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Europa 2017: demokratisch, gerecht, vielfältig

Rede bei „Pulse of Europe“ auf dem Marktplatz Leipzig am 12. März 2017

Es ist ganz wunderbar, dass wir in Leipzig montags nicht mehr den Hetzern und Fremdenfeinden von Legida entgegentreten müssen, sondern uns nun sonntags versammeln, um ein Zeichen für ein friedliches, demokratisches, vielfältiges Europa zu setzen. Darum: Danke an die Initiator/innen von „Pulse of Europe“. Hoffen wir, dass dieser Wechsel, dieser Wandel nachhaltig sein wird.

Seit 1992 lebe ich in Leipzig. Bis zur Friedlichen Revolution 1989/90 war ich so etwas wie ein lupenreiner „Wessi“ – die Augen immer Richtung Frankreich und über den großen Teich in die Vereinigten Staaten gerichtet. Doch damals prägte mich auch die Mahnung Willy Brandts: Deutschland wird nur dann zur Souveränität gelangen, wenn es sich als Teil eines geeinten Europas versteht. Willy Brandt sprach schon in den 60er Jahren von den „Vereinigten Staaten von Europa“. Für ihn konnte die Antwort auf die Zerstörungskraft des Nationalsozialismus nur ein Europa sein, in dem die Interessenskonflikte friedlich und demokratisch ausgetragen werden. Sein Leitspruch war: Wir müssen miteinander reden, statt aufeinander zu schießen. Dieser politische Ansatz führte zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Sie war eine wesentliche Voraussetzung für die Friedliche Revolution und für das Zusammenwachsen von West- und Osteuropa nach 1989. Allerdings kann ich mich noch sehr genau an etliche Diskussionen Anfang der 90er Jahre hier in Leipzig erinnern. Da hatten viele Menschen, die aktiv die Friedliche Revolution mitbetrieben hatten, die große Sorge, dass Mauer und Stacheldraht, die bis 1989 Ost und West trennten, nur ein Stück weiter nach Osten verschoben werden – dass wir aus dem erweiterten Europa eine sich abschottende Festung machen.

Diese Sorge war schon damals berechtigt. Denn in einer Welt, die durch Mobilität und digitale Vernetzung, durch Handel und Wissensaustausch immer mehr zusammenwächst, stehen wir jeden Tag vor der Herausforderung: Verstehen wir den Austausch, verstehen wir Handel, als eine Einbahnstraße und die Grundwerte von Freiheit und Demokratie nur uns selbst betreffend? Oder sehen wir uns in der Welt als Partner, die aufeinander angewiesen sind. Erkennen wir im fremden und fernen Nächsten Menschen, die das gleiche Lebensrecht haben und die gleichen Bedürfnisse nach gerechter Teilhabe empfinden wie wir selbst? Was wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben, ist vor allem ein dringender, in konkreten Menschen sichtbar gewordener Appell: Europa kann sich nicht in der Welt bewegen wie in einem Selbstbedienungsladen. Europa steht in der Verantwortung, seine Erfahrung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts heute in die internationale Politik einzubringen – nämlich tiefe Gegensätze friedlich zu überwinden, um zu einem gerechten Zusammenwirken zu gelangen mit den Ländern, aus denen so viele Menschen bei uns Zuflucht und neue Lebenschancen suchen.

Zugegeben: Das ist ein schwieriger, sehr langwieriger, aber es ist notwendiger Prozess. Denn wir dürfen niemals vergessen: Dass wir heute in Europa zusammen leben können mit halbwegs offenen Grenzen, unter den Bedingungen der Demokratie und des Rechtsstaates, das haben wir denen zu verdanken, die nach den Erfahrungen des zerstörerischen Nationalismus einer Maxime folgten: Wir müssen unsere Interessenkonflikte ohne Einsatz kriegerischer Mittel lösen. Und: Wir können nur miteinander und nicht gegeneinander leben. Darum bedarf es in Europa eines sozial gerechten Ausgleichs. Es bedarf gerechter Lebensverhältnisse und gleichzeitig eines umfassenden und freien wirtschaftlichen Austauschs.

Leider sind wir heute umgeben von politischen Kräften, die diesen europäischen Ansatz eines friedlichen, pluralen Zusammenlebens gezielt zerstören wollen. Dabei greifen sie auf die alten, elenden Instrumente des Nationalsozialismus zurück. Sie schüren völkisch-rassistische Ressentiments und bringen Menschengruppen gegeneinander auf. Sie wenden dabei genau die Mittel an, die Europa schon einmal in die Katastrophe geführt haben: Demokratieverachtung, Politiker-Bashing, Absage an Pluralität, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und Antisemitismus, Diskursverweigerung und eine niedrige Hemmschwelle zur Gewalt. Ob Le Pen, Wilders, Strache, Kaczyński, Orbán, Petry, Höcke, Gauland oder auch Trump, Erdoğan und Putin – sie alle eint die gefährliche Ideologie eines völkischen Nationalismus. Sie eint der hybride Anspruch, den „Volkswillen“ zu repräsentieren. Sie verbiegen die Demokratie zur Herrschaft der vermeintlichen Mehrheit über alle anderen. Dabei bedeutet Demokratie gleichberechtigte Beteiligung und Ermöglichung derselben aller Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftlichen Leben. Demokratie schließt niemanden aus, sondern ist auf die Mitarbeit aller angewiesen.

Niemand sollte sich Illusionen machen: Die Neu-Nationalisten werden, wenn es Spitz auf Knopf kommt, keinen Moment zögern, Freiheitsrechte einzuschränken, Pressefreiheit auszuhebeln, Pluralität zu bekämpfen. Erdoğan, Putin, Trump zeigen, wie es geht. Es ist entlarvend, wenn sich die zur Partei gewordene Pegida, genannt AfD, in ihrem Wahlprogramm für eine „deutsche Leitkultur“ und gegen – wie sie es nennt – „Multikulturalismus“ wendet (wobei man diesen verschriemelten Begriff nur mit „Vielfalt“ übersetzen kann). Ebenso entlarvend ist es, wenn sich die AfD ganz im Sinne von Björn Höcke gegen „die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“ ausspricht. Dahinter verbirgt nichts anderes als die Absicht, durch einen beschönigenden Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und einer Relativierung der Verbrechen bruchlos an diese Vergangenheit anknüpfen zu können.

Wir aber wollen nicht an das anknüpfen, was zum ideologischen Terror, was zum Holocaust, zum verheerenden zweiten Weltkrieg, zur Teilung Europas geführt hat. Wir wollen anknüpfen an die Traditionen, die uns immer neu zu einem demokratischen, gerechten, vielfältigen und vor allem friedlichen Zusammenleben mahnen und ermutigen. Dazu gehören die Grundwerte des Glaubens in der jüdisch-christlichen Tradition (und das ist etwas anderes als „deutsche Leitkultur“!). Der Publizist Carl Amery hat die Grundwerte prägnant in drei Punkten zusammengefasst: die Friedfertigkeit, die Erhaltung des schwachen und gekränkten Lebens, die Notwendigkeit der Diskussion und des Kompromisses. Wir wollen anknüpfen an die Errungenschaften des sozialen Aufbruchs in Europa im 19. Jahrhundert, der sich von Anfang international verstand. Schließlich wollen wir anknüpfen an die Menschen und Ideen, die sich ganz bewusst für Gewaltlosigkeit eingesetzt haben und damit jedem nationalistisch-militaristischen Selbstbehauptungswillen einer Nation entgegengetreten sind. Wenn wir uns in diese Tradition stellen, dann sind wir vor den Versuchungen gefeit, das Heil in nationalistischer Abschottung zu suchen. Diese führt nur in eine Sackgasse und fordert einen hohen Preis: Einschränkung von Freiheit, Demokratie, Pluralität. Wer Europa will, der vertraut nicht auf die gefährlichen, aber hohlen Versprechungen der Autokraten. Wer sich als Europäer versteht, der beteiligt sich am demokratischen, gesellschaftlichen Diskurs, weil nur so Probleme zu lösen sind. Treten wir also ein für Demokratie, Gerechtigkeit und religiöse, kulturelle Vielfalt in einem geeinten, friedlichen Europa.

Nächstes Treffen „Pulse of Europe“: Sonntag, 19. März 2017, 14.00-15.00 Uhr auf dem Nikolaikirchhof

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11 Antworten

  1. Auch wenn diese Diskussion ja eigentlich abgeschlossen ist, kann der Beitrag von Herrn Weiss nicht unwidersprochen bleiben: Czop hat sich nicht „etwas polemisch“ geäussert. Er hat vielmehr mit seinem Hinweis – und der inhaltlichen Art desselben – die Grenzen demokratischer Diskussion in unverzeihlicher Weise verletzt und überschritten, sich damit selbst disqualifiziert und sich überdies in die Nähe der Strafbarkeit begeben. Seine Äußerung zu verteidigen erübrigt sich also.
    Und – bei aller berechtigten Kritik an den USA – die NATO als „nur“ ein Instrument amerikanischer geopolitischer Interessen zu bezeichnen, zeigt die Einfältigkeit des dies Behauptenden. Denn zwar dient die NATO den USA, aber es bleibt eben richtig, daß Europa angesichts seiner Unwilligkeit, sich selbst zu verteidigen, ungleich stärker auf die NATO und deren amerikanische Kapazitäten angewiesen ist. In der Praxis also, dient die NATO überwiegend europäischen Interessen.
    Bleibt als einzig richtiger Hinweis bei Herrn Weiss seine Anmerkung, daß es in der Tat falsch ist, einen so wichtigen globalen geopolitischen Mitspieler wie Rußland immer wieder mit einseitigen moralischen Argumenten von der Lösung politischer Probleme auszuschliessen, die ohne diesen Mitspieler aber nicht lösbar sind.
    Andreas Schwerdtfeger

  2. @ Herr BY ANDREAS SCHWERDTFEGER: Sie sagen […] Der Beitrag von Herrn Czop, den Sie zu Recht zurückweisen[…]

    So falsch war der Kommentar des Herrn Czop gar nicht, wenn auch etwas polemisch vorgetragen. Immerhin hat er einen zusätzlichen Schwachpunkt in dem Artikel des Herrn Wolff zugespitzt.

    Dass die Nato nur ein Instrument der USA ist, um die amerikanischen geopolitischen Weltführungs-Interessen zu festigen, weiß jedes Kind.

    Und es ist auch wohl klar, dass man sich nicht wundern darf – wenn man Russland ausgrenzt – dass es irgendwann eigene Interessen verfolgt. Und Russlands Aufrüstung ist wohl eine Reaktion auf die Nato.

    Es ist bemerkenswert, dass diese Sicht von vielen geteilt wird, die den Kalten Krieg noch erlebt und an der Überwindung der Spaltung Europas dann selbst mitgewirkt haben, wie bspw.Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, Egon Bahr, Horst Teltschik oder auch der frühere Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle. Die Russlandversteher sind ein, zwei Generationen älter als die Russlandgegner.

    Gruß

  3. Herr Kreft war wohl so echauffiert, daß er den Beitrag von Czop nicht bis zum Ende gelesen hat. Dessen Hinweis auf Guantànamo alleine schon rechtfertigt jede „Ruppigkeit“ in der Antwort und disqualifiziert Czop als ernsthaften Gesprächspartner. Und was Ihre Intervention zum Thema Griechenland angeht, sind Sie offensichtlich schlecht informiert. Die deutsche Haltung gegen in dieser Sache hatte und hat wenig mit Chauvinismus und viel mit Realitätssinn zu tun. Ich habe mehrere Jahre in Griechenland aus beruflichen Gründen gelebt und hatte dabei Gelegenheit, die dortige „Wirtschaft“ und die zugrunde liegende Mentalität kennenzu lernen.
    Auch Ihre Ansicht zu Europa und die feinsinnige Unterscheidung zwischen Europa und der EU ist eher schwatzhaft. Wenn dieser Kontinent nicht erkennt, daß in einer globalisierten Welt nur angemessene Größe das Überleben garantiert, dann ist Zerfall die Folge – ein Europa der Einzelstaaten ist insofern nicht mehr denkbar und bedeutet „Zerfall“.
    Man muß selbst reflektieren, bevor man andere dazu ermuntert.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Sehr geehrter Herr Schwerdtfeger,
      Sie haben recht, indem Sie die Guantanamo-Anmerkung von Herrn Czop zurückweisen. Schließlich ist dies ein schrecklicher Ort, geschaffen und toleriert vom ’staken Westen‘.
      Auch mögen sie mit der kleinteiligen Betrachtung über betriebswirtschaftliche und behördliche Abläufe in Griechenland recht haben, was sich aber zumeist und allerorts als Reaktion auf übergeordnete Strukturen entwickelt.
      Meine Kritik bezieht sich den volkswirtschaftlichen Kontext. Aus dieser Perspektive hat man ein falsch konstruiertes EU-Konzept in der Krise und danach mit einem ebenso falschen wirtschaftspolitischen Konzept beantwortet. Die EU hat von ihrer Gründung an angebotspolitisch allen Unternehmen (besonders Konzerne und exportorientiert) in allen Ländern genutzt. Was wir ab 2010 an Griechenland (VWL) kritisiert haben (‚die faulen Griechen‘ = Chauvinismus) wurde bis dahin von Deutschland und allen anderen toleriert und teils gepriesen (GRE = geringste private Verschuldung in der EU = enorme Kreditwürdigkeit = Absatzmarkt für dt. Produkte, etc.). Dererlei Bsp. sind zahlreich und für viele Länder der EU zu finden, kurz, es war zum Nutzen aller EU-Ökonomien. Danach fing das Fingerzeigen auf einzelne Schuldige an. Ehrlicher wäre eine Gesamtverantwortung gewesen, aber leider war zu dem Zeitpunkt Wahlkampf in NRW und Merkel äußerte sich entsprechend abfällig.

  4. Sehr geehrter Herr Wolff,
    ich möchte hier einmal auf Ihre relativ ruppige Erwiderung auf Herrn Czop eingehen. Mag die Tonlage seiner Intervention auch nicht angemessen gewesen sein, so ist sie doch inhaltlich schwerlich zu widerlegen, ganz im Gegenteil. Ich möchte Ihnen ans Herz legen, die Rede Putins im Bundestag (2001) und auf der Münchner SiKo (2007) unvoreingenommen durchzulesen. Sie werden sicherlich Ihre Einschätzung Putins revidieren.
    Des Weiteren scheinen Sie die Gefahren für Europa vorwiegend exogen zu sehen. Auch hier sollten Sie nochmals in sich gehen. Zunächst einmal ist die EU von Zerfall bedroht (nicht Europa). Zudem ist mit volkswirtschaftlichem Verständnis die Krise spätestens ab 2010 offensichtlich geworden, als die unsolidarische und offen chauvinistische Haltung Deutschlands in der Eurokrise (nicht nur gegenüber Griechenland) nicht zu verkennen war. Ab hier wurde den Rechtspopulisten in die Hände gespielt, so dass diese die Wut, das Leid, die Erschöpfung und die Ungerechtigkeit ernten und in Zustimmung und Wahlprozente umsetzen konnten. So unangenehm diese Feststellung auch ist, so ist Ihre Form der Selbsttäuschung nur wenig hilfreich.
    Ich hoffe, Sie nutzen diese kurze Skizze zur Reflexion.

  5. Der Beitrag von Herrn Czop, den Sie zu Recht zurückweisen, zeigt aber immerhin eines auf: Daß nämlich Sie, lieber Herr Wolff, in Ihrem blog nicht politisch-inhaltlich und sachlich ARGUMENTIEREN sondern nur emotionale Meinungsäußerung in zT eher intoleranter Form betreiben. Auch unsere Äußerungen in diesem Beitrag zeigen dies ja: Sie fordern mich auf, an Ihren Demos teilzunehmen – zu meinen Argumenten sagen Sie nichts! Deshalb ja meine ewige Forderung: Daß Sie sich der Diskussion inhaltlich stellen anstatt immer nur zu polemisieren. Den politischen Gegner überzeugt man eben nur mit Argumenten, nicht mit der Murmeltierschleife.
    Andreas Schwerdtfeger

  6. „Ob Le Pen, Wilders, Strache, Kaczyński, Orbán, Petry, Höcke, Gauland oder auch Trump, Erdoğan und Putin – sie alle eint die gefährliche Ideologie eines völkischen Nationalismus.“
    Allein schon dieses Zitat zeigt das der Autor unfähig ist zu differenzieren.
    Ein von so wertezerfressenden Überheblichkeitanspruch und zur Regierung feststehenden neuen Herrenrasse-Kommentar, hab ich selten erlebt.
    Die Wahlempfehlung von PoE für genau jene Parteien, die für das europäische Desaster unmittelbar verantwortlich sind, ist an Groteskheit kaum noch zu überbieten!
    Wenn ich könnte, wie ich wollte, wäre der Autor Gast auf der Insel der Weltengemeinschaft Guantamo Bay, mit 24/7 Dauerbeschallung:
    Putin im deutschen Bundestag!
    https://www.youtube.com/watch?v=9jyLQmyg9hs

    In welchem Teil ( bitte mit Minutenangabe) der Rede Putins, kommt ihr völkischer Fake-News Schwachsinnsvorwurf denn jetzt vor?

    1. Um solchen Haltungen und Meinungen entgegenzutreten, treffen sich sonntags Tausende Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern und werben für Demokratie, gerechte Lebensverhältnisse und Pluralität. Christian Wolff

  7. Lieber Herr Wolff,
    ich danke Ihnen für Ihre guten und sicherlich auch gut gemeinten Ratschläge, aber Sie wissen ja, daß ich kein Freund von öffentlichen Demonstrationen bin. Es liegt wohl an unseren unterschiedlichen Berufen: Der Ihre ist unter anderem angelegt auf öffentliches Auftreten und öffentliche Meinungsäußerung; der meine wohl eher auf öffentliche Zurückhaltung und das unaufällige Wirken nach dem Moltke’schen Motto „mehr sein als scheinen“. Beides hat seine Berechtigung.
    Aber ich habe in der Tat vergessen erneut zu würdigen, daß Sie sich jetzt (meinem Rat folgend?) mehr für positive Ziele einsetzen wie eben zB Europa und Ihre Tiraden nur noch den zweiten Platz einnehmen. Ich hole das hiermit gerne nach und dies um so mehr, als es hier eben doch viel Übereinstimmung zwischen uns gibt.
    Seien Sie herzlich gegrüßt,
    Andreas Schwerdtfeger

  8. Schön, lieber Herr Wolff, wie Sie in der Manier eines 17-Jährigen Ihren Heros Willy Brandt ins rechte Licht rücken – seine Ostpolitik war ja auch eine Leistung.
    Andererseits: Die Integration Deutschlands in ein geeintes Europa – was immer man in den 60er Jahren darunter verstehen durfte (Schluß war nämlich an der innerdeutschen Grenze) – war nun wirklich keine Brandt’sche Idee; das hatten vielmehr viele vor ihm als Ziel angesehen, darunter auch einige aus seiner Partei wie der große Carlo Schmidt. Auch daß Interessenkonflikte friedlich und demokratisch auszutragen seien, ist ja keine Brandt’sche Erfindung, sondern eine allgemeine Nachkriegsansicht in Deutschland (zum Glück). Und schließlich: Ihr Brandt’scher Leitspruch „Wir müssen miteinander reden, statt aufeinander zu schießen“ ist auch nicht wirklich ein Alleinstellungsmerkmal. Diese Aussage vielmehr ist eine Erkenntnis, die neben vielen westlichen Politikern der Nachkriegszeit insbesondere wohl die Soldaten (in anderem Zusammenhang sicherlich auch die Polizisten) haben und aktiv leben, denn auf sie wird ja bekanntlich zuerst geschossen.
    Ganz falsch allerdings ist wieder einmal Ihre historische Klitterei, mit der Sie nun Ihren Heros umstrahlen wollen: Die KSZE wurde lange vor Willy Brandt „erfunden“; sie war eine Idee des Ostblocks, der auf diesem Wege internationale Anerkennung und bessere Wirtschaftsbeziehungen erreichen wollte. Die erste Konferenzserie begann, als Brandt gerade mal ein paar Wochen Kanzler war; die Schlußakte wurde für die Bundesrepublik in der Regierungszeit von Helmut Schmidt unterzeichnet. Der Korb „Menschenrechte“ wurde in der Tat vom Westen in die Konferenz eingeführt und wurde von den Ostblockstaaten damals in dem Bewußtsein unterschrieben, daß sich viele Begriffe dialektisch auslegen und anwenden lassen. Immerhin gab er Dissidenten im Ostblock einen Hebel. Unter aktiver Beteiligung der Streitkräfteführungen der einzelnen Länder und der NATO wurden dann in Nachfolgekonferenzen vertrauensbildende Maßnahmen in Form von Manöveranmeldungen und – beobachtungen vereinbart, die das Kriegsrisiko mindern sollten und wohl auch gemindert haben. Ich selbst war mehrfach in solchen Missionen unterwegs.
    Ihre schöne Maxime „Wir müssen unsere Interessenkonflikte ohne Einsatz kriegerischer Mittel lösen“ ist richtig. Um sie politisch umsetzen zu können braucht es angemessene Streitkräfte, die einer Friedenspolitik der Diplomatie erst den notwendigen Rückhalt geben. Ich schrieb es ja schon: 70 Jahre Frieden in Europa sind ganz wesentlich den in Verteidigung investierten Milliarden zu danken (übrigens überwiegend amerikanische Milliarden!).
    Und dann kommen Sie am Ende wieder auf Ihr Lieblingsthema zurück, die bösen Rechten, die alles Mögliche „schüren“. Ja, die Rechten sind böse; ob sie allerdings „schüren“ oder nicht vielleicht vorhandene und ernst zu nehmende Stimmungen und Ansichten aufgreifen und verstärken – das könnte man hinterfragen. Es ist immerhin interessant, daß die versammelte Linke (einschl der Moderaten, zB SPD) in unserem Land uns die soziale Ungerechtigkeit als gegeben und ein Wertesammelsurium aus aller Welt als erstrebenswertes Ziel verkaufen will, während sie die Konservativen und Werte-/Traditionsbewahrern in unserer Gesellschaft verunglimpft. Aber nur wer eine Leitkultur hat, kann überzeugend integrieren. Integrieren heißt nämlich „anleiten“ – da steckt das Wort schon drin!
    Immerhin freut mich, daß Sie sich in Ihrer Ansprache so stark machen für Freihandel über Grenzen hinweg: „Oder sehen wir uns in der Welt als Partner, die aufeinander angewiesen sind“; denn da haben Sie Recht – allerdings sind Greenpeace und andere derartige Organisationen und Schreihälse noch nicht ganz so weit.
    Seien Sie herzlich gegrüßt,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Lieber Her Schwerdtfeger, schade, dass Sie in Ihrem Kommentar das Wichtigste vergessen: zu würdigen, dass sich seit einigen Wochen Tausende Menschen sonntags auf zentralen Plätzen versammeln, um sich einzusetzen für ein demokratisches und friedliches Europa. Ich kann Ihnen nur empfehlen, an einer solchen Zusammenkunft teilzunehmen. Das ist eine ganz besondere Erfahrung. Und wenn Sie wollen: Dann können Sie das „offene Mikophon“ nutzen, um das in der Öffentlichkeit zu sagen, was Ihnen an Europa wichtig ist. Ihr Christian Wolff

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