Am vergangenen Samstag, 19.09.2020, haben sie sich wieder einmal getroffen – die Coronamaßnahmen-Gegner von den Initiativen „Bewegung Leipzig“ und „Querdenken 341“. Ca. 300 Menschen versammelten sich auf dem Leipziger Marktplatz. Darunter einige mir bekannte Gesichter. Zwei Stunden lang hörten sie sich geduldig, begierig, andächtig an, dass die Coronamaßnahmen der Bundes- und Landesregierungen nur einem Ziel dienen: die Grundrechte sollen ausgehebelt und die Menschen für eine wie auch immer geartete Diktatur gefügig gemacht werden. Offensichtlich soll damit eine Stimmungslage wachsen: Es ist wie ‘89. Wir müssen ein ungerechtes System zum Kippen bringen. Unser Widerstand gegen die Eliten und die Mainstreammedien ist vonnöten. Darum träumt man davon, bald mit Tausenden Menschen um den Ring gehen zu können. Um das zu unterstreichen wurde nach zwei Stunden – Pegida lässt grüßen – schon mal ein Spaziergang durch die Innenstadt gestartet …
Ich selbst habe mir einige Reden angehört – vor allem die von Hermann Ploppa, einem sattsam bekannten Verschwörungsideologen, der mit der Aura eines Politikwissenschaftlers und Bestsellerautors auftritt. Er gehört zu der Sorte von Menschen, die mit der Attitüde auftreten, die einzigen zu sein, die den Menschen die Welt erklären können. Für ihn ist die ganze Coronakrise eine globale Inszenierung einer winzigen, aber mächtigen Elite um Bill Gates, die die Demokratie zerstören wollen. Im Windschatten dieser Grundthese werden dann „Volksabstimmungen“ und das „imperative Mandat“ gefordert, damit das „Volk“ in Zukunft das Geschehen selbst bestimmen und ein/e Abgeordnete/r, der nicht so stimmt wie das „Volk“ es will, abgewählt werden kann. Natürlich bleibt völlig im Nebel, wer denn das „Volk“ ist – wahrscheinlich doch nur diejenigen, die so denken, wie man selbst. Dann wird vor China gewarnt, wo die Regierung schon die totale, digitale Kontrolle über die Bürger/innen innehat, um im nächsten Atemzug Russland und China zu den natürlichen Partnern Deutschlands zu erklären und jede Form von Sanktionen abzulehnen. Zuvor erklärt ein Redner (es war wohl der Gründer der „Mitmachpartei“ „Widerstand 2020“, Ralf Ludwig) den Zuhörer/innen, dass die Demokratie in Deutschland dem/der Bürger/in nur zwei Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet: Alle vier oder fünf Jahre zur Wahl zu gehen oder zu demonstrieren. Das müsse sich natürlich ändern. Wodurch? Durch „Querdenken 341“ und dadurch, dass die Menschen sich das alles nicht mehr gefallen lassen. Dann fährt er noch zu Hochform auf und adelt die Kundgebungsteilnehmer/innen: „Ich finde es ganz stark, wie Ihr Euch beschimpfen lasst, während Ihr für deren Freiheit kämpft.“ Irgendwie kurios, denn man fragt sich: Wo und an welcher Stelle ist die Freiheit auf dem Marktplatz eingeschränkt? Aber 300 Bürger/innen hören sich das alles andächtig an – keine Zwischenrufe, kein Raunen, viel Beifall und Kopfnicken.
Am Rande der Kundgebung hatte ich mit einer jüngeren Frau, die mit ihren Kindern an der Veranstaltung teilnahm, ein kurzes Gespräch. Sie dachte, weil ich im Bereich der Kundgebung stand, ich sympathisiere mit den Querdenkern. Da musste ich sie leider enttäuschen. Sie sagte mir, dass es doch furchtbar sei, dass die Kinder Abstand halten und in der Schule und Kita eine Maske tragen müssten. Ich erwiderte ihr, dass ich verstehen könne, dass man mit vielen Maßnahmen während der Pandemie nicht einverstanden sei. Ich hätte mich Ende März bewusst nicht an die Verordnung gehalten, die Wohnung nicht zu verlassen. Im Gegenteil: Ich sei jeden Tag zwei Stunden an die frische Luft gegangen, um mein Immunsystem zu stärken. Dazu hätte ich auch andere ermuntert. Nur: wenn eines ihrer Kinder Durchfall oder Fieber habe, würde sie diese wahrscheinlich auch auf Abstand halten, um nicht drei kranke Kinder zu Hause zu haben. Aber niemals würde ich an einer solchen Veranstaltung teilnehmen, deren Initiatoren bewusst oder unbewusst den Nährboden für rechtes Gedankengut und Aktionen bereiten. Außerdem stoßen mich die Verschwörungserzählungen, die hier verbreitet werden, nur ab. Damit war das Gespräch beendet. Sie wandte sich ab. Doch die Frage bleibt: Warum nehmen Menschen an solchen Veranstaltungen teil und hören sich stundenlang dieses Geschwurbel an? Offensichtlich haben viele Menschen ganz große Probleme damit, politische Maßnahmen nicht als „Befehl“ anzusehen, der „Gehorsam“ verlangt. Offensichtlich haben sie nicht verstanden, dass Demokratie sich immer im Wechselspiel zwischen dem/der einzelnen Bürger/in und der Exekutive ereignet. Darum: Gefährlich wird es erst dann, wenn Bürger/innen aus diesem Spiel aussteigen, sich verweigern, ihre Einflussmöglichkeiten nicht mehr erkennen, ihre Ohnmacht wie einen Schutzschild vor sich hertragen und sich dann selbsternannten Heilsbringern hingeben oder vom neuen 89 träumen.
Das erklärt auch, dass auf der Kundgebung nicht ein einziger Gedanke darüber verloren wurde, welche Lehren denn aus der Coronakrise zu ziehen sind. Mit keinem Wort war
- vom notwendigen Klimaschutz, der nach dem Ausbruch der Pandemie viel entschlossener umgesetzt werden muss, als bisher geplant;
- von einer gesunden Ernährung, einer ökologisch ausgerichteten Landwirtschaft und dem irrsinnigen Fleischkonsum;
- vom sozialen Zusammenhalt, einer Grundvoraussetzung für den Schutz vor Pandemien;
- von entschlossenen Korrekturen unseres Turbolebens und des Turbokapitalismus.
Stattdessen schüren die Querdenker durch ihre apokalyptischen Szenarien nur die Ängste, Verunsicherungen und Ohnmachtsgefühle, die viele Menschen plagen und im Inneren erschüttern, um als einzigen Ausweg den „Widerstand“ nach Artikel 20 GG zu proklamieren. Gleichzeitig leiten sie davon ab, dass sie eine Initiative sind, die das Grundgesetz verteidigt.
Genau das aber ist die Strategie der Rechtsnationalisten in allen Schattierungen. Solange die Initiatoren von „Widerstand 2020“, „Querdenken 341“, „Bewegung Leipzig“ diese bedienen, können sich AfD, Reichsbürger, KENfm, QAnon zurückhalten. Sie werden aber sofort sehr präsent sein, wenn sich das „Querdenken“ in einen unpolitischen Hilferuf nach mehr Liberalität verliert. Von daher kann es nicht verwundern, dass Ideologen des Rechtsextremismus wie Jürgen Elsässer den engen Schulterschluss mit „Querdenken 711“ suchen – so zuletzt zu lesen in der Stuttgarter Zeitung: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.im-stream-mit-rechtsaussen-wie-nah-sich-querdenker-und-rechtsextreme-sind.769c93ef-8d0f-4721-a14e-032125599306.html . Wer es hier an Geistesgegenwart mangeln lässt, begibt sich auf einen gefährlichen Pfad.
8 Antworten
Wenn ich Verschwörungstheorien mit Michel Focault als Folge disqualifizierten Wissens deute, liegt die Ursache ihres beängstigenden Aufstiegs in den Bildungs- und Kommunikationssystemen der „Mehrheitsgesellschaften“. Mit anderen Worten: Das Nichtwissen um die grundlegenden Zusammenhänge der Gesellschaft muss erst in der Mehrheitsgesellschaft vorhanden sein, ehe sich Verschwörungstheorien verbreiten.
Somit existieren Verschwörungstheorien im Sinne der herrschenden Lehre (orthodoxe) und davon abweichende (heterodoxe). Simples Beispiel: Das der Einfluss von Bill Gates und anderen weit über den Einfluss des gewöhnlichen Staatsbürgers hinausgeht, wird kaum jemand bestreiten. Wie weit er genau reicht, liegt aber ebenso weitgehend im Dunklen wie die z.b. Hintergründe des Anschlags auf Nawalny oder der „Flüchtlingskrise“. Die öffentliche Behandlung dieser Themen bewegt nicht nur auf den Plätzen, sondern auch in den Leitmedien, deshalb weitgehend im Status des „Geschwurbels“.
Verstärkt wird das „Geschwurbel“ (d.h, unverständliche, realitätsferne oder inhaltsleere Aussagen) durch den Umstand, dass die Massenmedien zwar aufklären könnten, aber Gewinn erzielen müssen. Leider soll jetzt auch die schulische Bildung das Ideal Pestalozzis („dein Lehrer soll dein Befreier sein) vollends begraben und den großen Digitalkonzernen unbeschränkten Zugang in sämtliche Kinder- und Klassenzimmer sichern, in denen die Angelegenheiten der Polis oder Ethik mangels wirtschaftlicher Verwertbarkeit schon lange nur noch geduldet am Rande dümpeln.
Wäre der öffentliche Diskurs ein demokratischer, stünden die von Christian Wolff am Ende genannten 4 Punkte im Mittelpunkt jedes Corona – Berichts. Nur an diesen Punkten lassen sich die aktuelle und vor allem die künftigen Corona – Krisen wirksam bekämpfen. So dominiert die Suche nach dem erlösenden Impfstoff, der gegen alle Erfahrung so schnell wie möglich das Problem ohne Antasten der Ursachen lösen soll: also dem Abbrennen der Urwälder und dem weiteren naturzerstörenden Wirtschaftswachstum. Das aber ist: gefährliches Geschwurbel.
@ Heinz Schneide, „Wäre der öffentliche Diskurs ein demokratischer…“
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Ich kann an dem öffentlichen Diskurs in unserem Land nichts Undemokratisches erkennen. Dazu ist auch die Medienlandschaft zu vielfältig. Es gibt kaum ein Land, in dem es so viele Regionalzeitungen gibt. Sicher, auch da ist ein Konzentrationsprozess im Gang, werden Redaktionen zusammengelegt. Aber selbst die größte Boulevardzeitung, die man nicht im Abonnement beziehen kann und die daher täglich bemüht sein muss, möglichst viele Exemplare zu verkaufen, ist im Vergleich mit britischen oder amerikanischen Revolverblättern bzw. Radio- und Fernsehstationen geradezu seriös.
Nun, ich bin da skeptischer als Sie. Habermas definierte den demokratischen Diskurs als eine Form des Gesprächs, das auf den Austausch divergierender Geltungsansprüche und die Kraft des besseren Arguments vertraut. Nehmen Sie das aktuelle Corona-Rettungspaket, welches alternativ zur Neuverschuldung durch eine Vermögensabgabe auf die privaten Geldvermögen von weniger als 3,5% hätte finanziert werden können. Ich habe hierzu keinen breiten demokratischen Diskurs vernommen; die besseren Argumente sprechen eindeutig für die Vermögensabgabe.
Ich habe mich vor allem auf die Massenmedien bezogen und sehe dort, neben dem immer noch dominierenden „there ist no Alternative“, ein weiteres gravierendes Defizit. Der Zuschauer/Leser wird nicht als Souverän angesprochen, als Regierender, sondern belehrt. In scharfen Kontrast dazu die Berichte von der Börse. Der „Anleger“ erscheint als Souverän. Das ist alles näher am Gesslerhut als am demokratischen Diskurs.
Warum demonstrieren diese „Oberhelden“ nicht gegen die Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr? Diese Verordnungen sind doch reiner diktatorischer, freiheitsberaubender Zwang! Oder?
Lieber Herr Wolff,
gefährliches Geschwurbelt wird sowohl von den Regierungsgegnern als auch von Regierungseite und deren Anhängern. Ich bin der Meinung, dass letztere sogar mit dem Geschwurbel begonnen haben und es bis heute nicht lassen. Bis heute wird von Regierungsseite mit Zahlen manipuliert, indem auf gefährlich klingende, aber unbedeutende bzw. ohne korrekten Kontext sinnlose Werte fokussiert wird.
Zwar werden auch Zahlen im korrekten Kontext veröffentlicht, aber eher so, dass sie möglichst nicht bemerkt werden.
Beispiel: Täglicher Situationbericht des RKI – worauf wird fokussiert?
– Ganz vorn und farblich hervorgehoben die Zahl der Labortests mit positivem Ergebnis, bezeichnet als „bestätigte Fälle“. Das wird von diversen Medien so übernommen.
– Dagegen auf der vorletzten Seite die Zahl der aktuell schwer erkrankten Personen sowie der täglich verstorbenen Personen.
– Einmal wöchentlich (Mittwochs) auf einer hinteren Seite die wöchentliche Positivquote, d.h. Anzahl der Tests mit positivem Ergebnis geteilt durch Gesamtzahl der Tests.
Ich sehe das Geschwurbel auf den Demos eher als Folge des Regierungs- und Medien-Geschwurbels. Eine ehrliche und transparente Information der Bevölkerung würde dem Demo-Geschwurbel sehr schnell ein Ende bereiten. Das ist offensichtlich aber nicht gewünscht.
Ihre Kritik an den Regierungsgegnern, sie würden aus der Krise nichts lernen, muss man ebenso an die Regierung und ihre Anhänger adressieren. Was ist deren Lernergebnis? Es muss möglichst schnell und wenn nötig unter Umgehung der üblichen Testszenarien ein Impfstoff her, koste es was es wolle. Also wenn das nicht gefährliches Geschwurbel ist, was ist es dann?
Ist das Greschwurbel wirklich so gefährlich? Wieviele von den 300 Teilnehmern an der Demonstration kamen von auswärts? Die von „Pegida“ propagierte Bedrohung des Abendlands durch Moslems ist ja schon abstrus, hatte jedoch eine gewisse Attraktivität für bestimmte Schichten der Bevölkerung („Bodensatz“ – Kurt Biedenkopf).
Lt. einer aktuellen FORSA-Umfrage haben 91 Prozent der Deutschen kein Verständnis für die Demonstrationen.
https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/corona-massnahmen-kippt-die-stimmung-in-deutschland-0940640309.html
Natürlich versuchen rechte Ideologen und Bauernfänger Stimmungen gegen Staat und Regierung auszunutzen, aber viel an Masse ist da für sie bei diesen Demonstrationen nicht zu holen.
Ich kann nur sagen: Wachsam bleiben! In Sachsen haben wir fast drei Jahrzehnte die Augen vor den Rechtsextremisten verschlossen. Die Folgen sind bekannt.
Lieber Christian, vielen Dank für den sehr interessanten Berich über die Kundgebung. Deine Einschätzung teile ich voll. Ich bin auch jeden Tag im Lockdown mit dem Fahrrad insgesamt 30 km ins Büro gefahren und wurde kein einziges Mal von der Polizei angehalten. Wenn die sahen, man war allein unterwegs, war alles o.k. Also von Diaktatur kann in keiner Weise die Rede sein. Reden wir stattdessen über Solidarität für Menschen der Risikogruppen. Denen sind wir es schuldig die AHA-Regel einzuhalten! LG Friedrich