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Falsche Prioritäten

Das eine ist, eine bedrohliche Krise wie die Corona-Pandemie zu managen, den Shutdown einzuleiten, die Bevölkerung auf einschneidende Veränderungen einzustellen. Die verantwortlichen Politiker/innen in den Regierungen und die leitenden Beamt/innen in den Verwaltungen haben sich dieser Aufgabe vor allem im Vergleich zu anderen Ländern so gestellt, dass ein großer Teil der Bevölkerung den getroffenen Maßnahmen zustimmen konnte. Doch nun tritt die Coronakrise in eine neue Phase: Zum einen lässt sich ein gesellschaftlicher Stillstand nicht länger als einige Wochen durchhalten. Entschleunigung wird zur Anstrengung. Zum andern ist völlig offen, wann und vor allem ob ein Impfschutz gegen das Covid 19 Virus zur Verfügung stehen wird. Also müssen wir lernen, mit diesem Virus zu leben, und wie sich unsere Gesellschaft – Arbeit, Bildung, Wirtschaft, Kultur – entwickeln soll. Das geht weit über Hilfsprogramme hinaus, mit denen aktuell versucht wird, die schlimmsten Verwerfungen aufzufangen. Wir kommen an der Frage nicht vorbei, warum das Covid 19 Virus weltweit so erfolgreich sein kann und warum es erstmals in den Industrienationen ausbrach, bevor es dort seine verheerende Wirkung entfaltet, wo bisher Epidemien ihren Anfang nahmen, in den sog. Entwicklungsländern. Viele Menschen haben das untrügliche Gefühl, dass sich mit diesem Virus die Natur gegen unser Turboleben wehrt. Sie können das nicht exakt begründen. Aber sie spüren sehr genau, dass es ein Zurück zum normalen Leben nicht geben darf. Darum kommt es jetzt darauf an, wie in unserer Gesellschaft die Prioritäten gesetzt werden. Doch da zeichnet sich ab, dass die Versuchung, auf ausgetretenen Pfaden weiter zu wandeln, sehr groß ist – und damit die Prioritäten falsch zu setzen.

Bildung: Eigentlich soll schulische Bildung dazu beitragen, vorhandene soziale Unterschiede einzuebnen und auszugleichen. In Deutschland trägt sie aber seit Jahrzehnten dazu bei, dass die sozialen Unterschiede nicht abgebaut werden, sondern sich verschärfen. Genau das setzt sich in den Coronakrise fort. Nicht die Kinder, die ihren Bildungsweg beginnen, und schon gar nicht die, die in prekären Verhältnissen aufwachsen, stehen im Zentrum der Bemühungen. Sehenden Auges sind letztere seit Wochen abgehängt von Kommunikation und Zuwendung. Dafür kümmert man sich als erstes um die Schüler/innen, die am längsten ohne jede Unterbrechung Bildung genießen konnten: die Abiturient/innen und die Schüler/innen, die mit diesem Schuljahr ihren Abschluss machen. Anstatt diesen auf der Grundlage der bisherigen Leistungen ihr Abschlusszeugnis auszuhändigen, werden sie als erste wieder beschult. Damit werden Kräfte gebunden, die an anderer Stelle fehlen. Die Folge ist fatal: Die Kinder, die gar nicht in der Lage sind, dem digitalen Unterricht zu folgen und deren Eltern (falls überhaupt vorhanden) sie nicht anhalten, am Homeschooling teilzunehmen, bleiben auf der Strecke. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hat vollkommen Recht: „Wenn über die Wiedereröffnung der Bundesliga mehr diskutiert wird als ob ein Kind auf die Schaukel zurück darf, finde ich das schon skuril.“

Ladenöffnungszeiten: Der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen Andreas Pinkwart (FDP) fordert, die Beschränkung der Ladenöffnungszeiten an Sonntagen zu lockern. Er steht damit nicht allein. Man fragt sich: Wieso das? Wollen wir tatsächlich zum Turbo-Konsumismus zurückkehren, der ein Mosaiksteinchen auf der verlockenden Angriffsfläche für das Coronavirus ist? Wieso fragen wir nicht: Wie können wir lebendiges städtisches und dörfliches Leben gestalten, ohne den Konsumismus in der gleichen Besinnungslosigkeit anzuheizen wie bisher?

Nachtflugverbot: Mehr als 95 Prozent aller Flüge fallen derzeit aus – aber auf vielen Flughäfen wurde das Nachtflugverbot „temporär“ aufgehoben. Warum? Etwa um für die Zeit nach Corona Fakten zu schaffen und den Flugverkehr noch weiter auszubauen, als er vor Corona war?

Abwrackprämie: Die Autoindustrie fordert jetzt einen staatlichen Zuschuss als Anreiz für den Kauf eines neuen PKW – unter Beibehaltung der Boni-Zahlungen und Ausschüttung von Dividenden an die Aktionäre. Das aber ist mehr als ein falsches Signal. Die Abwrackprämie soll auch beim Kauf eines mit Benzin oder Diesel angetriebenen Autos gezahlt werden. Anstatt die jetzige Situation zu nutzen, um ausschließlich klimafreundliche Antriebsarten (Hybrid, Wasserstoff, eMobil) zu fördern, will man offensichtlich zu dem zurückkehren, was uns mit in die Krise getrieben hat: die einseitige Ausrichtung auf Straßenmobilität.

Klimaschutz: Schon jetzt mehren sich die Stimmen, die eine Abkehr von den bzw. ein Aussetzen der Klimaschutzziele fordern (https://www.klimareporter.de/finanzen-wirtschaft/wirtschaft-sind-sinkende-strompreise-zu-teuer). Doch damit wird ein ursächlicher Zusammenhang von Coronavirus und Klimawandel geleugnet.

Gesichtsmasken: Die Diskussion ist verworren bis absurd. Dennoch wird die Pflicht, eine Maske zu tragen, immer weiter ausgedehnt. Gestern las ich in einer der vielen kursierenden Persiflagen: „Masken sind nutzlos. Aber Sie sollten eine tragen, denn sie kann Leben schützen.“ Die Maske ist ein Symbol dafür, wie wir uns vor den eigentlichen Fragen schützen. Eine der gesellschaftspolitischen Grundfragen ist: Wie wollen wir das gesellschaftliche Immunsystem stärken? Wie können wir Ängste vor dem freien Fall ins Nichts, vor Isolation, vor dem Sterben, abbauen und Vertrauen in eine Entwicklung stärken, in der keiner abgehängt wird? Wie also können wir den sozialen Zusammenhalt stärken in einer Situation, in der durch den Shutdown alle Voraussetzungen gegeben, dass sich die sozialen Gräben vertiefen?

Würde des Menschen: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat durch seine Bemerkung, dass in unserem Rechtsstaat nicht alles staatliche Handeln dem Schutz des Lebens unterworfen werden könne; wenn es einen absoluten Wert unserer Verfassung überhaupt gebe, dann sei es die Menschenwürde (vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/bundestagspraesident-zur-corona-krise-schaeuble-will-dem-schutz-des-lebens-nicht-alles-unterordnen/25770466.html) eine hoffentlich klärende Debatte ausgelöst. Richtig ist, dass mit der abstrakten Forderung, das Leben zu schützen, die Realität des Sterbens ausgeklammert zu werden droht, und allzu leicht die Würde des Menschen tangiert wird – wie sich an der massiven Einschränkung menschlicher Zuwendung in Pflegeheimen zum „Schutz des Lebens“ aufzeigen lässt. Doch legt der Lebensschutz noch eine ganz andere Absurdität offen. Weltweit sind die Rüstungsausgaben um 3,6 % auf unvorstellbare 1,92 Billionen Dollar gestiegen (https://www.tagesschau.de/ausland/sipri-ruestungsausgaben-111.html) Im Klartext: Wir geben vor, Leben zu schützen, indem wir die Bedingungen dafür schaffen, dass es an vielen Stellen der Welt zerstört wird. Solange wir diesen Widerspruch einfach hinnehmen und der Würde des Menschen unterordnen, bieten wir dem Coronavirus und anderen Viren weiter große Angriffsflächen.

Was wir also jetzt dringend benötigen: eine breit angelegte Debatte über die tatsächlichen Prioritäten zukünftigen Lebens. Diese kann nicht von denen, die die Tagespolitik gestalten, initiiert oder allein geführt werden. Hier sind die Parteien und die gesellschaftlichen Institutionen wie Kirchen und Gewerkschaften gefragt, vor allem aber sollten sich jeder Bürger und jede Bürgerin herausgefordert fühlen. Denn wir werden nur dann den Weg der dringend notwendigen Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens, der Ökonomie, des Klimaschutzes, des sozialen Zusammenhalts gehen können, wenn dieser im demokratischen Diskurs entwickelt und gleichzeitig als wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verstanden wird.

24 Antworten

  1. Gerade heute, zum Sonntag „Jubilate“ sandte mir ein Freund, der kirchlich und politisch hochaktiv ist seit Jahrzehnten und einst Grüner Umweltdezernent war, einen trefflichen Spruch von Dietrich Bonhoeffer (vor 75 Jahren am 09. April 1945 in einem KZ umgebracht) zu, den ich ganz bewusst diesem Blog von Chr. Wolff nicht vorenthalten möchte:
    „Wer fromm ist , muss auch politisch sein.“
    Denkt man darüber nach, kommen einem viele Assoziationen in den Sinn, vor allem aber Nachdenken über Kirche und Gesellschaft, jetzt allemal!
    Einen gesegneten Sonntag uns allen.
    Jo.Flade

  2. Lieber Christian,
    danke für die klaren Worte.
    Ja, die Umstände haben es in sich: Die Dinge klarer, schärfer ins Bewusstsein zu rücken.
    Das ist schon einmal der richtige Ort.
    Dann: Will man sich damit nicht abfinden, ist trotz allem eine Krise auch der Moment der den Mut hervorbringen kann, ANDERS zu HANDELN.
    Dafür ist es so wichtig, dass diese konkreten Menschen und konkreten Handlungen viel mehr und häufiger in den Vordergrund gerückt werden.
    Der Pfarrer oder die Krankenschwester geben Mut.
    An ihren Taten wirst du sie kennen ;-), Worte sind Taten. Offensichtlich.
    Und am Ende, ist es der Besitzer des Zweitonnenautos, der es einfach stehenlassen könnte, weil er/sie es will.
    .. nicht weil es angeordnet wird.
    Feinbilder gedeihen zuallererst in feindseligen Worten, Cui bono ist die hier angebrachte Frage und das Lösungs-Mittel ist: Vertrauen schaffen. Historisch mit den START-Abkommen belegt,
    Es ist möglich!

    Herzliche Grüße Dir!
    vom Roland

  3. „Den ursächlichen Zusammenhang von Coronavirus und Klimawandel sehe ich zwar nicht…“
    Werter Herr v. heydebreck – das sehe ich wie z.B. auch Herr H. Schneider etwas anders. Zur allg. Info füge ich einen Link bei zu einem Text (Scheidler), vielleicht als Denkanstoß:
    Am 23.3. 2020 in „Kontext – die anderen Nachrichten“ veröffentlicht
    http://www.kontext-tv.de/de/blog/mit-zweierlei-mass-warum-bei-corona-der-ausnahmezustand-herrscht-aber-nichtbeim-klima

    Was das komplexe, immer wieder und vor allem derzeit ventilierte Thema Finanzen betrifft, drängt es nicht nur mal so nebenbei darauf hinzuweisen, dass Deutschland mit seinen Rüstungsexporten 2019 eine Steigerung zum Vorjahr 2018 von 65% erreichte; 2019 wurden 1,19 Milliarden € für Waffenhandel ausgegeben, und damit steht Dt. an 4. Stelle.
    Betrachten wir mal, welche pekuniären Prioritäten gesetzt werden – wir reden von Umweltproblemen eklatantester Art und haben derzeit eine Viruskrise, die ziemlich gravierende Auswirkungen nicht nur aktuell, sondern auch in Folge haben wird -, dann muss eigentlich der eine oder andere aufschrecken und endlich beginnen, nachzudenken.
    Die Kosten für die Bewältigung klimarelevanter Leistungen (sollten wir Kreaturen überhaupt dazu in der Lage sein…), werden ganz sicher enorm sein – darüber sind sich Experten längst einig.
    Und mit Reaktionen, dem Klimawandel endlich kreativ, wirkungsvoll und mit allen nur gegebenen Möglichkeiten einer aufgeklärten Zivilisation zu begegnen, sollte nicht mehr abgewartet werden. – die Zeit tickt unaufhörlich.
    In diesem Zusammenhang sind mir 1,19 Milliarden € Kosten für Rüstungs“güter“ (TIV) ein höchst bedenklicher Kostenfaktor, der nicht nur aus humanitärer Sichtweise sehr zu hinterfragen ist!
    Wo liegen die politischen, ethischen, moralischen und humanitären Prioritäten auch für unser Land – das ist hier die Frage!

    1. Ich sprach – wie Wolff – vom URSÄCHLICHEN Zusammenhang von Coronavirus und Klimawandel . Scheidler beklagt die unterschiedliche REAKTION auf Coronavirus und Klimawandel. Das ist etwas anderes.

  4. Der zentrale Schlussfolgerung Ihres nachdenklichen Beitrags teile ich voll und ganz: Wenn wir (in Deutschland) der Versuchung, auf den ausgetretenen Pfaden des „normalen Lebens“ weiter zu wandeln, nicht widerstehen, haben wir die Corona-Krise genauso wenig verstanden wie die Finanzkrise. Genauer: wir wollen sie nicht verstehen.
    Ob das Virus als Notwehr der Natur zu verstehen ist, vieles spricht für einen direkten Zusammenhang mit der Zerstörung der Artenvielfalt, oder nicht, ist eigentlich egal. Die Menschheit muss sich an die Natur anpassen, denn alle unsere Nachkommen haben nur diesen einen Planeten. Seit 1970 hat sich die biologische Vielfalt auf der Erde mehr als halbiert. Für die Regeneration dieser Schäden benötigt die Natur 5-7 Millionen Jahre. Verantwortung reicht in die Zukunft, und zwar sehr weit.
    Ob das Virus erstmals in den Industriestaaten ausbrach, wissen wir nicht sicher. Die rasende Verbreitung ist aber auf eine Lebensweise zurückzuführen, die wir gern mit unserem imaginierten Grundrecht auf Mobilität rechtfertigen. Weil 90% der Weltbevölkerung von diesem Recht ausgeschlossen sind, waren Ebola und andere Viren eine Angelegenheit der „Anderen“. Den Zusammenhang mit uns, mit der ausgelagerten Naturzerstörung, konnten wir verdrängen. Wir sind ja gut abgeschottet, und gern fragen wir in aller Unschuld, warum wir denn nicht wieder fliegen sollen, es sind ja nur 5% des globalen CO2-Ausstoßes. Wir wollen mobil sein, und wenn des den Planeten zerstört, die Mehrheit der Menschen dürfen es nicht, und wenn es ihr Leben kostet. Selbstverständlich pochen wir darauf, dass Hunger, Durst, Landraub und Umweltzerstörung kein Recht auf Asyl begründen.
    Wir bewegen in Dörfern und Städten vieles in die richtige Richtung. In meinem Dorf (400EW) kaufe im selbstverwalteten Dorfladen ein, eine solidarische Landwirtschaft sorgt für Gemüse und Kartoffeln. Keine Transporte, keine Verpackung, alles immer frisch. Gegessen wird nach Saison. Das ist Lebensqualität, rechnerisch aber sinkt das Sozialprodukt.
    Unsere Gemeinde hat im letzten Jahr ein Klimaschutzprogramm aufgelegt. Frustrierend zu lesen, dass die prognostizierte Verdoppelung des Flugverkehrs pro Bürger sämtliche Einsparungen auffrisst, die wir mit viel Geld und Einsatz erreichen könnten. Auch, wenn wir keinen Schritt mehr mit dem Auto führen.
    Letztes ist nicht realistisch. Nicht, weil ich auf dem Land lebe. Sondern weil das Bedürfnis nach dem Absatz ihrer stets ausgedehnteren Kraftfahrzeuge unsere Vorzeigeindustrie über den ganzen Erdball jagt. Wir könnten auch mit 700 kg schweren Autos fahren, tun es aber mit über 2 Tonnen und künftig sollen wir elektrisch mit 3 Tonnen und 700 PS zum Bäcker fahren. Der Grund ist denkbar einfach: Das Wesen des Kapitalismus ist die ständig erweiterte Reproduktion, ohne diese kollabiert er. Bescheidene Menschen kann diese Wirtschaftsform nicht überleben.
    Wir wissen alle, dass der sozialdemokratischer Präsident der EU – Kommission, Sicco Mansholt recht hatte: Überleben wird die Menschheit nur, wenn es ihr gelingt, dem Wirtschaftswachstum Grenzen zu setzen, die Natur zu schützen, äußerst sparsam mit den natürlichen Ressourcen und nicht regenerierbaren Brennstoffen , umzugehen, das soziale Gefälle zwischen Nord und Süd rigoros einzuebnen und die allgemeine und vollständige Abrüstung herbeizuführen
    Aber das war 1972, vor der Ära der großen Verdrängung.

    1. Die Hoffnung, mit den Erfahrungen von Corona zügiger beim ökologischen Umbau der Gesellschaft voranzukommen, scheint mir wenig realistisch zu sein. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Der Blick auf den Kontoauszug vom Monat April macht das Problem deutlich. Keine Abbuchung für den Friseur, keine Ausgaben für Theater- und Konzerttickets, keine Restaurantrechnungen, erheblich verminderter Spritverbrauch, Geld zurück vom Reiseveranstalter und der Airline, nur der heimische Rotweinkonsum ist gestiegen. Dem Saldo eines Pensionistenhaushalts tut das zwar gut, es ist aber katastrophal, weil meinem Sparen der Verlust an Einkommen anderer gegenübersteht. Jetzt zu sagen, wenn alle weniger konsumieren, benötigen sie auch alle weniger Einkommen, ist sicherlich eine Milchmädchenrechnung.

      Ich teile Ihre Meinung, dass der aus der Grundlogik kapitalistischer Produktionsweise resultierende Wachstumszwang einer Transformation unserer Wirtschaft zu stofflicher und energetischer Nachhaltigkeit entgegensteht. Ich frage mich aber, ob nicht eine Umsteuerung auch im Rahmen marktwirtschaftlicher Strukturen möglich ist (z. B. über staatliche Einflussnahme auf zentrale Preise). Vielleicht steht dahinter nur Glaube, genährt durch den Mangel an realistischen Vorstellungen, wie ansonsten dieser Übergang vonstattengehen könnte.

      Die Vorstellung, man bräuchte nur im Zuge der Corona-Krise Produktionsstrukturen untergehen lassen, die nicht das unmittelbar Lebensnotwendige produzieren, könnte zwar eine ökologische Entlastung bedeuten, führte aber unter den Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft zu massenhafter Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Ein Rückgang an Arbeitsteilung, die entsprechenden Wohlstandsverluste und die daraus resultierenden Verteilungskämpfe ergäben ein politisches, soziales und ökonomisches Trümmerfeld, in dem mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Demokratie untergehen würde (Friederike Spiecker, Makroskop, 01.05.2020).

      Eine ökologiegerechte Umsteuerung der Wirtschaft bedeutete eine Entwertung des vorhandenen Kapitalstocks, was dem Interesse der Unternehmer entgegensteht. Sie wollen ihre Cashcows bis zum letzten Tropfen ausmelken, ökologisch orientierte ordnungspolitische Vorgaben (z. B. Obergrenze für Schadstoffausstoß von PKWs) werden bekämpft. Sie steht aber auch dem Interesse vieler Beschäftigten entgegen, die um sichere Arbeitsplätze bangen und die Abwertung ihrer Qualifikation befürchten. Die Mehrheit der Wähler lässt sich auf demokratischen Wege nur für den erforderlichen Strukturwandel gewinnen, wenn das Vertrauen vorhanden ist, dass mit den auf die Beine zu stellenden neuen Investitionen ausreichende zukünftige Gewinne und Einkommen erzielt werden können. In der gegenwärtige Krise sind die Voraussetzungen schlecht, die Bereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen, Neues zu wagen, neu in Sachkapital und Fähigkeiten zu investieren und darauf zu vertrauen, morgen für diese Investitionen mit einigermaßen gut bezahlten und sicheren Arbeitsplätzen belohnt zu werden (Spiecker, ebenda). Um den Kampf gegen die Klimakrise erfolgreich weiterzuführen, sollte in der gegenwärtigen Situation die Sicherung der Einkommen der Bevölkerung Priorität haben, die Abwärtsspirale des Angstsparens gestoppt bzw. das Wegbrechen der vorhandenen Produktionskapazitäten verhindert werden. Dummeweise die erforderliche Staatsverschuldung zu problematisieren und wie nach der Finanzkrise 2008/2009 Austerität zu propagieren wird, wie die jüngere Geschichte gezeigt hat, den wirtschaftlichen Erholungsprozess verlangsamen und großen Schaden anrichten. In wenigen Jahren werden wir uns wieder fragen, warum es andere Länder viel schneller aus der Krise geschafft haben (z. B. die USA nach der Finanzkrise).

      https://makroskop.eu/2020/04/strukturwandel-im-zuge-der-corona-krise-1/
      https://makroskop.eu/2020/05/strukturwandel-im-zuge-der-corona-krise-2/

      PS: Das Kreuzfahrt-Buchungsportal Cruise Compete hat in den vergangenen 45 Tagen im Vergleich zu 2019 einen Anstieg von 40 Prozent für Buchungen für das nächste Jahr registriert (Leipziger Volkszeitung vom 02.05.2020)

      1. Lieber Herr Lerchner, zu Ihren Überlegungen als Ergänzung zu Kant ein Versuch: Als der BMW-Vorstand 1975 verkündete, kein Auto über 75 PS mehr bauen zu wollen, war das eine verantwortliche Haltung. Ich nehme an, dass man davon schnell abgerückt ist, als die Aktienkurse sanken und die Aktionäre Sturm liefen. Will sagen, dass verantwortliche Entscheidungen im shareholder-value-Kapitalismus grundsätzlich nicht möglich sind. Das Wohl der Aktiengesellschaft hängt von den kurzfristigen Erwartungen der Aktionäre ab, und weder Vorstände noch Aktionäre müssen für die Folgen der getroffenen Entscheidungen haften.

        Der Inhaber meiner Autowerkstatt zeigte sich frustriert, als ich mit einem E-Auto vorfuhr. Seine Existenz ginge so den Bach herunter. Unterstellen wir nun, die Politik entscheidet sich jetzt nicht für eine nochmalige Abwrackprämie, sondern untersagt ab sofort die Herstellung von Verbrenner-Pkw und lässt künftig nur noch sparsame, recyclebare und langlebige E-Autos zu. Ein anregendes Modell dazu findet sich im aktuellen Greenpeace-Magazin. Die Werkstätten hätten auf Jahrzehnte zu tun, weil die vorhandenen Verbrenner – Autos so lange wie möglich gefahren würden. Die dann auf mindestens100 Jahre Lebensdauer ausgelegten E-Autos führen trotz einfacher Technik zu weiterer Auslastung auf Dauer. Die Besitzer der Verbrennerfahrzeuge freuen sich über Wertsteigerungen, die mangels Neuwagen eintreten, wie sie ja aus Erfahrung wissen. Der Arbeitsplatzsaldo wäre selbst dann positiv, wenn die Autoindustrie komplett kollabierte. Dieses Schicksal erlitten aber nicht alle, sondern nur die, welche sich auf die vorgegebenen Anforderungen nicht einzustellen vermögen. Das alles wäre dann normale Marktwirtschaft, die die ohne Vernichtung fehlinvestierten Kapitals nicht funktionieren kann. Abwrackprämien uns zweckfreie Geldinfusionen sind das Gegenteil. Oder, mit Ulrich Beck: Staatssozialismus für die Reichen, Neoliberalismus für die Armen.

        Sie sehen also, ich bin entschieden gegen Kapitalismus, aber für Marktwirtschaft. Wie Sie auch.

        Nachtrag: Ein Solarunternehmer aus meiner Gemeinde hat elektrische Tuk-Tuks entwickelt, für die Länder des globalen Südens konzipiert und in der Praxis getestet.. Buchbar per Handy, die Solarzellen auf dem Dach reichen für 8o km am Tag. Tolle Idee. Investoren aber findet er ebenso wenig wie staatliche Förderung.

        1. Lieber Herr Schneider,

          die von Ihnen erinnerte Geschichte vom 75-PS-Auto von BMW und das nicht realisierte Elektro-Tuk-Tuk sind gewisse gute Beispiele dafür, dass unter kapitalistischen Vorzeichen eine unbeschränkte Markwirtschaft nicht nachhaltig gemeinwohlorientiert ist. Ich sehe auch ein, dass es eine zentrale Erfahrung aus der Corona-Krise ist, den Staat imstande zu sehen, zum Wohle aller massiv in die Wirtschaft einzugreifen. Sollte nicht gerade Letzteres Anlass sein und optimistisch stimmen, über Korrekturmöglichkeiten im bestehenden System, also über einen besseren Kapitalismus nachzudenken? Richtet nicht die Forderung nach einem grundlegenden Systemwechsel und das sofort, eher politischen Schaden an, zumal die Vorstellung über Alternativen ziemlich nebulös sind. Und vor allem: wie würde man einen Übergang schaffen, ohne im Chaos zu versinken? Außerdem, bei den gegebenen Machtverhältnissen wären ein paar Demo-Runden um den Leipziger Innenstadtring wenig wirksam.

          Ein Vorschlag lautet, vom Staat eine klare und stetige Entwicklung zentraler Preise vorgeben zu lassen. Wenn z. B. der Preis für fossile Brennstoffe nicht mehr dem Spiel von Angebot und Nachfrage ausgesetzt oder gar spekulativen Geschäftspraktiken überlassen wird, sondern kontinuierlich und garantiert schneller als die Inflationsrate steigt, kann sich jeder ausrechnen, wie lange sich noch der Kauf eines Neuwagens mit Verbrennermotor lohnt. Wird Mobilität dank steigender Energiepreise teurer, haben regionale Produkte automatisch einen Wettbewerbsvorteil. Wächst das Transportaufkommen infolge steigender Mobilitätskosten langsamer, ist es lukrativer, in den öffentlichen Verkehr als in den Bau von Straßen oder Flughäfen zu investieren. Ähnliches kann man sich für den Arbeitsmarkt vorstellen. Staatliche Tarifbindungsvorschriften und klare Vorgaben für Lohnuntergrenzen würden z. B. den Fachkräftemangel im Bereich der Pflegeberufe beheben. Dazu muss nicht Planwirtschaft eingeführt werden. Der Staat bediente sich der Marktprozesse.

          Noch zwei kurze Fragen zum Schluss: Sie enden in einem Ihrer Beiträge ziemlich pessimistisch mit der These „Demokratie sichert das Überleben der Menschheit nicht … Verantwortliche politische Entscheidungen können es“. Könnte das heißen, dass autokratische Gesellschaften mit ihrer höheren Dynamik unter Umständen da im Vorteil sind? Gemessen an der z. Z. ins Hysterische ausufernden Anti-China-Propaganda scheinen das manche so zu sehen bzw. zu befürchten. Und die zweite Frage: „Die ökologische Krise … erzwingt Schrumpfung“ sagen Sie. Kann es nicht auch in einer perfekten Kreislaufwirtschaft Wachstum geben, zumal die Energieressourcen praktisch unendlich sind? Also gewinnbringendes Wirtschaften.

          Mit freundlichen Grüßen,

          Johannes Lerchner

          1. Lieber Herr Lerchner!
            „Der Kapitalismus wäre nicht am Ende, wenn sich die Grenzen der Natur als nicht existent herausstellen“ (Elmar Altvater, 2005). Herman E.Daly erklärte gern, ein endloses Wirtschaftswachstum sei in dem Maße möglich, in dem sich die Erdoberfläche ausdehne.
            Es geht mir in Grunde nicht um das Ende des Kapitalismus, sondern um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und eine global gerechte Verteilung der in diesem Rahmen realisierbaren Lebensqualität. Die erforderlichen Reduktionsleistungen und Umverteilungen sind, meine ich, im Rahmen eines kapitalistischen Systems nicht durchführbar. Selbst dann nicht, wenn die Akteure es möchten, denn sie würden zum Kollaps des Systems führen.
            Ihre hier dargelegten Instrumente sind ja der Kern des „green new deals“. Die zentrale Voraussetzung dafür ist, wie Sie ja auch schreiben, unbegrenzt verfügbare regenerative Energien. Wie begründen Sie diese Annahme? Heute erzeugen wir in Deutschland 13% des gesamten Primärenergieverbrauch regenerativ, davon mehr als die Hälfte durch Biomasse. Photovoltaik macht 1,1%, Windenergie 3% aus (2018). Wann denken Sie, sind wir bei 100%, bei weiterem Wachstum.
            Sie müssen dabei noch den EROI einkalkulieren (energy return on investment). Der beträgt beim Kohlekraftwerk 30, d.h., bei Einsatz einer Einheit erzeugen Sie 30 Einheiten Energie. Bei einer PV Anlage in Deutschland beträgt der EROI 4, bei Verwendung eines Batteriespeichers noch 2. Eine Windanlage liegt immerhin bei 20, wenn sie an der Küste steht. Und die für diese Anlagen benötigen Ressourcen sind endlich.
            Die Kreislaufwirtschaft soll jetzt das Unvermeidbare vermeiden: Keine Reduzierung der Produktion, keine schlichte Verlängerung der Nutzungsdauer, sondern alles wie bisher, nur unter Wiederverwendung der Rohstoffe. Es gibt nur einen Haken: der Energieaufwand liegt noch höher als bei der Ressourcenvernichtung.
            Die Regelung über Preise klingt logisch, aber die Erfahrungen sind ernüchternd. Die Ökosteuer auf Kraftstoff wurde 1999 eingeführt und schrittweise erhöht, heute sind wir bei 47 bzw. 65 Ct. je Liter Benzin oder Diesel.
            Zur Demokratie: ich möchte weder in einem autoritären Staat noch in einer zerstörten Welt leben. Es gilt aber auch: Mit den Lebensgrundlagen würde nicht nur die Demokratie zerstört, es würde mir auch die Möglichkeit der bloßen Existenz durch eigener Hände Arbeit, der Subsistenzwirtschaft genommen. Für die Mehrheit der Menschen ist das schon lange Realität, wir halten es aber noch immer für Entwicklung.
            Peter Glotz fragt 1992 in seiner Bestandsaufnahme (Die Linke nach dem Sieg des Westens), warum hochintelligente Menschen in der Demokratie an der ökologischen Frage scheitern, und zitiert den Philosophen Vittorio Hösle: „Aber wie sollen denn unsere Kinder über die intellektuelle, moralische und politische Trägheit unserer Generation denken, wenn sich doch erstens nach menschlichem Ermessen ökologische, soziale und politische Katastrophen vorbereiten, verglichen mit denen selbst diejenigen der Jahre von 1939 – 1945 einst gar nicht so entsetzlich erscheinen werden und wenn zweitens zumindest bestimmte Formen der Distanzierung von dem zerstörerischen Konsumismus dieser Gesellschaft, anders als im Dritten Reich, mit keinem nennenswerten persönlichen Risiko verbunden sind?“ (125,126).
            Vielleicht ist das die ökologische Gretchenfrage?

          2. Nachtrag: Vielleicht, lieber Herr Lerchner, sind die wirklichen Helden dieser Epoche jene Milliarden Kleinbauern, welche auf 25% der landwirtschaftlichen Nutzflächen dieser Erde 50% der Weltbevölkerung ernähren. Unter Einsatz ihres Lebens verteidigen sie das ihnen noch verbliebene Land, obwohl es die entwickelte Welt so dringend zur Anlage ihres überschüssigen Geldes benötigt.
            Nutzen wir die Sonnenenergie mit der Wäscheleine vielleicht klüger als mit der Herstellung von Wäschetrocknern? Zumal das Sonnenlicht die Wäsche auch noch desinfiziert.
            Der zitierte Vittorio Hösle denkt, dass „die politische Trägheit durch einen hektischen Umweltaktivismus kompensiert wird, der nicht nur nichts löst, sondern das Übel mehrt. Vielleicht hat es keine Zeit nötiger gehabt als unsere, die Frage „was soll ich tun“ durch die Frage „was soll ich unterlassen zu ersetzen“ (Philosophie der ökologischen Krise, Nachwort zur 2. Auflage, 1994).
            Können wir so Christian Wolffs Frage nach der richtigen Priorität überzeugend beantworten?

        2. Lieber Herr Schneider,

          mit Ihren Ausführungen (vom 6. Mai, reply war nicht möglich) habe ich kein Problem. Recycling kostet Energie. Ich erkläre das öfters am Beispiel einer lebenden Zelle. Wenn in einer solchen Zelle hochkomplexe Biomoleküle wir z. B. DNA aus einfachen Stoffbausteinen wie Zucker oder Kohlendioxid synthetisiert werden (Entropieerniedrigung), muss meist in hohem Maße Energie in die Umgebung verteilt werden, damit insgesamt eine Entropieerhöhung herauskommt (das erfordert die Thermodynamik). Da wir irgendwann auf die durchschnittlich 342 W/m2 Sonneneinstrahlung beschränkt sein werden (a: meine Bemerkung bezog sich auf die zeitliche Unbeschränktheit dieser Ressource; b: ob das am Ende dieses Jahrhunderts so sein wird oder gar schon eher (laut Plan 2050), ist derzeit schwer zu beantworten), ist somit die in der Zeiteinheit wiedergewinnbare Stoffmenge limitiert, auch abhängig davon, wie energieeffizient die entsprechenden Recyclingprozesse sind. Es ist sicher anzunehmen, dass das auf eine Verringerung der Intensität des Stoffverbrauchs und auch auf eine Verlängerung der Nutzungsdauer der erzeugten Produkte hinauslaufen wird. Über die Wertschöpfung der Produktion, an der sich nach heutigem Maßstab Wachstum misst, ist damit erst einmal nichts gesagt. Auch nach unserer Diskussion ist für mich weiterhin die spannende Frage offen, ob sich der erforderliche Umbau der Wirtschaft im Rahmen der z. Z. im Westen etablierten, durch Marktfundamentalismus geprägten Wirtschaftsordnung realisieren lässt. Wie gesagt, ich sehe momentan eher Vorteile bei einer Art Staatskapitalismus, in dem die allgemeine Richtung vom Staat erzwungen wird und der Markt für eine effiziente Allokation der Ressourcen sorgt.

          Beste Grüße,

          Johannes Lerchner

          PS: Wie vor einiger Zeit von Flassbeck gezeigt wurde (habe leider so schnell die Quelle nicht gefunden), hat sich der prozentuale Anteil der Ausgaben für Kraftstoffe im Budget eines durchschnittliche Haushalts in Deutschland seit den siebziger Jahren fast nicht verändert. Wie ich verstanden habe, müssen zentrale Preise deutlich stärker steigen als die allgemeine Inflationsrate, wenn sie Steuerungsfunktion haben sollen. Die Ökosteuer konnte keine Wirkung erzielen, sie war einfach zu niedrig.

          1. Lieber Herr Lerchner!
            Da zum Marktfundamentalismus von Franziskus alles gesagt ist, können wir uns auf Ihre Schlussfrage beschränken. Ich teile Ihre Antwort, bezogen auf die Industriestaaten, und deren Natur- und Stoffverbrauch muss drastisch sinken. Wie dieser Prozess bei weiterbestehendem Kapitalismus bewältigt werden kann, zeigt Ulrike Hermann am Beispiel der Umstellung der britischen Kriegswirtschaft von 1940 – 1945: „Es entstand ein Kapitalismus ohne Markt, der bemerkenswert gut funktioniert hat. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele von Waffen und Konsumgütern wurden staatlich vorgegeben – und die Verteilung der Lebensmittel öffentlich organisiert. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert.
            Die staatliche Lenkung war ungemein populär. Denn die verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. Zu Friedenszeiten hatte ein Drittel der Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere zwanzig Prozent waren zumindest teilweise mangelernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie.
            Heute herrscht zum Glück Frieden, aber die gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist beim Klimawandel ähnlich groß: Es geht ums Überleben der Menschheit“
            („Schrumpfen in Schönheit, TAZ, 12.10.2019).

            Es gibt sicher eine Vielzahl von Möglichkeiten, in den Grenzen des Erdsystem ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, also die Grundbedürfnisse aller Menschen zu decken. Kein denkbarer Weg erspart aber den Industrieländern das ökonomische Schrumpfen. Ist dieser Prozess bewältigt, wird die menschliche Kreativität eine Fülle von Möglichkeiten individueller und kollektiver Lebensgestaltung finden. Nur: eine dem Ziel der Geldvermehrung untergeordnete Wirtschaft kann es nicht wieder sein. Unter dieser Voraussetzung wird es Plan und Markt geben, und Demokratie über beidem. Von heute aus gesehen beginnen aber alle realistischen positiven Visionen mit der Einsicht in die Notwendigkeit des Teilens, mit einem franziskanischen Moment der Weltgeschichte.

  5. Lieber Herr Wolff, Sie haben Recht: Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben, und zwar so lange bis Impfstoffe und/oder wirksame Medikamente gefunden sind. Das war bei viel schlimmeren Pandemien wie Pest, Cholera, Gelbfieber etc. in der Geschichte oft so. Ich bin optimistisch und hoffe, dass es auch diesmal durchaus wieder ein Zurück zum normalen Leben geben wird, wenn wir nur lange und geduldig genug die wichtigen Isolationsmaßnahmen einhalten, die natürlich unter Ausnutzung der dabei gemachten wissenschaftlichen Erfahrungen laufend angepasst werden müssen.
    Das Virus brach in China aus. Ob Sie das als Entwicklungs-, Schwellen- oder Industrieland einstufen, spielt gegenwärtig keine Rolle, eher schon die (aber auch eher akademische) Frage, ob es unbeabsichtigt durch wilde Tiere oder fahrlässig aus einem Waffenlabor auf die Menschheit gelangt ist. Es trifft zwar alle Länder und Menschen, aber leider – wie alle Krankheiten und Leiden – die Armen und Schwachen stärker als die Reichen und Starken. Nur würde man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, würde der Staat jetzt nur den Armen und Schwachen helfen, weil dann alle nur noch mehr leiden würden, wie das die kommunistischen Länder 70 Jahre lang nach dem irreführenden Rezept „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ vorexerziert haben.
    Sicher wird das Virus wie viele Dinge im Leben auch Einfluss auf die Prioritäten haben, aber nicht ganz so, wie Sie meinen.
    Möglichst umfassende und gerechte Bildung für alle Menschen ist und bleibt unser Ziel.
    Natürlich müssen vor allem kleine Kinder, die in prekären Verhältnissen aufwachsen, so schnell wie möglich – aber unter Wahrung der wichtigen Abstandsregeln – wieder den Zugang zu Kitas und Grundschulen bekommen. Es würde ihnen aber gar nichts nützen, wenn ihre älteren Kameraden, bei denen die Abstandsregeln sich natürlich leichter organisieren lassen, von den fälligen Abschlussprüfungen ausgeschlossen wären. Und übrigens: Man kann über den Profisport denken, wie man will. Die Bundesliga gibt aber auch in der zunächst notwendigen abgespeckten Form mit „Geisterspielen“ tausenden Menschen Arbeit und Brot und Millionen vor den Fernsehern Ablenkung von häuslicher Verzweiflung und Gewalt und trägt damit sicher auch zu einer Normalisierung gerade in prekären Familienverhältnissen bei.
    Zu zeitweilig erweiterten Ladenöffnungszeiten und verringerten Nachtflugverboten: Es geht doch um dringende Arbeitsbeschaffung bei maximaler Vermeidung von Ansteckungen. Das ist leider unabhängig von Sonn- und Feiertagen und Tageszeiten.
    Den ursächlichen Zusammenhang von Coronavirus und Klimawandel sehe ich zwar nicht (auch und wenn ich an die erwähnten früheren Pandemien denke), stimme aber Ihren Überlegungen zur Abwrackprämie durchaus zu.
    Zum Maskentragen pflichte ich Herrn Wagner bei, und zur Würde des Menschen als obersten Wert unseres Grundgesetzes halte ich wie Sie den Debattenanstoß von Schäuble für richtig.
    Wunschdenken scheint mir dagegen der Glaube zu sein, dass sich durch die von Corona ausgelöste Weltkrise der weltweite Friede im Kleinen wie im Großen plötzlich leichter als bisher durchsetzt. Im Gegenteil sprechen schon jetzt viele Anzeichen dafür, dass die Not auch Verbrecher und autoritäre Staatslenker erfinderischer macht: Von den Betrugsversuchen bei Corona-Hilfszahlungen bis zu neuen militärischen Eingriffen in Syrien, Libyen und der Ukraine sowie chinesischen Drohungen gegen Taiwan und die Philippinen etc. Deshalb sind pazifistische Patentlösungen in einer Zeit, in der es um die Erhaltung von Arbeitsplätzen geht wohl noch illusionärer als früher schon.
    Es tut mir daher sehr leid, lieber Herr Wolff, dass ich Ihren Vorschlägen zur Setzung neuer Prioritäten trotz aller persönlicher Sympathie für Sie nur in einem sehr geringen Umfang folgen kann.
    Ihr Hans v. Heydebreck

    1. Ich kann Ihre Auffassung, „jeder nach seinen Bedürfnissen“ sei ein irreführendes Rezept, nicht nachvollziehen. Meine Auffassung ist, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen, das vorrangige Ziel jeder wirtschaftlichen Tätigkeit sein müsste, sie verlöre sonst ihren Sinn.

      Keynes hat 1928 in seinem Aufsatz „Wirtschaftliche Möglichkeiten unserer Enkelkinder geschrieben: „Nun ist es wahr, dass die Bedürfnisse der Menschen unersättlich zu sein scheinen. Aber sie zerfallen in zwei Klassen − solche Bedürfnisse, die absolut in dem Sinne sind, dass wir sie fühlen, wie auch immer die Situation unserer Mitmenschen sein mag, und solche, die relativ in dem Sinne sind, dass wir sie nur fühlen, wenn ihre Befriedigung uns über unsere Mitmenschen erhebt, uns ein Gefühl der Überlegenheit gibt. Bedürfnisse der zweiten Klasse, also solche, die das Verlangen nach Überlegenheit befriedigen, mögen in der Tat unersättlich sein; je höher das allgemeine Niveau, desto höher sind sie. Aber dies gilt nicht in gleicher Weise für die absoluten Bedürfnisse − es mag bald ein Punkt erreicht sein, vielleicht viel eher, als wir uns alle bewusst sind, an dem diese Bedürfnisse in dem Sinne befriedigt sind, dass wir es vorziehen, unsere weiteren Kräfte nicht-wirtschaftlichen Zwecken zu widmen“.

      Folgerichtig hielt Keynes es für sinnvoller, dass wir in 100 Jahren nur noch15 Stunden arbeiten, anstatt für Bedürfnisse der zweiten Klasse zu schuften. Wäre das nicht die richtige Priorität, lieber Dr. v. Heydebreck?

      1. Mit diesem zugegebenermaßen stark verkürzten Prinzip des Kommunismus wollte ich als Warnung nur auf die wirtschaftlichen Misserfolge des „real existierenden Sozialismus“ in den rund 70 Jahren der Sowjetherrschaft hinweisen, in denen das Leistungsprinzip allzu sehr eingeschränkt war.
        Das Zitat des auch von mir sehr geschätzten Keynes kannte ich bisher nicht, und es gefällt mir sehr, lieber Herr Schneider. Natürlich gibt es – vor allem soziale – Grundbedürfnisse aller Menschen, die in jedem Gemeinwesen durch wirtschaftliche Tätigkeit befriedigt werden müssen. Dazu ist m. E. in Deutschland die richtig verstandene soziale Marktwirtschaft seit Ludwig Erhardt am besten in der Lage. Der Mensch ist nun aber von seiner Natur her so veranlagt, dass er mehr erreichen will, als nur seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Solche „Bedürfnisse der zweiten Klasse“ können, wie Keynes richtig schreibt, sogar unersättlich sein. Sie müssen sich aber gar nicht nur auf wirtschaftliche Erfolge beziehen, werden aber durch wirtschaftliche Leistungen oft erst erreichbar. Man denke nur an die Wünsche von Sportbegeisterten, selbst Sport zu treiben oder auch nur zuzuschauen, oder von Musikliebhabern, Literaturfreunden etc. pp. Vielleicht ist heute – fast 100 Jahre nach Keynes – für viele Menschen gar nicht mehr das Ziel so wichtig, nur noch 15 Stunden in der Woche zu arbeiten, sondern eine sinnvolle Arbeit zu finden, die Ihnen neben einem zufrieden stellenden Einkommen so viel Freude und Anerkennung liefert, dass sie sie sogar der Freizeit vorziehen. Die jetzt durch Corona sich plötzlich viel schneller ausbreitende Möglichkeit, vom „home office“ aus zu arbeiten, weist jedenfalls für viele Büroarbeiter in diese Richtung.

      2. Herr von Heydebreck hat offensichtlich nur sehr oberflächliche Kenntnisse von den damals geltenden Maximen in den ehemaligen Ostblockländern. In der sowjetischen Verfassung von 1936 ist das Leistungsprinzip festgeschrieben:

        Artikel 12. Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und eine Sache der Ehre eines jeden arbeitsfähigen Bürgers nach dem Grundsatz: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“.
        In der UdSSR gilt der Grundsatz des Sozialismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“.

        Dieses unterscheidet sich wesentlich von von Karl Marx‘ Grundsatz des Kommunismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“

        1. Lenin und Stalin haben vieles in die Verfassungen der von ihnen beherrschten Staaten geschrieben, was Theorie blieb. Darum habe ich mich vorsichtig ausgedrückt und festgestellt, dass das für den Fortschritt der Menschheit eminent wichtige Leistungsprinzip im real existierenden Sozialismus allzu sehr eingeschränkt, also nur sehr begrenzt wirksam war. Es wird heute leider oft vergessen, dass das ein ganz wichtiger Grund für den Zusammenbruch des kommunistischen Systems war.
          Auch der von Ihnen richtig zitierte vollständige Marxsche Grundsatz wurde nur verfälscht verwirklicht, etwa so: „Jeder nach seinen Beziehungen (zur Partei), jedem anderen nach seinen Bedürfnissen!“

          1. Der Systemstreit zwischen Ihnen ist interessant, aber möglicherweise obsolet. Ein System ist verschwunden und das Andere hat seitdem in den entscheidenden Menschheitsfragen komplett versagt.
            Vielleicht hilft der kategorische Imperativ in diesen Fragen weiter. Ich beginne mal mit Marx:: 1. Eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. 2. ein vernünftiger Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur. 3. Wir sind nicht Eigentümer, sondern nur Nutznießer der Erde und haben sie den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen. 4. Wir sind aufgefordert, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist.
            Immanuel Kant folgt: 1. Wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. 2. Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. 3. Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.
            Das Leistungsprinzip, lieber Dr. von Heydebreck, finde ich bei beiden nicht, sondern ein Vertrauen in die Vernunft- und Verantwortungsfähigkeit des Menschen als Bedingung eines friedensfähigen Gemeinwesens. Dies beziehen beide ausdrücklich nicht auf eine z.b. national begrenzte politische Gemeinschaft, sondern auf die ganze Menschheit:
            Es kann deshalb bei Beiden ein von der Verantwortung abgekoppeltes Leistungsprinzip nicht geben. Ob real existierende Sozialismus ausgerechnet am Fehlen dieses Prinzips zusammengebrochen ist, vermute ich nicht. Fest steht aber, dass die menschliche Zivilisation gerade an der Verabsolutierung dieses Prinzips scheitert.
            Ich gehe auch nicht davon aus, dass der Mensch von seiner Natur her, ich verkürze, mit derart grenzenloser Gier ausgestattet ist, dass er am Gattungserhalt nicht mehr interessiert ist. Weil das womöglich nicht sicher ist, setzen Kant, Marx und alle Religionen dem Menschen klare Grenzen. Der Kapitalismus aber nicht, denn er kann nur ohne diese Grenzen weiterhin existieren. Vorher war er nützlich, das hat auch Marx erkannt. Jetzt ist der zu verabschieden, und zwar am Besten sofort, das hat Entwicklungsminister Müller heute geschrieben. Weil wir in Deutschland ab morgen vom Raub leben.
            Nach Kant und Marx kommen die Dinge ins Lot, autonome Menschen vernünftige Entscheidungen treffen. Autonom sein, also für sich selbst und für das Ganze handeln, kann aber nur, wer Entscheidungsspielräume hat. Wer im Falle eines vernünftigen Handelns seine Existenz riskiert, wäre ebenso nicht mehr autonom wie derjenige, dem das nötige Wissen fehlt.
            Da stecken wir jetzt fest, und sehen: Demokratie sichert das Überleben der Menschheit nicht. Der Markt auch nicht. Verantwortliche politische Entscheidungen können es. Wenn sie sich nicht finanziellen Interessen, sondern dem globalen Gemeinwohl unterordnen. Das wäre, lieber Herr Lerchner, die zentrale Erfahrung aus der Corona-Krise.
            Die ökologische Krise verbietet nicht nur jedes weitere ökonomische Wachstum, sie erzwingt Schrumpfung. Die soziale Krise erfordert eine an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit orientierte Güterverteilung. Zunächst steht also eine Planwirtschaft an, die diesen Kraftakt zu leisten vermag. Das ist womöglich die Schnittstelle, an dem Kant, Marx und Franziskus sich treffen.

          2. Lieber Herr Schneider! Es würde zu weit führen, hier im Einzelnen auf Ihre Bezugnahmen zu Karl Marx (den ich für obsolet halte) und Emanuel Kant (den ich nach wie vor besonders hoch schätze) einzugehen. Sehr bedenklich sind aber Ihre daraus gezogenen Schlüsse:

            „Das andere System“ (der Westen) hat in den 30 Jahren seit dem Untergang des kommunistischen Systems keineswegs „in den entscheidenden Menschheitsfragen komplett versagt“, sondern im Gegenteil die Welt zu einem exponentiell gesteigerten Fortschritt geführt, der einer enorm gewachsenen Bevölkerung von inzwischen mehr als 7 Mrd. Menschen einen nie dagewesenen Lebensstandard ermöglicht, an dem durch die Globalisierung mit einer immer stärkeren Durchsetzung sozialer und ökologischer Grundsätze gerade auch die bisher noch weniger entwickelten Länder partizipieren. An Krisen wie der Finanzkrise 2008/9 und jetzt der Welt-Corona-Krise leiden letztere infolge ihrer viel schwächeren Gesundheitssysteme und wahrscheinlich langfristig mehr noch an der Beeinträchtigung des Welthandels besonders. Darum ist es so wichtig, dass die Industrieländer des Westens – wie heute auch von der EU angestoßen – da trotz aller eigenen Sorgen schnellstens zusätzliche Hilfsmaßnahmen einleiten.

            Ein noch gefährlicherer Trugschluss ist Ihre Ansicht, dass Demokratie und Marktwirtschaft (auch die soziale?) das Überleben der Menschheit nicht sichern können – also wohl abgeschafft und durch Planwirtschaft ersetzt werden sollten? Wenn nicht die Demokratie, dann bliebe doch nur die Tyrannis bzw. die Diktatur. Das erinnert fatal an die Rezepte der beiden überwundenen extremen Systeme: Das Führerprinzip auf der einen und die Diktatur des Proletariats auf der anderen Seite. Beide wollten ihre für richtig erkannten, aber objektiv falschen Rezepte der Menschheit mit Gewalt und bewusst gegen ihren demokratischen Willen oktroyieren. Nein, das können Sie bei ruhiger Überlegung nicht gemeint haben. Gehen wir also auf den auch von mir hoch geschätzten kategorischen Imperativ von Kant zurück, der uns auf Demokratie, Rechtsstaatsprinzip und soziale Marktwirtschaft (die heute durch das Wort „ökologische“ ergänzt werden sollte) verweist und in unser Grundgesetz vorbildlich Eingang gefunden hat.

            Nicht ganz so gefährlich wie Ihre Abneigung gegen die Demokratie, aber ebenso abwegig ist Ihre Angst vor weiterem wirtschaftlichen Wachstum. Anscheinend unterliegen Sie auch da einem alten sozialistischen Trugschluss, nämlich dem Glauben, dass die Wirtschaft ein Nullsummenspiel sei, dass also der ökonomische Gewinn des einen nur durch den Verlust des anderen erzielt werden kann. In Wirklichkeit ermöglicht die immer fortschreitende technische Entwicklung, dass das Wachstum trotz endlicher Bodenschätze und endlicher Erdoberfläche zwar nicht unendlich, aber noch sehr lange andauern kann und muss, um das Ziel zu erreichen, möglichst allen Menschen auf der Welt ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

            Denken Sie doch nur an das ökologische Wachstum, das allein dadurch entsteht, dass unser gesamter Energieverbrauch früher oder später durch erneuerbare Quellen (Wind und Sonne) ersetzt werden und dass langfristig auch alle zu Ende gehenden mineralischen Rohstoffe durch Recycling von Abfall ersetzt werden müssen. Auch der Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Automatisierung und Digitalisierung mit der Folge immer größerer Freiheiten für kulturelle, sportliche und andere Freizeitgestaltungen birgt doch nahezu unendliche Wachstumsmöglichkeiten!

            Ich schreibe Ihnen das, nicht weil ich meine, alles besser zu wissen, aber um Ihnen und auch Herrn Wolff etwas Optimismus einzuhauchen. Wir sind in Deutschland mit unserem Grundgesetz, mit der Menschenwürde, mit unserem Rechtsstaatsprinzip, mit der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft (statt mit dem schnöden Kapitalismus) und last not least der Demokratie auf dem richtigen Wege und werden damit auch diese Corona-Krise überwinden! In diesem Sinne herzliche Grüße Ihr Hans v. Heydebreck.

          3. Lieber Dr. von Heydebreck!
            Ihren tastenden Schreibstil mag ich; ich bin deshalb sicher, dass hinter „Abneigung gegen die Demokratie“ das Fragezeichen vergessen haben. Sie hätten auch“ Zweifel“ schreiben können.
            Mich besorgen eher die Funktionsdefizite, die Diskrepanz zwischen globaler Wirtschaft und lokaler Demokratie. Dani Rodrik hat sie in seinem Globalisierungsparadox auf den Punkt gebracht.
            Sie haben Recht, mein Optimismus ist in den letzten 30 Jahren durch den permanenten Widerspruch zwischen Wissen und Handeln, der gern auf die Formel „das interessiert mich nicht“ gebracht wird, arg lädiert worden. Umso wohltuender ist die Debatte in diesem Forum.
            Solange es nicht gelingen will, die Individualität aus ihrer Asozialität zu befreien, kann ich mich zwischen Kant und Marx einfach nicht entscheiden. Auch steht aus meiner Sicht nicht Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft, solange beide verantwortlicher und demokratischer Entscheidung unterliegen.
            So findet sich meine Stimmung bei Dirk von Lotzow „Im Zweifel für den Zweifel, das Zaudern und den Zorn. Im Zweifel fürs Zerreißen der eigenen Uniform“
            Herzliche Grüße zurück.

  6. Sehr eigenartig finde ich den Zusammenhang, den der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zwischen der zu geringen Entwicklungshilfe für arme Kinder in armen Ländern und dem medizinischen Aufwand für die Behandlung an Covid-19 erkrankter alter Deutscher herstellt.

    Das Büro des OB Palmer hat mir „wegen der Flut an Zuschriften“ eine standardisierte Antwort auf meine Mail zukommen lassen, in der es u. a. heißt:

    Zitat:

    „Falls Sie sich die Zeit nicht nehmen können, nur ein Satz: Ich beschreibe das Dilemma des weltweiten Shutdowns, in den entwickelten Ländern das Leben von überwiegend hochaltrigen Menschen zu schützen, dafür aber das Leben von hunderttausenden von Kindern in den armen Ländern zu opfern. Deshalb plädiere ich mit fünf weiteren Autoren im aktuellen Spiegel für eine andere Schutzstrategie, die weniger Menschen das Leben kosten würde.

    Es tut mir Leid, dass bei Ihnen eine völlig andere Botschaft angekommen ist. Ich hoffe, dass ich das aufklären konnte“

    Da der von ihm verlinkte Artikel hinter einer Paywall liegt, habe ich ihn hier https://www.file-upload.net/download-14040238/20_4_25_SPIEGEL.pdf.html hochgeladen. Ich bleibe dabei, dass hier ein unzulässiger Zusammenhang zwischen der Rettung alter Deutscher mit der ungenügenden Entwicklungshilfe für arme Kinder in armen Staaten gemacht wird.

    1. Das Peinliche an der Antwort von Palmer ist, dass „das Leben von hundertausenden von Kindern in den armen Ländern“ nicht deswegen geopfert wird, um bei uns „hochaltrige Menschen“ zu schützen, sondern um schon seit Jahrzehnten unseren Lebensstandard zu sichern. Palmer u.a. begreifen eben nicht, dass das Coronavirus das „Ebola der Reichen“ ist. Christian Wolff

  7. Lieber Herr Wolf,

    ich bin mit allem sehr einverstanden, was Sie schreiben.. Nur bei einem Thema bin ich nicht Ihrer Meinung :
    Die Maskenpflicht , die finde ich uneingeschränkt sehr wichtig und gut. Fachleute bestätigen, dass zusammen mit Abstand Masken sehr nützlich sind, wenn jeder eine trägt. Zumindestens beim.Einkaufen.
    Somit werden wir alle zur Rücksicht aufeinander erzogen. Wir Älteren und Gefährdeten sind dadurch auch nach Lockerungen der Kontaktsperre besser geschützt und können
    trotz Risiko wieder selbst einkaufen.
    Bisher bringt uns eine Nachbarschaftshilfe diese Einkäufe.

    Ein weiteres Thema in einem früheren blog treibt mich noch um :
    Von den Kirchen sind wir enttäuscht, vor allem wenn ein Bischof von “Hygienediktatur “ spricht. Was für ein schrecklicher Missbrauch
    des Begriffs Diktatur.
    Außerdem fordern die Kirchen zu rasch Wiederaufnahme von Gottesdiensten.
    Mir wäre es lieber gewesen ,ich hätte auch nur einmal einen seelsorgerischen Anruf von Kirchenvertretern erhalten in dieser bisher 9 Wochen währenden Quarantänezeit oder ich hätte von seelsorgerischer Sterbe-oder Überlebensbegleitung in Heimen oder Krankenhäusern erfahren , wohlbemerkt jenseits der üblichen Krankenhausseelsorge.
    Stattdessen beteiligen sich Kirchenvertreter lieber an Grundgesetzdebatten.
    Diese Debatten laufen entsetzlich aus dem Ruder, wie man am.1.Mai in Kreuzberg wieder an der Gewaltanwendung sehen wird. Die Polizei tut mir da leid und es macht uns Älteren Angst in dieser Krisenzeit, in der man an Konsenslösungen arbeiten sollte anstatt immer giftigere und häßlichere Debatten und gar momentan sinnlose Demonstrationnen gegen sehr notwendige Maßnahmen zur Eindämmung von Infektionen zu initiieren.

    Mit all Ihren sozialpolitischen Themen stoßen Sie sehr wichtige sachliche Debatten an.
    Besonders die Idee, dass Reduzierung von Waffenexportn Leben schützt, finden wir sehr richtig wie viele andere postkolonialistische Themen auch, die Leben besonders in außereuropäischen Kontinenten, sogar auch in Nordamerika, schützen könnten.
    Hier liegt uns besonders das Leben im Regenwald am Herzen, besonders in Brasilien, wo charismatische Gruppen Bolsonaro gewählt haben und nicht davor zurückschrecken , den indigenen Völkern durch Ansteckung über Mission den Tod zu bringen.
    Hier machen Kontaktsperren noch einen zusätzlichen. lebenserhaltenden.Sinn.

    Herzlichen Gruß ,auch von meiner Frau Claudia geb. Müller aus Käfertal und danke für Ihre Anregungen
    Ihr Erhard Wagner

    1. Lieber Herr Wagner, vielen Dank für den Kommentar. Ja, über die Masken gibt es viele unterschiedliche Ansichten. Ich halte die Debatte für ein Ablenkungsmanöver. Das andere, was Sie ansprechen ist wichtiger. Ja, die Kirche vernachlässigt sträflichst die analoge Kommunikation bzw. die Menschennähe. Das wäre gerade jetzt so wichtig. Es gibt aber löbliche Beispiele: So hat sich in Altenburg/Thüringen ein Pfarrer in ein Pflegeheim eingeklagt, um einem sterbenden Gemeindemitglied beizustehen. Das Gericht hat die Heimleitung gezwungen, dies zuzulassen. Beste Grüße Ihr Christian Wolff

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