Seit zwei Jahren dauert er an – der Krieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine. Nichts deutet darauf hin, dass es in absehbarer Zeit zu einem Ende des Mordens und Zerstörens kommt. Diese Situation ist eine politische und humanitäre Katastrophe monströsen Ausmaßes. Nur unter dieser Perspektive ist es mir möglich, mich auf politische Diskussionen einzulassen – auch um zu vermeiden, mich auf die Ebene der sog. Kriegslogik ziehen zu lassen. Weil sich aber derzeit Parteien und Gruppierungen wie AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als „Friedensparteien“ aufführen, die zum einen den Schulterschluss mit Putin suchen, zum andern aber wegen ihres Nationalismus den Keim des nächsten Krieges in sich tragen, sind in der politischen Debatte einige grundsätzliche Feststellungen nötig.
- Russland wird mit Wladimir Putin von einem nationalistischen Diktator regiert. Er hat in seiner Regierungszeit in Russland systematisch eine faschistische Diktatur aufgebaut. Die Ermordung von Alexei Navalny ist ein deutliches Signal für den verbrecherischen Charakter des Putin-Regimes.
- Russland führt seit 2014 einen Krieg gegen die Ukraine, um deren nationale Integrität zu zerstören. Der Krieg hat mit seiner Ausweitung vor zwei Jahren eine neue Dimension erreicht. Es geht Putin um die gewaltsame Einverleibung der ganzen Ukraine.
- Die Ukraine hat das Völkerrecht auf seiner Seite, wenn sie sich mit allen, auch militärischen Mitteln gegen die kriegerischen Okkupationsabsichten des Putin-Regimes wehrt.
- Es ist richtig, dass die Europäische Union und die Vereinigten Staates die Ukraine umfassend, also auch militärisch in ihrem Selbstverteidigungskampf unterstützt. Denn es ist davon auszugehen, dass das Putin-Regime weitere militärische Überfälle auf souveräne Staaten Europas plant.
Dennoch halte ich die derzeitige Verbindung zwischen anhaltender und umfassender Unterstützung der Ukraine und einer Forcierung der Rüstungsproduktion und Waffenlieferungen für höchst gefährlich. Denn damit wird die Unterstützung der Ukraine in öffentlichen Diskussionen auf Waffen- und Munitionslieferungen reduziert. Dabei fällt auf, dass die Waffensysteme, deren Lieferung umstritten ist, schnell zu kriegsentscheidenden erklärt werden – was sich später mit ziemlicher Sicherheit zumindest als übertrieben erweist. Denn angesichts des riesigen Waffenarsenals, über das Russland verfügt, ist es fraglich, ob es jemals zu einer militärischen Überlegenheit der Ukraine kommen kann.
Das wird auch an der gegenwärtigen, durchaus abenteuerlichen Debatte um die Lieferung der sog. Marschflugkörper „Taurus“ deutlich. Seit Wochen wird der Eindruck erweckt, als hänge die Existenz der Ukraine von diesem Waffentypus ab. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich jetzt gegen Lieferung der Taurus Marschflugkörper aus deutschen Beständen an die Ukraine ausgesprochen und auch die Andeutung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, man solle Bodentruppen in die Ukraine senden, zurückgewiesen. Dennoch wird in der Ampelkoalition über das Ob oder Ob-nicht weiter heftig gestritten. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ist „fassungslos“ und Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) nennt die Entscheidung von Scholz „unverantwortlich“ und sieht in ihr „eine Einladung an Putin“ – wozu Putin angeblich eingeladen wird, bleibt allerdings offen. Nun kann man durchaus unterschiedlicher Meinung in der Einschätzung der Notwendigkeit von bestimmten Waffenlieferungen sein – die Frage ist aber: Woran soll eigentlich der Bürger, die Bürgerin erkennen, was Ziel der Ukraine-Politik der Bundesregierung, auch Ziel der Europäischen Union ist? Nur an der Art der Waffenlieferungen? Ist es nicht jetzt an der Zeit, dass das Ziel der Ukraine-Politik jenseits rein militärischer Überlegungen klar umrissen wird? Das kann mE nur lauten: Die Integrität und die Souveränität der Ukraine muss wiederhergestellt werden bzw. erhalten bleiben. Ziel der Ukraine-Politik kann und darf aber nicht sein, eine Entmachtung Putins oder einen Regime-Wechsel in Russland auf dem Kriegsweg zu erzielen – so wünschenswert beides ist!
Darum ist es dringend erforderlich, dass wir in der öffentlichen Debatte die Kriegsspirale verlassen. Wir müssen viel stärker in den Blick nehmen, was jetzt erforderlich ist: natürlich und vor allem Bedingungen zu schaffen, damit die Ukraine als eigenständiger Staat in einem demokratischen und friedlichen Europa existieren kann. Darüber hinaus müssen wir politisch dafür Sorge tragen, dass die Selbstverständlichkeit, mit der militärische Interventionspolitik weltweit betrieben wird, radikal infrage gestellt und systematisch zurückgedrängt wird. Dazu sind notwendig:
- der offensiv geführte politische Kampf gegen den nationalistischen Autokratismus mit imperialem Anspruch auf nationaler und internationaler Ebene;
- die absolute Priorität für eine europäische Friedenspolitik;
- die Reduzierung der Rüstungsproduktion und der Rüstungsexporte auf das absolut notwendige Maß.
Ich bin nicht so vermessen zu behaupten, dass sei der allein richtige Weg. Nur halte ich es für dringend erforderlich, dass wir uns auch verbal nicht weiter und länger in die Kriegsspirale ziehen lassen. Wir benötigen eine Sprache des Friedens in der streitigen Auseinandersetzung, die sich orientiert an friedenethischen Grundwerten. Es ist geradezu absurd, dass wir auf der politischen Ebene schon seit Monaten im Blick auf die Ukraine über nichts anderes reden als über Waffensysteme, deren Herstellung und Lieferung. Wo bleiben die Friedensperspektiven jenseits von Putin-Bücklingen? Wo bleibt – im wahrsten Sinn des Wortes – die Ladehemmung, wenn es darum geht, einen Aggressor zu stoppen? Wie gehen wir mit dem horrenden Widerspruch um: einerseits die Menschenrechte verteidigen und die Menschenwürde wahren zu wollen, andererseits sich an dem Morden und Zerstören aller materiellen und menschlichen Werte im Krieg zu beteiligen? Dazu möchte man einmal eine Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder einen Anton Hofreiter vor den Fernsehkameras reden hören – auch wenn es nur ein Stottern sein wird.
46 Antworten
Der Papst hat jetzt die Ukraine aufgefordert zu kapitulieren.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/papst-ukraine-krieg-100.html
Schon Hitler musste im Jahr 1942 die Überlegenheit der Sowjetunion in einem mitgeschnittenen Gespräch anerkennen.
https://www.youtube.com/watch?v=oET1WaG5sFk
Nicht umsonst haben Leute wie George Kennan, William Perry, der Verteidigungsminister von Präsident Clinton, und sein Vorsitzender der Stabschefs, General John Schalikaschwili, Paul Nitze, Robert Gates, Robert McNamara, Richard Pipes und Jack Matlock davor gewarnt, Russland mit der NATO-Erweiterung zu provozieren (https://mearsheimer.substack.com/p/the-darkness-ahead-where-the-ukraine).
Ihre despektierlichen Äußerungen, lieber Herr Wolff, über Frau Dr. Strack-Zimmermann und Hernr Dr. Hofreiter haben mich derart befremdet, dass ich meinerseits nun auch polemisch werden muss: Sie sollten dann doch froh darüber sein, dass die Republikaner im US-Kongress Waffenhilfe für die Ukraine im Umfang von 60 Mrd. $ blockieren. Und ich setze noch eins drauf: Sie müssten eigentlich darauf hoffen, dass Mr. Trump der nächste US-Präsident wird, denn der wird die militärische Unterstützung der Ukraine durch die Vereinigten Staaten stoppen. Dann wird der Ukraine nichts anderes übrig bleiben, als zu kapitulieren. Das Morden wird aufhören, und Sie können mit dem Fraktionschef der SPD, Dr. Mützenich, beruhigt konstatieren, dass man sich nun endlich wieder anderen Dingen zuwenden könne, wie dieser vor geraumer Zeit in einem FAZ-Interview äußerte.
Da ist aber einer empfindlich … und reagiert mit einer ziemlich verunglückten Polemik.
Herr Plätzsch: Ich bemängele nicht Käfers Ausdrucksweise; ich bemängele bestenfalls seine komplexbeladene Empfindlichkeit und Humorlosigkeit und dass er sich nicht an seine eigenen Postulate hält: 13. Jan 23 12:46h: „Ich kenne nämlich … Niemanden, der so treffsicher Wertungen abgeben, bzw. ohne einem Menschen jemals persönlich begegnet zu sein, diesen so nachdrücklich be- oder verurteilen kann!“ – und der dann aus Unsicherheit ablehnt, diesen Zustand durch ein Treffen eben zu ändern. Und auch wenn man nicht Diplomat oder Politiker ist, spricht doch nichts dagegen, dass man sich sachkundig macht, bevor man sich äußert.
Und nun also finden Sie Wolffs Äußerungen zu Strack-Z und Hofreiter „despektierlich“ – wie lustig. Hofreiter war noch vor kurzer Zeit gegen Streitkräfte, Waffen und Exporte und ist jetzt der engagierteste Waffenlobbyist (und angeblicher „Experte“. Wenn das das Niveau unserer Experten ist, dann wundert es nicht, dass die Politik nicht vorankommt). Strack-Z erkennt, dass sie im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein wird und sucht schon mal ein neues Plätzchen. Beide sind im Parlament und sollten also POLITISCHE Lösungen für die Krisen dieser Welt suchen. Und was machen sie stattdessen? Sie vernachlässigen ihre Pflicht und schreien nach kriegsverlängernden und ressourcenverbrennenden Maßnahmen, die nichts zur Lösung des Konflikts beitragen. „Was Strack-Zimmermann oder Hofreiter augenblicks machen, ist politische Arbeitsverweigerung und Rückzug in den Raum des Instrumentes anstatt Handlung und Verantwortungsübernahme im Raum der politischen Richtungsweisung, schrieb ich neulich – und das ist noch nicht widerlegt (und auch nicht despektierlich).
Andreas Schwerdtfeger
Herr Schwerdtfeger, ich bin tatsächlich empfindlich gegenüber allgemeinem Geschwurbel, weil ich das zu DDR-Zeiten zur Genüge ertragen musste. Deshalb bin ich auch „religiös unmusikalisch“ (Habermas). Ich mag Fakten. Und die bringen Frau Dr. Strack-Zimmermann und Herr Dr. Hofreiter vor. Wenn man wie Sie der Auffassung ist, das beide “ nach kriegsverlängernden und ressourcenverbrennenden Maßnahmen schreien , die nichts zur Lösung des Konflikts beitragen“, dann sollte man auch die Alternative benennen: Die Ukraine muss jetzt weitgehend zu russischen Bedingungen kapitulieren, also Gebiete abtreten – diplomatischn natürlich anders formuliert, quasi eine Teilung des Landes in eine Ost-, und eine Westukraine – so wie Deutschland geteilt war. Ich finde das einen vertretbaren Standpunkt. Schließlich hätte dann das Töten ein Ende. Mit den Weiterungen auf Europa (Putin hat Appetit bekommen.) müsste man klarkommen. Als Vermittler fände ich Indien ideal, das bevölkerungsreichste Land mit einer pazifistischen Tradition (Gandhi).
Ja wenn Sie natürlich meine Beiträge nicht lesen, Herr Plätzsch!
Strack-Z und Hofreiter bringen eben keine Fakten. Was sie tun ist, ohne ein politisches Ziel zu formulieren für Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet zu plädieren und dies auch noch fein säuberlich sortiert nach einzenen Waffensystemen. Das ist wohl kaum erste Priorität bei politisch Verantwortlichen. Das Problem dabei ist, dass die „Ziel“-Beschreibung „die Ukraine muss / Rußland darf nicht gewinnen“ erstens ziemlich unpolitisch (weil viel zu kurz gefasst) ist und zweitens so schwammig, dass sie nichts taugt. Denn dass Russland „verliert“ ist unwahrscheinlich, und dass Ulraine „gewinnt“, bedarf einer konkretisierenden territorialen und inhaltlichen Beschreibung.
Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich (wenn auch vielleicht nicht ganz ausgeschlossen), dass Ukraine irgendwann in ferner Zukunft ihr Territorium mit Waffengewalt wiederherstellen kann. Verhandlungen (eventuell zunächst über Dritte) mit Russland sind daher unausweichlich, jedenfalls wenn man das jetzige Elend, das deutlich mehr zu Lasten der Ukraine geht, beenden will. Die Alternative wäre eine völlig andere, wesentlich umfangreichere ilitärische Unterstützung des Westens in Richtung Ulraine im Sinne einer „Unconditional-surrender“-Politik, die im Atomzeitalter gegen eine Atommacht keine wirklich realistische Option ist. Also muss man Russland wohl etwas als Verhandlungsmasse anbieten. Mir fielen dazu immerhin Möglchkeiten ein:
– Aufgabe des Zieles, Ukraine (und Georgien) in die Nato/EU aufzunehmen und andere (handelspolitische) Alternativen dazu;
– eine Lösung der Donetsk-Luhansk-Frage ähnlich des Saarstatuts 1955;
– Angebote an Russland zur gesicherten Nutzung der Marinebasis Sevastopol,
um nur einige zu nennen. Und diese sind POLITSCHER Natur im Gegensatz zu dem Waffengeschwafel von Strack-Z und Hofreiter (allerdings ja nicht nur von denen, sondern insgesamt auf westlicher Seite) , das kriegsverlängernd und kriegsnährend wirkt.
Indien jedenfalls ist keine Vermittlungsmacht wie auch die anderen BRICS-Staaten nicht – es hängt viel zu sehr am russischen Tropf.
Andreas Schwerdtfeger
Ich bin gerade auf eine Diskussion aus 2014 gestossen, der sehenswert ist. Heute sind wir nicht weiter, sondern zurückgefallen. Die westliche Strategie nur die militärische Karte zu spielen ( über Zeitgewinn via Minsk) hat sich nicht bewährt. Verhandlungen miit Russland über eine bessere Einbindung in Europa wäre nötig gewesen.
https://youtu.be/E-_j_Bu-eUY?si=sLIqPQElpVRp26Ch
Wenn Alpha-Männchen die ihnen vermeintlich zustehende Bewunderung anderer Leute nicht ausreicht, versichern sie sich gegenseitig: „Selten habe ich einen so schönen und zutreffenden Kommentar gelesen…“, bzw. „der Einschätzung … stimme ich aus eigenem Erleben zu …“.
Da spielt dann auch keine Rolle, wenn etwas durcheinander gerät, oder falsch dargestellt wird:
– Der Selenski‘sche Friedensplan sieht entsprechend bestenfalls konkrete Kapitulationsbedingungen für Russland vor;
– Russisches Kriegsziel ist hauptsächlich die Verhinderung von militärischer NATO-Infrastruktur in Grenznähe zu Russland und
– es ist selbstverständlich keineswegs ausgemacht, dass Russland die vollständige Okkupation und staatliche Auslöschung der Ukraine anstrebt (man erinnert sich: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“);
– Mit Putin kann man reden / nicht reden – das „kann man schon an der Empfindlichkeit eines Käfer“ für tatsächliche oder empfundene Sprache sehen, oder das liegt an „der ständigen Provokation Wolff’s mit Worten“;
– Putin / die Gegenseite lügt, solche Vorwürfe sind kontraproduktiv – ist eigentlich „Wahrheit“ immer nur subjektiv?
Wie die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung nach mehr als zwei Jahren Krieg ist, kann ich selbst nicht beurteilen, vertraue da aber eher den Aussagen eines Wladimir Klitschko z.B. bei Sandra Maischberger (27.2.), als den Mutmaßungen von Herrn Schwerdtfeger.
PS an H. Schwerdtfeger:
„Käfer traut sich nicht einmal, mich treffen zu wollen“.
Wenn ich etwas will, dann traue ich mich auch, das zu wollen!
Aber im konkreten Fall bleibe ich dabei, dass mir ein Treffen mit Ihnen wenig sinnvoll scheint (nach einem Schlaganfall vor 3 Jahren schrieb ich, u.a. an Sie gerichtet, dass ich meine zeitlichen Prioritäten neu bewerten wolle).
„Mein Mitleid mit Käfer wächst stetig“.
Das freut mich und ist auch gerechtfertigt, wurde ich doch erst vor Kurzem noch mit „lieber Herr Schwerdtfeger“ angeschrieben!
Hallo Herr Käfer,
wenn es Ihnen wirklich um eine ergebnisorientierte Diskussion ginge und nicht nur um Meinungsäußerung, würde ich Sie fragen, wo Sie in dem Selenski’schen „Friedensplan“ Ansätze für konstruktive Gespräche mit Russlandsehen; warum das Istanbuler Kommuniqué nicht doch als Indiz für die herausragende Bedeutung einer militärischen Neutralität der Ukraine für Russland gesehen werden kann; wieso Sie nicht die Überlegungen von John J. Mearsheimer (Prof. Univ. of Chicago, USA) und Oberst a. D. Wolfgang Richter (ehem. Leiter des militärischen Anteils der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE in Wien), die Russen würden die hohen Kosten einer Besetzung auch der Westukraine vermeiden wollen und eher durch massive wirtschaftliche Schädigung der Ukraine deren Beitritt zur NATO irrelevant werden lassen wollen, für bedenkenswert halten; und last but not least, wieso Klitschko für d i e Ukrainer spricht, obwohl sich doch nachgewiesenermaßen (Ivan Katchanovski (Prof. Univ. Ottawa, Kanada), Nicolai N. Petro (Prof. Univ. Rhode Island, USA)) signifikante Teile der ukrainischen Bevölkerung gegen den gewaltsamen, verfassungswidrigen Maidan-Umsturz gewehrt haben, was mit zur Sezession/Annexion der Krim und dem von Russland unterstützten, gegen Kiew gerichteten Aufstand im Donbass geführt hat, es also deutlich mehr als eine Vermutung ist, nach wie vor von einer Ablehnung der derzeitigen Kiewer Regierung durch die dortigen Bevölkerungsteile auszugehen. Allerdings sollten Sie versuchen, Ihre ab und zu durchscheinenden Wissensdefizite zu beheben.
Beste Grüße,
Johannes Lerchner
„gewaltsamen, verfassungswidrigen Maidan-Umsturz“
Das haben Revolutionen so an sich. 1989 haben sich die DDR-Deutschen auch nicht an Lenin gehalten: „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich erst eine Bahnsteigkarte!“ Der damalige korrupte ukrainische Präsident Janukowitsch ließ sich von Putin mit Geld bestechen und erfüllte sein Versprechen nicht, sich dem Westen anzunähern.
Verehrter Herr Lerchner,
Sie haben Recht, Wissensdefizite sind bei mir leider so umfangreich vorhanden, dass ich diese definitiv bis zu meinem Lebensende nicht werde beheben können! Mir ist eigentlich auch nur EIN Mensch bekannt (wenn auch nicht persönlich, weil ich komplexbeladen, unsicher und hirnlos, mich nicht traue, ihn zu treffen), auf den das NICHT zutrifft.
Richtig ist auch, dass mein obiger Beitrag (4.3., 11:20 Uhr) nicht sachliche Diskussion, sondern persönliche Meinungsäußerung war. Insofern bedarf es all Ihrer Fragen an mich tatsächlich nicht.
Mir ist klar, dass Sie weitaus belesener, vermutlich auch deutlich mehr in der Welt herumgekommen sind als ich. Das gibt Ihren Argumenten grundsätzlich auch ein höheres Gewicht, allgemeingültig und immer zu 100% richtig macht es sie aber nicht.
In der veröffentlichten Meinung, speziell in den sog. „Sozialen Medien“ finden sich Belege für nahezu alle gängigen Behauptungen; ich halte es daher idR für müßig, Links und/oder Literaturempfehlungen zu folgen, statt den direkten Austausch von Überlegungen zu pflegen.
Ein Urteil zu Selenskyj, Putin, die Majdan-Revolution, oder das derzeitige Volksempfinden der Ukrainerinnen und Ukrainer, steht mir nicht zu; eine eigene Meinung dazu habe ich dennoch. Und wenn Sie meinen Beitrag noch einmal unvoreingenommen lesen, werden Sie auch feststellen, dass ich nicht behauptet habe, Klitschko spreche für d i e Ukrainer…
Untertänigste Grüße nach Sao Paulo
Hallo Herr Käfer,
meine etwas despektierliche Äußerung trifft also doch den Kern des Problems, welches ich häufig mit ihren Beiträgen habe. Wenn Sie denken, es gäbe zu jeder These sowieso meistens zahlreiche widersprüchliche Belege, der Wahrheitsgehalt strittiger Thesen sich also kaum ergründen lässt, ist das fatal, öffnet es doch der Theorie alternativer Fakten Tür und Tor. Das erstaunlich klare Bekenntnis zu Nichtwissen(wollen) kontrastiert dann aber Ihren Anspruch, zu allem eine starke Meinung zu haben (Ein Urteil zu Selenskyj steht mir nicht zu; eine eigene Meinung dazu habe ich dennoch). Was ist dann eigentlich die Quelle Ihrer Meinungen? Ist es Glauben? Mag sein, dass Sie auf diesem Gebiet die größere Expertise haben.
Einem mündigen Bürger, der sich so wenig wie möglich von Propaganda beeinflussen lassen und auch nicht abhängig von Vertrauenspersonen sein will, bleibt nichts anderes übrig, als sich mit Fakten auseinanderzusetzen, also verfügbare Belege kritisch nach den üblichen Regeln einer mehr oder weniger wissenschaftlichen Herangehensweisen zu rezipieren. Dann lässt sich auch für den Laien erkennen, ob z. B. die Schriften eines Ivan Katchanovski oder Nicolai N. Petro belastbarer sind als die einer Frau Veronika Wendland (Osteuropahistorikerin , „Befreiungskrieg“, 2023) oder die des von bestimmten Kreisen hofierten Timothy Snyder. So etwas zu klären, wäre zwar Aufgabe von Journalisten. Mit ihrem penetranten Haltungsjournalismus begehen diese derzeit leider Arbeitsverweigerung. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ich gebe ihnen aber Recht, dass es wenig effektiv ist, sich mit irgendwelchen
Links zu bepflastern, ohne zumindest den Kerngedanken der adressierten Stelle zu versuchen wiederzugeben (mindestens wie mein Verweis auf Mearsheimer und Richter).
Ich wünsche mir also Beiträge von Ihnen, in denen Sie Ihre Kritiken klar artikulieren, diese mit sachlichen Argumenten begründen und sie nicht nur in vorwurfsvollem Ton mal so eben von sich geben.
Beste Grüße
Lieber Herr Wolff,
ich finde es richtig, wenn Sie nun nach über 2 Jahren Krieg in der Ukraine dazu auffordern, in der öffentlichen Debatte die Kriegsspirale zu verlassen. Diese Aufforderung ist überfällig und wäre von Anfang an angezeigt gewesen, statt nur auf die militärische Karte zu setzen.
Ich erinnere aber daran, dass es die Amerikaner und die NATO waren, die auf den Brief Putins aus Anfang 2022 vor der Invasion negativ antworteten und keine Verhandlungen wollten, weil wir ja im Recht waren. (Was auch formal stimmte). Es war richtig, aber unvernünftig und überheblich. Zudem war es unchristlich. Die christliche Botschaft verpflichtet, den Feind ernst zu nehmen, als gleichwertig zu sich selbst, ihn zu akzeptieren, einen Ausweg zu suchen, insbesondere wenn im erheblichen Umfang Menschenleben bedroht sind. Daher: An einem Paragrafen zu kleben, ohne die dahinter stehende Geschichte zu bedenken seit 1990 war zu wenig. Vorsicht war geboten.
(Verzeihen Sie, lieber Herr Wolff: Gott schaut tiefer. Er kennt die ganze Geschichte, würde man im theologischen Zusammenhang sagen).
Jetzt auf Verhandlungen zu setzen, wo die militärische Schwäche des Westens, insbesondere Europa sichtbar wird, ist vielleicht ein bisschen spät, dennoch notwendig und überfällig.
Das setzt aber voraus, dass wir wissen, was unser Ziel ist, nicht nur hinsichtlich der Ukraine und zur Rettung unserer eigenen Haut, sondern auch, was möglicherweise (was herauszufinden ist) im Interesse Russlands liegt. Ich erinnere daran, dass nach den Gesprächen 1990 ein gemeinsames Haus Europas gebaut werden sollte. Ich denke, Putin wird daran interessiert geblieben sein und nicht zum Lieferanten Chinas zu verkommen. Wir müssen eine Vision entwickeln, wie unsere Position zum Nachbarn sein soll und was auch wir tun können.
Im Moment ist der Westen, hier Europa, zu echten Verhandlungen nicht in der Lage, zumal die USA mir bis zur Wahl in diesem Punkte handlungsunfähig zu sein scheint (Biden wird nun nicht die Strategie ändern können).
Die Zeit sollte aber genutzt werden, ein vorurteilsfrei aber nicht blind ein strategisches Konzept zu erarbeiten, unsere langfristigen Interessen zu definieren, die Kosten und Nutzen der Realisierung zu bedenken und auch zu bedenken, auf was wir aufzugeben bereit wären, um das Ziel zu erreichen. (Ich erinnere an einen entsprechenden Vorstoß von Macron Anfang 2023?, der hier verrissen wurde).
Das Gespräch sollte auf jeden Fall schnellst möglich gesucht (nicht über die Medien) und verbal abgerüstet werden. Es geht dabei nicht um Paragrafen, sondern Interessen aller Beteiligten, darunter auch die der Ukraine. Für mich ist sie aber nicht die entscheidende und alleine Maßgebliche.
Inwieweit die hier gemachten Aspekte einfließen, wird man sehen.
Wohl verstanden: Verhandlungen so schnell wie möglich über wieder aufgenommene Gespräche mit Rus, aber auch parallel Waffenlieferungen an die Ukraine und paralleler Aufbau der eigenen (europäischen Stärke).
Ich unterlasse es, lieber Herr Wolff, auf einzelne Punkte Ihres Beitrags einzugehen. Zustimmungen und kritische Anmerkungen gab es ja schon genug.
Generell habe ich nur eine ergänzende Frage, die sich aus einem Seitenhieb von Ihnen ergibt: Eigentlich sollten Sie sich doch um alle freuen, die für Frieden eintreten, tun Sie aber nicht. Sie fordern auch nicht zu Kundgebungen auf, aber das mag noch kommen.
Dass Ihnen keine Brücke zu AfD auch nicht in diesem Punkt möglich ist, verstehe ich. Dass sie trotz Mt 7, 1-2 das Verwerfliche von Putin herausstellen und unser Recht betonen, okay. Aber legen sie doch bitte gelegentlich dar, wieso Sie BSW des Nationalismus bezichtigen, der den Keim des nächsten Krieges in sich trägt. Das möchten einige Leser, nicht nur ich, gerne verstehen. Was verstehen sie unter diesem Begriff und wie belegen Sie das konkret?
Selten habe ich einen so schönen und zutreffenden Kommentar gelesen wie jetzt den des „betreuten Denkens“, Herr Lerchner, der unseren Zustand im Westen hervorragend charakterisiert und den unglückseligen Zusammenschluss von Politikern und Medien beschreibt. Es kursieren in unserer Öffentlichkeit inzwischen „Wahrheiten“ über die Lage, die weit von der Realität entfernt, aber „Allgemeingut“ sind. Einige Beispiele – und ich betone, dass ich mit diesen Beispielen nicht Putin weißwaschen will, sondern dass sie die Pervertierung unseres politischen Denkens belegen, die eben als Basis für Realpolitik nicht taugt. Also – bevor sich jemand aufregt – auch ich halte Putin für den Bösewicht.
Betreutes Denken:
– „Mit Putin kann man nicht reden“. Man sieht schon an der Empfindlichkeit eines Käfer, wie sehr tatsächliche oder empfundene deutliche Sprache das Gespräch verhindert – Käfer traut sich nicht mal mich treffen zu wollen. Wenn man Putin ständig öffentlich mit Worten wie es Wolff in Nachahmung aller hier im Westen Kommentierenden tut – sein jetziger Ausbruch „gewalttätiger Despot“ ist ja noch harmlos –, dann provoziert man Gesprächsablehnung auf der anderen Seite. Ich bestreite dabei nicht, dass Putin gewalttätiger Despot ist; aber eine Aufforderung zu diplomatischem Gespräch ist eine solche Bezeichnung eben auch nicht.
– „Putin hat uns den Ölhahn zugedreht“. Wir haben bei Kriegsbeginn 2022 Putin wissen lassen, dass wir zwar bedauerlicherweise noch auf sein Öl angewiesen seien, uns aber schnellstmöglich davon werden lösen wollen. Wunderts jemanden, dass er dann seinen taktischen Vorteil dieser damaligen Abhängigkeit genutzt und eben selbst die Initiative ergriffen hat?
– „Putin lügt“. Das ist aus unserer Sicht wahr und auch ich sehe das so. Das Problem bleibt, dass in Kontroversen nun mal jede Seite glaubt, der andere lüge und man selbst trage die weiße Weste (siehe unseren Anstandsprediger). So wird wohl Putin auch denken und ein Wettbewerb in gegenseitigen Lügenvorwürfen ist also kontraproduktiv.
– „die Stimmungslage in der Bevölkerung der Ukraine“, die Wolff zwar nicht definiert, aber, wie mir scheint, als Argument für die Kriegsfortsetzung ins Spiel bringt (2.3., 17:44h). Ich zweifele sehr, ob bei der jetzigen den Krieg nur nährenden Unterstützung des Westens die ukrainischen Menschen nicht vielleicht doch Verhandlungsansätze begrüßen würden. Und Verhandlungsmasse liegt ja nicht nur im Territorialen, sondern zB auch in der Einschränkung/Aufgabe der unsinnigen Mitgliedsofferten in EU und Nato (nicht nur an die Ukraine, sondern auch zB an Georgien).
– Hinzu kommen die sehr typischen doppelmoralischen Handlungsweisen, die wir im Westen glauben, uns leisten zu können: Putins olympische Winterspiele waren skandalös, weil er die Menschenrechts-Standards des Westens nicht erfüllte, megalomanisch war und die Umwelt schädigte; Xi Jingpins Sommer- und Winterspiele waren all dies nicht (oder kaum), weil wir es uns mit China nicht verderben wollten.
Und zwar stimme ich Lerchner nicht zu, wenn es um die Frage geht, WO wir unsere Freiheit verteidigen (denn natürlich wird sie in einer globalen Welt auch global verteidigt), aber ich erkenne schon die Notwendigkeiten,
– erstens solche Einsätze mit einer glaubwürdigen politischen Zielsetzung zu erklären; dies eine Aufgabe der Politik (nicht der Streitkräfte); und
– zweitens diese Einsätze dann so zu untermauern (zeitlich, räumlich und mit Ressourcen), dass die Zielsetzung auch erreichbar ist.
Afghanistan ist ein Beispiel dafür, wie ein richtiger Ansatz (Bekämpfung des internationalen und staatlich geförderten Terrorismus) durch Überfrachtung (Demokratiebildung, Drogenbekämpfung, soziale Umwälzung, etc) in Weltbelehrung, Moralpolitik und Besserwisserei umgewidmet wurde und also POLITISCH scheiterte. Möge es jetzt der „Hessen“ im Roten Meer besser gehen, die für die auch für Deutschland wichtige Freiheit des Handels und der Sicherheit von Verkehrswegen im Einsatz ist!
Andreas Schwerdtfeger
Herr Schwerdtfeger, in diesem Blog diskutieren weder Diplomaten noch Politiker, sondern einfache Bürger. Herrn Käfers Ausdrucksweise ist daher keineswegs zu beanstanden. Außenpolitikern wie beispielsweise Michael Roth (SPD) oder ehemaligen Diplomaten wie Rüdiger von Fritsch oder Wolfgang Ischinger höre ich gern zu, denn sie drücken sich professionell und eindeutig aus.
Der Einschätzung Andreas Schwerdtfegers darüber, was wir von wesentlichen Staaten des globalen Südens eventuell an Unterstützung für einen Friedensprozess in der Ukraine zu erwarten haben, stimme ich aus unmittelbar eigenem Erleben zu. Die vielen Diskussionen mit meinen Freunden und Kollegen in Sao Paulo und anderswo in Brasilien, die ich unmittelbar bei Ausbruch des Ukrainekriegs als auch jetzt zwei Jahre später geführt habe bzw. in diesen Tagen vor Ort wieder führen darf, bestätigen die deutlich andere Sicht dort auf diesen Krieg. Er erscheint nicht vorrangig als Kampf um Demokratie und gegen faschistischen (unter dem geht es heut nicht) Autoritarismus, sondern als imperialistischer Großmachtkonflikt, bei dem einerseits Russland als geostrategischer Konkurrent ausgeschaltet werden soll, und andererseits von Russland versucht wird, gewaltsam einen Cordon Sanitär aufrechtzuerhalten. Das nur zur Information. Dass der globale Süden keine Partei für den Westen ergreift (man denke an die Abfuhr, die sich Scholz und Baerbock voriges Jahr in Brasilia geholt haben), ist allerdings eine notwendige Voraussetzung für eine Vermittlerrolle.
Was bzw. wobei soll eigentlich vermittelt werden? Sicherlich nicht die Durchsetzung des Selenski‘schen „Friedensplanes“, bei dem es bestenfalls um konkrete Kapitulationsbedingungen für Russland ginge. Wenn es wirklich um einen Verhandlungsfrieden gehen soll, müssten Russland in seinem Sinne attraktive Angebote gemacht werden. Voraussetzung dafür ist eine seriöse Einschätzung der russischen Kriegsziele. Hier erleben wir z. Z. ein überbordendes Spekulationschaos. Wie Andreas Schwerdtfeger richtig feststellt, ist ein Angriff Russlands auf NATO-Staaten höchst unwahrscheinlich. Wir verteidigen unsere Freiheit weder am Dnepr, noch haben wir diese seinerzeit am Hindukusch verteidigt. Es ist die reine Panikmache. Wo sind eigentlich die Belege dafür, dass Russland maximal zehn Jahre benötigt, um nach Beendigung des Ukrainekriegs, hinreichend gerüstet für einen Angriff auch auf Deutschland sein wird? Mit low-tech-Artilleriegranaten aus nordkoreanischer Produktion? Es ist ein Witz! Es ist ja nicht einmal ausgemacht, dass es um die vollständige Okkupation und staatliche Auslöschung der Ukraine geht. Dazu gibt es seriöse Argumenten (Mearsheimer, Katchanowski, Richter [1]). Frappierend für mich ist, dass all die klugen Leute hier, die genau wissen, was Putin angeblich vorhat, kein Wort darüber verlieren und geschweige denn sich sachlich damit auseinandersetzen, was die seit Jahrzehnten von Russland offen proklamierten politische und jetzt militärischen Ziele in der Ukraine sind. Dass es hauptsächlich um eine Verhinderung militärischer NATO-Infrastruktur (und auch amerikanischer Geheimdienststützpunkte; s. jüngste Veröffentlichungen der NYT [2]) in Grenznähe zu Russland geht, hatten nachdrücklich die Istanbuler Gespräche im März 2022 gezeigt. Die Auswirkungen betreuten Denkens sind massiv hier!
Auch die Prioritäten des Westens bedürfen der Erörterung. Von einem christlichen Autor erwarte ich, dass bei ihm Schonung von Menschenleben allem anderen übergeordnet ist, z. B. auch dem zeitweiligen Verlust von Staatsterritorium. „Ein Krieg ist nur dann zulässig, wenn seine Vermeidung einen inakzeptablen größeren Preis an Menschenleben, Verletzungen, Traumatisierungen usw. nach sich zieht als seine Durchführungen“ (Pragmatischer Pazifismus, Olaf Müller). Es ist folglich ein ständiges Abwägen erforderlich. Deshalb versuchen diejenigen, die unbedingt den Krieg am Laufen halten wollen, die Lage der Bevölkerung in den russisch besetzten Gebieten in schwärzesten Farben zu malen. Bezeichnend war das Geschrei im deutschen Blätterwald, als neulich das ZDF eine halbwegs sachliche Reportage über Mariupol produziert hat.
Leider scheint es so zu sein, dass die Verantwortungslosigkeit z. Z. am längeren Hebel sitzt. Auch die jüngste „Geheimsitzung“ deutscher Generale über den Einsatz von Taurus ist ein Menetekel.
Beste Grüße aus Sao Paulo
[1] Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Wolfgang Richter, Friedrich-Ebert-Stiftung, 05.12.2023 (Link leider von hier aus nicht erreichbar)
[2] https://www.telepolis.de/features/CIA-in-der-Ukraine-Die-Provokation-die-Putins-Angriffskrieg-ausloeste-9641397.html?seite=all
Mich wundert, dass in Ihren Ausführungen, lieber Herr Lerchner, weder die Stimmungslage in der Bevölkerung der Ukraine noch die nationalistischen Reden Putins und sein politisches Agieren als gewalttätiger Despot überhaupt keine Rolle spielen.
Wenn wir nun noch die Stimmungslage der Bevölkerung im Donbass und auf der Krim in Rechnung stellen, steht einer friedlichen Lösung des Konflikts doch kein vernünftiges Argument mehr entgegen?
Leider ist es aber so, dass der deutsche Bundestag am 20.02.2024 eine friedliche Lösung explizit ausgeschlossen („Nur die militärische Selbstverteidigung der Ukraine wird Russland dazu bringen, seine völkerrechtswidrige Aggression zu beenden“) und Russland de facto den Krieg erklärt hat: „Für den Frieden in Europa und darüber hinaus ist es essenziell, dass die Ukraine diesen Verteidigungskampf gewinnt. Russland darf aus diesem Krieg nicht gestärkt hervorgehen. Präsident Putin und sein Regime müssen diesen Krieg verlieren; Russland muss scheitern, mit dem was es sich vorgenommen hat“ (BT-Drucksache 20/10375).
Es gab gegen diesen Antrag der Regierungskoalition keine Gegenstimme aus SPD; Grünen und FDP. Eine Abwägung hinsichtlich Artikel 26 GG hielt man offenkundig für unnötig.
„Auch die jüngste „Geheimsitzung“ deutscher Generale über den Einsatz von Taurus ist ein Menetekel. “
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Ich habe mir das Geschwafel auf Telegram angehört (nur dort: https://t.me/margaritasimonyan/13763), das über die unsichere Plattform Webex geführt wurde. Was da überhaupt nicht zur Sprache kam (immerhin war einer der Teilnehmer der Chef der deutschen Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz) ist der Umstand, dass der Taurus eine Luft-Boden-Waffe ist und die Ukrainer lt. Aussage von Oberst Dr. Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie Wien gegenwärtig nur über ca. 5 Kampfjets verfügt, die den Taurus transportieren können. Die Lieferung von F 16 aus dem Westen dauert noch. Außerdem ist die Reichweite des Taurus von 500 km hinein in russisches Kernland nur ein theoretischer Wert, da ukrainische Jets höchstens bis 200 km vor der Front fliegen können, um nicht der russischen Luftabwehr ausgesetzt zu werden.
Mein Mitleid mit Käfer wächst stetig. Er sieht offensichtlich komplexbeladen in jeder anderen Meinung als der seinen eine persönlichen Angriff. Wie gerne hätte ich gelesen, wie er sich einen Frieden vorstellt, ohne mit Russland zu verhandeln – und man könnte dann sachlich diskutieren; wie gerne hätte ich seine Vorstellungen zu einem strategischen politischen Ziel gelesen, das von dem von mir beschriebenen abweicht – und auch darüber hätte man dann diskutieren können; wie schön wäre es zu hören, warum meine These, dass die ukrainischen und Nato-/EU-/deutschen Ziele nicht deckungsgleich sind, falsch sei; vielleicht auch dazu – obwohl das ja sehr spekulativ wäre –, ob wirklich derzeit eine Bedrohung des Westens/der Nato durch Putin besteht, was ich sehr bezweifele. Auch hätte ich gerne gehört, warum es tabu sein soll festzustellen, dass jemand noch nie im Ausland gelebt hat (Wolff hat das ja nicht bestritten) und also die Erfahrung nicht gemacht hat, dass die Sicht aufs eigene Land sich dadurch durchaus im Sinne von „Öffnung“ ändert, was viele Menschen mit dieser Erfahrung sofort bestätigen werden.
Stattdessen also kleinkarierte Beckmesserei. Lobenswert allerdings wenigstens ein paar Anmerkungen zur Sache: Die deutsch-französischen Differenzen sind in der Tat nicht hilfreich und es nützt auch nicht, über Schuldfragen zu streiten: Macron ist ein Mensch mit politischer Phantasie, dynamisch, von französischem traditionellem Stolz geprägt, selbstbewusst, kommunikativ und allgemein aktiv (das genaue Gegenteil von Menschen mit ewigen Minderwertigkeitskomplexen also); Scholz dagegen ist eher vorsichtig und zurückhaltend, wenig kommunikativ und entscheidungsfreudig, eher vermittelnd und generell sich nach allen Seiten absichernd. Zwei solche Persönlichkeiten passen halt schlecht zusammen. Käfers Kritik bleibt dennoch richtig: DEU und FRA müssen nach außen wenigstens engen Schulterschluss zeigen, völlig unabhängig von der Trump-Frage. Und seine Feststellung zum Ampel-Bild teile ich auch: Die Ampel ist schlimm genug, schlimmer noch ist aber die Art und Weise, wie sie sich selbst darstellt. Die Konsequenzen – Politikverdrossenheit allgemein, Stärkung der Rechtsradikalen und Aufsplitterung des Parteienspektrums in Richtung Weimarer Parlamentsverhältnisse – sind mehr als nur bedauerlich.
Ein Wort zu Frau Hartmann, die bedauert, dass „die Herren“ nur über den Krieg reden und innenpolitisch ihre Verantwortung „vor Gott und den Menschen“ nicht wahrnähmen. Es tut mir ja leid, aber „Gott“ ist keine politische Kategorie, was sich auch daran zeigt, dass rund die Hälfte der augenblicklichen Regierungsmitglieder eben den Eid ohne die (freiwillige) Bezugnahme auf Gott – „so wahr mir Gott helfe“ – gesprochen haben. Daran ändert wohl auch die Präambel des GG nichts, die sich im Namen des Deutschen Volkes (darf man das noch sagen oder ist das „völkisch“?) auf Gott beruft. Und die Frage, ob innen- oder außenpolitische Probleme derzeit dringender zu diskutieren und behandeln sind, ist wohl in das Ermessen des Einzelnen gestellt – wobei man ja Wolff (und also auch den Mitdiskutanten hier) nicht unterstellen kann, dass das Thema „AfD“ in letzter Zeit zu kurz gekommen wäre.
Andreas Schwerdtfeger
Danke aufrichtig für die merklich adjustierte Tonalität im Vergleich zu früheren Posts, lieber Pfarrer Wolff! Ich nehme es als Ihr sehr ernstliches Ringen um verantwortungsvolle Wege wahr in Anbetracht von Umständen, die wir uns vor wenigen Jahren nicht im (Alb)Traum haben ausmalen können!
In Zeiten unfassbarer Dilemmata sollten wir alle miteinander demütig werden in der Frage: Was ist der richtige Weg? Welches Handeln und welches Unterlassen (!) können wir vor Gott verantworten?
Wer – auch in dem Kommentarbereich dieses Blogs – in dieser Frage laut und allwissend dahertrötet, ist ein heißer Kandidat für „pharisee of the universe“….
Demütige Grüße
Ihr Jost Brüggenwirth
„adjustierte Tonalität“ – wenn das nix is!
Könnten bitte alle Herren – statt zu fernem Frieden – zu nahem, sehr bedrängendem Problem zurückkehren, bei dessen Lösung ein jeder von Ihnen in der Verantwortung „vor Gott und den Menschen“ steht: Dem Rechtsextremismus im eigenen Umfeld nämlich! Das ist nichts gesagt gegen Sie, Herr Wolff – Sie kennen sich aus. Aber wieso wird hier so grandios geredet? Auf’s Tun kommt’s an! Da, wo es getan werden kann, also wo jeder was beeinflussen, bewirken kann! Redet mal lieber tüchtig mit allen um Euch rum und zerpflückt die AFD-„Argumente“! Bitte, das ist eine Bitte. Priorität Nummer 1! Oder wie wird die drohende Unmenschlichkeit im eigenen Ort, im eigenen Land, im eigenen Staat verhindert? Von den andern? Jetzt! Von uns! Überall in Deutschland!
„Grandioses Reden“ oder „Handeln“? Eintreten für eine ethisch verantwortliche Haltung ggü. dem Usurpator (Ost)Europas oder Handeln zur Verteidigung demokratischer Werte gegen Rechtsextremisten? Wie wäre es denn, wenn ein „Entweder-oder“ auch mal in einem „Sowohl-als-auch“ bedacht würde? Vielleicht liegen die Themen ja viel näher als Sie denken….. !?
Mir macht Angst, wie uns die Zeit davon rennt.
Hier im Südwesten, von wo ich mich „bei Euch“ eingemischt habe, sind im Frühsommer Wahlen, und Schreckliches ist zu befürchten. Aber Sie haben recht, Sie alle, die Sie sich hier diskutierend tummeln, haben eine Umarmung eher verdient als ein „hic Rhodos, hic salta“.
Hoffentlich kriegen wir die Neonazis bezwungen! Das Gegenteil sich vor-zu-denken, bedeutet, sich auf Exilierung vorzubereiten. Nicht gerade lustig mit 77…
PS: Lieber Herr Wolff, danke für alles!
Meine Hochachtung für Christian Wolff wächst stetig. Diesen Blog über Jahre zu betreiben, immer wieder neue Impulse zu setzen, Dinge gerade zu rücken, hitzige Debatten auf „Normaltemperatur“ zurückzuführen (wie es ihm im aktuellen Beitrag „Heraus aus der Kriegsspirale“ wieder sehr gut gelingt) – und das trotz mancher Verhöhnung, Beleidigung, Besserwisserei…
Der hochintelligente (von mir auch „Hubsi Aiwanger“ genannte), wackere Kämpfer gegen die Corona-Diktatur und für Atom-Kraftwerke und die (europäische) Atom-Bombe, sieht die BSW als derzeit einzige politische Kraft in Deutschland, die den Frieden im Ukraine-Krieg herbeiführen kann.
Die Person, die alles weiß, alles versteht, stets sachlich argumentiert, teilt uns mit, dass eine (Friedens-) Lösung des Ukraine-Krieges nur MIT Putin möglich ist, dass Strack-Zimmermann, Hofreiter und selbstverständlich auch Christian Wolff der strategische Überblick fehlt; im Beitrag vom 21.2., 9:54 Uhr (Kein Grund zur Beruhigung) hatte die selbe Person bereits erkannt: „…das deutsche Problem: Wolff hat nie länger im Ausland gelebt (er lehnt das ja auch ab…)´.
Und wenn man den Beitrag (Stimmungswandel; 19.2. 21:46 Uhr) eines anderen Bloggers ins Gegenteil verkehrt (zugegeben: nicht ganz fair), müssen wir alle nur tapfer die AfD wählen, damit die Inflation verschwindet, wir wieder ausreichend fossile Energie zu erschwinglichen Preisen, bezahlbare Wohnungen, pünktliche Züge, neue Bauernhöfe bekommen und die Messerstechereien und Vergewaltigungen aufhören!
An zwei Punkten möchte ich Christian‘s Aussagen ergänzen / vertiefen:
Die offensichtliche Entfremdung zwischen Scholz und Macron halte ich für extrem hinderlich, einer friedlichen Lösung des Ukraine-Kriegs näher zu kommen und für sehr gefährlich, Europa auf das worst-case-Szenario „Wiederwahl von Donald Trump“ vorzubereiten.
Und das permanente, leider weit verbreitete Schlecht-Reden der „Performance“ der Ampel, mehr noch die öffentlich ausgetragenen, Ampel-internen Sticheleien müssen innerhalb der jeweiligen Parteien, aber auch vom Kanzler selbst endlich unterbunden werden!
Gelingt das nicht schnell und nachhaltig, plädiere ich (auch wenn es mir schwer fällt, hier mit Merz ins selbe Horn zu stoßen) für Neuwahlen.
Lieber Herr Wolff,
in Ihrer Antwort vom 28. Feb, 20:01, beschreiben Sie BRICS (hatten Sie es nicht vorher „Brix“ geschrieben?) als „Brasilien, Indien, Südafrika, China“ und haben dabei also Russland vergessen – BRICS heißt: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. Inzwischen haben sich Ägypten, Äthiopien, Iran und VAE angeschlossen. Es zeigt sich also, dass BRICS – auch wenn der Westen Partnerschaft anstreben sollte – eher problematisch sein wird, weil es von Russland und China dominiert ist und weil die Mitgliedstaaten insgesamt eine eher West-feindliche bis West-kritische Politik vertreten und sich jedenfalls schon aufgrund von wirtschaftlichen Abhängigkeiten nicht auf die westliche Seite stellen werden. Dies vorweg, weil es zur realistischen Lagebeurteilung erforderlich ist und weil es das Dilemma des Westens aufzeigt, dass neben unseren Hauptkontrahenten (R+C) auch der „globale Süden“ die Moral- und Belehrungspolitik des Westens ablehnt.
Ihre erste Aufzählung „Grundsätzliche Feststellungen“ ist sicherlich inhaltlich vertretbar (mit der Ausnahme, dass davon auszugehen sei, das Putin-Regime plane „weitere militärische Überfälle auf souveräne Staaten Europas“, was in Wirklichkeit höchst unwahrscheinlich ist. Sie übersieht allerdings, dass eine Trennung zwischen „Putin“ und „Russland“ künstlich ist. Die westliche globale Politik täte sich leichter, wenn sie die Gegebenheiten akzeptierte, anstatt immer wieder eine Wunschvorstellung zur Grundlage von Entscheidungen zu machen. Derzeit und absehbar, ist Putin der Vertreter russischer Politik und mit ihm also muss politisch umgegangen werden. Ob man dies in direkter Verhandlung oder über Dritte versucht, ist Frage des Weges, nicht der strategischen Zielsetzung.
Ihre dann folgende Beschreibung des augenblicklichen Zustandes der Diskussion bei uns ist bemerkenswert richtig, wenn auch einseitig: Der Bundeskanzler und seine außenpolitischen „Helfer“, vornehmlich Baerbock, Pistorius und (begrenzt) Habeck (allerdings auch Nato und EU), haben es bisher versäumt, eine strategische Zielsetzung aus westlicher Sicht zu formulieren, die die Frage beantworten müsste: Wie soll nach unserer Interessenlage die Welt nach Beendigung des Krieges aussehen. Für Ukraine ist diese Frage nach Raum und Zeit in der konkreten Kriegslage leicht zu beantworten: Vollständige Wiederherstellung der ukrainischen territorialen Integrität und (möglicherweise) Erfüllung von Reparationsleistungen vielfältiger Art. Für Nato, EU und DEU wäre, nein: IST eine solche Zielsetzung strategisch viel zu kurz gegriffen, obwohl genau sie ständig propagiert wird (und da versagt der Kanzler, aber keineswegs alleine): Unsere Zielsetzung muss die globale, mindestens aber kontinentale Lage NACH dem Krieg beschreiben und also Fragen beantworten wie zB: Wollen wir eine chinesisch-russische Allianz (im Gegensatz zu einem Russland, das idealiter eher dem Westen folgt? Können wir den globalen Süden in unsere Politik einbinden, wenn sie im Gegensatz zu dessen Notwendigkeiten moralisch basiert und ideologisch einseitig dominiert ist? Wie ziehen wir „Verbündete“ auf unsere politische Seite und stabilisieren also – und in welchem zeitlichen und räumlichen Horizont – die (langfristige) Erreichung unserer Ziele und damit Sicherheit im verteidigungspolitischen und Freiheit im wirtschaftlichen Rahmen? Welche politischen Mittel setzen wir zur Zielerreichung ein (Streitkräfte und Waffen sind eben nur EINES dieser Mittel)? Fazit: Die ukrainischen Ziele sind berechtigt, für eine globale oder kontinentale Strategiebeschreibung aber zu kurz gegriffen – und also NICHT deckungsgleich mit unseren.
Und daraus folgt in der Tat: Unsere Politiker, Parlamentarier und Medien/Gesellschaft zeigen derzeit, dass Politik bei uns komplett abgedankt hat oder versagt. Was Strack-Zimmermann oder Hofreiter (stellvertretend für viele andere genannt) augenblicks machen, ist politische Arbeitsverweigerung und Rückzug in den Raum des Instrumentes anstatt Handlung und Verantwortungsübernahme im Raum der politischen Richtungsweisung. Allerdings tun sie dies eben, weil – wie ja auch bei Ihnen selbst – der strategische Überblick fehlt, also die Gestaltung der Zukunft, und sie stattdessen die Gegenwart recht und schlecht zu managen versuchen.
Ihren Schluss aus der ganzen Lage teile ich: „Ziel der Ukraine-Politik kann und darf aber nicht sein, eine Entmachtung Putins oder einen Regime-Wechsel in Russland auf dem Kriegsweg zu erzielen“ – dies auch, weil uns das gar nicht möglich wäre. Aber wenn das richtig ist, dann ist eben Putin derjenige, mit dem der Frieden erreicht und wiederhergestellt werden muss.
Ihr letzter Absatz ist dann leider wieder die übliche Schwammigkeit: „Friedenspolitik“ ohne Inhaltsbeschreibung, „Rüstungsproduktion und der Rüstungsexporte nur im notwendigen Maß“ ohne dieses zu definieren, „an friedenethischen Grundwerten“ orientierte Sprache bei gleichzeitiger Ablehnung des richtigen Begriffes „Kriegsertüchtigung“, der alleine die Binsenweisheit beschreibt, dass nur wer kriegstüchtig ist die Chance hat, den Krieg politisch vermeiden zu können.
Sie haben dankenswerterweise diesmal in die richtige Richtung argumentiert. Gleichzeitig aber zeigen Sie, dass sie noch weit entfernt sind von einer realistischen und erfolgversprechenden politischen Strategiebeschreibung, die langfristig europäische Freiheit und Selbstbestimmung sicherstellen könnte.
Und lassen Sie mich zum Schluss noch einmal zurückkommen auf Sprache. Wir haben es ja verlernt uns sachlich-klar auszudrücken und leiben stattdessen Polemik. Das aktuelle Beispiel ist der Begriff des „Ausspielens“ – man spielt zB Sicherheit gegen Soziales aus. Welch ein Unsinn! Es ist Aufgabe der Politik, Prioritäten zu setzen – und dies ist eben kein „Ausspielen“, sondern Pflicht und Verantwortung.
Andreas Schwerdtfeger
„Wir benötigen eine Sprache des Friedens“ – wie wahr! Aber Wagenknecht einen „Schulterschluss mit Putin“ vozuwerfen, ist natürlich übelste Verleumdung, und es klingt sehr nach Hofreiter oder Strack-Zimmermann. Und wenn man gleichzeitig den Krieg mit immer weiteren Waffen anheizt, nützt es überhaupt nichts, sich verbal zurückzuhalten. Wer Russland als „verbrecherisch“ beschimpft, wird ebenfalls nicht zum Frieden beitragen können – so richtig die Beschreibung sein mag, so politisch kontraproduktiv ist sie. In einer Welt, in der es keine Richter (und deshalb keine Gerechtigkeit) gibt, können wir nur einen ungerechten Frieden anstreben, der immer noch hundertmal besser wäre als ein jahrzehntelanger Stellungskrieg, oder gar ein Nuklearkrieg mit Millionen von Toten.
Nur zur Klarstellung: Ich habe nicht Russland als verbrecherisch, sondern das Putin-Regime so bezeichnet.
Wenn Sie versuchen, die Putin-Regierung von Russland zu trennen, reden Sie damit der Idee eines Regimewechsels das Wort? Das wäre leider ebenso friedensfeindlich, weil die übergroße Mehrheit der Russinnen und Russen nicht nur loyal zu ihrer Regierung sind, sondern sie sogar gutheißen. Es lässt sich nicht beschönigen: Die USA und Westeuropa befinden sich de facto in einem heißen Krieg mit Russland und auch mit dem russischen Volk. Wenn wir nicht bald umdenken und einen Waffenstillstand anstreben, wird es immer schrecklicher werden, bald vielleicht wieder mit Nuklearwaffen und Millionen von Toten. Der Krieg muss sofort eingefroren werden, und die Konflikte müssen von der nächsten (oder übernächsten) Generation gelöst werden. Wir können nur noch Schadensbegrenzung betreiben.
Und was ist mit der Bevölkerung der Ukraine, die unmittelbar betroffen ist vom Angriffskrieg Russlands und die jeden Tag den zerstörerisch-tödlichen Folgen der russischen Aggression ausgesetzt sind?
Der ukrainischen Bevölkerung ist jede Verhandlung mit dem russischen Präsidenten seit Oktober 2022 per Dekret ihres Präsidenten Selenskyj verboten.
Das wäre doch was für Sie, Dr. Haspelmath:
„Vor über 30 Jahren, 1972, hatte der dänische Anwalt und Hobby-Politiker Mogens Glistrup eine Idee, die ihn über Nacht berühmt machte. Um Steuern zu sparen, sollte die dänische Armee aufgelöst und im Verteidigungsministerium ein Anrufbeantworter geschaltet werden: „Wir kapitulieren!“ So eine Maßnahme würde nicht nur Geld sparen, sondern im Ernstfall auch Menschenleben retten. Mit diesem „Programm“ wurde Glistrups Fortschrittspartei bei den Wahlen 1973 zur zweitstärksten Fraktion im dänischen Parlament.“
Henryk M. Broder im „Spiegel“ vom 14.08.2006 https://ogy.de/0e17
„Kapitulieren“ kann viele Formen haben – momentan kapituliert unsere Gesellschaft offenbar vor der Kriegslogik. Und wozu diese Logik führen kann, haben wir 1914 gesehen. Ich möchte lieber eine Gesellschaft, die in Friedens- und Demokratiekräfte investiert als in immer mehr Militär und Waffen. (Dazu gehört auch, dass wir unsere politischen Gegner nicht dämonisieren, denn das ist eine Voraussetzung einer stabilen Demokratie – siehe dazu diesen schönen Beitrag von Professor Lotter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung https://www.ipg-journal.de/rubriken/demokratie-und-gesellschaft/artikel/verteidigung-der-demokratie-7350.)
Das Dilemma einer politischen Stellungnahme ist deutlich. Darum sollten Kirchenleute sich vor allem auf die diakonische Arbeit konzentrieren. Die Diakonie-Katastrophenhilfe leistet hervorragende Arbeit und findet in unseren Kirchengemeinden längst nicht die Unterstützung, die sie verdient. Außerdem sollten wir alle Verbindungen nutzen, um der russischen Bevölkerung zu vermitteln, dass wir keinen Krieg gegen Russland führen – wie die Kreml-Propaganda behauptet.
Hallo Christian:
Dein neuer Blogbeitrag zeigt das Dilemma auf. Wir sind unsicher und fangen an alle möglichen Szenarien zu diskutieren und wollen den Frieden erhalten.
Wir sollten uns bei den Diskussionen um einen Weg zum Frieden zunächst darüber klar werden, welche Ziele Putin verfolgt.
Ist es die Einverleibung der Ukraine und Transnistrien? Will Putin das Baltikum und das östliche Polen, die Dominanz in der Ostsee? Ist der Überfall der Ukraine erst ein Anfang einer angestrebten russischen Hegemonie in Europa und die Zerstörung des westlichen liberalen Demokratie? Wie geht es weiter, wenn ein US Präsident die geopolitische Landschaft völlig anders sieht als die Europäer? Ich unterstelle Putin weitreichende Ziele …
Friedensinitiativen sind immer richtig. Für eine erfolgversprechende Initiative müssen aber konkrete Ansatzpunkte gefunden werden.
Gibt es Anzeichen für eine nennenswerte Opposition gegen den Krieg in Russland (z B in der orthodoxen Kirche, unter den Kulturschaffenden und Intellektuellen und nicht-russischen Völkern der RF), gibt es die Möglichkeit über Handelspartner der RF Einfluss zu nehmen (China, Indien, die von russischen Rohmaterialen profitieren) usw. …?
Es herrscht große Ratlosigkeit im öffentlichen Raum und große Aufgeregtheit über Taurus in Deutschland und in Russland, wo Medwedew mit Atomwaffen droht.
Putins Schicksal hängt am Erfolg und wäre mit einem Rückzug besiegelt. Jede Nachkriegszeit deckt wahrscheinlich die Schwächen Russlands auf und Russlands Wirtschaftskraft war ja zuletzt schon nicht größer als die von Italien oder dem US Bundesstaat Texas.
In den westlichen Demokratien fehlt es an militärischer Stärke und Bereitschaft zu Opfern am Wohlstand. Als Willy Brandt und Egon Bahr die Ostpolitik entwickelten waren die Ausgaben für die Verteidigung 3,5 – 4 % des BSP. Sie konnten mit Rückendeckung der NATO Moskau gegenübertreten und realistische Angebote zum Ausbau der wirtschaftlichen Entwicklung machen. Sowohl in Deutschland wie in Osteuropa war die Sehnsucht nach einem stabilen Frieden nach frustranen Wettrüsten und den Krisen recht hoch.
Die Bedingungen für eine Friedenspolitik sind aktuell komplexer und schwieriger denn je zuvor.
Vielleicht ist der Ansatz von Scholz in dieser Situation gar nicht so falsch sich festzulegen, indem er die Karten auf den Tisch legt.
So paradox es klingen mag: Es könnte sein, dass die Aufrüstung und Nachrüstung der Bundeswehr und die Aufstockung der Waffenlieferungen an die Ukraine erst die Voraussetzungen auf der westlichen Seite schaffen, um mit Nachdruck verhandeln zu können, wenn man Taurus und die Entsendung von Soldaten gleichzeitig ausschließt …
Sollte es gelingen, den militärischen Krieg in einen „kalten Krieg“ zu transformieren, wäre ein erster Schritt zu einer Friedensordnung gelungen.
Die Hoffnung auf Frieden darf nicht sterben!
Ich käme nicht umhin, mit „Kriegstreiber!“ -Anklage gegen den Bundeskanzler auf die Straße zu gehen, wenn er auf die Taurus-Tiraden eingehen würde. Er hat (nämlich) geschworen, Schaden vom Land abzuwenden – und allein deshalb gibt es keinen Grund, ihn anzufeinden. Er sagt „NEIN“ – und das ist richtig. Leicht ist es wahrscheinlich nicht, vor allem bei diesem Generve. Zehntausende Leben opfern – für „Freiheit“: Denken wir genügend klar? Sind Menschenopfer gerechtfertigt? Für was? Wer soll getötet werden? Von wem? Wofür? Im „christlichen Abendland“?
Mich macht es traurig, wie wenig Frieden das Maß aller Verhältnisse ist. Was wär denn „Demokratie“ ohne Frieden? Ist er nicht die Grundlage für alles andere? Wer profitiert von
diesem, von egalwelchem Krieg? Wessen Reichtum wächst? Meiner nicht. Ihrer etwa?
Wenn es keine Waffen gibt, müßte man eigenhändig umbringen. Kain, wo ist dein Bruder
Abel …
Frau Dr. Strack-Zimmermann und Herr Hofreiter würden keineswegs stottern, wenn sie mit den von Ihnen zitierten Fragen konfrontiert werden würden. Wie berechtigt ihre Argumentation für eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine ist, zeigt sich in der militärischen Defensive, in der sich die Ukraine gegenwärtig befindet. Putin will nach wie vor einen gewaltsamen Regimewechsel in Kiew mit allen sich daraus ergebenden Weiterungen.
Die von Ihnen aufgeworfenen Fragen sind dennoch berechtigt, nur leider nicht prioritär.
Lieber Herr Wolff, alles OK und zustimmungsfähig, was Sie da schreiben. NUR: Wie kriegen wir das konkret hin? Wollen Sie direkt an Putin appellieren? Oder was anderes tun?
Ich – und nicht nur ich – bin da ziemlich ratlos. Machen Sie mal bitte einen GANZ KONKRETEN Vorschlag, wie man das macht.
Freundlichst
Axel Denecke
Lieber Herr Denecke, Ihre Fragen sind auch meine Fragen. Ich habe keine Patentantwort. Darum drei Versuche:
1. Wir müssen mit der gleichen Intensität, wie derzeit über Waffenlieferungen diskutiert und gestritten wird, über eine mögliche Friedensperspektive für die Ukraine debattieren. Dabei wird man immer ein wichtiges Kriterium beachten müssen: Was wollen die Bürger:innen der Ukraine?
2. Als Kirche und Christen haben wir die Aufgabe, nicht politische Opportunitätsentscheidungen zu kommentieren oder zu rechtfertigen, sondern die Sprache des Friedens zu pflegen und auch einzuklagen. Derzeit findet ja keine wirkliche Debatte um den richtigen Weg statt. Ein sehr prominenter Militärexperte sagte mir im persönlichen Gespräch, dass ihm in der öffentlichen Debatte ein glaubwürdiger Widerpart aus dem Bereich des Pazifismus fehlt.
3. Appelle an Putin haben derzeit wohl wenig Aussicht auf Erfolg. Ich kann mir derzeit nur einen Weg zum Frieden über die sog. BRICS-Staaten (Brasilien, Indien, Südafrika, China) vorstellen. Sie müssen direkt eingebunden werden. Wenn ich es richtig sehe, versucht Scholz dies schon seit einiger Zeit. Diese Staaten sind deswegen so wichtig, weil sie eine Distanz zum sog. Westen haben (schließlich haben sie aus der Kolonialzeit und später (Südafrika) keine besonders guten Erfahrungen mit den USA und Europa), gleichzeitig aber auch auf ihre eigene Integrität und Souveränität achten und pochen.
Ich weiß, dass auch diese drei Punkte nicht befriedigen können. Aber wenn es stimmt, was Helmut Schmidt immer wieder ausrief „Krieg ist Scheiße“, dann gilt das auch für den Ukraine-Krieg. Was ist da unsere Aufgabe? Doch wohl, den Scheißhaufen zu beseitigen. Darin sehe ich unsere eigentliche Aufgabe.
Beste Grüße, Christian Wolff
Putin will nicht verhandeln. Er setzt auf einen Sieg Trumps bei der nächsten Präsidentenwahll im Herbst in den USA . Der würde wahrscheinlich sofort die militärische Unterstützung der Ukraine einstellen. Schon jetzt blockiert seine Republikanische Partei weitere Militärhilfen für die Ukraine.
Außenministerin Baerbock hat erst kürzlich vor dem UN-Sicherheitsrat Verhandlungen mit Putin abgelehnt, weil dieser keinen Frieden wolle.
ZEIT.online: https://ogy.de/hotb
> Putin will nicht verhandeln<
Er sitzt sicher im Sattel, kann auf militärische Erfolge verweisen und sieht die Mängel beim ukrainischen Militär, kann in Moldawien und im Baltikum eskalieren, kann sich vom Iran und Nordkorea Drohnen und Raketen besorgen, hat mit China und Indien sichere Absatzmärkte für Öl und Gas und auch Technologielieferanten. Die EU ist nicht sich einig und bei einem Rückzug der Amerikaner -von Trump angekündigt – bloß gestellt und mit der atomaren Bedrohung wahrscheinlich nur noch ein wilder Hühnerhaufen.
Die deutsche Politik hat kein worst case Szenario, wodurch Unsicherheit zusätzlich entsteht.
Egel wer jetzt im Kanzleramt sitzt, Die Zeit für wichtige Weichenstellungen zerrinnt und die Folgen von Fehlentscheidungen werden wahrscheinlich auch gravierender.
Für Friedenspolitiker ist die Zeit noch nicht gekommen.
Russland ist einer „Kriegsnarkose“, beim Erwachen aus der Narkose könnte es noch zu bösen „wahnhaften Störungen“ kommen, wenn deutlich wird, dass Russland unter Putin seine Zukunft ruiniert hat.
Es ist wohl so, dass gegenwärtig sich Ratlosigkeit ausbreitet nach zwei Jahre Krieg ohne Hoffnung auf ein schnelles Ende. Wir müssen lernen damit umzugehen …
In der Tat, eine Friedens-Initiative könnte nur aus den BRICS-Staaten kommen, also vielleicht auch aus harten Diktaturen wie China oder Saudi-Arabien, zu denen wir noch nicht die Brücken abgebrochen haben (Südafrika ist zu schwach, und Brasilien wohl nicht interessiert genug). Indien wird leider auch zunehmend dikatorisch, und in Kashmir führt es ja auch einen schlimmen Krieg. Die Welt ist leider nicht so geworden, wie wir es nach 1989 gehofft hatten, und wir müssen uns damit abfinden, dass eine Einfrierung des Konflikts (vielleicht auf viele Jahrzehnte, wie in Korea) das beste für die Menschen und die Welt ist. In Deutschland stehen leider bisher nur Margot Käßmann und Alice Schwarzer (sowie in der Politik Fabio De Masi und sein BSW) für eine solche Friedensvision.
“ Ich kann mir derzeit nur einen Weg zum Frieden über die sog. BRICS-Staaten (Brasilien, Indien, Südafrika, China) vorstellen. Sie müssen direkt eingebunden werden.“
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Sie haben vergessen zu erläutern wofür das „R“ steht. Als Organisation ist diese Staatengruppe für Vermittlungsbemühungen nur eingeschränkt handlungsfähig.
Man könnte aber auch genauso plausibel argumentieren: Gerade weil Russland zu den BRICS-Staaten gehört, ist die Einbindung von Brasilien, Indien, Südafrika, China erforderlich.
„Gerade weil Russland zu den BRICS-Staaten gehört, ist die Einbindung von Brasilien, Indien, Südafrika, China erforderlich.“
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Wer soll diese Staaten einbinden? Welches Interesse sollten die von Ihnen genannten Staaten an einer Beendigung des Kriegs haben? Wirtschaftlich ist Rußland kein großer Konkurrent z. B. zu China – im Gegenteil: jetzt muss Rußland seine Rohstoffe zu günstigen Preisen anbieten. Der Westen, vor allem die USA dagegen schon. Wenn diese geschwächt werden, ist das den genannten Staaten nur recht. Entscheidend ist, dass Putin verhandlungsbereit ist. Wer dann die Rolle des ehrlichen Maklers übernimmt, ist zweitrangig. Putin spekuliert auf die Wiederwahl Trumps zum US-Präsidenten. Wenn dieser dann die Ukraine-Unterstützung herunterfährt, kann Putin (nach triumphaler Wiederwahl, gigantischer Aufrüstung und Rekrutierung neuer Soldaten) zum großen Schlag ausholen.