Auf einer kleinen Kundgebung habe ich am 01. September 2015 die folgende Rede zum Antikriegs- und Weltfriedenstag auf dem Nikolaikirchhof Leipzig gehalten.
Der 01. September als Antikriegs- bzw. Weltfriedenstag ist nicht mehr allzu präsent im kollektiven Bewusstsein unserer Gesellschaft – sonst müssten sehr viel mehr Menschen hier versammelt sein.Das liegt zum einen an den 76 Jahren, ein ganzes Lebensalter, die zwischen heute und dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen liegen. Damit begann der 2. Weltkrieg. Zum anderen wurden seit 1945 weltweit über 200 Kriege geführt – seit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes etliche Kriege unter Beteiligung der Bundeswehr. Da passt es nicht so richtig in die politische Großwetterlage, einen Antikriegstag oder Weltfriedenstag zu begehen und sich der verheerenden Rolle Deutschlands im 20. Jahrhundert zu erinnern.
Doch auch ohne die Gedenktage kommen uns in diesen Wochen Kriege bedrohlich nahe – nicht zuletzt deshalb, weil Menschen, die sich vor der Zerstörungskraft von Kriegen in Sicherheit zu bringen versuchen, also flüchten, zu uns stoßen, bei uns Schutz und – Frieden suchen. Das Absurde: Diese Situation führt nicht dazu, dass bei uns eine große Debatte anläuft, wie es zu einer Befriedung in den Kriegsgebieten, im Nahen Osten oder in der Ukraine kommen kann. Stattdessen ist zu lesen, dass die Flüchtlingswelle ihre Ursache auch darin haben soll, dass Europa, dass Deutschland sich aus zu vielen Konflikten heraushält – wobei unter „heraushalten“ alles subsumiert wird, was jenseits von militärischen Interventionen liegt. Es ist ein Elend, ja eine politische Bankrotterklärung, wenn „Intervention“, also das Eingreifen in politische Entwicklungen, allein militärisch verstanden wird. Solange wir aber versuchen, gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien konsequent aus dem politischen Diskurs auszuklammern, werden wir immer wieder in der Sackgasse des Krieges landen. Krieg aber bedeutet – völlig unabhängig von einer unterstellten „Berechtigung“, völlig unabhängig davon, ob ein „christliches Abendland“ verteidigt, ein islamischer Staat errichtet, eine nationale Einheit wiederhergestellt oder ein diktatorisches System beseitigt werden sollen – Krieg bedeutet:
- Zerstörung aller Werte des menschlichen Lebens;
- Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen in den Kriegsregionen;
- kulturelle und soziale Verwilderung der Menschen.
Um sich davor zu schützen, fliehen Menschen vor Kriegen und Bürgerkriegen.
Wir haben endlich zu begreifen: Nicht der Krieg erzeugt ursächlich Demokratie, Grundwerte, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, wie uns immer wieder vorgegaukelt wird. Er schafft auch nicht die Bedingungen dafür. Die Behauptung, dass wir auch in der Menschenrechtspolitik ohne militärische Interventionen, ohne kriegerische Handlungen nicht auskommen, halte ich auch im Blick auf Auschwitz für ein politisches Ammenmärchen. Trotzdem wird uns Krieg als nicht zu vermeidende Wirklichkeit verkauft und entsprechend vorbereitet. Dabei können wir am 2. Weltkrieg erkennen, dass er nicht zum Frieden geführt hat. Denn wenige Wochen nach dem „Tag der Befreiung“ wurden zwei Atombomben abgeworfen wurden und in seiner Folge entstand ein in zwei Machtblöcke gespaltenes, verfeindetes, hoch gerüstetes Europa stand. Erst die Friedliche Revolution in der DDR und in anderen osteuropäischen Staaten, also die politische Umwälzung unter Verzicht auf militärische Gewalt, hat eine neue Friedensordnung in Europa ermöglicht.
Dass diese Perspektive im Gedenken an 1989/90 kaum eine Rolle spielt, empfinde ich als einen eklatanten Mangel. Dass heute kaum noch vom Irakkrieg 2003 als eine wesentliche Ursache für die jetzige katastrophale Konfliktsituation im Nahen Osten geredet wird (heute hörte ich im Radio, dass der Irakkrieg eine „imperiale Überdehnung“ gewesen sei – nein: Er war ein Verbrechen einer kriminellen Bande), dass der politische Wille, durch gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien Veränderungen zu erreichen, sehr gering ausgeprägt ist, muss uns vor allem an einem Tag wie diesen erschrecken und mahnen. Denn die Gewaltfreiheit entspricht den Werten, auf die wir unser Leben gründen. Gewaltfreiheit als Maßstab politischen Handelns hat sich auch in der Geschichte als die einzige Möglichkeit erwiesen, langfristig Regionen und Völker zu befrieden und Terror zu überwinden. Sie ist auch die einzige Möglichkeit, Folgen von kriegerischen Handlungen zu beseitigen.
In diesen Wochen vor 50 Jahren erschien die sog. Ost-Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“. In dieser Denkschrift plädierte die EKD für eine Anerkennung der Grenzen zu den östlichen Ländern Polen und Tschechien. Damit wurde eine Basis geschaffen für das, was wir wenig später Ost- oder auch Versöhnungspolitik genannt haben. Egon Bahr und Willy Brandt haben diesen Impuls damals aufgenommen. Bekanntlich mündete diese Politik ein in die Überwindung des Ost-West-Konfliktes 1989/90. Vor 50 Jahren aber war diese Denkschrift mehr als umstritten. Vor 50 Jahren liefen viele Flüchtlinge, Vertriebene aus den sog. deutschen Ostgebieten, Sturm gegen die Äußerung der EKD. Heute ist unstrittig, dass deren Flucht und Vertreibung ein Unrecht waren. Aber hinter diesem Unrecht stand ein viel größeres Verbrechen: das des Krieges. Auch darum müssen wir heute gegen jede kriegerische Handlung Einspruch erheben, weil aus ihr nur neues Unrecht erwachsen kann.
Ein letzter Gedanke: Dass derzeit weltweit Millionen Menschen auf der Flucht sind und dass einige dieser Flüchtlinge nach Europa drängen und wir einige dieser Einigen in Deutschland aufnehmen sollen, erzeugt – wie wir seit einigen Wochen erleben – neue, auch innergesellschaftliche Konfliktfelder. Wer nun meint, diese Konflikte mit Gewalt lösen zu können, der setzt das fort, wovor die Menschen flüchten: Krieg. Darum ist mit jedem Flüchtling, der zu uns kommt, ein neuer Friedensauftrag verbunden: Zusammenleben ermöglichen unter Bedingungen der Gewaltlosigkeit. Hoffentlich werden wir in diesem Auftrag gerecht.
10 Antworten
Ja, mein lieber Schwertfeger – Stilfragen sind in der Debattenkultur sehr gefragt, und diese pflege ich, weil es anderen in dieser Kategorie an trivialster Allgemeinbildung fehlt.
Und glauben Sie mir – ich habe eine Meinung, wahrlich – die habe ich! Und die äußere ich seit Jahrzehnten auch öffentlich (Ihr Wahrnehmungshorizont scheint mir da ein wenig begrenzt zu sein. Nur: allein ich suche mir gern die Gesprächspartner selbst aus, mit denen ich Argumente austausche, und da bin ich ziemlich wählerisch. Sie als alter Kampfhase wissen es doch genau: ein Duell (im übertragenen Sinne) ist nur mit einem fairen „Gegner“ auszufechten; alles andere wäre schäbig! Jo.Flade
Der demokratische Diskurs, lieber Herr Flade, den Christian Wolff gerne führen will, lässt sich nunmal nicht in der Stille bewältigen – das haben Sie wohl übersehen. Inhaltliche, sachliche Argumente sind in ihm gefragt – und von Ihnen ist bisher noch keines gekommen. Lassen Sie doch mal was zur Sache in der Diskussion hören, dann wüsste man wenigstens, dass Sie neben Ihrem so ausgefeilten Stilempfinden auch eine Meinung haben. Bisher haben Sie sich immer nur empört abgemeldet, um dann doch wieder aufzutauchen.
Mit freundlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Wie bereits zum Blog von Chr. Wolff berechtigte Reaktion an DIE ZEIT (ich bin Dauerleser dieser Wochenschrift) meinerseits angemerkt, wiederhole ich auch an dieser Stelle: oh, oh, oh – Herr Schwertfeger; das nimmt ja geradezu psychopatische Züge an. Fast flehentlich ersuche ich Sie, doch einfach nur mal die eine oder andere Ansicht stehen zu lassen und Chr. Wolff und alle Andersdenkenden nicht mit diesem unsäglichen Sarkasmus zu bedrängen. Bleiben Sie einfach nur mal still – Stille ist ein wunderbarer Zustand und lässt Eigenreflektion zu – wenn man es will.
Der Beitrag von Herrn Busch ist langatmig und recht verworren, aber er widerlegt eben nicht, dass die Amerikaner aus ihrer damaligen strategischen Lagebeurteilung heraus mit dem Einsatz der beiden Atombomben ein schnelles Kriegsende herbeiführen und eigene zu erwartende sehr hohe Opfer vermeiden wollten. Das ist ein legitimes Vorgehen im Krieg. Dass die japanische Verteidigung der Hauptinseln eine fanatische sein würde, kann niemand ernsthaft bestreiten, und auch nicht, dass die Amerikaner – logischerweise – in einem Krieg des „island-hopping“ ungeheuer hohe Verluste hatten und deshalb auch weiter erwarteten. Herr Busch deutet allerdings ein zusätzliches Argument an, dass die Amerikaner zu einem Einsatz dieser Waffen veranlasst haben mag, nämlich dass sie mit diesem Einsatz auch gegenüber der Sowjetunion abschreckend wirken wollten. Diese hatte ja nach VE-Day eine gewaltige militärische Übermacht in Europa stehen – und es mag also ein Zeichen Richtung Stalin auch gewesen sein. Churchill hat immerhin (wie wir Kielinger entnehmen können) eine „operation unthinkable“ angedacht und schon 1945 an Trumann über den „Eisernen Vorhang“ geschrieben.
Also, Herr Busch, bleiben Sie locker. Strategie ist nicht Jedermanns Sache.
Andreas Schwerdtfeger
Das ist es ja, lieber Herr Wolff, was den Begriff „falsch“ zum einzig richtigen Macht – leider. Denn es geht bei der Frage Wehrmacht oder Drittes Reich nicht um Verantwortung sondern um die hochpolitische Frage der Entscheidungsebene. Natürlich war die Wehrmacht mitverantwortlich, ebenso auch das Auswärtige Amt, die Beamtenschaft, die Lehrerschaft, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Medien – alle standen in der Mitverantwortung, aber die POLITISCHE Entscheidung lag beim Reich. Und wer das nicht klar auseinanderhält, liegt nunmal „falsch“.
Und wie anders soll man ihren Text auffassen, wenn nicht als ideologisch verbrämt. Wer keine realpolitischen Grundlagen akzeptiert und keine realpolitischen Entwürfe anbietet, lebt eben in ideologischen Phantasien.
Ihre Meinung, sofern sie gut begründet ist und aus dem Verstand mindestens ebenso kommt wie aus dem Herzen, akzeptiere ich ja und ich gehe ja weiter als Sie (wahrscheinlich), indem ich sage, wir verfolgen das gleiche Ziel. Aber Ihre schöne Rede oben, ist „aus dem Bauch“ und es fehlen ihr sachliche Argumente.
Mit freundlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Wolff,
während ich diese Zeilen vorbereitete, lese ich den Kommentar von Herrn Schwerdtfeger, der ja sachlich korrekt ist. Man könnte noch hinzufügen, dass der 2. Weltkrieg vielleicht hätte vermieden werden können, wenn Chamberlain Hitler nicht durch seine Appeasement-Politik viel zu lange entgegen gekommen wäre.
Dennoch bewundere ich Ihre aus Ihrer christlichen Überzeugung abgeleitete konsequent pazifistische Haltung. Leider ist nur, wie wir täglich erfahren und wie schon Thomas Hobbes und nach ihm Gaetano Mosca und viele andere feststellten, nicht jeder Mensch von Natur aus gut, sondern mancher von Gier, Stolz, Machtstreben und Kampftrieb beherrscht, und daher werden sich wohl auch in Zukunft (wie in der Gegenwart) kriegerische Auseinandersetzungen nicht ganz vermeiden lassen, und wir müssen darauf vorbereitet sein und dürfen nicht durch falsches appeasement zulassen, dass daraus wieder Weltkriege entstehen. Da scheinen mir Merkel, Steinmeier und von der Leyen durchaus das richtige Maß zu finden.
In dem Zusammenhang dürfte Sie die nachstehende – auch sehr idealistische – Initiative eines jungen Journalisten gegen die die ganze Welt immer noch stark bedrohenden Atomwaffen interessieren, die Sie hier nachlesen können: https://krautreporter.de/924–atombomben-die-krautreporter-geschichten-dieser-woche .
Viele Grüße Ihr Hans v. Heydebreck
Lieber Christian,
es ist so schön immer wieder von Dir zu hören. Ja, wir müssen all`unsere Kräfte bündeln und auch das, was wir aus der Bergpredigt wissen immer wieder betonen und in die Welt hinausposaunen. Und – obwohl ich allen Parteien gegenüber kritisch bin-: Danke Gerhard Schröder! Er hat so klar und energisch gesagt: Deutschland beteiligt sich an keinem Krieg. Ob die gegenwärtige Kanzlerin auch diesen Schneid und die Widerstandskraft hat? Paulus zu Petrus: “ Ich widerstand ihm ins Angesicht….Fühle mich von Politikern verlassen. Müsste Dir- was mich betrifft – nicht neu sein.
Gerade habbe ich in mein Moleskine- Notizbuch das Gedicht von Bert Brecht hineingeschrieben, das mich sehr bewegt: An die Nachgeborenen:“…Die Kräfte waren gering. Das Ziel lag in großer Ferne.Es war deutlich sichbar, wenn auch für mich kaum zu erreichen. So verging meine Zeit, die mir auf Erden gegeben war.Das wissen wir doch: Auch Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heisser.Ach, wir die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein. Ihr aber, wenn es so weit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist, gedenkt unsrer mit Nachsicht“ Diese Worten hallen in mir nach, denn so finde ich- geht es unserer Generation auf`s Neue.Dir,Du Unermüdlicher und Aufrechter, viele herzliche Grüße Adelheid
Ja, hier ist ja wieder alles falsch, was nur falsch sein kann!
1. Nicht die deutsche Wehrmacht hat 1939 Polen überfallen, sondern das Deutsche Reich. Dies ist keine semantische Korrektur, sondern der wichtige Hinweis, dass es eine POLITISCHE und nicht eine militärische Entscheidung war. Die Generalität der Wehrmacht hat überwiegend von dem Angriff abgeraten; Generaloberst Beck war vorher zurückgetreten. Hitler war Reichskanzler – ein politisches Amt. Wer nicht einmal die Ebenen auseinanderhalten kann, sollte lieber sich aus dem Thema raushalten.
2. Am zweiten Weltkrieg können wir erkennen, dass aus einem schrecklichen Krieg an zwei Fronten (Europa und Japan) die stabilsten regionalen Frieden und die friedlichsten Völker der Geschichte enstanden sind: Deutsche und Japaner. Aus alliierter Sicht (ohne Zweifel historisch richtig) war der Krieg eben nicht beendet, als das Deutsche Reich geschlagen war, weil Japan noch kämpfte. Und die Atombombenabwürfe – so schrecklich sie sind – dienten der schnellen Kriegsbeendigung gegen fanatische japanische Verteidigungspläne, die nachweislich existierten. Im letzten Kriegsjahr sind in Europa die Hälfte aller Toten des europäischen Krieges – in anderen Worten: viele Millionen – angefallen – so sieht fanatische Verteidigung bis zum Ende aus und das hatten die Amerikaner vor Augen.
3. Das falsche Irak-Bild ist ja nichts Neues. Interessant ist nur, dass wieder einmal in allen anderen Krisenregionen dringend eine (Friedens-)Strategie gefordert wird, ohne diese auch nur im geringsten zu umreissen. Niemand kann zB Merkel / Steinmeier vorwerfen, dass sie nicht in allen Krisenregionen auftreten, und mit den Mitteln der Diplomatie und auch der wirtschaftlichen Hilfe für Mäßigung und Hilfe sorgen. Gegen Fanatiker à la Saddam (damals) oder IS (heute) hilft das eben leider nicht. Ausser natürlich: Frau Käßmann würde endlich mal mit der Bergpredigt unterm Arm hinfahren und uns endlich vom Terror befreien – aber sie tut es ja leider nicht!
4. Bei allem Respekt vor Brandt und Bahr und der Ostpolitik: Der Zusammenbruch des Warschauer Paktes und die Friedliche Revolution in Polen, Ungarn, der damaligen Tschechoslowakei und auch bei uns in der „DDR“ war eine Folge des Zusammenbruchs von Comecon, der nicht vorhandenen wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des Ostens. Und diesen Zustand haben nicht Brandt / Bahr sondern Schmidt / Kohl (zusammen mit den Nato-Alliierten und der EU) herbeigeführt. Dies mindert nicht, den Mut der friedlichen Revolutionäre – aber in Wirklichkeit war eben niemand im Ostblock mehr wirtschaftlich imstande, dem Volk entgegenzutreten.
Lieber Herr Wolff, gehen Sie Geschichte studieren, ehe Sie ideologisch geprägte Phantasien in die Welt setzen.
Mit herzlichem Gruss,
Andreas Schwerdtfeger
Es wäre sehr hilfreich für den kritischen Diskurs, wenn Sie Begriffe wie „falsch“ und „ideologisch geprägte Phantasien“ vermeiden können. Es ist ja in Ordnung, dass Sie eine andere Meinung vertreten – nur wird dadurch meine nicht falsch, noch ist sie ideologisch verbrämt. Dass dem Überfall der deutschen Wehrmacht eine politische Entscheidung zugrunde lag, ist unstrittig. Damit ist die Wehrmacht aber nicht aus der Verantwortung entlassen. Ihrem 2. Punkt möchte ich sehr entschieden widersprechen: Wir verdanken einem Krieg gar nichts! Solange wir aber so tun, als setzen die Errungenschaften, auf die wir heute stolz sind und die uns eine lange Friedenszeit beschert haben, einen Krieg notwendig voraus, solange werden wir weiter dem Irrtum aufsitzen, dass Kriege unvermeidlich sind. Mir geht es vor allem um eines: die Umkehrung der Prioritäten, also gewaltfreie, zumindest gewaltvermindernde politische Strategien haben grundsätzlich Vorrang vor militärischen Optionen. Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Herr Schwerdtfeger,
Ihr erster Satz scheinen Sie unbewusst auf Ihren Beitrag selbst angewandt zu haben. Um die Diskussion nicht unnötig in die Länge zu ziehen, beziehe ich mich nur auf Ihren zweiten Punkt, die oft gehörte Behauptung, die beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hätten das Ende des zweiten Weltkrieges unter geringeren Opferzahlen als die Fortführung des konventionellen Krieges herbeigeführen sollen.
Japans Marine war weitgehend zerstört oder aufgrund Treibstoffmangels nicht einsatztauglich. Die auf den japanischen Inseln geplanten Befestigungen waren noch nicht fertiggestellt, so dass etwa Kyushu mittels 3500 Kamikaze-Flieger und 5000 Shinyo-Selbstmordbooten verteidigt werden sollte. Das Resultat dieser Einsätze jedoch ist in kriegsstrategischer Hinsicht eher mager: 2800 Kamikazeflieger töteten zuvor etwa 4900 US-Soldaten, versanken jedoch insgesamt etwa 50 Schiffe, darunter 14 Zerstörer (von insgesamt über 500) als größte Schiffe, der Rest kleinere Schiffe. Die militärischen Erfolge der Shinyo waren noch geringer. Die zu erwartenden Verluste waren daher aufgrund der geschlagener Marine und Luftwaffe, sowie der wirtschaftlichen Isolation Japans, gering (die tatsächliche Lage der japanischen Streitkräfte war den Alliierten aufgrund ihres Dechriffrierprogrammes wohlbekannt). So sprachen sich auch zahlreiche hochrangige US-Militärs wie MacArthur oder Eisenhower gegen den Einsatz der Atombombe aus. Die von Ihnen angesprochene vermutete Intensivierung des Krieges sowie Ihre numerische Abschätzung diesbezüglich 1944-45 in Europa nimmt aber vermutlich die zivilen polnischen (5 Mio) und sowjetischen Opfer (17 Mio) aus, so dass die Zahlen – warum auch immer – vorne und hinten nicht stimmen können.
Zurück zu Japan: Militärisch bedeutsam war die Konzentration der japanischen Streitkräfte im Süden zur Abwehr des bevorstehenden US-Angriffs, so dass Japan die Nordinseln bezüglich einer Invasion von Seiten der Sowjetunion sehr verwundbar waren. Diese war aufgrund des sowjetisch-japanischen Neutralitätspakt eigentlich nicht zu befürchten, dieser wurde von Stalin jedoch im April 1945 mit Wirkung April 1946 aufgekündigt, was jedoch die japanische Führung enorm beunruhigt hatte. So beliefen sich die japanischen Hoffnungen auf einen unter sowjetischer Hilfe ausgehandelten Friedensvertrag ohne eine bedingungslose Kapitulation eingehen zu müssen, unter welcher der Kaiser hätte schmachvoll abdanken müssen. Diese Hoffnungen wurden mit dem Einmarsch der Sowjetunion, welche zwei Stunden vor dem Abwurf von Fat Man auf Nagasaki der japanischen Führung mitgeteilt wurde, völlig zerschlagen. Die sowjetischen Truppen waren mit etwa zeh Tagen auch wesentlich schneller zu einer Invasion von Hokkaido in der Lage als US-Truppen eine Invasion hätten durchführen können, was somit eine unmittelbaren Bedrohung für Japan darstellte.
Da auch Japan ein Atombombenprogramm unterhalten hatte, war den Japanern klar, dass die USA aufgrund der technischen Herausforderungen keinen unerschöpflichen Vorrat an Atombomben vorhalten konnten; tatsächlich wären die dritte Bombe erst etwa zehn Tage später einsatzfähig gewesen, und jeweils weitere drei im September und Oktober.
Interessanterweise hatte die japanische Führung auch Befürchtungen vor Unruhen in der Bevölkerung aufgrund der schlimmen wirtschaftlichen und humanitären Lage in Japan. Der Marineminister sprach sogar von den Atombombenabwürfen und der sowjetischen Kriegserklärung als „göttliche Geschenke“, die es der Führung erlaubten, ihr Gesicht zu wahren. Dieser Aspekt der Gesichtswahrung sowie der unberührte Status des Kaisers waren der japanischen Führung weit wichtiger als die Höhe der zivilen Opfer. Die japanische Führung hatte bereits auch Verhandlungen zu einer Kapitulation aufgenommen, wolte jedoch keine Entwaffnung, keine Verurteilung von Kriegsverbrecher (ein Punkt der heute noch in der von Ihnen sogenannten „friedvollsten“ Nation immer noch Emotionen aufflammen lässt), keine Besatzung und auf keinen Fall eine Absetzung des Kaisers akzeptieren.
Militärisch und wirtschaftlich war Japan am Ende, eine Kapitulation Japans unter Bedingungen hatte sich bereits abgezeichnet. Warum also haben die USA die Bomben abgeworfen? Da kann für mich nur das Verhältnis der USA zur Sowjetunion eine Rolle spielen: die Sowjetunion hat bei verschiedenen Gelegenheiten ein schnelles Kriegsende durch Verhandlungen blockiert, vermutlich da Stalin sich weitere Gebietsgewinne erhofft hatte. Dem wollten die USA wohl durch eine schnell erzwungene Kapitulation Japans entgegentreten, die sie mit konventionellen Mitteln wohl kaum zeitlich vor einer sowjetischen Invasion auf Hokkaido erreicht hätten. Dann aber hätte auch der japanische „Kuchen“ aufgeteilt werden müssen, was sicher nicht im US-Interesse lag.
Wie Sie sehen, hält von Ihren Behauptungen zum zweiten Punkt nicht viel einer genaueren Überprüfung stand. Ich erspare mir die Auseinandersetzung im Detail mit Ihren weiteren Punkten.
Um mit den Worten Ihrer Polemik zu schließen: wer sich mit den historischen Details nicht auseinander setzen will, sollte sich aus dem Thema heraushalten. Gehen Sie Geschichte studieren, ehe Sie Ihre ideologisch geprägten Phantasien in die Welt setzen (auch wenn Sie mit diesen – leider – nicht ganz alleine dastehen). In diesem Sinne, nichts für ungut.
Viele Grüße,
JB