpolitik gegenüber anderen Entwürfen (auch wenn sie uns nicht gefallen) nicht zugunsten von mehr Realismus aufgibt, sind wir selbst eine Gefahr für den Weltfrieden und werden keine wirkliche Chance für eine Politik des Gesprächs, des Verhandelns, des Kompromisses bekommen.
    Andreas Schwerdtfeger

  4. Jeder Tag muss Friedenstag sein, und jeder muss daran mitarbeiten! Leider sind blogs dafür völlig untauglich, wie ja das Gespräch zwischen Schmidt und Lenz bestätigt. Weniger schreiben, mehr handeln, jeden Tag, dort wo wir sind mit denen, mit denen wir zusammen sind. (in Anlehnung an Lew Tolstoi)

  5. „Diese Massaker hat es in den vergangenen Jahren in Syrien zuhauf gegeben, ohne dass ein militärisches Eingreifen um der Menschenrechte willen debattiert wurde.“ – Das ist so nicht ganz richtig, siehe etwa das Plaidoyer von Andreas Zumach im März 2012 für eine Blauhelm-Intervention der UNO (http://www.woz.ch/1213/syrien/soll-die-staatengemeinschaft-humanitaer-intervenieren). Und Hillary Clinton hat sich offenbar als Außenministerin 2012 für ein viel stärkeres Eingreifen der USA ausgesprochen. Schon über die US-Militäranlagen in Deutschland (u.a. Flughafen Leipzig) wäre Deutschland auch daran stark beteiligt gewesen. Aber die Argumente der Interventions-Gegner von damals gelten heute immer noch: Solange die Militanten signifikante politische Unterstützung von außerhalb haben, wird eine Befeuerung des Krieges nur zu mehr Leid führen. Gewaltanwendung (oder Beihilfe dazu) ist nur sinnvoll, wenn wirklich die ganze Staatengemeinschaft dahintersteht – selbst der UNO-Sicherheitsrat reicht nicht aus (siehe Libyen, wo die Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union von NATO und Sicherheitsrat sabotiert wurden, laut Thabo Mbeki). Aber wenn wir uns gleichzeitig einen absurden Konflikt mit Russland um die Ukraine leisten, werden wir sicher nicht zum Frieden im Nahen Osten beitragen können. Vordringlich an diesem 1. September sollte also ein Frieden mit Russland sein. Aber wenn Kanzlerin Merkel sogar Waffenlieferungen an die Ukraine durch NATO-Länder wie Litauen für möglich hält (http://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-krise-nato-mitglieder-draengen-berlin-zu-haerterem-kurs-1.2110093), ist das alles in weiter Ferne. Mit so einer „westlichen Wertegemeinschaft“ werden wir den leidenden Menschen im Nahen Osten nicht durchschlagend helfen können, und Gewaltanwendung wird alles nur noch schlimmer machen.

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